Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge
back!

Ausgabe 4/00   Seite 28ff

Fast zwei Jahre sind vergangen, seit pro-irische Republikaner und pro-britische Unionisten in Nordirland gemeinsam mit der britischen und der irischen Regierung ein Friedensabkommen für die nordirische Provinz ausgehandelt haben, das die beiden verfeindeten Gruppen wieder an einen Tisch bringen sollte, um den Friedensprozess in Nordirland fortsetzen zu können. Aber auch jetzt noch kann von Frieden in der Region keine Rede sein. Schuld daran ist die immer wieder hinausgezögerte Entwaffnung der Paramilitärs, insbesondere der republikanischen IRA (Irish Republican Army), um die sich beide Seiten nach wie vor streiten.

Belauern statt Abrüsten

Warum die britische Provinz Nordirland keinen Frieden finden kann


Das Karfreitagsabkommen

Das Friedensabkommen, das am Karfreitag, den 10.4.1998 in Belfast nach harten Verhandlungen und Zugeständnissen aller Beteiligten zu Stande gekommen war, sollte die große Wende im Streit um die nordirische Provinz herbeiführen.

Kernpunkt des Abkommens war die Einrichtung einer eigenständigen Regionalverwaltung in Nordirland, das bislang als Teil Großbritanniens direkt aus London regiert wurde. Im Gegenzug verzichtete die Republik Irland auf ihren in ihrer Verfassung erhobenen territorialen Anspruch auf die Region Nordirland.(1)

Vorsichtig und wenig konkret wurde dagegen die Frage der Waffenabgabe von terroristischen und paramilitärischen Gruppierungen der Republikaner und Unionisten behandelt. Im Abkommen stimmen alle beteiligten Parteien lediglich darin überein, dass die totale Entwaffnung aller Paramilitärs notwendig ist, um den Konflikt zu lösen, und versichern, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Paramititärs zur kompletten Entwaffnung in einem Zeitraum von zwei Jahren zu bewegen.(2) Diese Frist, die im Mai 2000 abläuft, erschien schon zu dem damaligen Zeitpunkt unrealistisch, andererseits hatte man aber auch nicht erwartet, dass die pro - irische IRA bis heute keine einzige Waffe abgegeben würde.(3)

Das Abkommen fand große Zustimmung in der nordirischen Bevölkerung. Sowohl Katholiken als auch Protestanten stimmten mit mehr als 70 % in einem Referendum im Mai 1998 dem Abkommen zu und signalisierten so ihre Bereitschaft für eine friedliche Lösung.(4)

In den Tageszeitungen aber finden sich trotz des offiziellen Waffenstillstands immer wieder Meldungen über neue Gewalttaten paramititärischer Gruppen beider Seiten, am bekanntesten ist das Bombenattentat von Ormargh im August 1998, verübt durch die Real IRA, eine Splittergruppe der IRA.(5)

Alte Probleme unter neuen Bedingungen

Im Juni 1998 wurde das Regionalparlament Nordirlands gewählt. Die stärkste Fraktion bildet danach die protestantische und pro - britische Ulster Unionist Party (UUP) um David Trimble, zweit stärkste Fraktion wird die moderate katholische Social Democratic and Labour Party (SDLP), außerdem noch vertreten sind die als politischer Arm der IRA geltende Sinn Fein Partei um den Parteivorsitzenden Gerry Adams und die anti - irische Democratic Unionist Party (DUP), die das Friedensabkommen ablehnten.(6) Die Regionalregierung sollte eigentlich im März 1999 ihre Arbeit aufnehmen. Kurz vorher aber erklärte der designierte Premierminister und UUP-Chef David Trimble unter dem Druck seiner Partei, er wolle sich nur dann einem Kabinett mit Beteiligung der Sinn Fein Partei anschließen, wenn die IRA mit der Entwaffnung begänne und somit ihr ernsthaftes Interesse an einer friedlichen Lösung demonstriere. Die IRA weigerte sich daraufhin, mit der Abgabe ihrer Waffen zu beginnen, schließlich sei dies im Karfreitagsabkommen nicht Bedingung für die Beteiligung Sinn Feins an der Regierung gewesen, wie der Sinn Fein Führer Gerry Adams protestiert.(7) Über dieses Problem stritt man sich bis zum November 1999 ohne eine Lösung zu finden. Erst der ehemalige US-amerikanische Senator George Mitchell, der auch schon bei der Aushandlung des Karfreitagsabkommens vermittelt hatte, erreichte einen Kompromiss zwischen beiden Seiten. Die UUP erklärte sich nun bereit, die Regionalverwaltung im Dezember einzusetzen, forderte aber die IRA auf, bis Februar 2000 mit der Entwaffnung zu beginnen. Sinn Fein und die IRA versprachen mit der Entwaffnung der IRA zu beginnen, ohne sich auf ein genaues Datum festzulegen. Dazu sollte der IRA, wie künftig jeder paramilitärischen Gruppe, ein Abrüstungsbeaufragter zur Seite gestellt werden.(8) Dieser Kompromiss setzt beide Parteivorsitzende, Adams und Trimble, innerhalb ihrer Parteien verstärkt dem Druck der radikalen Parteiflügel aus. Beiden wird Verrat der eigenen Ziele und Ideale vorgeworfen. So muss der Friedensnobelpreisträger Trimble(9) um seinen Parteivorsitz bangen(10) , Adams bekam Morddrohungen von IRA - Splittergruppen.(11) Die neue Kompromissbereitschaft der beiden früher als Hardliner geltenden Parteiführer wird als Schwäche und Verrat gedeutet. Damit sind beide in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt.

Obwohl die Regionalverwaltung am 2.12.1999 ihre Arbeit aufnahm, ließ die IRA im Februar das Ultimatum zur Entwaffnung ohne die Aushändigung einer einzigen Waffe auslaufen. Daraufhin suspendierte die britische Regierung am 11.2.2000 das gesamte Regionalparlament, das erst seit wenigen Wochen arbeitete. Mit dieser Suspendierung durch das britische Unterhaus kam man aber im Grunde nur einem Rücktritt Trimbles als Premierminister zuvor, der zurückgetreten wäre, um so den Protest seiner UUP gegen die nicht erfolgte Entwaffnung der IRA zu demonstrieren.(12)

Taktierieren mit Waffen

Taktik und Prestige spielen für beide Seiten eine große Rolle, besonders wenn es um die Entwaffnung geht.

Solange die IRA noch bewaffnet ist, betrachten die Unionisten auch deren politischen Arm, die Sinn Fein Partei, als potenzielle Terroristen mit denen man nicht gemeinsam regieren möchte. Für UUP-Chef David Trimble war es schon im November 1999 schwierig gewesen, seine Parteimitglieder davon zu überzeugen, die Regionalregierung einzusetzen, noch ehe die IRA mit der Waffenabgabe begonnen hatte.(13) Jeder Schritt, der auf die pro-irischen Republikaner und besonders auf die IRA zugegangen wird, interpretiert man in den Kreisen der Unionisten als einen Schritt zurück zu Terrorismus und Unruhen der vergangenen 30 Jahre. Deshalb kann von den Unionisten weitere Zugeständnisse an die pro-irische Seite nicht erwartet werden.

Die IRA auf der anderen Seite sieht allerdings auch keinen Grund dazu, ihre Waffen abzugeben, wenn nicht zugleich auch unionistische Gruppen mit der Entwaffnung beginnen. Zwar wird auch in der IRA der Friedensprozess befürtwortet und soll unterstützt werden, andererseits möchte man die Waffenabgabe nicht durchführen, um nicht zu Unrecht als Verlierer des Karfreitagsabkommens dazustehen. Würden jetzt die Waffen abgegeben, hätte man sich den Forderungen der UUP unterworfen, eine Niederlage, die man vermeiden möchte.(14) Die IRA versteht sich außerdem als Vertreter der katholischen und irisch-stämmigen Minderheit in Nordirland, die als sozial und gesellschaftlich benachteiligt gilt.(15)

Indem sie in vielen katholischen Vierteln wie eine Polizeieinheit agiert, stellt sie einen Gegenpol zur umstrittenen offiziellen britischen Polizeieinheit RUC (Royal Ulster Constabulary), die für zahlreiche Ausschreitungen und Menschenrechtsverletzungen gegen Katholiken verantwortlich ist.(16) Gäbe die illegale IRA also ihre Waffen ab, hätte sie dieser britischen und offiziellen Einheit auf unionistischer Seite nichts mehr entgegenzusetzen, wenn der Friedensprozess doch noch scheitern sollte. Eine Mischung aus Sicherheitsdenken, Stolz und Taktik spielen hier zusammen, gegen den Frieden und gegen die Entwaffnung der IRA.

Polizeireform als Ausweg

Eine umfassende Reform der RUC, wie sie auch schon im Karfreitagsabkommen vorgesehen ist, soll die Polizeieinheit auch für die katholische republikanische Minderheit öffnen und sie so zu einer "fairen und unparteiischen" Polizeieinheit, die in der Lage ist, "Unterstützung von der [nordirischen] Gesellschaft als ganzes" zu erlangen.(17) Eine Umbenennung der Einheit soll zusätzlich eine Diskriminierung der Katholiken ausschließen.(18) So könnte man die IRA in ihrer Position als katholische Polizei schwächen und sie so zur Abgabe ihrer Waffen bringen.

Eine solche Reform der RUC zu Gunsten der Republikaner würde wiederum die Unionisten, die die RUC als Traditionsverband betrachte, in ihrem Stolz als Briten verletzen und ihre Angst vor mangelndem Schutz vor möglichen pro - irischen Terroranschlägen und Übergriffen erneuern würde.(19)

In der nordirischen Regionalversammlung sollte bald über die Umsetzung einer solchen Reform verhandelt werden, durch die Suspendierung aber könnte momentan nur die britische Regierung eine solche Reform beschließen.(20) Will man in London keine erneute Eskalation in Nordirland riskieren, sollte man eine solche Reform unbedingt weiterführen und so die Versprechen des Karfreitagsabkommens einlösen. Denn je länger man wartet, desto mehr schwindet das Vertrauen der Bevölkerung und der Politik in den Friedensprozeß.

Im Grunde genommen hat sich die Situation innerhalb der letzten 2 Jahre nicht entscheidend verbessert. Zwar ist die Anzahl der gewalttätigen Anschläge zurückgegangen,(21) doch sie geschehen nach wie vor. Außerdem gibt es immer noch keine aktive und beschlussfähige Regionalversammlung, keine Abrüstung der Paramilitärs, keine Freilassung politischer Gefangener und Terroristen. Und je länger man mit der Umsetzung des Friedensprozesses wartet, desto mehr sinkt das Vertrauen in den Frieden, desto schneller fällt man in Nordirland zurück in alte Gewohnheiten, in Hass, Trotzigkeit und Intoleranz. Keine Seite ist an dem Konflikt unschuldig, alle halten verbohrt an ihrer Haltung fest. Aber der Friedensprozess hat in den vergangenen Jahren schon einige Krisen überstanden. So bleibt zu hoffen, dass er auch diese überstehen wird. mai

Anmerkungen  
(1) Belfast - Agreement,
http://www.nio.gov.uk/agreement.htm  
(2) Belfast - Agreement, s.o.
 
(3) analyse + kritik (ak), 17.2.2000
 
(4) Und das obwohl besonders die DUP, eine extreme Unionistische Gruppierung (um Reverend Ian Paisley) zur Ablehnung des Abkommens aufriefen.
 
(5) Der Anschlag von Omargh war der schwerste innerhalb der letzten 30 Jahre : 21 Menschen starben, 300 wurden verletzt (Tagesspiegel, 2.7.99)
 
(6) ak, 17.2.2000
 
(7) SZ, 10.3.99
 
(8) FR, 19.11.99
 
(9) Trimble (UUP) erhielt den Friedensnobelpreis 1998 zusammen mit John Hume von der SDLP für seine Verdienste im Friedensprozess.
 
(10) taz, 27.3.2000
 
(11) Süddeutsche Zeitung (sz), 10.3.99
 
(12) Trimble gilt in seiner Partei als zu tolerant den Republikanern gegenüber. Hätte er geduldet, dass die IRA Ultimatums von der UUP missachtet, hätte er sich gegen die eigene Partei gewandt. (s. a. : ak, 17.2.99)
 
(13) taz, 27.3.2000
 
(14) ak, 17.2.2000
 
(15) Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 4.2.2000
 
(16) Zeit, 9.9.99
 
(17) Belfast - Agreement, s.o.
 
(18) "Ulster" ist die britische Bezeichnung für die Region Nordirland, "royal" kennzeichnet die Zugehörigkeit zur britischen Krone.
 
(19) ak, 17.2,2000
 
(20) ak, 17.2.2000
 
(21) FAZ, 4.2.2000
 

Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge