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Ausgabe 7/00 Seite 13ff |
Der Artikel gibt einen Überblick über die Medienstimmung in den Tagen um den 1. Mai. Es läßt sich zeigen, daß eine Atmosphäre der Bedrohung erzeugt wurde, in der dann gezielt Themen "Innerer Sicherheit" positioniert wurden, die auf den Abbau von Bürgerrechten zielen, insbesondere des Demonstrationsrechts. Demgegenüber schlage ich eine gegenöffentliche Strategie vor, die aus der lähmenden und zugleich repressiv instrumentalisierbaren Fokussierung der bürgerlichen Medien(1) auf die Gewaltproblematik herausführt.
Gerade unter dem von den bürgerlichen Medien selbst gewählten Fokus der Gewaltproblematik müßte dies jedoch erkannt und kritisiert werden. Genau im letztgenannten Punkt offenbart sich die subtile Komplizität bzw. zeigen sich überschneidende Interessenlagen zwischen Produzenten bürgerlicher Öffentlichkeit und Vertretern einer Politischen Klasse der "Inneren Sicherheit": Auch der seriöseste Journalismus muß letztendlich im Quotenwettbewerb gegen Titten und Katastrophen bestehen. Hierbei helfen zwei kleine Feuerchen in der Oranienstraße, zur Barrikade großgefilmt, auch den Tagesthemen eher als eine unbequem-bohrende Recherche im Umfeld des Polizeiapparates mit dem Ziel, die propagierte Deeskalation mit den dort gepflegten Eskalationsstrategien und -potentialen zu konterkarieren. Aber auch "redaktionell" zeigt sich eine Leitlinie der bürgerlichen Medien: Es offenbart sich ein Politikverständnis, aus dem heraus die Leitartikel mehr als skeptisch reagieren gegen jede politische Regung außerhalb der vorgesehenen (parteilich-parlamentarisch-lobbyistischen) Bahnen. Politischer Unmut, der militante Ausdrucksformen nicht grundsätzlich ablehnt, wird letzlich pauschal stigmatisiert(9) oder gar unbelastet von jeglicher analytischen Arbeit lächerlich gemacht ("alles Mai-Rituale"(10)). Die Systemfrage, sobald sie ernstgemeint von unten-außen kommt, wird nicht zugelassen oder gar zur Diskussion gestellt. Der Vorwurf gegen die Produzenten veröffentlichter Meinung lautet: Kritikfreier Verlautbarungsjournalismus im Quotenkampf.
Auffallend ist in diesem Zusammenhang der mangelhaft formulierte, daher erfolglose Demoverbotserlaß gegen die Nazidemo in Hellersdorf am Vormittag des 1. Mai. Er wurde damit begründet, daß zu wenig Polizeikapazitäten vorhanden seien, um die Sicherheit garantieren zu können. Hier wird kalkuliert bis weit ins linke Spektrum die Illusion genährt, es bedürfe stärkerer Möglichkeiten gegen unliebsame Demonstrationen.(13) Die Vorstellungen des Innensenators, der treibenden Kraft hinter der politischen Instrumentalisierung dieses Jahres, sind zusammengefaßt in einem eigens veröffentlichten "Eckpunktepapier"(14). Zu diesem Papier und den Bemühungen Werthebachs konnte man den Bundesinnenminister Schily (SPD) vernehmen: "Keine Denkverbote!".
Aber die günstige Gelegenheit zur Präsentation reaktionärer Ideen im Themengebiet "Innere Sicherheit" wurde auch über das engere Thema Versammlungsrecht hinaus genutzt: Der Regierende Bürgermeister und Justizsenator Diepgen (CDU) kündigte die Wiedereinrichtung der sogenannten P-Abteilung der Staatsanwaltschaft an, einer eigens für die Verfolgung politischer Gegner zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft, die in den späten 70er und 80er Jahren schon schwer in Verruf geriet und deshalb abgeschafft wurde.(15) Auch die Forderung nach Ausweitung von Videoüberwachung auf "öffentliche Plätze" (Werthebach) tauchte erstmals ausdrücklich und öffentlich in Berlin auf. Der Berliner CDU/SPD-Koalitionsvertrag sieht zwar bereits "streng objektbeschränkte" Videoüberwachung vor. Die Bundesinnenministerkonferenz verständigte sich jedoch bereits darauf, "Brennpunkte der Straßenkriminalität" zu überwachen.(16) Gänzlich unbeachtet blieb allerdings die bereits routinemäßig stattfindende, flächendeckende Videoerfassung und -überwachung des Demonstrationszuges.(17) Sie wird nirgends öffentlich problematisiert und kritisiert - die Strategie des "Wegfilmens des Versammlungsrechts" nicht als solche erkannt: Woran orientieren sich wohl präventive Festnahmen im Vorfeld einer derartigen Demonstration? Woher weiß denn der Apparat, wen er vor der Demonstration einschüchternd "präventiv" besuchen könnte?
Zunächst ließe sich die Gewaltfokussierung der bürgerlichen Medien aufnehmen, indem man sie in der Darstellung um den Beitrag der Gewaltapparate komplettiert. Hinzu kommen muß dann die Herausarbeitung und Kritik der strukturellen Gewalt, die die inhaltlichen Themen und damit die Notwendigkeit der Demonstration erst liefert. Zuletzt ist (unter dem Gewaltaspekt) die radikale Analyse und Delegitimierung der zugrunde liegenden kulturellen Gewalt (den ideologischen Gebilden zur Rechtfertigung staatlich-legitimer Gewaltanwendung) zu leisten. In erster Linie ziele ich hier auf das Konstrukt der "Inneren Sicherheit" selbst als der Gewaltrechtfertigung nach Innen bis an die Staatsgrenzen (neuerdings auch Europas). Analog funktioniert auch die Gewaltrechtfertigung nach Außen: Hier heißt das anzugreifende Ideologem "humanitäre Militärintervention".
Durch dieses Abarbeiten der Gewaltbegriffe kann es gelingen, die bürgerliche Fokussierung auf die direkte Gewalt aufzubrechen und in Richtung des ursprünglichen inhaltlichen Anliegens selbst zu öffnen? eus
Anmerkungen:
(1) Die bürgerlichen Medien, damit
meine ich in erster Linie die meinungsführenden Organe wie z.B. FAZ,
SZ, FR, taz, Welt, Zeit, Spiegel, für Berliner Zusammenhänge
ergänzt durch Berliner Zeitung, Tagesspiegel, Morgenpost. Sie stecken
in der Regel den Rahmen des Diskurses, aus dem in bezug auf das Thema Revolutionärer
1. Mai auch die Fernsehberichterstattung und die regionalen Tageszeitungen
(so sie denn überhaupt berichten) nicht ausbrechen.
(2) Einer der Veranstalter lädt in
der Broschüre mit dem sicherlich provokanten aber eben auch ironischen
Titel "Sie können Deutschland jetzt ausschalten" (im Windows-Shut-Down-Screen-Design)
ein zur Auseinandersetzung unter dem Motto "Der Kapitalismus scheint so
ausweglos wie ewig".
(3) z.B. radikal, interim, diverse Aufrufe
der Veranstaltergruppen im Vorfeld.
(4) Ein Interview mit Wolfgang Wieland
und dem Anmelder der Demonstration, Gunnar Krüger in der taz, 13./14.5.00
und die Reportage "Unterwegs mit Gunnar Krüger" in der SZ, 3.5.00.
(5) Tagesspiegel 11. und 12.5.00; taz
und B.Z. 12.5.00.
(6) Tagesspiegel 5.5.00.
(7) Nur exemplarisch: Michael Knape: "Offensiv
und konzeptionell": Einsatzkonzeption der Berliner Polizei in der Walpurgisnacht
und am 1. Mai 1997; in: Die Polizei(89) 1/1998, 1-32; ders.: Berlin und
das "Phänomen" 1. Mai: Die polizeiliche Lage mit den Randalen bzw.
Gewalttaten extremistischer Gruppierungen und den Erwartungen im politischen
Bereich; in: Die Polizei(89) 12/1998, 343-348; oder August Greiner: Waimar
läßt grüßen: Feststellungen und Anmerkungen zu den
Polizeieinsätzen am 1. Mai d. J. in Berlin und Leipzig; in: Die Polizei(89)
7/8/1998, 229-232.
(8) vgl. z.B. Raphael Schaub: Gewalt als
Strategie und Aktionstaktik sozialer Bewegungen. Das Framing der Autonomen
und die staatliche Intervention gegen diese Bewegung in Deutschland (Mai
1997) http://socio.ch/movpar/t_rschaub1.htm
(9) Und hier legen die Produzenten herrschender
Meinung durchaus zweierlei Maß an, wenn es um die Bewertung der Gewaltbereitschaft
innerhalb der linksradikalen Bewegung einerseits und der Gewaltbereitschaft
bspw. der Bundesregierung im Hinblick auf die Bundeswehr als "ultima ratio",
als letztes Mittel also, ihrer Außen- und Sicherheitspolitik geht.
(10) FAZ, Anfang Mai*.
(11) Isakra e.V. und die Antifaschistische
Aktion Berlin (AAB) unterhalten ein gemeinsames Büro in Berlin. Die
AAB gehören zu den aktivsten Gruppen der inhaltlichen Vorbereitung
der Demonstration; vgl. http://www.nadir.org/nadir/initiativ/aab/.
(12) vgl. ami 3/00: "Erstmals seit 1945:
Nazis marschieren durch das Brandenburger Tor", S. 5ff.
(13) Berliner Zeitung, 26.4.00.
(14) vgl. taz 13./14.5.00.
(15) vgl. taz 9.5.00.
(16) vgl. taz 8.5.00.
(17) Videoaufzeichnung bei Demonstrationen
findet bereits seit mindestens 20 Jahren in steigendem Maße statt.
"...beim Fotografieren von Bürgern durch Polizisten gilt das ‚Recht
am eigenen Bild' nichts: Für ‚Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen
Sicherheit' kann jeder von Staats wegen abgelichtet werden. Inzwischen
werden kleinere und insbesondere größere politische Aktionen
und Demonstrationen von Anfang bis Ende durch sogenannte ‚Foto- und Dokumentationstrupps'
der Polizei offen oder versteckt im Bild und auf Film festgehalten und
gespeichert. Selbst Maikundgebungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes werden
systematisch aufgezeichnet." aus: Gössner, R. und Herzog, U.: Der
Apparat : Ermittlungen in Sachen Polizei, Köln (Kiepenheuer &
Witsch) 1982, S. 62; auf Seite 63 ist ein solcher Trupp in Gorleben 1980
abgebildet!
(18) Ein Versuch: Unabhängige Demonstrationsbeobachtung,
die 2000 zum ersten Mal bei der 1. Mai-Demo in Berlin durchgeführt
wurde. Dokumentation: http://kickme.to/demowatch.
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