Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge |
|
|
Während auch 1999 rund 165 000 junge Männer (ca. 34% der Wehrpflichtigen) den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigerten, gibt es im Bereich des "Kriegsdienstes mit der Steuer" nach wie vor keine rechtlichen Möglichkeiten zur Gewissensentlastung. Seit Jahren arbeitet allerdings eine internationale Bewegung auf eine parlamentarisch-rechtliche Regelung von Rüstungssteuerverweigerung hin. Darüberhinaus lassen sich die bisherigen Erfahrungen zu konkreten Vorschlägen der Steuerverweigerung zusammenfassen.(1)
1986 fand in Tübingen die 1. Internationale Konferenz der Friedenssteuer-Initiativen und Kriegssteuerverweigerer mit Teilnehmern aus 12 Staaten, u.a. aus USA, Japan und Australien statt. Es folgten Konferenzen im Zweijahresrhythmus 1988 in den Niederlanden (Vierhouten), 1990 in Italien (Aosta), 1992 in Belgien (Brüssel), 1994 in Spanien (Hondarribia), (3) 1996 in England (Hoddesdon), 1998 in Indien (Neu-Delhi) und 2000 in den USA (Washington DC). 1996 wurde die "Conscience and Peace Tax International" (CPTI) (4) gegründet, als internationale und gemeinnützige Organisation nach belgischem Recht eingetragen, besitzt sie den UNO-Status einer Non-Governmental-Organisation (NGO). Ziel ist die Anerkennung des Rechts, Steuern für Waffen, Kriegsvorbereitung und Krieg aus Gewissensgründen zu verweigern und die Aufnahme dieses Rechts in den Katalog der Allgemeinen Menschenrechte. Zur Zeit sind Gesetzesvorlagen dazu in Australien, Belgien, Kanada, Deutschland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Ungarn und den USA in Vorbereitung oder bereits in die Parlamente eingebracht.(5)
Mittlerweile hat sich die Bewegung in Deutschland reorganisiert und im "Netzwerk Friedenssteuer" (8) zusammengeschlossen. Von dort aus leistet sie Basis- und parlamentarische Aufbauarbeit, (9) sie unterstützt Steuerverweigernde mit dem Know-How der gesammelten Erfahrungen.(10) Alles unter dem Leitziel: Artikel 4 GG muß ergänzt werden: "Niemand darf gegen sein Gewissen gezwungen werden, mit Steuern Militär und Rüstung zu finanzieren."(11)
Die Zahl der Fälle (800, Stand 1991 )(12) erzeugte und erzeugt Handlungsdruck beim Gesetzgeber. Dieser äußerte sich bisher in drei Gesetzesinitiativen - alle aus den Reihen der Grünen bzw. Bündnisgrünen das "Gesetz zur Errichtung und Finanzierung eines Friedensfonds" (1986), "Gesetz zur Befreiung von Militärsteuern" (1991) und den entsprechenden Artikel im "Gesetz zur Verfassungsreform" (1994): (13) Wer aus Gewissensgründen Rechtspflichten nicht erfüllen kann, muß die Möglichkeit erhalten, gleichbelastende oder gleichwertige Leistungen zu erbringen." In den drei Vorstößen ist durchaus von dem je vorhergehenden gelernt worden, die Hauptunterschiede und -kritikpunkte zeigt am besten eine synoptische Darstellung:(14)
Die aktuelle Strategie des Netzwerks zielt eher auf die Sammlung von Bündnispartnerinnen und -partnern aus allen politischen Parteien und Fraktionen des Bundestags als auf die Umsetzung eines neuen Gesetzesentwurfs. Das Netzwerk wirbt dabei mit dem Thema als solchem und seiner grundrechtlichen Relevanz. Dabei wird die liberal-bürgerrechtliche Dimension der Grundrechteproblematik der Gewissensfreiheit gegenüber dem traditionellen antimilitaristischen Anliegen ganz in den Vordergrund gerückt. (15) Nur im Hintergrund werden die konkreten Gesetzesvorlagen weiterentwickelt, um sie zum gegebenen Zeitpunkt fundiert vorlegen zu können. Es bleibt die Frage, wie sich das Thema bei dieser Vorgehensweise - Prozessieren und Bündnispartner im Bundestag suchen - medial forcieren läßt.
Rüstungssteuerverweigerung ist also zum Dauerthema geworden. Indes: Es fehlt der letzte Funken Öffentlichkeit. Die Bundesregierung hat sich über "humanitäre" Einsätze in Kambodscha, Somalia, Bosnien kontinuierlich an die "Normalität" weltweiter militärischer Einsatzfähigkeit herangearbeitet. Mit der anstehenden Restrukturierung der Bundeswehr und dem damit Verbundenen finanziellen Mehraufwand für militärische Zwecke stellt sich die Frage der zwangsweisen steuerlichen Unterstützung des Militärs verschärfter denn je.
Verweigerungs- und Prozeßpraxis
dient nach wie vor dazu, immer wieder für das Recht auf Gewissensfreiheit
bei der Steuerzahlung einzutreten, Behördenvorgänge zu produzieren
und die inhaltlichen Argumentationen über die Verwaltung in die Rechtsprechung
zu tragen und schließlich zu politisieren. Hierbei soll der folgende
knappe Überblick über den Ablauf einer Rüstungssteuerverweigerung
aus Gewissensgründen in der derzeitigen Praxis helfen.
Schritt 1: | Der Antrag
|
Schritt 2: | Einspruch gegen den Einkommenssteuervorauszahlungsbescheid
|
Schritt 3: | Widerspruch
|
Schritt 4: | Die Beschwerde
|
Schritt 5: | Die Mahnungsrunden
|
Schritt 6: | Die Klage
96 DM bei einem Streitwert von 3.000 DM 414 DM bei einem Streitwert von 30.000 DM
|
In den bisher etwa 50 Verfahren gab es noch keine einzige positive Entscheidung für einen Verweigerer. Aber auch ein negativer Urteilsspruch wirkt im Sinne des "steten Tropfens" und läßt sich in den meisten Fällen öffentlichkeitswirksamkeit im Hinblick auf die allgemeine Umsetzung der Idee der Steuerverweigerung verwerten.(21)
Steuerpraktische und -rechtliche Querulanz alleine haben keine Aussicht auf Erfolg im Hinblick auf eine politische Regelung im Sinne der Gewissensbelasteten. Das Ganze ist auch hier mehr als die Summe seiner Teile. Die Aktivitäten der vielen Verweigerer und Verweigerinnen - Spenden, Finanzverwaltungen mit dem Thema beschäftigen, Steuern vermeiden... - wurden erst dadurch wirksam, daß sich darüberhinaus Betroffene und Interessierte organisieren, die gemeinsam ihre Argumentationen erarbeiteten und stärkten, das Thema propagierten, MdBs anschrieben und ansprachen...
Es bleibt die Initiative über die derzeit antimilitaristisch einschlägige Oppositionsfraktion der PDS. In der Sache besteht damit wenig Hoffnung: Selbst Oppositionsvorlagen, die von der Idee her der Mehrheit (d.h. der Regierung) sinnvoll erscheinen, versanden erfahrungsgemäß in den Aussschüssen und tauchen bestenfalls irgendwann als Regierungsvorlagen wieder auf. Die Oppostitionsvorlage wäre allenfalls symbolisch wirksam zu machen - falls sie begleitet würde von konkreter Aktion, bspw. der demonstrativen Steuerverweigerung der Fraktionsangehörigen. Abgeordnete in den Landtagen sowie die letzten Aufrechten bei den Bündnisgrünen könnten das Thema dauerhaft und mit einiger symbolischer Bedeutung auf die Tagesordnung bringen, indem sie ihr Gewissen prüfen und die notwendigen Konsequenzen ziehen. Gelingt es, das Thema immer wieder im Zusammenhang Grundrechte-Gewissensfreiheit zu diskutieren, dann besteht sogar die Möglichkeit, einzelne Sympathisanten (23) aus weiteren Parteien anzusprechen.
Nichts faßt den notwendigen Zusammenhang der individuellen Praxis und des gemeinsamen politischen Vorgehens besser zusammen als der bedingt noch heute gültige Spruch von Erhard Eppler aus dem Jahre 1991: "Werden Sie zwei Millionen, dann müssen wir ein Gesetz machen." Bedingt: Nach einem weiteren Jahrzehnt in erster Linie medial vermittelter und auf der Grundlage symbolisch gültiger Zusammenhänge ausgetragener Politik wird immer klarer: So wichtig die unzähligen privaten Einzelfälle sind, um Druck "von unten" zu erzeugen - ein einziger medienwirksam skandalisierter und somit öffentlicher Fall eines "Promis" wiegt tausend- oder millionenfach schwerer. Je nachdem ob tageszeitung oder Tagesschau berichten. eus
Literatur:
Krauß, W. (Hg.):
Was gehört dem Kaiser? : Das Problem der Kriegssteuern, Weisenheim
am Berg (Agape Verl.) 1984 Tiedemann, P.: Das Recht der Steuerverweigerung
aus Gewissensgründen, Hildesheim [u.a.] (Olms) 1991
Links:
Ralf Cüppers: Wie
verweigere ich die Kriegssteuerzahlungen? http://www.dfg-vk.de/abruestung/abrsteue.htm
Datenbank Gewissensfreiheit
http://www.rz.uni-frankfurt.de/~pati/index.htm#steuer
Gesammelte Links zum
Thema ‚Friedenssteuer':
http://www.dfg-vk.de/links/book18.htm
Anmerkungen:
(1) Einen guten Interneteinstieg
zum Thema bietet eine Linkliste bei http://www.dfg-vk.de/links/
book18.htm, Verweigerungsstatistiken bei http://www.dfg-vk.de/Zivildienst/kdvzahl.htm
(2) vgl. Tiedemann, 96
(3) Dominique Saillard:
Konferenzbericht: Kriegssteuerverweigerung: ein Recht oder eine Pflicht?
in: ami 11/94, 33f.
(4) http://home.earthlink.net/~rpackard/
(5) Übersicht über
Normen, Gesetzentwürfe, Literatur, Rechtsprechung und Kontaktadressen:
Datenbank Gewissensfreiheit,
http://www.rz.uni-frankfurt.de/~pati/index.htm#steuer
(6) http://www.quakers.net/nwfs/szp.html
(7) Wer Steuern zahlt, finanziert
Rüstung, in: ami 5/92, 33ff.
(8) http://www.quakers.net/nwfs/index.html
(9) So gibt es die Friedenssteuer-Nachrichten
zweimal jährlich bei Uta Pfefferle, Auwaldstr. 67, 79110 Freiburg,
tel 0761/167-11 (fax -63) für 20 DM.
(10) Beispielfälle
stellen ein hilfreiches Mittel dar, auch die ami dokumentierte im Wortlaut:
Keine Steuerverweigerung aus Gewissensgründen, in: ami 7-8/92, 25f.
(11) Friedenspreis für
Aristide und Netzwerk Friedenssteuer, in: ami 11/93, 39ff.
(12) Diese Zahl nennt der
Gesetzesentwurf von 1991, BT-Drucksache 12/74, S. 5.
(13) Dokumente abrufbar
bei http://www.parlamentsspiegel.de/hyperdoc/parla_index.htm
(14) Tabelle in Anlehnung
an die sehr ausführlichen Kommentierungen der Gesetzesentwürfe
durch den Juristen Paul Tiedemann: Das Recht der Steuerverweigerung aus
Gewissensgründen, Hildesheim [u.a.] (Olms) 1991
(15) Auch die Bewegung in
den USA stützt sich zunehmend auf das Konzept des "Religious Freedom"
- der antimilitaristische Impetus tritt dabei zugunsten der bürgerrechtlichen
Orientierung (und der Akzeptanz über die politischen Lager hinweg)
zurück.
(16) Art. 4,1 GG: "Die Freiheit
des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses sind unverletzlich."
(17) vgl. Tiedemann, P.:
Das Recht der Steuerverweigerung aus Gewissensgründen, Hildesheim
[u.a.] (Olms) 1991, 82ff.
(18) Die Texte finden sich
bei http://www.rz.uni-frankfurt.de/~pati/21_000.htm.
(19) Netzwerk Friedenssteuer:
Rechtsanwalt Kierig, Konto Nr. 800 0085, Ökobank Frankfurt (BLZ 500
901 00)
(20) Ralf Cüppers:
Wie verweigere ich die Kriegssteuerzahlungen? http://www.dfg-vk.de/abruestung/abrsteue.htm
(21) 39 Fälle von 1958
bis 1997 ‚rezensiert' und katalogisiert http://www.rz.uni-frankfurt.de/~pati/24_000.htm,
14 Fälle von 1982 bis 1986 sind dokumentiert in Tiedemann, 109ff.
Derzeit (April 2000) sind mindestens vier Fälle anhängig bei
den Finanzgerichten München, Heidelberg, Gotha und Freiburg.
(22) Tiedemann, 147ff.
(23) Peter Conradi (SPD)
machte immer wieder den Minderheitenstandpunkt innerhalb seiner Partei
klar und formulierte ihn auch in den BT-Debatten. Auch linksliberale bzw.
grundrechte-liberale FDPler und FDPlerinnen kommen hier als Bündnispartner
in Frage.
|