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Ausgabe 8-9/00   Seite 29ff

"Den Krieg als ethnischen Konflikt zu erklären, ist gleichbedeutend mit der Erklärung eines vorsätzlich gelegten Brandes durch die Entzündbarkeit des verwendeten Materials, statt nach demjenigen zu suchen, der das Streichholz drangehalten hat."(1)

Nico Schütte

Macht und Ohnmacht der Kriegsberichterstattung

Beispiel erster Jugoslawienkrieg

In den letzten Monaten sind in einigen linken Periodika wie der Konkret oder den Blättern für deutsche und internationale Politik, aber auch in der Tagespresse Neuigkeiten über die Eskalation des Krieges im Kosovo erschienen, die die damalige Politik der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lassen. Informationen zum möglicherweise gestellten Massaker in Racak wurden u.a. von Außenminister Fischer zurückgehalten(2). Unannehmbare Forderungen der westlichen Alliierten an die Jugoslawische Delegation im Annex B des Vertrages von Rambouillet(3) waren in der Abstimmung über die Beteiligung der Bundeswehr an Luftschlägen der NATO am 25.02.1999 nicht einmal den Bundestagsabgeordneten bekannt.(4) Obwohl die OSZE-Mission im Kosovo auf der Basis des Holebrook/Milosevic-Abkommens vom 13.10.1998 zeitweise einen Rückzug der jugoslawischen Sicherheitskräfte in die Kasernen erreicht hatte, wurde dieses Unternehmen von den einzelnen Mitgliedsstaaten der OSZE dermaßen vernachlässigt, daß das von Milosevic zugesagte Kontingent von 2.000 Beobachtern für den Kosovo nie ausgefüllt werden konnte.(5)

Einige dieser "Neuigkeiten" waren aber teilweise schon vor und während des Krieges zugänglich.(6) Die Sichtweise, die Bundesregierung habe "nun wirklich alles versucht, um Belgrad eine Brücke zu bauen", ( 7) wie Außenminister Fischer zwei Tage nach Kriegsbeginn im Bundestag verkündete, kann aber mit entsprechenden Tatsachen unterlegt erst ein Jahr später - zu spät - plausibel widerlegt werden.(8)

Es ist müßig zu spekulieren, was passiert wäre, wenn die oben genannten Tatsachen und ernst zu nehmenden Vermutungen wenigstens innerhalb der Friedensbewegung oder in Kreisen einer eventuell kritischen Öffentlichkeit bekannt gewesen wären. Sicher ist jedoch, daß bei einigen entscheidenden Ereignissen der Eskalation des Kosovokonfliktes, die in der Öffentlichkeit wahrgenommene Realität massiv von Ergebnissen späterer Untersuchungen derselben Ereignisse abweicht. Für Leser und Journalisten sollte sich gerade nach dem Krieg im Kosovo die Frage nach den möglichen Mechanismen stellen, die solch eine Realitätslücke in der Kriegsberichterstattung bewirken. Während eine Diskussion über die Rolle der Medien im Kosovokrieg erst beginnt, gibt es, was den vorherigen Krieg in Ex-Jugoslawien betrifft, inzwischen eine Fülle an Medienanalysen und selbstkritischen Beleuchtungen von Auslandskorrespondenten über ihre Rolle als Kriegsberichterstatter. Hierbei können ähnliche Methoden der Medien-Instrumentalisierung wie im Kosovokrieg erkannt werden. Massaker wurden inszeniert, Untersuchungsberichte nicht veröffentlicht und Verdachtsmomente etwa zu Kriegsverbrechen wurden mit Vermutungen und mit dem serbischen Feindbild anstatt mit einer genauen Untersuchung belegt. Am Beispiel einzelner Ereignisse und Phänomene während des Krieges in Jugoslawien zwischen 1992 und 1995 soll aufgezeigt werden, wie Journalisten, insbesondere durch die Übernahme ethnischer Schablonen, von den einzelnen Kriegsparteien instrumentalisiert wurden. Mit der Internationalisierung des Konfliktes forcierten die Führungen Kroatiens und Bosniens erfolgreich mit gezielter Desinformation das Bild, sie seien die Opfer gegenüber dem Aggressor Serbien. Die Hoffnung in Bosnien, Kroatien und Slowenien auf wirtschaftliche Unterstützung, politische Anerkennung, inoffizielle Militärhilfe und offene militärische Unterstützung durch die NATO war schließlich von den politischen Entscheidungen in Westeuropa und den USA abhängig. Besonders da die vertretenen Interessen der einzelnen NATO-Länder sehr unterschiedlich waren,(9) hatte die internationale Öffentlichkeit, gemeint sind die Diskurse in den einzelnen Ländern Europas und der USA, eine höhere politische Bedeutung. Es geht hier nicht um eine Entschuldigung der Kriegsverbrechen der bosnisch-serbischen Warlords, unterstützt von dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic, sondern darum, die Ursachen und Funktionsweisen einer Art von Journalismus aufzuzeigen, die sich für eine Instrumentalisierung besonders anfällig gezeigt hat und so an der Feindbildkonstruktion des "bösen Serben" mitwirkte. Die auf den ersten Blick proserbisch erscheinenden Gegendarstellungen sollen aufzeigen, daß bei der Kriegsberichterstattung aus Ex-Jugoslawien, ähnlich wie teilweise auch im Kosovokrieg, bei entscheidenden Ereignissen eine tiefe Kluft zwischen der in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Realität und dem tatsächlichen Geschehen vor Ort bestand. Wer den Einsatz "humanitärer" Interventionen fordert, darf seine Vermutungen schließlich nicht nur mit Feindbildern untermauern, sondern muß sich auch auf seriöse und gesicherte Nachrichten berufen können.

Die Ethnisierung des Konfliktes

Die Medien der früheren jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Serbien forcierten Ende der Achtziger Jahre unter der Kontrolle der jeweiligen Präsidenten Tudjmann und Milosevic die Eskalation des damals innerjugoslawischen Konfliktes durch eine ethnisierte Darstellung. Mit Lügen, Verdrehungen und dramatisierten Fernsehbildern wurden auf allen Seiten unüberwindbare ethnische Gegensätze konstruiert und die Opfer des eigenen Volkes hervorgehoben. Ähnlich wie später im Westen wurde von allen Parteien gefordert, daß "etwas getan werden müsse".(10) Als der Konflikt mit der Anerkennung Kroatiens 1991 eine internationale Rolle zu spielen begann, bildete sich in der westlichen Öffentlichkeit anfangs ein Gesamtbild des Konfliktes, bei dem die Andersartigkeit des Balkans, die Bestialität der Soldaten als unerklärlich und unfaßbar dargestellt wurde.(11) Um den Lesern, die meistens wenig über die Verhältnisse innerhalb Jugoslawiens wußten, den hochkomplexen Konflikt zu erklären, wurden schwierige Zusammenhänge aufs Äußerste reduziert. "Zum Verständnis erschienen auch klare Etiketten erforderlich: hier die Täter, dort unschuldige Opfer: Die Wahrheit durfte nie in der Mitte liegen, und - noch wichtiger - nie länger als ein Satz sein," so der Balkankorrespondent Jens Schneider.(12) Besonders hart ist die Medienkritik von dem renommierten BBC-Mitteleuropakorrespondenten Misha Glenny: "Um ehrlich zu sein: Die Berichterstattung der deutschsprachigen Medien ist im allgemeinen boden los schlecht gewesen. (...) Hunderte Reporter fielen über das Land her, nachdem die Kämpfe schon begonnen hatten. Sie kamen mit geringem oder keinem Wissen über die politischen Hintergründe diesen Konfliktes."(13) Die moralische Empörung habe dazu geführt, dass kaum noch Platz in der Berichterstattung bleibe, um die politischen Verhältnisse zu beschreiben, die zum Verhalten der Serben führten. Auch Susanne Gelhard, Fernsehkorrespondentin beim ZDF, sind zahlreiche Beispiele bekannt, "wo unerfahrene, eilig herbeigereiste Reporter im ehemaligen Jugoslawien solcher Propaganda nicht nur aufgesessen sind, sondern sie auch weiterverbreitet haben."(14)

Der ethnisierte "Gut-Böse-Filter"

Im Gegensatz zur Inlandsberichten können Fehler, beispielsweise durch Unwissenheit und Unkenntnis, bei Auslandsberichten von Lesern oder anderen Journalisten längst nicht so einfach überprüft werden. Gerade die einzelnen "Stationen", die eine Nachricht vom Sender zum Empfänger durchläuft, sind an entscheidenden Stellen nur mit großem Aufwand nachzuvollziehen. Die erste Station einer Nachricht bildeten im Jugoslawienkrieg häufig Augenzeugen von Ereignissen, die oft erst gedolmetscht und eventuell mittels eines einheimischen Pressebetreuers gefunden werden mußten. Der Korrespondent ist in seiner Berichterstattung immer von seinem Vorwissen, den Aufträgen und dem Bedarf der Heimatredaktionen abhängig. Der zuständige Redakteur, die letzte Station auf dem Weg der Nachricht, der seine Meinung auch mit Hilfe der inländischen Medien und der dort geführten öffentlichen Diskurse bildet, kann den Text redigieren. Schließlich hängt die Wahrnehmung der schließlich gedruckten Nachricht bzw. des gesendeten Fernsehberichts durch den Empfänger stark von der herrschenden Meinung, seinem Wissen über die Begründung anderer Positionen und seinem Bedarf an Orientierung ab. Bei jeder Station besteht die Gefahr, daß die Nachricht einen Filter durchläuft, der sehr oft nach ethnischen Kategorien in Gut und Böse, bzw. Opfer und Täter einteilt. Dabei basierte die Wahrnehmung einzelner Geschehnisse gerade beim Jugoslawienkonflikt oft auf der falschen Annahme, es handele sich um einen ethnischen Konflikt, obwohl massive Veränderungen der politischen und ökonomischen Machtverteilung die Ursache für die darauffolgende Ethnisierung waren - und nicht umgekehrt.(15) Der Einteilung dieses Filters widersprechende Informationen können ausgelassen, verdreht oder als Propaganda stigmatisiert werden, während Informationen, die das Gesamtbild der eigenen Wahrnehmung belegen, unterstützt, eher geglaubt und weniger überprüft werden. Dies kann bei jedem Augenzeugen, Pressebetreuer, Dolmetscher, Korrespondenten, Experten, Redakteur oder Leser moralisch, wirtschaftlich, politisch oder einfach dadurch motiviert sein, einen komplexen Krieg endlich einfach erklären zu können. Der Kriegsberichterstatter Rolf Paasch der Frankfurter Rundschau erzählte von seiner Recherche in einem albanisch-serbischen Dorf über Vertreibungsgerüchte. Eine albanische Übersetzerin berichtete von der vollständigen Vertreibung der albanischen Bevölkerung. Eine zweite serbische Übersetzerin habe schließlich genau das Gegenteil berichtet. "Und am Ende des Tages hast Du zwei verschiedene Geschichten und weißt nicht, welche wahr ist. [...] Man muss wissen, daß man von allen Seiten belogen wird". Das gelte für die serbische Seite, für die NATO, aber auch für die Flüchtlinge, die unter Druck stünden und traumatisiert seien. Auch sie folgten einer bestimmten Interessenlage und sagten unabsichtlich oder absichtlich die Unwahrheit.(16) In Zagreb, Sarajevo und Belgrad gab es Pressebetreuer und Pressezentren, die Journalisten vor Ort herumführten und beispielsweise den Kontakt zu Opfern oder Vertretern von politischen Institutionen herstellten.(17) Auf organisierten Touren zu den "Schlachtfeldern" des Bürgerkriegs erhielten Journalisten nicht so sehr Einzelheiten über den Kampfverlauf, dafür aber um so mehr Ideologie und Propaganda geliefert. Die Betreuung durch die Informationsministerien in Zagreb und Sarajevo war sehr viel kooperativer und mit besserem technischen Voraussetzungen ausgestattet als das gerade halbe Dutzend Mitarbeiter des Belgrader Informationsministeriums. Die früheren Kommunisten in Belgrad fühlten sich zudem schnell durch die feindlich gesinnte internationale Presse in ihrem Argwohn gegenüber den Journalisten bestätigt.(18) Nicht zu unterschätzen ist der Einfluß der persönlichen Meinung des recherchierenden Journalisten und seiner Heimatredaktion im Westen, wobei die Ergebnisse um so weniger streng und skeptisch überprüft werden, je mehr sie dem Mainstream des jeweiligen öffentlichen Diskurses entsprechen und umgekehrt. Als zum Beispiel der Journalist Peter Brock in der Weltwoche den westlichen Medien eine probosnische Berichterstattung vorwarf, reagierte der damalige CDU-Abgeordnete Stefan Schwarz: "(...) das erinnert mich an die Auschwitz-Lüge. Der Mann ist pervers und gefährlich."(19) Die massiven Anfeindungen gegenüber der Zeitung hätten den zuständigen Redakteur Hanspeter Born fast die Anstellung gekostet.(20) Wie dieser Gut-Böse-Filter an den verschiedenen Punkten im Jugoslawienkrieg zur Wirkung kam, soll im folgenden an der Berichterstattung einzelner Beispiele aufgezeigt werden.

Die Entdeckung der "Konzentrationslager"

Am 3. August 1992 erschien in dem New Yorker Nachrichtenmagazin Newsday der Bericht des Reporters Roy Gutman(21) über die serbischen "Konzentrationslager" Omarska und Brcko, der auf den Aussagen von zwei Insassen beruhte. Am Abend des 6. August sendete der Britische Fernsehsender "Channel 4"/International Television Network (ITN) das weltbekannte Bild des abgemargerten Bosniers Fikret Alic, der durch einen Stacheldraht blickte. In den Nachrichtensendungen wurde dieses Bild durch kommentierende Interviews mit US-Senatoren und Archiv-Material aus dem Zweiten Weltkrieg immer wieder in Verbindung mit den Konzentrationslagern des Deutschen Faschismus gebracht.(22) Tags darauf ging dieses Bild um die Welt. "Sie verhungern wie Vieh", titelte der Spiegel. "Der Beweis" ("The Proof") kommentierte die Daily Mail unter besagtem "KZ-Bild". Im Guardian vom 7. August schrieb Ed Vulliamy, der mit dem ITN-Team Penny Marshalls die bosnisch-serbischen Lager besuchen konnte, einen erschütternden Bericht, der aus dem Lager Omarska KZ-Szenen beschreibt, wie sie aus den Archiv-Filmen von 1945 bekannt sind.(23) Daß zur selben Zeit das IKRK alle Kriegsparteien - also auch die bosnische Seite - anklagte, eklatante Menschenrechtsverletzungen in eingerichteten Lagern zu begehen, wurde nicht erwähnt.

Im Verlauf der Berichte forderten US-Senatoren in einer Resolution den Einsatz aller "notwendigen Mittel" - und einzelne gleich die Bombardierung serbischer Stellungen. Der damalige US-amerikanische Präsidentschaftskandidat, Bill Clinton, hielt spontan eine Pressekonferenz ab, auf der er die militärische Absicherung von Hilfsgütern forderte.(24) Die großen anerkannten jüdischen Interessenorganisationen der USA forderten in einer Anzeige der New York Times und anderer US-Zeitungen, den Grausamkeiten in den serbischen Todeslagern Einhalt zu gebieten. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung beschloß der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 770 vom 13.08.1992 die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten in Kriegsgebiete erstmals - "falls nötig" - militärisch abzusichern. Auch die britische Regierung kündigte am 18. August die Entsendung mehrerer tausend Soldaten nach Bosnien an.

Als im Sommer 1992 Gerüchte über serbische "Konzentrationslager" aufkamen, hatte der Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, auf das drängende Nachfragen eines Journalisten etwas spontan einem Journalistenteam von ITN den Zugang zu den fraglichen Lagern gewährt. Penny Marshall und El Vulliamy waren mit einer Liste der bosnischen Regierung über mutmaßlicher "Konzentrationslager" ausgerüstet. Sie mußten bei den besuchten Orten aber feststellen, daß es sich - bis auf Omarska - bei allen Listeneinträgen nur um Flüchtlingslager handelte. Das allerdings berichteten sie nicht. Bei Omarska, einem Lager für, wie die Aufseher meinten, "muslimische Extremisten", bot sich ein bedrückendes Bild und die Reporter erhielten zu einigen Gebäuden keinen Zutritt. Entgegen den Beschreibungen des erwähnten Guardian-Artikels von Ed Vulliamy, lieferten die gedrehten Filme in Omarska allerdings nicht den Beweis für ein "Konzentrationslager". Der Eindruck der Journalisten, daß hier üble Kriegsverbrechen passierten, war dennoch richtig, da vier Jahre später ein UN-Bericht schätzt, daß im Krieg 1.500 Menschen in Omarska ermordet wurden.(25) Inzwischen war der oben erwähnte Bericht von Roy Gutman mit Augenzeugen von Omarska erschienen, was den gewaltigen Erwartungsdruck durch die ITN-Redaktion auf das angereiste Reporterteam laut Penny Marshall nochmals erhöht hatte.(26) Der Besuch des Lagers von Trnopolje war dann die letzte Station und Möglichkeit, doch noch einen "Beweis" für die serbischen Konzentrationslager zu bringen. In Trnopolje entstand dann auch das erwähnte "KZ-Bild" mit Fikret Alic. Für die Verteidigung des Haager Kriegsverbrechertribunals recherchierte der Journalist Thomas Deichmann die Hintergründe des Bildes von Trnopolje nach. Punkt für Punkt konnte er - unter anderem mit den Rohmaterial der Aufnahmen des ITN-Teams - nachweisen, daß bei diesem Bild nicht die Flüchtlinge, sondern die ITN-Reporterin Penny Marshall mit ihrem Kamerateam eingezäunt waren! Die Flüchtlinge konnten aber aufgrund der Feuergefechte in der Umgebung den Ort nicht verlassen. Ein befragter Aufseher des Durchgangslagers war ein junger Bursche, der eigene bosnische Freunde unter den Flüchtlingen hatte. Die Rohaufnahmen ITNs wären also geradezu geeignet gewesen, die mangelnde Erklärungskraft ethnischer Kategorien aufzudecken. Mit den Assoziationen die das "KZ-Bild" von Penny Marshall und El Vulliamy auslöste, konnte schließlich die serbische Vertreibungspolitik mit dem Deutschen Nationalsozialismus gleichgesetzt werden. ( 27)

Die PR-Agentur Ruder Finn

Die Mobilisierung der Öffenlichtkeit kann auch von einzelnen Kriegsparteien mit Hilfe von PR-Agenturen bewusst forciert werden. Der politische Einfluß der "KZ-Berichte" ist angesichts des Engagements der PR-Agentur Ruder Finn im Auftrag der bosnischen Regierung besonders interessant. Diese hatte bereits für die Anerkennung Kroatiens im US-Kongress geworben.(28) Ruder Finns Chef, James Harff, erläuterte in einem Interview mit Jacques Merlino: "Sobald irgendeine Information für uns gut ist, machen wir es uns zur Aufgabe, sie umgehend in der öffentlichen Meinung zu verankern. Denn uns ist klar, daß nur zählt, was einmal behauptet wurde. Dementis sind dagegen völlig unwirksam."(29) Gerade im Sommer 1992 unterhielt Ruder Finn Kontakt zu Dutzenden von angesehenen und einflußreichen Vertretern aus Politik, Medien und Verbänden. Weil man dem kroatischen Präsidenten Tudjmann antisemitische und seinem bosnischen Kollegen Itzetbegovic islamisch-fundamentalistische Tendenzen nachweisen konnte, ist James Harff besonders stolz, "daß es uns gelungen ist, die Juden auf unsere Seite zu ziehen. [...] als die New Yorker 'Newsday' die Sache mit den Lagern herausbrachte. Wir sind sofort auf den Zug aufgesprungen und haben drei große jüdische Organisationen in unserem Sinn beeinflußt." Der Vorschlag einer großen Anzeige in der New York Times und einer Protestkundgebung vor dem Gebäude der UNO in New York wurde sogleich von den Verbänden umgesetzt. "Im Handumdrehen konnten wir die Serben in der öffentlichen Meinung mit den Nazis gleichsetzen. Sehen Sie, das jugoslawische Problem ist sehr vielschichtig, (...) und um offen zu sein, die überwiegende Mehrheit der Amerikaner fragte sich, in welchem Teil Afrikas Bosnien eigentlich liegt, aber auf einen Schlag hatten wir eine einfache Geschichte mit Guten und mit Bösen. ... Die Presse wandelte umgehend ihren Sprachgebrauch und verwendete ab sofort emotional stark aufgeladene Begriffe wie ethnische Säuberung, Konzentrationslager usw., bei denen man an Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz denkt. Die emotionale Aufladung war so stark, daß niemand mehr eine gegenteilige Meinung vertreten konnte oder andernfalls Gefahr lief, des Revisionismus beschuldigt zu werden. Da haben wir voll ins Schwarze getroffen."(30)

"Systematische Massenvergewaltigung als Strategie"

Zum maßgeblichen Bestandteil des Feindbildes der Serben in den westlichen Medien wurden systematisch vorgenommene Massenvergewaltigungen als Mittel der Vertreibung. Die meisten Artikel der Veröffentlichungen im Winter 1992 bezogen sich auf die Reportagen von Alexandra Stiglmayer aus der Weltwoche, dem Stern und aus der TV-Sendung Mona Lisa.(31) So titelte beispielsweise die tageszeitung (taz): "Über 60.000 Frauen sind bislang in Lagern und Bordellen festgehalten und vergewaltigt worden. (...) Der Massenmord an der muslimischen Bevölkerung trägt systematische Züge."(32) Amnesty international äußerte sich im Januar 1993 sehr viel vorsichtiger: Ob Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina "bewußt als Kriegswaffe eingesetzt würden, müsse offen bleiben", Vergewaltigungen seien aber zumindest "in einigen Fällen systematisch angewendet worden."(33) Der öffentliche Protest gegen die Vergewaltigungen serbischer Soldaten äußerte sich in vielen kleineren Demonstrationen in verschiedenen Städten Deutschlands.(34) Kroatische Frauengruppen verurteilten in einem Appell an die UNO allein die jugoslawische bzw. die serbische Armee, Vergewaltigung als Taktik im Krieg zu nutzen, während andere Frauengruppen die Forderung aufstellten, Vergewaltigung als Kriegsverbrechen anzuerkennen, und damit das Thema auf der Agenda halten.(35)

Alexandra Stiglmayer dokumentierte in einem Weltwoche-Artikel und in ihrem 1993 erschienenen Buch eine Fülle erschütternder Augenzeugen-Interviews. Nach eigenen Angaben kontaktierte Stiglmayer ihre Zeuginnen allein ohne einen Pressebetreuer. Mit jeder Frau sprach sie über zwei Stunden und "bohrte nach, um sicherzugehen, daß die Frauen nicht übertreiben"(36) Bereits im Sommer 1992 kam der Journalist Martin Lettmayer(37) mit Stiglmayer in Kontakt. Da sie nur ein oder zwei Opfer fanden, die sich zu Interviews bereit erklärten, zerschlug sich das damalige Vorhaben einer gemeinsamen TV-Reportage. Auf der Suche nach einer "guten Story" ging Lettmayer den Angaben Stiglmayers nach. Als jedoch Lettmayer die Verantwortlichen für das betreffende Flüchtlings- oder Vergewaltigungslager des Ortes Doboj, den Polizisten oder den zuständigen Leiter des Internationalen (!) Roten Kreuzes mit den massiven Vorwürfen unter Druck setzte, waren diese völlig entgeistert, zeigten ihm die ganze Schule, die als Lager diente und brachen dazu auch einzelne Türen auf.(38) Die ausführlich beschriebenen Nachforschungen Lettmayers zeigen, daß entweder seine Gegenberichte oder einzelne Ortsangaben der vergewaltigten Zeuginnen von Stiglmayer falsch sind. Stiglmayers Ergebnisse wurden durch das Interview des taz-Korrespondenten Erich Rathfelder mit einem Leiter des bosnischen "Zentrum für die Erforschung von Kriegsverbrechen" bestätigt. Detailliert werden hier Ablauf, Umfang und die Art der Beweisführung von "Vergewaltigungen als eine Taktik im Krieg" dargestellt.(39) Für die Stadt Doboj wird der Serbe Milan Kerkes genannt, der zusammen mit seiner bosnischen Frau ein Privatbordell in der Nähe eines "Konzentrationslagers" betreibe. Wie Lettmayer anhand der behördlichen Eintragungen beweisen konnte, ist Milan Kerkes jedoch bereits fünf Monate vor diesem Interview im Krieg umgekommen. Die Existenz eines Privatbordells oder eines Vergewaltigungslagers im Flüchtlingslager wird dann von 10 Muslimen, die auch den Serben Milan Kerkes in Schutz nehmen, heftig bestritten.(40) Lettmayer ging auch einem weiteren Bericht aus dem ARD-Radio über eine völlig überforderte Entbindestation für vergewaltigte Frauen der Petrovarklinik in Zagreb nach. In der Entbindestation fanden jährlich gut 6.300 Geburten statt, in den sieben Monaten zuvor seien drei Kinder von vergewaltigten Frauen entbunden worden. Ähnliches schilderte der französische Journalist Jéromy Bony bei eigenen Nachforschungen nach Gerüchten über die Konzentration von Vergewaltigungsopfern in Tuzla: "Als ich 50 Kilometer von Tuzla entfernt war, sagte man mir 'Gehen Sie zum Mittelschulgelände von Tuzla, dort gibt es 4.000 vergewaltigte Frauen'. Bei 20 Kilometern sank die Zahl auf 400. Bei 10 Kilometern waren nur noch 40 übrig. Und als ich an Ort und Stelle war, fand ich gerade vier Frauen, die zu einer Aussage bereit waren."(41) Auch Nora Beloff, frühere Chefkorrespondentin der Politikredaktion beim Observer, recherchierte nach den Quellen verschiedener europäischer Regierungen über Massenvergewaltigungen in Bosnien. Sie alle verwiesen letztendlich auf die Deutsche Bundesregierung, die sich nur auf Material der Regierung Itzetbegovics und der kroatischen Caritas berufen konnten.(42) Nach den Erkenntnissen von UNO-Untersuchungen über sexuelle Gewalt ist bei diesem Thema "zwischen Wahrheit und Lüge oft kaum zu unterscheiden".(43) Stiglmayer zitiert die Warburtonkommission der EU, die nachvollziehbar die Anzahl der Vergewaltigungen in ganz Ex-Jugoslawien auf grob 12.000 schätzt.(44) Daß Vergewaltigung aber systematisch in Vergewaltigungslagern als von oben geplante Kriegsstrategie angewendet wurde, scheint allerdings angesichts der widersprüchlichen Informationen sehr umstritten. Das Thema hat sich inzwischen als fester Bestandteil des Feindbildes Serbiens in vielen Leitartikeln über den Jugoslawienkrieg verankert.(45) Lettmayer hatte seine Gegenrecherche auch für einen TV-Bericht aufbereitet, doch der Auslandsredakteur des Fernsehsenders antwortete ihm: "Die Berichte sind interessant und man sollte sie bringen. Aber wenn ich das tue und gegen den Strich bürste, kann ich meinen Job an den Nagel hängen." Daß es in den Redaktionen eine Art Selbstzensur gibt, davon konnte sich Mira Beham vom Alternativen Informationsnetz: "(...) selbst in zahlreichen Gesprächen mit verantwortlichen Auslandsredakteuren deutscher Medien wie Stern, Die Zeit, Die Wochenpost, Die Woche, Süddeutsche Zeitung und anderen überzeugen. Die öffentlichen Stellungnahmen der Redakteure unterschieden sich erheblich von ihren privat geäußerten Meinungen. Einige von ihnen etwa hielten die Massenvergewaltigungen für eine große Propagandalüge, wovon sich in ihren Artikeln jedoch nie ein Wort finden ließ."(46)

Das Feindbild der Serben hat sich nach jahrelanger Berichterstattung längst festgesetzt und funktionierte im Kosovo-Krieg der NATO gegen Jugoslawien einwandfrei. Der deutsche Chirurg Richard Munz war mit seinem Team für ein Flüchtlingslager mit 60.000 Albaner in Stenovac/ Mazedonien zuständig. Auf die häufige Frage von Journalisten nach Vergewaltigungen antwortete er: "Wir hatten in der ganzen Zeit die wir hier sind, keinen solchen Fall einer vergewaltigten Frau." ( 47) Selbst vorsichtige und ausgewogene Artikel während des Kosovokrieges, die auf falsche frühere Berichte hinweisen, können dem Leser mit seiner alten Meinung allein mit Gerüchten das alte Feindbild bestätigen - ganz ohne Beweise. So spricht ein durchaus ausgewogener Artikel aus Die Zeit über die "Anatomie des Horrors" (29.04.1999) im Kosovokrieg von gefälschten Berichten über Massenvergewaltigungen aus Bosnien und auch aus dem Kosovo. Man könne, laut einer Therapeutin für vergewaltigte Frauen, nur ahnen, daß "das gleiche System der Vergewaltigungen wie in Bosnien praktiziert wird (...) Nicht nur Vergewaltigung, sondern auch durch die Verstümmelung männlicher Geschlechtsteile werde offenbar die Zerstörung der Fortpflanzungsfähigkeit demonstriert."(48) Ab diesem Moment denkt der Leser nur noch mit seinem Bauch und bekommt bestätigt, daß der serbische Nationalismus sich als krankhafter Sadismus bei den Soldaten festgesetzt hat. Militärisches Durchgreifen gewinnt an Legitimität und jeder Versuch diplomatischer Vermittlungen erscheint lächerlich. Die Belagerung Sarajevos Die dreijährige Belagerungen Sarajevos (1992-1995) mit schwerer Artillerie und Heckenschützen, bei der mehr als 10.000 Menschen starben, wurde durch die Medienberichterstattung weltweit zum Symbol der Opferrolle Bosniens im Krieg. Aber auch die Belagerung wurde für Propagandazwecke mißbraucht. (49 )Ein besonders einseitiges Bild in den westlichen Medien zu forcieren, war laut den Memoiren des früheren EU-Vermittlers im Jugoslawienkrieg und ehemaligen Außenministers Großbritanniens, Lord David Owen, die Aufgabe von Ejup Ganic, dem Verteidigungsminister Bosniens, um die USA auf Seiten Bosniens in den Krieg hineinzuziehen. Ganic kannte die US-Gesellschaft aus eigenen Auslandsaufenthalten und "orchestrierte die bosnische Propaganda in den USA auf jeder Ebene - im Weißen Haus, auf dem Capitol und auf den Mattscheiben der amerikanischen Haushalte."(50) Um die Unterlegenheit Bosniens vor der internationalen Öffentlichkeit zu verdeutlichen, nahm die muslimische Militärführung Tote unter den eigenen Zivilisten bewußt in Kauf. Aus diesem Grund seien laut den Aussagen des französischen UNPROFOR-Kommandanten, General Philippe Morillon, Waffenstillstände wiederholt abgelehnt worden. Die Strategie hinter solchen Aktionen wird im Urteil des ARD-Korrespondenten Friedhelm Brebeck deutlich: "Die Bosnier donnern Granaten raus, wenn zwei Tage lang Ruhe ist - denn sie wissen, für jede ihrer Granaten kommen zehn bis fünfzig zurück. Die Regierung braucht die tägliche Blutspur in Sarajevo."(51) Die Übernachtung der meisten Reporter im Holiday Inn in Sarajevo forcierte durch den kollegialen Austausch die gemeinsame Perspektive aus der umzingelten Stadt. In der täglichen Berichterstattung kam kaum zum Ausdruck, daß die Truppen Itzetbegovics im muslimischen Teil Sarajevos einen inneren Belagerungsring gebildet hatten, um zu kontrollieren, daß keiner die umzingelte Stadt verlassen konnte. Schließlich sollte Sarajevo muslimisch bleiben, während Serbenführer Karadzic muslimischen Frauen und Kindern von Anfang an "freies Geleit" zugesichert hatte, auf deutsch - um sie zu vertreiben. Auch aus Gründen der Propaganda wurde die Hilfe einer US-Stiftung zur Wiederherstellung der städtischen Gas- und Stromversorgung abgelehnt. ( 52) Nik Gowing führte zahlreiche Interviews mit zivilen Mitarbeitern und Militärs der UNPROFOR. Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter warf der Kriegsberichterstattung ein einseitiges Bild von der Belagerung vor, in dem häufig entscheidende Fakten ausgelassen worden wären. Um besonderen Eindruck zu hinterlassen, hätten sich die bosnischen Soldaten mit ihren beweglichen Granatwerfern häufig so positioniert, daß der provozierte Schußwechsel direkt in der Nähe des Holiday Inn über den Köpfen der Presse stattfand. ( 53) Ein UN-Team könne bezeugen, wie eine Infanterie-Einheit der bosnischen Regierungstruppen sich mit einem Mörser unterhalb des Kosevo-Krankenhauses positioniert hätte. Nach dem Beschuß serbischer Stellungen zogen sie sich schnell zurück, woraufhin ein Kamerateam ankam, um die serbischen Vergeltungsschläge auf das Krankenhaus aufzunehmen.(54) Als Lord David Owen das Krankenhaus im Winter zuvor besucht hatte, hinterließen die katastrophalen Verhältnisse auf der Entbindestation einen tiefen Eindruck bei ihm.

Am 27. Mai 1992 wurden in Sarajevo 20 Zivilisten, die nach Brot angestanden hatten, durch eine Granate ermordet. Auf einem unmittelbar danach folgendem EG-Treffen sollte über Sanktionen gegen Serbien diskutiert werden.(55) Drei Tage später beschloß der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 757 mit Bezugnahme auf das Massaker ein Wirtschaftsembargo gegenüber Serbien und Montenegro. Dieser Fall verdeutlicht besonders gut die Problematik, daß jede Behauptung einer Inszenierung ihre Ursprünge auch in der Desinformationspolitik der beschuldigten Kriegspartei haben kann. Von einer Inszenierung berichtet am darauffolgenden Tag die von Milosevic kontrollierte Zeitung Politika aus Belgrad und etwas später der New Yorker Reporter von The Independent, Leonard Doyle, der sich auf vertrauliche UN-Berichte aus dem New Yorker UN-Hauptquartier beruft.(56) Tom Gjelten von New Public Radio widerlegte durch eigene Untersuchungen mit Munitionsexperten vor Ort Doyles Behauptung und kann dessen Hauptquelle, den eher proserbischen UN-Kommandanten MacKenzie aufdecken. Verdächtig bleibt allerdings die Tatsache, daß es nie eine offizielle Aufklärung dieses Massakers gegeben hat, was eigentlich im hohen Interesse der bosnischen Regierung liegen sollte.(57) Zudem legte Nenad Kecmanovic, ein entschiedener Gegner nationalistischer Politikvorstellungen, drei Monate später sein Amt im bosnischen Staatspräsidium nieder, da Extremisten selbst vor initiierten Anschlägen auf Zivilpersonen nicht zurückschrecken würden.(58)

Am 5. Februar 1994 wurden in Sarajevo 68 Menschen durch eine Mörsergranate getötet. Aufgrund der folgenden ultimativen Drohung der NATO, Stellungen der bosnischen Serben anzugreifen, zog sich die serbische Artillerie um ca. 20 Kilometer zurück. ( 59) Lord David Owen und auch Mira Beham verweisen mit einer Fülle von verdächtigen Hinweisen und Beweisen auf eine Inszenierung. So hätten Mitarbeiter von UN-Kommandant General Rose nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß nach technischen Informationen die Granate nicht aus einem serbischen, sondern aus einem muslimisch kontrollierten Gebiet abgefeuert worden sei. Als diese sensible Information ins UN-Hauptquartier weitergegeben wurde, sei alles getan worden, um sie nur einer kleinen Anzahl von Personen zugänglich zu machen. Laut UN-Sprecher Aikmann sei der Platz sofort nach der Explosion von bosnischen Militärs abgeriegelt worden. Dennoch veröffentlichte die UNO in Zagreb später, offiziell könne sie die Granate beiden Seiten zuschreiben, Serben oder Muslimen. ( 60) Ein weiteres Massaker an 37 Zivilisten vom 28. August 1995 war schließlich Anlaß für die Wende im Krieg zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien. Bereits 39 Stunden später bombardierten NATO-Kampflugzeuge drei Wochen lang serbische Stellungen in ganz Bosnien-Herzegowina und unterstützten die Offensive der muslimischen und kroatischen Verbände. Die großen Gebietsgewinne in Nord-West-Bosnien und ethnische Vertreibungen in der Krajina waren die unmittelbare Folge. Ähnlich wie beim Massaker vom Mai 1994 kann der Reporter David Binder der New York Times in der linken Zeitschrift The Nation schlüssig eine Inszenierung nachweisen und sich auf vier verschiedene UN-Kommandanten berufen. (61 )

Genauso wie beim "Massaker" von Racak im Kosovokrieg die Untersuchungsberichte nur durch den investigativen Journalismus - u.a. der Konkret(62) - an eine kleine Öffentlichkeit gelangten, wurden die entscheidenden Untersuchungsergebnisse der hier genannten Massaker auch als geheim eingestuft, soweit überhaupt Untersuchungen stattfanden. Mit einigen dieser Massaker wurden durch gezielte Desinformation NATO-Einsätze vor der Öffentlichkeit in Europa und den USA legitimiert, die als erste ihrer Art geradezu historische Bedeutung hatten. Die Militäreinsätze konnten nicht zuletzt deswegen ohne große mediale und öffentliche Kritik als gerechtfertigt dargestellt werden, weil unter anderem zuvor die einseitigen Berichte über systematische Massenvergewaltigungen, "Konzentrationslager" und ethnische Vertreibungen - teils berechtigt teils unberechtigt - mittels einer ethnischen Schablone ein entsprechendes Feindbild des "bösen Serben" aufgebaut hatten.

Die Macht und Ohnmacht der Kriegsberichterstattung

Sicherlich ist es bei Kriegsreportagen nötig, ethnische Begriffe zu verwenden, da sich die einzelnen Lager auch durch ihre nationalistische Politik auszeichnen. Und selbstverständlich muss über Massaker, ethnische Vertreibungen und die vielen anderen Kriegsverbrechen berichtet werden - nur etwas gründlicher und genauer! Journalisten sollten nicht nur die harte Grausamkeit des Krieges darstellen, um sie dann lediglich der einen oder anderen Ethnie zuzuweisen. Wenn eine Seite die Stadt belagert und beschießt, während die andere Seite eine ausreichende Versorgung und die Flucht der Menschen verhindert - wie im berichteten Fall Sarajevos -, wird deutlich, daß Täter und Opfer nicht mehr einfach in Serben und Bosnier eingeteilt werden können, sondern die krieg(an)führenden Parteien ohne Absprache sehr gut zusammenarbeiten. An solchen Beispielen zeigt sich, daß beim Machtspiel um neue Einflußgebiete die Opfer der Bevölkerung keine Rolle spielen. Die Strategien auf dem "Schlachtfeld", der Umgang mit Gefangenen oder Zivilisten und das Verhalten bei Verhandlungen, wird immer von den führenden Politikern, Warlords und Generälen entschieden und nicht von den Serben oder den Bosniern. Wir hätten sicherlich ein anderes Bild von den Kriegen in Jugoslawien, wenn ethnische Begriffe stärker dekonstruiert worden wären. Daß es auch Versuche gab, die reale Vielschichtigkeit des Krieges aufzuzeigen, zeigte sich an Berichten über die Desertation Tausender von Soldaten, den gezielten Fronteinsatz von Friedensaktivisten(63) oder der aktiven Zusammenarbeit von Regierungstruppen mit einschlägigen Anführern aus dem kriminellen Milieu.(64) Auch werden in längeren Reportagen und Analysen die aktuellen Hintergründe, die Landesgeschichte und die einzelnen Kriegsparteien genauer beschrieben. Doch setzt sich die einfache Wahrheit mit ethnischen Kategorien in der Öffentlichkeit schneller durch als die komplizierte. Jede sauber überprüfte Information braucht teure Zeit, so daß die sauber recherchierte Information erfolgreicher Desinformation von Meinungsmachern immer hinterher hinken wird. Zudem reicht es nicht, einfach nur die Informationsquelle zu benennen. Wenn beschrieben wird, in welcher Art und Weise die Information an den Journalisten gelangte und welche Interessen und Motivationen sich dahinter verbergen, könnten die Leser die Qualität der Nachricht besser einschätzen.(65) Beispielsweise wenn die Leser erfahren, wie Journalisten als organisierte Reisegruppe zu einzelnen Orten des Schlachtfeldes gefahren werden.(66) Medienintern gilt es daher aufzuarbeiten, mit welchen Standards für seriösen Journalismus eine instrumentalisierte Berichterstattung eingedämmt werden könnte.

Die Verantwortung der hier aufgezählten Kriegsverbrechen wurden meist vorschnell der serbischen Seite angelastet. Kontinuierlich fügten sie sich in ein Feindbild der "bösen Serben" ein und bestimmten die Voraussetzungen für weitere Analysen und Diskurse über die Vorgehensweise der internationalen Akteure. Die insofern indirekte Instrumentalisierung einer großen Anzahl von Leitartikeln und Analysen fand gerade dann statt, wenn aus nicht hinterfragten Behauptungen Voraussetzungen wurden, die zu der Forderung nach letztlich militärischen Maßnahmen zugunsten einer Kriegspartei führten. Untersuchungen, deren Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich sind, wurden ausgerechnet von den Vertretern der Nachrichtenbranche dagegen kaum gefordert. Besonders die emotional und moralisch aufgeladene Debatte zwischen "Bellizisten" und "Pazifisten", in der sich die Bellizisten mit dem "moralisch gerechtfertigten" Ruf nach Militäreinsätzen durchsetzten, verhinderte, daß den politischen Strategien und Interessen der einzelnen internationalen Akteure ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Berichte über Kriegsverbrechen führen oft zu weitreichenden politischen Entscheidungen. Sie kritisch zu lesen bzw. zu recherchieren, bedeutet, zu beachten, welche Kriegspartei, welcher Politiker oder welche internationale Organisation Untersuchungen zum Beweis der Verbrechen anstrebt, und aus welchem Motiv. Es bedeutet, zu fragen, wer die umfassende Zugänglichkeit von Informationen verhindert oder einschränkt. Es bedeutet aber auch, zu untersuchen, welche vor dem Hintergrund eines Berichts über Verbrechen getroffene Entscheidung oder eine gewählte Strategie bei einem anderen Untersuchungsergebnis kritisiert oder delegitimiert werden könnten. Die große Frage WER hier die Medien insgesamt instrumentalisiert und steuert, führt schnell zu wilden Verschwörungstheorien, die nur auf Vermutungen basieren. Sie helfen aber nicht weiter, wenn es darum geht die herrschende Politik am Beispiel einzelner Kriege und Konflikte fundiert, kritisch und aufschlüsselnd zu analysieren. Solch eine kritische Analyse würde um so präziser, je mehr durch investigativen Journalismus Verantwortlichkeiten aufgedeckt werden, damit die Interessen und Ziele der einzelnen - an der Kriegführung aber auch an der Kriegsdarstellung beteiligten - Akteure schließlich hinterfragt werden können.

Anmerkungen:  
(1) Paolo Rumiz, Masken für ein Massaker, München 2000, S.35. (2 )Jürgen Elsässer, Konkret Nr.5/2000, sowie Berliner Zeitung, 13.03.1999. (3 )Noam Chosmky, Blätter 4/2000, Zur Logik des militärischen Humanismus, S.434. (4 )Thomas Deichmann, Novo Nr.41/1999; Andreas Zumach, WoZ, 16.09.1999 u. taz, 12.04.1999. (5 )Heinz Loquai, Blätter 9/99 ,Die OSZE-Mission im Kosovo, eine ungenutze Friedenschance?, S.1122.
 
(6) So brachte der taz-Redakteur Andreas Zumach die "Rambouillet-Lüge" schon am 13.April 1999. Zehn Tage vor Kriegsbeginn berichtete die Berliner Zeitung, OSZE-intern gehe man beim "Massaker" von Racak längst von einer "Inszenierung durch die albanische Seite" aus.
 
(7) Plenarprotokoll 14/31, 31. Sitzung des Bundestages vom 26.03.1999, S.2584.
 
(8) Matthias Künzel, Der Weg in den Krieg, Berlin 2000.
 
(9) Besonders die Anerkennungspolitik Genschers gegenüber Kroatien im Winter 1991/1992 zerschlug dem EU-Beauftragten Lord Carrington das wichtigste diplomatische Druckmittel gegenüber Milosevic; John Newhouse, Bonn, der Westen und die Auflösung Jugoslawiens Das Versagen der Diplomatie - Chronik eines Skandals, Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/92, S.1194; Vgl. Matthias Z. Karadi, Reagieren internationaler Politik auf Kriege. Großmächte, UNO, NATO im Jugoslawienkrieg, ami, 26.Jg. Heft 3, März 1996, S.61ff.
 
(10) Marina Blagojevic, Ein Sieg der Medien? Ost West Gegeninformationen, 11. Jg., Nr.4/ 1999; Die Zeit, 30.07.1993, S.12; taz, 13.12.1992, S.20.
 
(11) Blagojevic, a.a.O.
 
(12) Jens Schneider, Anmerkungen zum Journalismus im Krieg, Süddeutsche Zeitung, 19.02.1994.
 
(13) Glenny, Misha, Weltwoche, 03.03.1994, S.8.
 
(14) Gelhard, Susanne, Das Ausland in den Medien,
http://www.lpb.bwue.de/publikat/presse/gelhard.htm.  
(15) Vgl. Peter Sass, ami, 25. Jg., Heft 6, Juni1995, Vorläufige Bemerkungen zur "Fehlwahrnehmung des Jugoslavienkonfliktes" S.27 ff.
 
(16) Hans-Georg Moeck, Und am Abend hast Du zwei verschiedene Geschichten, FR 2.6.1999, S.11.
 
(17) Süddeutsche Zeitung, 19.02.1994; taz 29.07.1991, S.3.
 
(18) Peter Brock in: Bittermann (Hg), "Serbien muß Sterbien", Berlin 1994, S.21.
 
(19) Stefan Heuer, Die Woche, 10.02.1994.
 
(20) Mira Beham, Jungle World 11.08.1998.
 
(21) Roy Gutman, Personal Account of Terror, Newsday, 03.08.1992, S.4.
 
(22) Vgl. Thomas Deichmann, Novo Nr.29, Juli/August 1997.
 
(23) Guardian 07.08.1992, taz 08.08.1992.
 
(24) Andrea Böhm, taz 08.08.1992.
 
(25) taz, 07.07.1998. In einem Massengrab wurden im März 1996 "ungefähr" 120 Menschen gefunden. Refik Hodzic, ein Beauftragter der bosnischen Behörden zur Untersuchung von Kriegsverbrechen, vermutet, daß es sich um Opfer aus Omarska handelte. taz 22.03.1996, S.8.
 
(26) Penny Marshall, Sunday Times, 16.08.1992.
 
(27) Neben seinen Befragungen und Beobachtungen vor Ort dienten Deichmann als Beweismittel besonders die unbearbeiteten Videoaufnahmen von ITN, die ich selbst sehen konnte. Diese Rohaufnahmen waren das Basismaterial, die zu dem Bericht mit dem besagten KZ-Photo zusammengeschnitten wurden. vgl. Thomas Deichmann, Novo, Jan./Feb. 1997. S.16f.
 
(28) Eine entsprechende Agentur auf serbischer Seite ist mir nicht bekannt, allerdings gibt es in den USA die serbische Emigrantenorganisation SerbNet, deren Engagement am Beispiel der Debatte um den UN-Kommandeur MacKenzie deutlich wird. SerbNet bezahlte dessen Vorträge laut der Journalistin Alexandra Stiglmayer mit 15.000 US$. Stiglmayer, Weltwoche, 10.02.1994, S.33.
 
(29) Jacques Merlino, Da haben wir voll ins Schwarze getroffen, in: Bittermann, a.a.O., S.153.
 
(30) Merlino, S.156. Merlino erhielt vom zynischen James Harff nach seinem Interview eine Mappe ausgewählter Zeitungsartikel, die allesamt Ruder Finn der Manipulation beschuldigten: Calgary Herald 18.2.1993; National Journal 15.08.1992; The Atlanta Journal 28.02.1993; The Independent 21.08.1992; 'USA Today', 16.06.1992.
 
(31) Alexandra Stiglmayer, Weltwoche, 05.11.1992.
 
(32) taz 02.12.1992, S.1 und S. 10.
 
(33) Andreas Zumach, taz 22.01.1993, S.8.
 
(34) taz 16.12.1992.
 
(35) Dorothee Winden, taz 05.11.1992, S.12; taz-Bremen 23.11.1992, S.22.
 
(36) Stiglmayer, Weltwoche 10.02.1994, S.34; sowie: Alexandra Stiglmayer (Hg.), Massenvergewaltigung, Freiburg im Breisgau, 1993.
 
(37) Martin Lettmayer arbeitete für die osteuropäische TV-Agentur ZOLLER im ehemaligen Jugoslawien. Des weiteren wurden seine Reportagen bei ARTE, ZDF, Sat1 und n-tv gesendet.
 
(38) Martin Lettmayer, in: Bittermann (Hg.), a.a.O., S.43.
 
(39) Rathfelder Erich interviewt Ragib Hadcic, 02.12.1992.
 
(40) Lettmayer, in Bittermann, a.a.O., S.46.
 
(41) TV-Sendung 'Envoyé Special', zitiert in: Brock, S.32.
 
(42) Nora Beloff, Daily Telegraph, 19.01.1993, S.14.
 
(43) taz 05.03.1993. Zudem erschwert die verständliche Weigerung zur Selbstoffenbarung der vergewaltigten Frauen, nicht zuletzt aufgrund einer chauvinistischen Stigmatisierung, den empirischen Nachweis erheblich.
 
(44) Hierbei geht sie von 119 dokumentierten Fällen aus sechs verschiedenen Krankenhäusern in ganz Ex-Jugoslawien aus, bei denen Schwangerschaften aufgrund von Vergewaltigungen festgestellt wurden. Nach medizinischen Untersuchungen soll es bei jeder 100. Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft kommen, so daß sie mit 12.000 einen Maßstab für das Ausmaß des Problems angeben wollen. Stiglmayer, Das Leid der Opfer hat eine Zahl, Weltwoche 10.02.1994, S.34. Ein Zwischenbericht der UN-Vorbereitungskommission für das Tribunal hatte bis Oktober 1993 Unterlagen über 3.000 Vergewaltigungsfälle erhalten. taz, 23.10.1993.
 
(45) Bettina Markmeyer, taz,02.12.1992. S.10.
 
(46) Mira Beham, Jungle World, 11.08.1998; Branka Trivic, FR 10.02.1994, S.11. Beham war 1994 die Redaktionsleiterin des deutschen Büros des Alternativen Informationsnetzes. Das EU-geförderte Netzwerk verbreitet Informationen, die von den einzelnen Regimen Ex-Jugoslawiens unterdrückt werden.
 
(47) Edith Kohn, Die Welt, 17.06.1999.
 
(48) Christian Schmidt-Häuer, Die Zeit, 29.04.1999.
 
(49) Damit erfüllte sie ähnliche Funktionen wie das belagerte Vukovar für Tudjman, vgl. Rumiz, a.a.O., S.94ff.
 
(50) David Owen, Balkan Odyssey, London 1995, S.89 (eigene Übersetzung), vgl. auch die Erläuterungen von James Harff über Ruder Finn.
 
(51) zit. in: Stefan Heuer, Die Woche, 10.02.1994.
 
(52) Zeljko Vukovic, in: Bittermann (Hg.), a.a.O.; Christine Schweitzer im Interview in der taz 16.12.1992, S.8; Owen, a.a.O., S.63 und S. 244.
 
(53) Nik Gowing, Independent 03.07.1994, S.14. Gowing war 1994 Politikredakteur bei Channel 4 und ist jetzt Moderator und Auslandskorrespondent bei BBC.
 
(54) Owen, a.a.O., S.112.
 
(55) taz 24.08.1992.
 
(56) Leonard Doyle, The Independent 22.08.1992.
 
(57) Gjelten beruft sich hier auf den damaligen politischen UN-Kommandanten von Sarajevo und auf Adnan Abdel Razak und auf den militärischen Kommandanten Colonel John Wilson; Vgl. Tom Gjelten, Professionalism in War Reporting: A Correspondendent's View, 1998, Siehe:
http://www.ccpdc.org/pubs/gjelten/gjeltenframe.htm; vgl. auch Roy Gutman, Weltwoche 10.02.1994, S.33.  
(58) taz 05.09.1992, S.7.
 
(59) taz 11.02.1994; Mira Beham, Kriegstrommeln, München 1996. Bemerkenswert ist die gut drei Wochen später erfolgende allererste aktive militärische Aktion der NATO überhaupt anlässlich der Verletzung der Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina.
 
(60) Owen, a.a.O., S.280; sowie Final report of the United Nations Commission of Experts, Study of the battle and siege of Sarajevo - part 1/10,UN- S/1994/674/Add.2 (Vol. II), 27 May 1994, siehe auch:
http://www.ess.uwe.ac.uk/comexpert/ANX/VI-01.htm#headII.B Anmerkung 4375: «An initial emotional reaction would be to refuse to take part in the negotiations».  
(61) David Binder, The Nation 02.10.1995.
 
(62) Jürgen Elsässer, Konkret Nr.5/2000.
 
(63) Roland Hofwiler, taz 19.11.1991, S.3 und Roland Hofwiler, Pazifisten müssen ab an die Front, taz 15.11.1991, S.9.
 
(64) Erich Rathfelder, taz 14.11.1997, 03.12.1997 und 28.10.1993
 
(65) So thematisierte beispielsweise der frühere taz-Korrespondent Roland Hofwiler in fast jedem seiner Artikel die Art der Berichterstattung, vgl. taz, 15.11.1991, 19.11.1991, 07.01.1992, 06.08.1992.
 
(66) Roland Hofwiler, taz, 29.07.1991, S.3.
 

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