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Ausgabe 10/00   Seite 25ff

Während die Bundeswehr bei öffentlichen Gelöbnissen nicht nur in der Hauptstadt mit Protesten und Kritik zu rechnen hat, verschafft sie sich durch "Hilfsdienste" auf zivilen Veranstaltung jenseits des breiten Interesses der Massenmedien (und antimilitaristischer Aktionen) Akzeptanz, ohne auf gesellschaftlichen Widerstand zu stoßen - so kürzlich mit Feldjägern im Einsatz bei der 1. Spandauer Blade Night. Oftmals kann sie sich auf die ausdrücklichen "Sparwünsche" ziviler Veranstalter berufen. Die Rechtmäßigkeit solcher Einsätze ist fragwürdig: Öffentlichkeitsarbeit mit der Gulaschkanone ist zwar legal, aber allein aus ästhetischen Gründen verwerflich - die Übernahme hoheitlicher Aufgaben mit Weisungsbefugnis gegenüber der Zivilbevölkerung (z.B. Verkehrsregelung) ist gesetzlich streng geregelt - im Spandauer Fall war sie grundgesetzwidrig. Zivile Aufgabenfelder haben für die Bundeswehr tabu zu bleiben.

Bundeswehr und zivile Veranstaltungen

Angekündigten Trend zu Militär als Polizei im Innern bekämpfen!

Öffentlichkeitsarbeit und rechtswidriger Einsatz

Ganz im Westen der Republik, im Saarland, hat die Bundeswehr traditionell ein Heimspiel bei der Bevölkerung: Die sogenannte Saarlandbrigade ist einerseits bei einer Vielzahl von gesellschaftlichen Veranstaltungen im öffentlichen Leben präsent und akzeptiert, andererseits bildet sie mit ihren Fallschirmspringern die spezialausgebildete Vorhut der deutschen Interventionskontingente, d.h. der Truppen, mit denen die neue Nato-Strategie umgesetzt wird, die Nato-Staaten die moralisch-ökonomisch-militärische Weltherrschaft zu sichern beabsichtigen. Gesellschaftliche Akzeptanz ist bei einem derart brisanten "Ernstfallprofil" Gold wert. Daher hilft die Bundeswehr, wo sie kann: So Ende August beim Aktionstag des deutschen Sportbundes für das Deutsche Sportabzeichen. Rund 150 Angehörige der 26. Luftlandebrigade wurden zum Sportabzeicheneinsatz mit der Starterpistole ins Stadion kommandiert. 535 Sportabzeichen gehen am Abend auf das Konto der Bundeswehr.(1) Sicher ist beim Auftreten und Tätigwerden der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu differenzieren. Uniformierte auf dem Weg in die Kaserne oder nach Hause sind ein ästhetisches Problem und als solches genauso ärgerlich wie die Werbestände der BW bei Sportfesten und ähnlichen Veranstaltungen. Aber Öffentlichkeitsarbeit ist der BW gestattet, das Uniformtragen wird ausdrücklich angeregt, der Effekt, eine allgemeine Gewöhnung und Akzeptanzsteigerung für das Militärische (und damit auch für seine Existenz und Zwecke) zu erreichen, ist erwünscht und nur auf dem Wege gut begründeter Militärkritik anzugreifen. Der Ansatzpunkt der Kritik verschiebt sich bei Militäreinsätzen im Katastrophenfall (Sturmfluteinsätze, Oderhochwasser). Die sind ebenfalls legal, jedoch ist hier ganz klar das Mißverhältnis zu kritisieren zwischen der aufdringlichen Selbstdarstellung militärischer Hilfsbeiträge und dem Medieninteresse für die zivilen Katastrophendienste. Hätten Dienst wie THW, Feuerwehr und viele kleine, unbekannte Initiativen zweistellige Milliardenhaushalte, dann könnten diese ganz anders aktiv werden - und nicht nur bei humanitären Katastrophen im Inland. Das eigentliche Problem ist jedoch der Trend zur klammheimlichen Übernahme bzw. Anmaßung hoheitlicher Aufgaben durch die Bundeswehr. Sie ist gesetzlich streng geregelt, um einen Mißbrauch der Streitkräfte möglichst zu verhindern. Diese Regelungen und ihre schleichende Mißachtung lassen sich am Beispiel schön erläutern.

Bundeswehr im zivilen Einsatz - eine beunruhigende Tendenz

Auch in der Hauptstadt setzt die Bundeswehr auf Imagepolitur. Hat(te) sie in der "Hauptstadt der Verweigerer" bis 1990 überhaupt nichts zu suchen, versucht die Bundeswehr, ihre öffentliche Präsenz seitdem beharrlich auszubauen. Neben den großen Gelöbnissen, die noch regelmäßig auf antimilitaristischen Widerstand treffen,(2) scheint sie nun auf die kleineren vermeintlich unverfänglicheren Gelegenheiten zu setzen: Bei der 1. Spandauer Blade Night am 31. August 2000 war sie mit 40 Feldjägern im Einsatz. Die Soldaten in Tarnuniform, teilweise ausgerüstet mit dicken Rucksäcken, regelten z.T. gemeinsam mit Polizeibeamten und z.T. selbständig in Zweiergruppen den Verkehr und die Straßenabsperrungen um die Blade Night herum. Der Einsatz wurde von einer gemeinsamen Einsatzleitung von Polizei und Bundeswehr koordiniert; auf Bundeswehrseite zuständig war Hauptmann Weber. Die Soldaten des Jägerbataillons 1 aus der Blücher-Kaserne in Kladow(3) begaben sich bei dieser Gelegenheit in die Öffentlichkeit ohne das Risiko öffentlicher Kritik: Ihr Standort wird am 3. Oktober eine offizielle Partnerschaft mit dem Bezirk Spandau gründen ("Armee der Einheit"). Für den Bezirk sind enge Beziehungen zum Militär bzw. sogar eine militärische Ausrichtung historisch nichts besonderes oder gar verwerfliches: Spandau ist stolz auf seine Vergangenheit als Truppenstandort;(4) bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es ein großes Munitionsdepot in der Spandauer Zitadelle. Ortsänsässige Rüstungsfabrikation sorgte für Arbeitsplätze und Steueraufkommen; die Spandauer Zitadelle ist bis heute eines der beliebtesten Ausflugsziele Spandaus mit seiner militärhistorischen Ausstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg pflegten der Bezirk und seine Bürger ein besonders enges Verhältnis mit den Britischen Besatzungstruppen. Bei der Blade Night dürften sich also die Mehrzahl der Spandauer Inline-Skater bei den Bundeswehrpolizisten einfach nichts weiter gedacht haben. Warum auch? Weil ein derartiger Einsatz von Bundeswehrtruppen nicht nur einfach rechtswidrig ist, sondern massiv gegen das Grundgesetz verstößt.

So steht's im guten, alten GG

Ausrichter der 1. Spandauer Blade Night war das Bezirksamt Spandau. Die Idee, durch den Einsatz von Ordnern aus den Reihen der Bundeswehr Kosten beim notwendigen Polizeieinsatz zu sparen, dürfte hier ihren Ursprung haben. Skandalös ist nicht die Tatsache, daß die Bundeswehr diesem Anliegen entgegenkam, weil es wiederum ihr ureigenes Anliegen nach Imagepflege und Erweiterung ihres Aufgabenspektrums befördert. Skandalös ist die Tatsache, daß sich die Bundeswehr im Schulterschluß mit Verwaltung und Polizei auf einen derartigen Verfassungsbruch einläßt. Artikel 87a "Aufstellung und Einsatz der Streitkräfte" beschränkt die Einsetzbarkeit der Bundeswehr eindeutig: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt."(5) Der Verteidigungsfall lag bei der Spandauer Blade Night nicht vor. Diese ausdrückliche Erlaubnis erteilt das GG im Zusammenhang mit dem "Spannungsfall", den der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit feststellen muß oder der durch die Zustimmung der Bundesregierung zu einer Aktion in einem Bündnisrahmen zustande kommt.(6) Nur im Spannungsfall ist der Einsatz der Streitkräfte rechtmäßig, um "zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen"(7) und auch dann nur soweit, wie dies zur Erfüllung ihres durch den Bundestag bzw. eine Bündnisverpflichtung mit Regierungszustimmung zustande gekommenen Auftrages erforderlich ist. "Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen."(8) Eine Abstimmung im Bundestag über den Einsatz der Feldjäger während der Spandauer Blade Night bzw. den dazu erforderlichen Spannungsfall fand ebensowenig statt wie eine entsprechender Bündnisfall und eine damit zusammenhängende Regierungsentscheidung. So läßt sich der Einsatz der Feldjäger also nicht rechtfertigen.

"Notstandsverfassung"

Das GG liefert eine weitere Möglichkeit für den rechtmäßigen Einsatz der Bundeswehr gegen die eigene Zivilbevölkerung: "Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen(9) und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen."(10) Über die Relevanz einer Blade Night für die FDGO ließe sich sicher streiten und die unzumutbare Überlastung von Berliner Polizei und BGS durch den Hauptstadtschutz belegen die Klagen aus Polizeigewerkschaft, Innenverwaltung und tv Berlin(11) beinahe täglich. Da aber die Teilnehmer der Spandauer Blade Night zwar organisiert (und zwar durch das Bezirksamt Spandau), jedoch nicht - und auch nicht in Teilen - militärisch bewaffnet waren, taugt auch diese Rechtsgrundlage nicht für den Einsatz der Feldjäger in der Spandauer Innenstadt. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß es sich bei dem Bundeswehreinsatz in der Spandauer Innenstadt am 31. August 2000 um eine schwerwiegende Grundgesetzesverletzung handelte. Etwaige Pläne, derartige Militäreinsätze - aus welchen pragmatischen oder Sparerwägungen auch immer - zur Regel werden zu lassen, und den Versuchen, solche Einsätze durch die Kollaboration und Rechtfertigungsarbeit anderer Verfassungsorgane (Kommunalverwaltung, Polizei) zu bagatellisieren, muß systematisch entgegengetreten werden.

Militär beim Zivileinsatz denunzieren

Offensichtlich hat der Verfassungsbruch beim Einsatz der Bundeswehr im Kosovo auch im allgemeinen Verfassungsverständnis seine Spuren hinterlassen. Wie sich mittlerweile im Kosovo zeigt, sind die Militärs aller Nationen der KFOR mit Polizeiaufgaben und der Unterstützung des Aufbaus von zivilen Strukturen völlig überfordert. Statt jedoch über zivile Wege zum Aufbau von Zivilgesellschaft nachzudenken, scheint die Bundeswehr jetzt Polizeifunktionen auf heimischem Terrain einüben zu wollen. Die durchgehend positive Beurteilung des Spandauer Einsatzes bei den beteiligten Soldaten und Polizisten auf der Straße, gipfelnd in der Einschätzung: "Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein!" und die Tatsache, daß ein derartiger Druck der Bundeswehr in zivile Bereiche in vielen Zusammenhängen und überall im Land festzustellen ist, fordert uns heraus. Gerade solche harmlosen Aktivitäten wie Verkehrsregelung bei Großveranstaltungen oder Infrastrukturhilfe bei Sportfesten wie z.B. erst kürzlich der Versorgungsstand der Bundeswehr beim Berlin-Marathon tragen bei zur Verankerung der "Nützlichkeit" des Militärs in unseren Köpfen - und zur Verdrängung des eigentlichen militärischen Zweckes. Wir richten daher eine "Email-Hotline" ein, auf der wir vergleichbare Einsätze sammeln, dokumentieren, in einen systematischen Zusammenhang stellen und skandalisieren wollen. Wir rufen auf zur Einsendung von Kurzberichten (auch tabellarisch oder stichwortartig) mit dem Was? Wann? Wer? Wo? Wie viele? zu allen möglichen Bundeswehraktivitäten außerhalb von Kaserne und Manöver. Wir wollen keine Spielräume für die Bundeswehr in zivilen Zusammenhängen, wir wollen auch keine "Entlastung" von Polizei, Katastrophenschutz etc. durch die Streitkräfte, sondern wir wollen militärische Potentiale durch Abrüstung und Konversion für die zivile Nutzung verfügbar machen. eus

Bundeswehrbeteiligung bei zivilen Veranstaltungen

Wie? Was? Wann? Wer? Wo? Wie viele?
Meldungen bitte an bundeswehrmonitor@antimilitarismus-information.de
oder
antimilitarismus information,
Kurfürstenstraße 14,
10785 Berlin,
fax 030/2579 7342,
Kennwort: Bundeswehrmonitor


Anmerkungen:
(1) FAZ, 21.8.00, S. 36
(2) vgl. ami 3/98, 7/98, 6/99
(3) Von der in Kladow im Süden Spandaus gelegenen Blücher-Kaserne aus wird das IV. Korps der Bundeswehr geleitet. Es besteht aus 9000 Soldaten und Zivilbediensteten, die in Berlin, Brandenburg, Sachsen, Hessen und Niedersachsen stationiert sind. Das Jägerbataillon ist eine Einheit und war bis zur derzeitigen Umstrukturierung der BW Teil der Krisenreaktionskräfte. Berliner Zeitung, 22.9.98
(4) So sucht die Historische Spandauer Stadtgarde ständig neue Stadtgardisten; Spandauer Volksblatt, 30.8.00
(5) GG Art. 87a Abs. 2
(6) GG Art. 80a
(7) GG Art. 87a Abs. 3
(8) GG Art. 87a Abs. 3
(9) D.h. wenn ein betroffenes Bundesland in einer Situation "Inneren Notstandes" unzureichende Bereitschaft oder Fähigkeit zur Gefahrenbekämpfung zeigt.
(10) GG Art. 87a Abs. 4
(11) tv Berlin ist der unsägliche lokale Berliner Privatsender, wo selbst dem Rechtsaußen und ehemaligen Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU, Bezirksverband Spandau) regelmäßig in einem Polit-Talk die Moderatorenrolle überlassen wird.
 

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