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Ausgabe 7/00 Seite 38ff |
Beim Blick nach Afrika richtet sich
die Aufmerksamkeit derzeit sofort auf Simbabwe. Die dortigen Zustände
sind Ergebnis der Fanatisierung von Bevölkerungsgruppen auf der Grundlage
ethnischer Konstruktionen bis hin zur offenen Gewaltausübung. Tatsächlich
geht es einerseits um den Zugang zu den lukrativsten Ressourcen des Landes
und um den Zugang zur bzw. die Aufrechterhaltung von Machtpositionen in
den Herrschaftsapparaten. Derartige Konfliktlagen bestimmen auch die Situation
von Ländern, in denen es gegenwärtig nicht zu offener Gewalt
kommt. Dort besteht aber jederzeit die Gefahr der erneuten Instrumentalisierung
und Eskalation. Hier setzt das präventive Interesse eine Konfliktberichterstattung
ein, die nicht erst zum Zuge kommen will, wenn tatsächlich nur noch
Bewaffnete und Militärs das Geschehen bestimmen. Aus dieser Perspektive
wollen wir einen der "vergessenen Konflikte" in Ostafrika darstellen.
Steffen Bauer
Entsprechend lassen sich individuelle politische Akteure nach ethnischer Zugehörigkeit im Konfliktgeschehen verorten. Der den Kalenjin zugehörige KANU(7)-Vorsitzende und Staatspräsident Daniel arap Moi hat sich öffentlich mehrfach für die Aussöhnung der betroffenen Bevölkerungsgruppen eingesetzt, ohne dabei ernsthaft gegen die Anti-Kikuyu-Hardliner seiner Regierung vorzugehen. Unter der Vielzahl der Antreiber der ethnischen Auseinandersetzungen sind v.a. die beiden KANU-Minister William ole N'timama (Maasai) und Nicholas Biwott (Kalenjin) hervorzuheben, die u.a. für die Bewaffnung von KANU-Aktivisten im Rift Valley verantwortlich gemacht wurden. Als gewichtigste Vertreter der politischen Kikuyu-Gemeinde waren die beiden Oppositionspolitiker Kenneth Matiba (FORD-Asili) und Mwai Kibaki (Democratic Party) starker Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt, weil es ihnen bis heute nicht gelang, die Regierung zur dauerhaften Unterbindung der Aggressionen zu bewegen. Die von Moi kooptierten KANU-Minister Joseph Kamotho (Kikuyu) und Dalmas Otieno (Luo) machten keinen nennenswerten Einfluss geltend. Daher kommt bei offiziellen Gesprächen zwischen den beschriebenen ethnischen Bündnissen v.a. traditionell legitimierten GEMA-elders Bedeutung zu, die von Moi aus offenkundig strategischen Überlegungen Oppositionspolitikern oft vorgezogen werden. Zivilgesellschaftliche Unterstützung erhielten die Opfer der Konflikteskalation v.a. von Seiten der Kirchen, wobei dem gut organisierten National Council of Churches in Kenya (NCCK) die größte Bedeutung beizumessen ist.
Kikuyu 20,8 % Luhya 14,4 % Luo 12,4 % Kalenjin 11,5 % (...) Meru 5,1 % (...) Maasai 1,6 %(nach: Kenya Population Census 1989, Vol.1)
In der ersten Jahreshälfte 1992 ist eine Ausweitung der Kämpfe in die Grenzgebiete des Rift Valley zu beobachten. Entgegen eigenem Bekunden unternimmt die Regierung von Präsident Moi keinerlei Maßnahmen zur Beendigung oder Einschränkung des Konflikts. Vielmehr ist offensichtlich, dass die regimetreuen Kalenjin-Krieger nicht nur rhetorisch sondern auch materiell von ranghohen KANU-Politikern und Regierungsmitgliedern (v.a. N'timama, Biwott) unterstützt werden. Im Konfliktgebiet werden die Kalenjin-Krieger von Provinz- und Distriktverwaltung sowie der Polizei geschützt. Scharfe Kritik aus dem Parlament und von Seiten der Kirchen(9) führt schließlich zur Bildung einer staatlichen Untersuchungskommission (Kiliku-Commission), die im September ihren Bericht vorlegt und drei KANU-Politiker im Ministerrang, nämlich Vizepräsident Saitoti sowie Biwott und N'timama, als Drahtzieher der Kalenjin-Angriffe identifiziert. Der Bericht bleibt jedoch ohne Folgen, da er vom Parlament abgelehnt wird. Parallel zum Konfliktverlauf lässt sich 1992 eine Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft entlang ethnischer Linien beobachten.(10)
Angestachelt durch verschärfte ethnische Rhetorik von Seiten der KANU-Hardliner(11) erreicht die Konflikteskalation 1993 ihren Höhepunkt. Im Lager der Kikuyu steigt die Unzufriedenheit mit der eigenen politischen Führung, die nicht in der Lage ist, die Regierung zur Unterbindung der Gewalt zu bewegen. Unterdessen steigt die Zahl der Opfer seit Konfliktbeginn auf ca. 1.000 - 1.500 Tote und bis zu 300.000 Vertriebene. Moi reagiert auf wachsenden internationalen Druck durch die Ausrufung dreier Sicherheitszonen im Konfliktgebiet, was zum einen öffentlichkeitswirksam ist und zum anderen die ausnahmezustandsähnliche Abschottung der kritischen Gebiete erlaubt.
N'timamas Einmischung erreicht im Oktober eine neue Qualität in dem er als Lokalverwaltungsminister 30.000 Kikuyu-Farmer unter dem Vorwand ökologischer Notwendigkeit zum Verlassen des Narok-Distrikts im Süden des Rift Valley auffordert, den er gleichzeitig und unter vorsätzlicher Missachtung geltenden Rechts(12) der "Urbevölkerung" (z.B. Maasai) zuspricht. Innenminister Lotodo folgt diesem Präzedenzfall, um den Kikuyu ein zweitägiges Ultimatum zum Verlassen des im Norden des Rift Valley gelegenen West-Pokot zu stellen.
Im Dezember kommt es auf Betreiben von UNDP (United Natinons Development Program) erstmals zu effektiven Deeskalationsmaßnahmen: die Regierung Moi erkennt die von der UN genannten Zahlen (1.000 Tote; 250.000 Vertriebene) offiziell an und stimmt einem 21 Mio. USD umfassenden Programm zur Wiederansiedlung der Vertriebenen zu.
In der Folge ist 1994 ein deutliches Abflauen der Vertreibungen zu verzeichnen,(13) in den Sicherheitszonen unterbindet die Polizei Angriffe auf Kikuyu-Farmen. Scheinbar ergänzend bemüht sich Präsident Moi um eine Annäherung an die Kikuyu, was jedoch in erster Linie als eine divide-et-impera-Strategie zur Unterminierung des parteipolitischen Kikuyu-Luo-Luhya-Bündnisses zu interpretieren ist.
Im Juni/Juli 1995 kommt es zu mehreren Treffen zwischen GEMA-elders und KAMATUSA-Eliten, die in einer gemeinsamen Resolution bzgl. der Rücksiedlung der Vertriebenen und der juristischen Verfolgung der Verantwortlichen gipfeln. Die Resolution wird jedoch u.a. von N'timama öffentlich diskreditiert, woraufhin Biwott die Aussöhnungsgespräche im September für beendet erklärt.
Nach der militanten Konfliktaustragung der Jahre 1991 bis 1994 spiegelt sich der Konflikt nun v.a. in Form parteipolitischer Machtkämpfe um die ethnische Komposition des Regierungslagers und den damit eng verbundenen Einfluss in den Wahlkreisen wider. Es kommt nur noch punktuell zu gewaltsamen Auseinandersetzungen im Rift Valley. Weitere Bemühungen Mois zur Kooptation von Kikuyu-Eliten (insbesondere vor den Wahlen 1997) sind nur bedingt erfolgreich und führen zusätzlich zu erheblichen Spannungen innerhalb des Regierungslagers.(14)
Der parteiübergreifende Machtkampf um günstige Ausgangspositionen für die Moi-Nachfolge spitzt sich naturgemäß weiter zu, je näher das Ende Mois verfassungsmäßig letzter Amtszeit (2002) kommt. Im gegebenen, stark ethnisierten machtpolitischen Kontext birgt die offene Nachfolgefrage ein erhebliches zusätzliches Konfliktpotential, das eine erneute Eskalation im Rift Valley und auch darüber hinaus leicht möglich erscheinen lässt. Die Abrufbarkeit von ethnisch mobilisierter Gewalt durch die politischen Eliten zeigt sich besonders deutlich im Januar 1998, als es erneut zu heftigen Angriffen von Kalenjin auf Kikuyu im Rift Valley kommt (ca. 100 Tote). Internationale Beobachter werteten diesen Zwischenfall als Abstrafung der Rift-Valley-Kikuyu für "falsches" Wahlverhalten (z.B. einheitliche Unterstützung Kibakis) im Dezember 1997.
Konstruktive Bemühungen zur Beendigung der gewaltsamen Konfliktaustragung von Seiten internationaler Akteure sind lediglich dem UNDP zu bescheinigen (s.o.). Der Erfolg dieses Programms ist jedoch umstritten, zumal es nur Konfliktsymptome, nicht aber Konfliktursachen adressierte.
Gesellschaftspolitisch führen die beschriebenen ethno-politischen Verteilungskämpfe zu einer schleichenden Erosion staatlicher Autorität, wie sie auch in vielen anderen afrikanischen Staaten zu beobachten ist. Dennoch scheint ein worst-case-scenario (Bürgerkrieg, Staatszerfall) für Kenia unwahrscheinlich, weil dies den wirtschaftlichen und politischen Interessen der urbanen, inter-ethnisch agierenden Mittel- und Oberklasse zuwiderlaufen würde. Es sind gerade die Hauptbetroffenen des Konflikts, Kikuyu und Luo, die als Träger der Zivilgesellschaft gelten und ihr Heil eher in politischem Protest als in anti-staatlicher Gewalt suchen.
Centre for Conflict Resolution
Machira Appolos (Director)
POB 15626, Nakuru,
Kenya
Telefon: +254 (372) 12 435
Telefax: +254 (372) 61 442
mailto:eu-cs@net2000ke.com
Action Aid Kenya
Tom Joseph (Director)
POB 42814, Nairobi,
Kenya
Telefon: +254(2) 440 444
Telefax: +254(2) 445 843
mailto:thomasj@actionaidkenya.org
UNDP Reisdent Representative for Kenya
Frederick Lyons
POB 30218 Nairobi,
Kenya
phone: +254(2) 62-4465
Telefax: +254(2) 62
mailto:frederick.lyons@undp.org
(1) Ich danke Ralph-Michael Peters für
Hintergrundinformationen und Hinweise.
(2) Vgl. Randnote 14!
(3) Es handelt sich dabei keineswegs um
den einzigen, wohl aber den größten und intensivsten Konflikt
in Kenias postkolonialer Geschichte. Verwiesen sei an dieser Stelle auch
auf das Konfliktpotential an der Küste, wo die staatliche Repression
gegen die islamische Minderheit seit dem Bombenattentat auf die US-Botschaft
(August 1998) deutlich zugenommen hat, und verschiedene Rebellengruppen,
die in den Grenzgebieten zu Äthiopien und Somalia sowie Uganda agieren.
(4) Pastoralismus: Hirtenwirtschaft
(5) Die Kikuyu stellten hinter ihrem Anführer
Jomo Kenyatta die treibende Kraft der Unabhängigkeitsbewegung dar.
Nach der Erlangung der Unabhängigkeit 1963 begannen sie in großer
Zahl im fruchtbaren Rift Valley anzusiedeln, das zu Kolonialzeiten den
Großfarmen weißer Siedler vorbehalten war. Durch die Gikuyu
Embu and Meru Association (daher GEMA) verfügten sie während
Kenyattas Präsidentschaft (1963-1978) über eine einflussreiche
Interessenvertretung. Die Kikuyu sind auch die am stärksten von der
Konflikteskalation betroffene Bevölkerungsgruppe.
(6) In den betroffenen Gegenden sind die
Kikuyu die zahlenmäßig größte Gruppe. Hinzu kommen
viele kleine, die als 'Kamatusa' bekannt sind (Kalenjin, Maasai, Turkana
und Samburu) und sich selbst als die Ureinwohner des Rift Valley bezeichnen.
Vgl. http://www.oneworld.org/ips2/jan98/kenya5.html.
(7) Die Kenya African National Union (KANU),
die vormalige Staatspartei, ist auch im für den Parteienwettbewerb
geöffneten Kenia zur Zeit die Regierungspartei des Präsidenten
Daniel arap Moi.
(8) Das majimbo-System (majimbo = Kiswahili
für Region) ist v.a. für die kleinen, in der Regimekoalition
befindlichen Bevölkerungsgruppen attraktiv. Es kann als verfassungsrechliche
Legitimation zur Schaffung ethnisch homogener Provinzen (z.B durch Zwangsumsiedlungen)
interpretiert werden, was von den größeren, landesweit siedelnden
Bevölkerungsgruppen abgelehnt wird.
(9) Eine Untersuchungskommission des NCCK
macht im Juni 1992 explizit die Regierung für die Gewalt im Rift Valley
verantwortlich.
(10) Im November 1991 hatte sich Präsident
Moi dem wachsenden Druck der internen Demokratiebewegung und der internationalen
Gebergemeinschaft gebeugt und die Gründung oppositioneller Parteien
zugelassen. Der Verfassungspassus, der KANU zur alleinigen Staatspartei
machte wurde aufgehoben.
(11) N'timama legitimiert Maasai-Angriffe
als ein "Zurückschlagen" nach langjähriger Benachteiligung durch
andere Bevölkerungsgruppen; Saitoti verkündet in einer implizit
gegen die Kikuyu gerichteten Kitengela Declaration einen Schulterschluss
zwischen Maasai und Kamba, diese wird auf Initiative Biwotts - der zusätzlich
die majimbo-Debatte wieder anheizt - vom Parlament bekräftigt.
(12) De facto annulliert N'timama auf
diesem Wege rechtskräftige Kaufverträge der betroffenen Siedler.
(13) Die Zahl der 1994 aus dem Rift Valley
vertriebenen Bewohner wird auf 2-5.000 geschätzt.
(14) Diese führten zu einer quasi-Spaltung
von KANU, wodurch u.a. der Maasai-Falke N'timama von Moi ins zweite Glied
verbannt wurde; der ursprünglich von N'timama protegierte Saitoti
vollzieht unterdessen einen graduellen Wandel vom Maasai-Politiker zum
Kikuyu, was die konstruierte Wirklichkeit ethnischer Identitäten eindrucksvoll
unterstreicht.
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