Das gibt es in Deutschland
selten: Alle sind sich einig: Die Bundeswehr muß kleiner werden.
Sie bedarf einer grundsätzlichen Neuausrichtung. So wie bisher geht
es nicht weiter. Das Ende der Sackgasse ist in Sicht. Und doch sind sich
alle uneinig. Um wieviel soll die Bundeswehr kleiner werden? Welche Aufgaben
sollen für die Bundeswehr künftig im Vordergrund stehen? Landesverteidigung?
Bündnisverteidigung? Interventionen und militärisches Krisenmanagement?
Welche Ausstattung braucht die Bundeswehr dafür?
Otfried Nassauer
Die Bundeswehr auf
Reformkurs?
Wie immer im Falle solch strategischer
Zwickmühlen, wie immer wenn der Reformstau die Gefahr des Handlungsunfähigwerdens
immanent werden läßt, kennt der bundesdeutsche, manchmal rheinisch
genannte Kapitalismus, einen propperen Weg, um die Lösung anzuarbeiten.
Eine honorige Kommission aus Vertreter(Inne)n gesellschaftlicher Kräfte
wird einberufen. Ihr wird die Aufgabe gestellt, eine langfristig tragfähige
und gesellschaftlich konsensfähige Lösung - also so etwas wie
einen (partiellen) Gesellschaftsvertrag - auszuarbeiten. Und die Politik
verspricht, sich an den Empfehlungen der Honorablen gründlich zu orientieren.
Die Kommission ist eingesetzt und arbeitet unter Leitung des ehemaligen
Bundespräsidenten, Richard von Weizsäcker. Aufgabe ist es, bis
zum Mai 2000 Empfehlungen für die Entwicklung der Bundeswehr bis zum
Jahre 2010 vorzulegen. Alle wichtigen Fragen liegen auf dem Tisch der Kommission:
Die Beurteilung des internationalen Umfeldes, die Aufgaben der Bundeswehr
der Zukunft, die Frage Wehrpflicht- oder Berufsarmee, Größe
und Ausstattung künftiger Streitkräfte und die Anforderungen
an die Rüstungsindustrie - ganz wie damals, als die SPD 1972 bereits
einmal eine solche Kommission an die Arbeit setzte.
Die verschieden
Modelle für die zukünftige Bundeswehr: SPD
Vorschläge gibt es zuhauf.
Ein Modell stammt aus der Feder sozialdemokratischer Befürworter einer
defensiv orientierten Verteidigung. Sie plädieren für eine Reduzierung
der Bundeswehr auf etwa 250.000 Soldaten (Mobilmachungsstärke 450-500.000)
bis zum Jahre 2005 oder 2007. 150.000 davon sind Zeit- und Berufssoldaten.
Die Wehrpflichtigen sollen zwischen sechs, neun und zwölf Monaten
Dienst wählen können - der "Grundwehrdienstleistende kein exotisches
Element in der Truppe werden". Die Bundeswehr wird strukturell defensiver
ausgerichtet und insbesondere im Bereich der offensivfähigen Komponenten
(hochseefähige Schiffe, Jagdbomber etc.) findet ein Abbau statt; die
Gewichte zwischen Heer, Luftwaffe und Marine bleiben in etwa gleich. Ausgangspunkt
dieser Überlegung ist, daß die Bundesrepublik Landmacht ist
und bleibt.
Landesverteidigung als Distanzverteidigung
(Bündnisverteidigung) in einem verbesserten sicherheitspolitischen
Umfeld ist die vorrangige Aufgabe. Die sicherheitspolitische Einbindung
der Bundeswehr in multinationale Strukturen vor allem im Heeresbereich
soll erhalten werden, was eine Mindestgröße von etwa 18 Heeresbrigaden
voraussetze. An militärischem Krisenmanagement soll die Bundesrepublik
sich vorrangig im Verbund mit anderen NATO-Staaten und unter Rückgriff
auf deren spezifische Fähigkeiten zu Interventionen in den Bereichen
Luftwaffe und Marine beteiligen.
Die Bündnisgrünen
Ein zweites Modell ist von bündnisgrüner
Seite in die Debatte geworfen worden. Eingebettet in eine deutliche Stärkung
der präventiven Sicherheitspolitik soll die Bundeswehr über acht
bis zwölf Jahre in eine Armee aus Zeit- und Berufssoldaten umstrukturiert
werden, die sich an den Aufgaben Bündnisverteidigung und Krisenmanagement
orientiert. Eine deutlich kleinere Armee - die veröffentlichten Angaben
lassen auf eine Gesamtstärke von ca. 150.000 (maximal 200.000) Soldaten,
aufgegliedert in Einsatz- und Ausbildungsstruktur, schließen - soll
beide Aufgaben parallel wahrnehmen und technologisch modern und effizient
ausgestattet werden. Das Heer wird im Vergleich zu Luftwaffe und Marine
überproportional stark verkleinert. Deutliche Reduzierungen werden
auch im Hinblick auf die Zahl und Struktur der Führungsebenen anvisiert.
Das Rationalisierungspotential einer Ausrichtung auf die europäische
Integration soll genutzt werden. Der finanzielle Handlungsspielraum zur
Modernisierung der Streitkräfte soll aus Einsparungen bei überflüssigem
Personal, überschüssiger Infrastruktur und Bewaffnung kostenneutral
oder kostensenkend gewonnen werden. Mittel für eine präventive
Sicherheitspolitik und die dafür erforderlichen Strukturen sollen,
wo möglich, freigesetzt werden. Der überfällige Strukturwandel
in der Bundeswehr soll mit längerfristiger Planungssicherheit endlich
vollzogen werden. Zugleich soll die Bundeswehr der Zukunft strukturell
abrüstungsfähig gestaltet werden, d.h. ohne Notwendigkeit erneuter
tief in die Struktur eingreifender Schnitte soll eine weitere Verkleinerung
möglich bleiben. Deshalb eine Perspektive auf 8-12 Jahre.
FDP
Ein weiteres Modell hat die
FDP vorgelegt. Sie plädiert für die Beibehaltung einer modifizierten,
auf fünf oder sechs Monate verkürzten Wehrpflicht und eine Schwerpunktsetzung
bei Bündnisverteidigung und Krisenmanagement. Bis zum Jahre 2008 soll
die Bundeswehr auf 260.000 Soldaten reduziert werden, von denen 65.000
- 80.000 Wehrpflichtige sind. Die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten wird
um maximal 5% auf 185.000 verringert. Die verbleibende Bundeswehr wird
an Haupt und Gliedern reformiert. Ein Generalstab unter Führung des
Generalinspekteurs wird eingeführt, das Verteidigungsministerium deutlich
verkleinert, die Teilstreitkräfte werden aufgelöst. Es entstehen
eine Einsatz- und eine Ausbildungsorganisation mit zentralisierten teilstreitkraftübergreifenden
Bereichen wie Logistik und Sanität. 110.000 Soldaten und Wehrpflichtige
werden der Ausbildung zugewiesen, 150.000 gehören zur Einsatzorganisation,
bilden das Krisenreaktionspotential. Der Verteidigungshaushalt wird von
weiteren Kürzungen ausgenommen, um Rationalisierungsgewinne und Einsparungen
durch Personalabbau und Effizienzsteigerung zur technischen Modernisierung
voll nutzen zu können.
CDU/CSU
Auffällig schweigsam verhielten
sich lange die CDU/CSU und der engere Kreis der SPD-Verteidigungspolitiker.
Rufe der CDU nach mehr Geld für dies oder jenes Vorhaben oder danach,
daß der Bundeswehrumfang 300.000 Soldaten nicht zu stark unterschreiten
sollte, waren regelmäßig zu vernehmen. Ein konzeptioneller Vorschlag
aber fehlte lange. Als er im Februar 2000 vorgelegt wurde, war deutlich
zu erkennen, daß er sich stark an den konzeptionellen Entwicklungen
der vergangenen Jahre und an der Forderung orientierte, mehr Geld für
die Bundeswehr bereitzustellen. Aus Sicht der CDU bleibt die Landesverteidigung
die vorrangige Aufgabe der Bundeswehr. Sie umfaßt künftig auch
Aufgaben innerer Sicherheit, so z.B. den Schutz kritischer Infrastrukturen
gegen terroristische oder kriminelle Bedrohungen. Hinzu kommen Bündnisverteidigung
als Distanzverteidigung sowie Krisenvorsorge und Krisenbewältigung,
einschließlich humanitärer Aktionen. Die Beibehaltung der Wehrpflicht
und der Territorialverteidigungselemente der Bundeswehr begründet
sich bei der CDU aus der Aufrechterhaltung aufwuchsfähiger militärischer
Strukturen und der Übernahme US-amerikanischer Bedrohungsperzeptionen´.
So wird von einer umfangreichen Sicherheitsgefährdung durch Kriminelle
oder Terroristen ausgegangen, die über nukleare, chemische und biologische
Substanzen verfügen und deshalb wachsende Aufgaben der Bundeswehr
im Bereich Innere Sicherheit gesehen, ohne zugleich auf die in Deutschland
mit einem solchen Vorgehen verbundene Verfassungsproblematik einzugehen.
Die Bundeswehr benötigt nach Vorstellung der CDU künftig etwa
300.000 Soldaten, die im Kriegsfall auf rund 600.000 aufwachsen können.
Dazu gehören 100.000 Wehrpflichtige. Die Wehrpflicht wird deshalb
nur geringfügig modifiziert und auf neun Monate verkürzt. Sie
kann in Einzelfällen variabel gestaltet werden. Die Bundeswehr soll
etwa 100.000 Heeressoldaten für Kriseneinsätze bereithalten und
an zwei Orten gleichzeitig mit ca. 5.000 Heeressoldaten einsetzbar sein.
Hinzu kommen Luftwaffen- und Marinekontingente. Eine umfassende technologische
Modernisierung - die CDU spricht von einem über die Jahre aufgelaufenen
Modernisierungsstau im Gegenwert von 40 Mrd DM bei Ausrüstung und
Infrastruktur und dürfte zusätzliche Kosten für neue Technologien
unausgesprochen hinzuaddieren - erfordern schon kurz- und mittelfristig
eine deutliche Anhebung des Verteidigungshaushaltes auf deutlich mehr als
50 Mrd. DM.
Die Zurückhaltung der
CDU kann verschiedene Gründe haben: Entweder sie beschränkt sich
angesichts ihrer exzellenten Kenntnis des perspektivlosen Zustandes, in
dem sie die Bundeswehr hinterlassen hat, auf die Kritik der Vorschläge
anderer. Oder sie sieht, daß auf der personnell weiter von CDU-Kräften
dominierten Hardthöhe unter Federführung des seit fast acht Jahren
amtierenden Staatssekretärs Wichert eine nur unwesentlich andere Politik
gemacht wird als unter Volker Rühe.
Der engere Kreis der Verteidigungspolitiker
in der SPD dürfte sich erst wenn die wesentlichen Eckpunkte der Reform
der Bundeswehr im Verteidigungsministerium festgelegt worden sind zu Wort
melden, um dessen Position abzustützen.
Alle wollen mehr
Interventionsfähigkeit
Aus friedenspolitischer Sicht
können die Alternativen nicht begeistern. Sie alle haben gravierende
Nachteile. Absehbar ist, daß die Bundeswehr der Zukunft zumindest
im Blick auf Europa und dessen Nachbarregionen eine signifikant größere
Interventionsfähigkeit besitzen wird. Schon daß die Hauptaufgabe
der Bundeswehr sich von der Landesverteidigung zur Bündnisverteidigung
verlagert, weist diesen Weg. Für die Beteiligung an der Bündnisverteidigung
im Rahmen der NATO, z.B. auf dem Boden der Türkei, sind Bewaffnungs-
und Logistikstrukturen erforderlich, die allemal auch Interventionen und
"friedensunterstützende" Einsätze, z.B. auf dem Balkan ermöglichen.
Absehbar ist auch, daß in diesem Kontext große Summen in die
technologische Neuausstattung der Bundeswehr gesteckt werden. In ihrer
heutigen Struktur hat die Bundeswehr deutlich zuviel Panzer und zuwenig
Hirn. Zudem besteht die Gefahr, daß die problematischen Aspekte der
verschiedenen Grundkonzeptionen miteinander verknüpft werden. Minister
Scharping und seine Generalität drängen, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten
und wollen damit die Voraussetzung dafür schaffen, daß eine
aufwuchsfähige, große Bundeswehr erhalten bleibt. Zugleich unterstützen
sie die Forderung nach einer Stärkung der militärischen Fähigkeiten
für das Krisenmanagement, nach mehr Krisenreaktionskräften für
den Einsatz im Kontext der NATO wie im Kontext der Europäischen Union
und nach einer umfangreichen technischen Modernisierung. Bewußt wird
spekuliert, ob die Bundeswehr neben Bosnien und dem Kosovo nicht bald vor
einem dritten Einsatz auf dem Golan und im Südlibanon stehen könne.
So schafft man die Notwendigkeit zu erhöhten Finanzaufwendungen. Die
Unterschiede zwischen Hardthöhe und den CDU-Vorschlägen sind
lediglich gradueller Natur.
Hinzu kommt: Nicht nur die
NATO sieht im Krisenmanagement zunehmend die wichtigste Zukunftsaufgabe.
Auch im Rahmen der Europäischen Union werden seit etwas mehr als einem
Jahr die Vorbereitungen für eine "autonome" Fähigkeit Europas
zur Entscheidungsfindung und zum militärischen Krisenmanagement beschleunigt
vorangetrieben. Der Europäische Rat beschloß im Dezember 1999
in Helsinki, daß bis zum Jahre 2003 eine multinationale, europäische
Kriseninterventionstruppe in Korps-Stärke (50.000 - 60.000 Soldaten)
geschaffen werden soll, die binnen 60 Tagen disloziiert werden kann und
zunächst Einsätze von bis zu einem Jahr Dauer durchführen
kann. Der Beitrag der Bundeswehr zu den Krisenmanagement-Verbänden
der NATO wie der EU muß aus den Krisenreaktionskräften der Bundeswehr
gedeckt werden. Diese müssen aber schon heute aufgestockt werden,
um nur die Anforderungen der NATO im Rahmen der Operationen auf dem Balkan
zu erfüllen. Es besteht deshalb die Gefahr, daß für die
EU-Verpflichtungen eine weitere Aufstockung der KRK der Bundeswehr gefordert
wird - mit festem Blick auf die Wirkung - das künftige Wachstum des
Verteidigungshaushaltes. Doppelassignierungen, in denen dieselben Verbände
die Beteiligung der Bundesrepublik am NATO- und am EU- Krisenmanagement
sicherstellen, sind hier die einzige Alternative, wenn es gilt, bereits
zugesagte internationale Verpflichtungen auch einzuhalten.
Zwei Kernprobleme:
Finanzmittel und Zeithorizont
Wenn im Mai die Weizsäcker-Kommission
ihre Empfehlungen vorlegt, arbeitet die Hardthöhe bereits an ihren
Vorstellungen zum Verteidigungshaushalt für das Jahr 2001 sowie an
einem neuen Weißbuch. Sie wird dabei die in der NATO und der EU gefällten
Entscheidungen zur künftig stärkeren Rolle dieser beiden Organisationen
beim militärischen Krisenmanagement ebenso zugrunde legen, wie die
Streitkräfteziele der NATO. Dies kann von der Hardthöhe genutzt
werden, um die Kommissionsergebnisse präemptiv zu umgehen und den
Versuch zu machen, die Entscheidung über die Zukunft der Bundeswehr
doch selbst zu fällen, obwohl Bundeskanzler Schröder sich diese
letztlich vorbehalten hat. Ob und welche der Kommissionsempfehlungen dann
angesichts der anderen Vorgaben und der Vorstellungen des Verteidigungsministeriums
umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Denn mit dem Haushalt 2001 fallen
die Grundentscheidungen über die grobe Richtung der Entwicklung für
den Rest dieser Legislaturperiode.
Rudolf Scharping hat sich
positioniert. Er hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er eine Erhöhung
der Militärausgaben für notwendig hält, will und befürwortet.
Er ließ keine Gelegenheit ungenutzt, für den internationalen
Begleitschutz dieser Forderung zu sorgen. Ob US-Verteidigungsminister Cohen,
NATO-Generalsekretär Robertson oder Javier Solana, Europas künftig
starker Mann in der Sicherheitspolitik - sie alle haben in des Ministers
Sinne dem deutschen Publikum diese Forderung bereits wunschgemäß
eingebleut. Scharping weiß, daß er mehr Geld benötigt
oder aber höchst unbequeme tiefe Einschnitte vollziehen muß,
um Mittel für die Zukunftsausgaben aus internationalen Verpflichtungen
freizusetzen.
Diese Haltung übersieht
allerdings die entscheidende Frage: Wie kurz-, mittel- oder langfristig
tragfähig ist das Konzept, mit dem die Politik für die Bundeswehr
aufwarten wird? Hat es eine ausreichend lange, zeitliche und finanzielle
Perspektive, um den erforderlichen Umbau der Bundeswehr mit Blick auf ein
größeres Zwischenziel voranzutreiben? Oder wird über das
Ende der Legislaturperiode im Jahre 2002 kaum hinausgedacht?
Passiert letzteres, so ist
das Ergebnis vorhersehbar: Der Sprung in die Zukunft, die Neuausrichtung
der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges wird zum Sprung zurück
in die Dilemmata der Bundeswehrplanung der Vergangenheit. Jährliche
Haushaltsplanung mit dem Helm unter der Decke, schieben, strecken streichen
als strukturelles Aktionsmoment und immer wieder das Problem: Nur mit mehr
Geld ist die Planung zu realisieren. Gibt es nicht mehr Geld, muß
die Planung angepaßt werden, wird kurzatmig und erneut kostet mehr.
Ein Teufelskreis.
Wird dagegen der Blick auf
die mittel- und längerfristige Zukunft gerichtet, müssen zwar
jetzt unpopuläre Entscheidungen und tiefe Einschnitte verkündet
werden. Zugleich aber kann für die Zukunft eine längerfristige
Handlungsperspektive sowie neuer finanzieller Handlungsspielraum entstehen.
Ein solches Vorgehen wünscht sich offensichtlich Finanzminister Eichel.
Seine Entscheidung, der Bundeswehr auch mittelfristig nicht mehr Geld in
Aussicht zu stellen, sondern weiterhin moderate Einsparungen aufzuerlegen,
zielt darauf, eine umfassende Strukturreform notwendig zu machen.
Der Aufgabe, eine solche
anzudenken, stellt sich bislang lediglich der von den Grünen präsentierte
Vorschlag. Ihm kann man zwar vorwerfen, die Bundeswehr zu sehr auf Interventionsfähigkeit
auszurichten. Ihn kann man kritisieren, weil er mehr "Bang for the Buck",
also ein effizienteres Militär verspricht. Man kann ihn für friedenspolitisch
illusionär halten, weil er die politische Einhegung einer interventionsfähigeren
Bundeswehr zwar einklagt, aber nicht schon leistet. Aber man kann ihm nicht
vorwerfen, sich vor den notwendigen harten Entscheidungen mit langfristiger
Wirkung zu drücken. Das aber tun die meisten anderen Vorschläge.
Sie scheinen der Maxime zu folgen: "Wer nichts Entscheidendes tut, kann
auch nichts Entscheidendes falsch machen." Die nächste Bundestagswahl
fest im Blick.
Last but not least:
Die Weizsäcker-Kommission
Und die Kommission um Altbundespräsident
Richard von Weizsäcker? Sie hat ihre inhaltliche Arbeit abgeschlossen.
Der Abschlußbericht wird derzeit verfaßt. Es ist davon auszugehen,
daß die Kommission auf Grundlage ihrer Beurteilung des günstigen
sicherheitspolitischen Umfeldes weitgehendere Reduzierungsempfehlungen
vorlegt als die Hardthöhe und die meisten Politiker - z.B. verschiedene
Modelle mit 200.000 bis 240.000 Soldaten. Diese dürften auf einer
leicht reduzierten Zahl von Zeit- und Berufssoldaten und unterschiedlich
ausgeformten Modellen eines Grundwehrdienstes von drei bis sechs Monaten
als Form einer Rest-Wehrpflicht beruhen. Diese wird damit de facto zum
Auslaufmodell, aber weiter beibehalten - ganz im Sinne des Kommissionsvorsitzenden,
der durchaus an eine Pflicht des Bürgers, seinem Staat zu dienen,
glaubt. Die Kommission wird zudem viele Einzelempfehlungen abgeben, die
Rationalisierung, sparsame Ressourcenverwendung, den Abbau von Doppelstrukturen
und überlappenden Verantwortlichkeiten, eine Art Verwaltungsreform
für die Bundeswehr und den Bereich der Zivilbeschäftigten sowie
die Verlagerung von umfangreichen Aufgaben in den zivilen Bereich vorsehen.
Etliche dieser Vorschläge werden zur Zeit vom Verteidigungsministerium
bereits in Eigenregie angegangen. Nach Struktur und Charakter dürften
die Kommissionsvorschläge näher bei den Vorschlägen von
FDP und Bündnis90/Die Grünen liegen als bei jenen von SPD und
CDU. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Kommission ihre Aufgabe
nicht in der Konservierung bestehender Strukturen sah.
Fazit
Eines dagegen fehlt in der bisherigen
Diskussion: Ein schlüssiger Alternativ-Vorschlag, der die Notwendigkeit
einer deutlichen Verkleinerung der Bundeswehr, ihre Neuausrichtung auf
die sicherheitspolitischen Entwicklungen in der NATO, der EU, der OSZE
und den Vereinten Nationen bei substantiell reduziertem Finanzbedarf leistet,
militärisches und nicht-militärisches Krisenmanagement und die
zugehörigen Mittel sinnvoll integriert und zugleich sicherstellt,
daß mit der künftigen Bundeswehr kein politisch-interventionistischer
Mißbrauch getrieben werden kann. Ein solcher Vorschlag müßte
zudem die Glaubensfrage "Wehrpflicht oder Berufsarmee?" überzeugend
entscheiden. Wäre das zuviel verlangt - oder ist es schlicht die Quadratur
des Kreises?
Anmerkungen:
Otfried Nassauer ist freier
Autor und Journalist. Er leitet das Berliner Informationszentrum für
Transatlantische Sicherheit
Die wichtigsten Konzepte
aus dem politischen Raum:
-
FDP: Bundeswehr 2010, Bonn,
23.3.1999
-
Bündnis 90/Grüne
(Beer, Angelika): Weniger ist mehr, August 1999
-
Bündnis 90/Grüne
Arbeitskreis Frieden, Abrüstung und Verteidigung: Bundeswehr 2010,
Berlin i.Vb.
-
SPD (Kröning, Volker):
Die neue Bundeswehr - Planung unter restriktiven Bedingungen, Berlin, September
1999
-
CDU/CSU-Fraktion, AG-Verteidigungspolitik:
Sicherheit 2010, Berlin, 22.2.2000
-
CDU/CSU, Bundesfachausschuß
Außen- und Sicherheitspolitik: Positionspapier: Die Zukunft der Bundeswehr,
Berlin, 21.3.2000
Aus dem wissenschaftlichen
Bereich liegen u.a. Papiere der SWP, der IABG, der Universität der
Bundeswehr München und des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen
Bundestages vor.
Positionspapiere angekündigt
haben u.a. der Bundeswehrverband, das IFSH und einige andere.