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Ausgabe 3/00   Seite 11ff

Der Zeitplan für die beim EU-Gipfel von Helsinki im letzten Dezember beschlossene Eingreiftruppe von 50 000 bis 60 000 Soldaten steht seit dem 28. Februar 2000 fest. Während die verteidigungspolitischen Interimsgremien bereits zum ersten Mal zusammengetroffen sind, schenken die Mitgliedsstaaten den Beschlüssen zum nicht-militärischen Krisenmanagement kaum Beachtung. Die Umsetzung des Aktionsplans zur Verbesserung und Stärkung der nicht-militärischen Möglichkeiten der EU zur Konfliktprävention und Krisenbewältigung(1) lässt im Gegensatz zur rasanten Entwicklung beim militärischen Sektor auf sich warten.

Europa, quo vadis?

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben in Helsinki nicht nur beschlossen, eine Eingreifstruppe von 50 000 bis 60 000 Soldaten aufzustellen, auch die zivile Krisenprävention und Krisenbewältigung sollte entwickelt werden. Zwar fand der schwedische Vorschlag, als Gegengewicht zu den militärischen Komitees einen nicht-militärischen Ausschuss einzurichten, in Helsinki keine Mehrheit, doch lassen sich in den Anlagen der Schlusserklärung des Europäischen Rates auch Beschlüsse zur Etablierung von Koordinationsmechanismen zum zivilen Krisenmanagement finden. Der Aktionsplan zur Verbesserung und Stärkung der nicht-militärischen Möglichkeiten der EU zur Konfliktprävention und Krisenbewältigung sieht folgende Maßnahmen vor: Inventar der in der EU verfügbaren zivilen Reaktionskräfte, Erstellen einer Datenbank mit verfügbarem Personal, Erstellen einer Studie, die konkrete Planungsziele für die schnelle Verfügbarkeit von zivilen Krisenreaktionskräften definieren soll. Die Ziele stehen zwar fest, doch lässt die Implementierung im Gegensatz zu den Bemühungen um eine europäische Interventionstruppe auf sich warten; eine Entwicklung, die auch von Seiten der Europäischen Kommission kritisiert wird(2) Im Moment verwenden die Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat alle Energie und ihr ganzes Engagement darauf, ihr neues Steckenpferd, die Errichtung der militärischen Eingreiftruppe, zu fördern.

Demokratische Kosten?

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gehört zum zweiten intergouvernementalen Pfeiler(3) der EU. So bestimmen lediglich die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die von den von ihnen eingesetzten Stabsoffizieren informiert werden, über die Beschaffenheit des neuen Krisenmanagements. Sowohl das Europäische Parlament als auch die Europäische Kommission können lediglich beratend auf den Prozess Einfluss nehmen. Deshalb wird es Parlament und Kommission nur möglich sein, Initiativen für die Implementierung der nicht-militärischen Krisenprävention und Krisenbewältigung zu empfehlen; einen Anspruch auf Mitbestimmung hat das Parlament nicht. Stattdessen wurde die Entwicklung des zukünftigen Krisenmanagements von den Mitgliedsstaaten an die Militärs übertragen bzw. überlassen (s. S. *** Kasten über die sicherheitspolitischen Gremien der EU) und ist so jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen. Auch bei einer späteren Entscheidung über den Einsatz der Interventionstruppe wird das Parlament keinerlei Entscheidungsmöglichkeiten haben.

Der Zeitplan für die Schnelle Eingreiftruppe

Die Verteidigungsminister der EU einigten sich bei ihrem Treffen auf einen Zeitplan für die Aufstellung der künftigen schnellen Eingreiftruppe der EU. Sie verständigten sich darauf, die Westeuropäische Union (WEU) bis Ende 2000 in die EU zu integrieren und die Verträge für die Organisationen der europäischen Sicherheit und Verteidigung beim EU-Gipfel Ende diesen Jahres in Nizza zu unterzeichnen. Zunächst sollen verschiedene Szenarien für Einsätze der schnellen Eingreiftruppe ausgearbeitet werden. Ende des Jahres 2000 soll dann unter französischer Präsidentschaft eine "Geberkonferenz" oder "Conférence Génératrice de Force" einberufen werden, bei der die Länder erklären sollen, wieviele Soldaten sie bereitstellen können. Ziel ist es, im Jahr 2003 innerhalb von zwei Monaten 15 Brigaden aufzustellen und ein Jahr im Feld zu lassen. Dafür werden, da die Einheiten alle vier bis sechs Monate ausgewechselt werden, bis zu 180 000 Soldaten verfügbar sein müssen. In Bundeswehrkreisen heißt es, dass Deutschland zwei bis drei Brigaden - so viele wie die Briten - beisteuern will(4) Angesichts der Tatsache, dass die NATO-Staaten jetzt schon Schwierigkeiten haben, ihre Zusagen für das 38.000 Mann starke KFOR-Kontingent im Kosovo einzuhalten, sind Umstrukturierungen der Armeen der Mitgliedsstaaten zu erwarten, die Erhöhungen der Militärbudgets nach sich ziehen werden. Über die mögliche Finanzierung der Umsetzung der Pläne für die Eingreiftruppe schwiegen sich die meisten europäischen Verteidigungsminister am 28. Februar 2000 bei einem informellen Treffen in Sintra nahe der portugiesischen Hauptstadt Lissabon aus. Weder der portugiesische Verteidigungsminister Castro Caldas(5) noch der ebenfalls anwesende Hohe Repräsentant der EU, Solana, äußerten sich konkret zur Realisierbarkeit eines französischen Vorschlages, nach dem alle Mitgliedsländer 0,7 % ihres Bruttoinlandproduktes für militärische Investitionen aufwenden sollen. Der deutsche Verteidigungsminister Scharping vermied in Gesprächen mit Journalisten alle konkreten Aussagen über mögliche Kosten(6)

Die verteidigungspolitischen Interimsgremien der EU

Am 14. Februar 2000 wurden bei einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel die vorläufigen verteidigungspolitischen Organe beschlossen, die bereits Anfang März ihre Arbeit aufgenommen haben: Ein interim politisches und sicherheitspolitisches Komitee (IPSK) wird als ständige Formation des politischen Komitees wöchentlich tagen. Aufgabe des Gremiums, das sich aus Vertretern der Politischen Direktoren der Mitgliedsstaaten (zumeist Botschaftern) zusammensetzt, wird es sein Themen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu behandeln und Empfehlungen für die weitere Fortentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu erarbeiten. Das Interimsgremium militärischer Vertreter, der Vorläufer eines künftigen Militärausschusses, das sich zweimal im Jahr trifft, setzt sich aus Vertretern der nationalen Generalstabchefs zusammen und berät als höchste militärische Instanz das IPSK und den Hohen Repräsentanten in militärpolitischen Fragen. Der Deutsche Vertreter, Generalleutnant Klaus Wiesmann, ist zugleich in Personalunion der deutsche Vertreter im Militärausschuss der NATO und der WEU. Militärische Experten, die den Nukleus eines künftigen europäischen Generalstabes bzw. einer militärischen Planungseinheit bilden, haben ihre Büros im EU-Ratssekretariat bezogen, um Einsatzszenarien durchzukonjugieren. Die Fortentwicklung der ESVP wird ein Schwerpunkt der Arbeiten der neuen Gremien sein; dazu zählen vor allem die Beziehungen zwischen der EU und der NATO, die Erarbeitung eines Konsultationsmechanismus mit Drittstaaten für die Beteiligung an EU-geführten Krisenoperationen, Mitarbeit an der Umsetzung der Beschlüsse von Köln und Helsinki zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten Europas zur Krisenreaktion und die Koordination und Planung des nicht-militärischen Konfliktpräventions- und Krisenmanagements der EU. Wird der Atlantik breiter? Die neuen EU-Gremien spiegeln übrigens nicht nur institutionell die militärpolitischen Strukturen der NATO wider; in den Gremien der NATO und der EU werden sich im Prinzip die gleichen Gesichter gegenüber sitzen. Die neuen Entwicklungen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden nicht zuletzt wegen dieser Verdopplung der Strukturen auf der anderen Seite des Atlantiks inzwischen immer heftiger kritisiert(7) Zusammengefasst werden die amerikanischen Befürchtungen von der Außenministerin Albright durch drei "D's":
  1. No decouple: Die europäische Initiative darf die USA nicht von Europa loslösen.
  2. No duplicate: Die Strukturen und Kapazitäten der NATO dürfen nicht verdoppelt werden.
  3. No discriminate: Die NATO-Mitglieder, die nicht der EU angehören, dürfen nicht diskriminiert werden.(8)

Weitere Befürchtungen bestehen darin, so Alexander Vershbow, der U.S.-Botschafter bei der NATO, dass eine 2-Klassen NATO entstehen könnte, wenn die Europäer sich auf traditionelles peace-keeping beschränken und der NATO bzw. den USA die Drecksarbeit überlassen würden. Um zukünftige Konflikte zwischen EU und NATO zu vermeiden, setzten sich Deutschland und Großbritannien dafür ein, formelle Strukturen der Konsultation und Koordinierung aufzubauen; vor allem um den Befürchtungen der amerikanischen Regierung entgegenzukommen, daß die NATO als erste Sicherheitsorganisation in Europa von der EU abgelöst werden könnte. Während die Clinton-Regierung auf dem "right of first refusal" besteht, beharrt Frankreich darauf, dass die EU alleine das Recht hat, zu entscheiden, wann und wie sie interveniert. Deshalb verweigert Frankreich jede formale Verbindung zwischen EU und NATO; vermutlich weil sie befürchten, daß die USA jeden Versuch der Europäer nach mehr Eigenständigkeit im Keim ersticken würden(9) Die französische Befürchtung, dass jede Verbindung zur NATO die Union "verseuchen" könnte, verärgert die Amerikaner. "Es ist als ob die Vereinigten Staaten eine Art Computervirus wären, der einmal hereingelassen, zu einer kompletten Blockierung des europäischen Entscheidungsprozesses führen würde"(10), so der amerikanischer Botschafter Vershbow. Eine Lösung des Konflikts ist noch nicht abzusehen, und so müssen der Hohe Repräsentant, Solana, und der NATO-Generalsekretär, Robertson, wohl noch einige Zeit weiter zusammen frühstücken, um die Verbindung zwischen EU und NATO informell aufrecht zu erhalten. Dass es die EU-Mitgliedsstaaten ernst meinen mit der schnellen Einsatztruppe, haben die letzten Monate gezeigt. Darüber hinaus wird immer offensichtlicher, wie sehr die Pläne für die zivile Krisenprävention und Krisenbewältigung vernachlässigt werden. Der Europäische Rat hat sein neues Steckenpferd, die schnelle Eingreiftruppe, gefunden und in rasanter Geschwindigkeit werden die betreffenden Beschlüsse umgesetzt. Während über die euroatlantische Dimension dieser Entwicklung in Politik und Medien viel diskutiert wird, wird über die materiellen und demokratischen Kosten dieser Entwicklung und das Vergessen der zivilen Konfliktbewältigung weiter geschwiegen. cm

Anmerkungen:  
(1) Europäischer Rat (Helsinki) 10. und 11. Dezember 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes und Anlagen,
http://europa.eu.int/council/off/conclu/dec99; zu den Entwicklungen bis zum Gipfel von Helsinki, vgl. Von Pflugscharen zu Schwertern: Die EU bekommt eine Interventionsarmee, ami 1/00.  
(2) Vgl. Rede des EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten bei der Konferenz, The Development of a Common European Security and Defence Policy am 16.12.1999 in Berlin,
http://europa.eu.int/comm/external_relations/speeches/patten/speech_99_215_de.htm.  
(3) Die Politikfelder der EU sind seit Maastricht (1991) in drei "Pfeiler" aufgeteilt: 1. Pfeiler: Zollunion, Binnenmarkt, Gemeinsame Agrarpolitik, Strukturpolitik, Wirtschafts- und Währungspolitik; 2. Pfeiler: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, 3. Pfeiler: Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik. Das Parlament wird über die Entscheidungen im 2. und 3. Pfeiler nur informiert und kann beratend tätig sein.
 
(4) Constanze Stelzenmüller, Bizarrer Konflikt, in: DIE ZEIT, Nr. 10 (2.3.2000).
 
(5) Da Portugal bis Juni 2000 die Ratspräsidentschaft der EU innehat, ist jeweils der portugiesische Minister der Vorsitzende der Ministertreffen auf EU-Ebene.
 
(6) Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 29.2.2000.
 
(7) Nicht nur die deutschen bzw. europäischen Kandidaten für den Vorsitz des Internationalen Währungsfonds (IWF) belasten zurzeit die euroatlantischen Beziehungen. So warfen Abgeordnete des U.S.-Kongresses den Europäern in ungewöhnlich deutlicher Form vor, sie verfolgten mit der ESVP für die NATO schädliche Ziele. Sowohl Isolationisten und Atlaniker des U.S.-Kongresses kritisieren die europäische Verteidigungsinitiative und die ihrer Ansicht nach mangelhaften Rüstungsausgaben. Vgl. Süddeutsche Zeitung (SZ) 7.2.2000, International Herald Tribune (IHT), 6.3.2000.
 
(8) IHT, 6. 3. 2000; zu den verschieden Mitgliedschaften der europäsischen Staaten in NATO, WEU und EU, vgl. Von Pflugscharen zu Schwertern: Die EU bekommt eine Interventionsarmee, ami 1/00.
 
(9) Constanze Stelzenmüller, Bizarrer Konflikt, in: DIE ZEIT, Nr. 10 (2.3.2000); IHT, 6.3.2000
 
(10) IHT, 6.3.2000.
 

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