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Ausgabe 1/01   Seite 42ff

Der seit 1994 laufende juristische Streit zwischen den beiden Gemeinden Rossow und Schweinrich und der Bundeswehr über die Nutzung der Wittstocker Heide ist beendet. Auf Grund von Formfehlern seitens der Bundeswehr beim Planfeststellungsverfahren haben die beiden Gemeinden vom Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen. Die Bundeswehr muß nun den ehemaligen Truppenübungsplatz verlassen. Die Möglichkeiten gegen das Urteil in Revision zu gehen sind ausgeschöpft. Damit kann die Wittstocker Heide endlich wieder zivil genutzt werden.

Juristischer Sieg der Freien Heide

Bundesverwaltungsgericht entschied gegen die Bundeswehr

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Die beiden Gemeinden Rossow und Schweinrich reichten 1994 Klage vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht gegen die Bundesrepublik Deutschland ein. Anlaß der Klage war die militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes der ehemaligen Sowjetunion durch die Bundeswehr. Das Verfahren endete 1996 mit einem juristischen Sieg für die klagenden Gemeinden. Die Bundeswehr wurde im Urteil zu einem formellen Planfeststellungsverfahren verpflichtet. Mit diesem Urteil unzufrieden gingen beide Parteien in Revision. Das Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder bestätigte 1999 das Urteil des Potsdamer Verwaltungsgerichtes. Daraufhin ging das Bundesverteidigungsministerium erneut in Revision.(1)

Am 14. Dezember bestätigte nun der Vorsitzende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes, Dr. Günter Graentz, in seiner Entscheidung das gefällte Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Frankfurt/Oder vom März 1999. Er wies den Antrag auf ein Revisionsverfahren von der Bundeswehr ab. Der Antrag war mit der Erklärung begründet worden, daß es sich bei dem geplanten Luft-Boden-Schießplatz nicht um eine neu einzurichtende Anlage handele, sondern um die Weiterführung eines Truppenübungsplatzes der Sowjetischen Armee. Dieses Recht sei im Paragraph 21 des Einigungsvertrages von 1990 und im Aufenthalts- und Abzugsvertrag/AAV zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland verbrieft.

Wittstock-Pläne der Bundeswehr

Nach dem Willen der Bundeswehr sollte auf dem 142 km2 großen Gelände das größte Manövergelände Europas entstehen.(2) Die Bundeswehr wollte nach eigenen Angaben auf dem Gelände jährlich etwa 3.000 Tiefflüge üben.(3) Auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag vom 8.12.00 über die Planung weiterer Nutzungsarten des Übungsplatzes heißt es: "Gemäß Truppenübungsplatznutzungskonzept in der Fassung vom 30. März 1998 ist der Truppenübungsplatz Wittstock vorrangig vorgesehen für die Nutzung als Luft/Boden-Schießplatz der Luftwaffe und zu etwa 30% als Übungsgelände für Heer und Luftwaffe im Gefechtsdienst und für Gefechtsübungen einschließlich gepanzerter Truppenteile ohne Einsatz von Übungs-/Gefechtsmunition bis Batallionsebene. Dies schließt den Einsatz von Panzern, Artillerie, Hubschraubern und Flugabwehrraketenverbänden ohne scharfen Schuß ein."(4)

Das ehemalige Wehrmachtsgelände war 1950 von der Sowjetunion beschlagnahmt und über die Jahre erweitert worden. Es diente der Roten Armee bis 1990 als Luft-Boden-Schießplatz und als Truppenübungsplatz. Auf dem Übungsplatz, der ursprünglich als Panzer- und Artillerieübungsplatz genutzt wurde, waren bis zu 8.000 Soldaten stationiert.(5) Es wurden bis zu 24.000 Flugeinsätze jährlich geflogen.(6) Nachdem 1993 die russischen Truppen abgezogen waren, kam es im Januar 1994 zu den ersten Flugübungen von Tornados der Bundeswehr.(7) Am 14. Januar 1994 hatte der Bundestag in einer namentlichen Abstimmung die weitere militärische Nutzung des Geländes durch die Bundeswehr beschlossen.(8)

Das Urteil

Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes wurde nun der Bundeswehr die Nutzung ohne entsprechendes Planfeststellungsverfahren untersagt. In der mündlichen Begründung hieß es, daß im Fall der Kyritzer Heide die "materiell-rechtlichen" Belange der von dem Truppenübungsplatz betroffenen Gemeinden gröblich mißachtet wurden. Der Richter verwies darauf, daß es weder eine angemessene Anhörung der Betroffenen noch eine nachvollziehbare Lastenerwägung zwischen den Interessen der Bundeswehr und den Belastungen der Anwohner gegeben hätte. Gleichzeitig wurde aber das im Einigungsvertrag festgeschriebene Recht, die Liegenschaften der ehemaligen Sowjetischen Streitkräfte in der DDR fortführen zu dürfen, bestätigt. Mit dieser Entscheidung ist das Bundesverwaltungsgericht zum gleichen Entschluß gelangt wie das Oberverwaltungsgericht - allerdings mit einer anderen Begründung.

Jahrelanges Planfeststellungsverfahren oder zivile Nutzung?

Für die Bundeswehr sind nun die rechtlichen Möglichkeiten, dies Urteil anzufechten, ausgeschöpft. Es besteht noch die Möglichkeit, daß das Verfahren für die Nutzung als Truppenübungsplatz in korrigierter Weise nachgeholt wird. Dieses Verfahren würde sich über mehrere Jahre hinziehen und wurde deshalb von Rechtsanwalt Rainer Geulen, dem Rechtsanwalt der klagenden Gemeinden Rossow und Schweinrich, als "äußerst unrealistisch" ausgeschlossen. Er forderte im Anschluß an die Verhandlung die Bundeswehr auf, bis zum 23. Dezember 2000 das Gelände zu räumen. Eine entsprechende Aufforderung stellte er am folgenden Tag dem Bundesministerium für Verteidigung zu.(9) Verteidigungsminister Rudolf Scharping sieht allerdings keine Notwendigkeit das Gelände zu räumen. 1994 hatte er noch an der Protestwanderung gegen die weitere militärische Nutzung des Geländes teilgenommen(10) und der Bürgerinitiative "Freie Heide"(11) zugesagt, daß es bei einem Regierungswechsel zu einer Beendigung der militärischen Nutzung kommen würde.(12) Eine Sprecherin seines Ministeriums erklärte nun: "Von Räumung war in dem Verfahren überhaupt keine Rede. Bevor wir irgend etwas in der Angelegenheit tun, warten wir erst einmal die schriftliche Urteilsbegründung ab."(13) Sollte die Bundeswehr nicht freiwillig abziehen, verwies Geulen auf die Möglichkeit der Zwangsvollstreckung des Urteils.

Von Seiten der betroffenen Gemeinden hieß es, daß sie nun zügig beginnen werden, ihre wiedergewonnene Planungshoheit zu nutzen, um das Gelände einer dauerhaften zivilen Nutzung zuzuführen. Landrat Christian Gilde nannte als Ziele den Aufbau eines Windparks und den sanften Tourismus.(14) Die Bürgerinitiative "Freie Heide" zeigte sich trotz des juristischen Sieges skeptisch. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bezieht sich nur auf einen Formfehler der Bundeswehr, nicht generell auf die Aspekte, die gegen den Truppenübungsplatz als solches sprechen. Die Folgen für die Umwelt und die Belastungen für die AnwohnerInnen wurden in die Urteilsbegründung aufgenommen. Der Prozeßkostenfond soll daher erst einmal bestehen bleiben, um gegen eventuelle Auseinandersetzung gewappnet zu sein. Auf den traditionellen Neujahrsmarsch unter dem Motto "Für eine Freie Heide" wurde nicht verzichtet. Und auch im diesen Jahr soll es wieder einen Ostermarsch für eine "Freie Heide" geben. mau

Anmerkungen:
(1) Märkische Allgemeine Zeitung/MAZ 15.12.00
(2) AP-Meldung vom 21.12.00
(3) Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion, Luft-Boden-Schießplatz Wittstock, BT-Drs. 14/4962, 11.12.2000, S.2f. sowie Anlage 1
(4) BT-Drs. 14/4962, a.a.O., 7f.
(5) taz 9.4.98
(6) Junge Welt 17.11.00
(7) Vgl. Stefan Gose: Luft-Boden-Schießplätze in Wissenschaft und Frieden 3/94
(8) Vgl. Waldemar Dosse: Bombenabwurfplatz oder FREIe HEIDe? in Mutlangen Rundbrief # 28 (Juni 1993), ami 3/94, S. 35f.
(9) Vgl. Junge Welt 15.12.00
(10) taz 15.1.99
(11) Die Bürgerinitiative Freie Heide wurde im August / September 1992 gegründet als die Pläne für die weitere Nutzung des Truppenübungsplatzes durch die Bundeswehr bekannt wurden. Seit dem organisiert sie regelmäßig Protestwanderungen. Alleine 25 Protestmärsche fanden in den ersten anderthalb Jahren des Bestehens der BI statt. Im Jahr 1995 übergab die BI 22.400 Unterschriften an den Landtag Brandenburg für ein Volksbegehren gegen das "Bombodrom". Im folgendem Jahr fand in der Wittstocker Heide der größte Ostermarsch der Friedensbewegung mit rund 6.000 TeilnehmerInnen statt. Auch im diesen Jahr soll es wieder einen Ostermarsch für eine "Freie Heide" geben.
(12) taz 29.10.98
(13) AP-Meldung vom 21.12.00
(14) Junge Welt 15.12.00
 

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