Dokumentation:
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
- Auszüge -
Inhaltsverzeichnis

Plenarprotokoll 13/248
Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
248. Sitzung
Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1998

I n h a l t :

Nachträgliche Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abgeordneten Dr.
Liesel Hartenstein, Alois Graf von Waldburg-Zeil und Dr. Gerhard
Stoltenberg 23127 B-C
Tagesordnungspunkt 1:
Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung 23127 C
in Verbindung mit
Tagesordnungspunkt 2:
Antrag der Bundesregierung
Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten begrenzten und in
Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären
Katastrophe im Kosovo-Konflikt (Drucksache 13/11469) 23127 C
Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 23127 D
Dr. Karl-Heinz Hornhues CDU/CSU 23131 C
Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD 23132 D
Volker Rühe, Bundesminister BMVg 23133 D
Gerhard Schröder, Ministerpräsident (Niedersachsen) 23135 C
Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 23138 C
Dr. R. Werner Schuster SPD 23140 A
Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23141 A
Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P. 23143 A
Dr. Gregor Gysi PDS 23145 A
Rudolf Scharping SPD 23147 B
Michael Glos CDU/CSU 23150 A
Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23151 D
Ulrich Irmer F.D.P. 23152 D
Günter Verheugen SPD 23153 C
Dr. Christian Schwarz-Schilling CDU/CSU 23155 B
Gernot Erler SPD 23156 A
Kurt J. Rossmanith CDU/CSU 23157 B
Kurt Neumann (Berlin) fraktionslos 23158 A
Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. (Erklärung nach § 31 GO) 23159 C
Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach § 31 GO) 23160 A
Namentliche Abstimmung 23161 A
Ergebnis 23161 B
Ja
Nein
Enthaltungen
Nächste Sitzung 23163 D
Berichtigung 23163
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten 23165* A
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag der
Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten
begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperatio-
nen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
Michael Müller (Düsseldorf) SPD 23166* B
Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln) BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN 23166* C
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD 23168* A
Dr. Eberhardt Brecht SPD 23168* A
Gerald Häfner und Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
23168* C
Birgit Homburger und Jörg van Essen F.D.P. 23169* A
Reiner Krziskewitz CDU/CSU 23169* B
Volker Kröning SPD 23169* C
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Konrad Gilges, Uwe Hiksch,
Berthold Wittich, Christa Lörcher, Adolf Ostertag, Dr. Christine Lucyga,
Marlene Rupprecht, Klaus Barthel, Dr. Marliese Dobberthien, Heinz
Schmitt (Berg), Waltraud Lehn, Otto Reschke, Peter Dreßen, Detlev von
Larcher (alle SPD) und Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos) zur
Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an
den von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden
Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Koso-vo-
Konflikt 23170* A
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gernot Erler, Dr. Konstanze
Wegner, Dr. Edith Niehuis, Ingrid Holzhüter, Iris Gleicke, Günter Graf
(Friesoythe), Siegfried Scheffler, Ursula Mogg, Hanna Wolf (München),
Annette Faße, Hans-Peter Kemper, Monika Heubaum, Gisela Schröter, Dr.
Barbara Hendricks, Hans-Werner Bertl, Ulla Schmidt (Aachen), Hans-
Eberhard Urbaniak, Matthias Weisheit, Wolfgang Behrendt, Friedhelm
Julius Beucher, Hermann Bachmaier, Arne Fuhrmann, Elke Ferner, Angelika
Mertens, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Dr. Edelbert Richter, Günter Gloser,
Marion Caspers-Merk, Hans Büttner (Ingolstadt), Regina Schmidt-Zadel,
Dagmar Schmidt (Meschede), Dieter Maaß (Herne), Wolfgang Weiermann,
Christel Deichmann, Monika Ganseforth, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast,
Heide Mattischeck, Ludwig Eich, Rudolf Bindig, Karin Rehbock-Zureich,
Ulrike Mehl, Ulrike Mascher, Eckart Kuhlwein, Marianne Klappert, Horst
Kubatschka, Helga Kühn-Mengel, Barbara Imhof, Robert Weidinger, Albrecht
Papenroth, Uta Zapf, Herbert Meißner, Uta Titze-Stecher, Jelena Hoffmann
(Chemnitz), Gabriele Iwersen, Jörg Tauss, Adelheid Tröscher, Dieter
Schanz, Lydia Westrich, Dr. R. Werner Schuster, Eva Folta, Nicolette
Kressl, Angelika Graf (Rosenheim) (alle SPD) zur Abstimmung über den
Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den von der NATO
geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur
Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt 23170* C
Anlage 5
Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag der
Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten
begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung
einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
Dr. Helmut Lippelt, Ulrike Höfken, Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Antje
Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23172* B
Dr. Winfried Wolf PDS 23172* D
Rolf Köhne PDS 23173* B
Klaus-Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/CSU 23173* C
Freimut Duve SPD 23173* C
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23173* D
Anlage 6
Amtliche Mitteilungen 23174* B


Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23127

248. Sitzung
Bonn, Freitag, den 16. Oktober 1998
Beginn: 10.00 Uhr
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet.
Wir sind im Wasserwerk, weil im Plenarsaal die Umbauarbeiten andauern.
Aber ich verschweige Ihnen nicht: Ich finde es schön, daß wir uns noch
einmal im Wasserwerk zusammengefunden haben.
(Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Mit Schreiben vom 12. Oktober 1998 hat mich der Herr Bundeskanzler
gebeten, für Freitag, den 16. Oktober 1998, eine Sitzung des 13.
Deutschen Bundestages einzuberufen, um eine Beschlußfassung zu dem
Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung an den von der NATO
geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur
Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
herbeizuführen. Ich habe in Übereinstimmung mit den Fraktionen den noch
bestehenden 13. Deutschen Bundestag gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des
Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages zur heutigen Sitzung einberufen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einigen Kolleginnen
und Kollegen, die in den zurückliegenden Wochen einen runden Geburtstag
feierten, gratulieren:
Der Kollege Dr. Wolfgang Bötsch feierte am 8. September seinen 60.
Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch nachträglich auch von dieser Stelle!
(Beifall)
Die Kollegin Dr. Liesel Hartenstein feierte am 20. September ihren 70.
Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
(Beifall)
Am gleichen Tag beging der Kollege Alois Graf von Waldburg-Zeil seinen
65. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
(Beifall)
Der Kollege Dr. Gerhard Stoltenberg feierte am 29. September seinen 70.
Geburtstag. Auch Ihnen herzlichen Glückwunsch!
(Beifall)
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 und 2 auf:
1. Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
2. Beratung des Antrags der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den
von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden
Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-
Konflikt - Drucksache 13/11469 -
Ich weise darauf hin, daß wir nach der Aussprache über den Antrag der
Bundesregierung namentlich abstimmen werden. Die Fächer mit Ihren
Abstimmungskarten befinden sich in der Eingangshalle vor dem
Ersatzplenarsaal.
Es liegt ein Entschließungsantrag der Gruppe der PDS vor.
(Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Das letzte Mal!)
- Der Gruppe der PDS. Wir sind im 13. Deutschen Bundestag.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im
Anschluß an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 18 Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Bundesminister des
Auswärtigen, Dr. Klaus Kinkel, das Wort.
Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Sondersitzung des Deutschen
Bundestages ist nötig geworden, um eine friedliche Lösung des Kosovo-
Konflikts durchzusetzen. Präsident Milosevic hatte auf die monatelangen
Bemühungen der Staatengemeinschaft um eine politische Lösung nicht
reagiert. Er ist der Hauptverantwortliche für die Tragödie im Kosovo.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
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noch: Bundesminister Dr. Klaus Kinkel

Nachdem alle politischen Bemühungen der Kontaktgruppe, der Europäer,
der Vereinten Nationen und der OSZE erschöpft waren, blieb als letztes
Mittel nur noch die Drohung mit einem militärischen Einsatz. Am 13.
Oktober 1998 hat der NATO-Rat den Einsatzbefehl für begrenzte
Luftoperationen zur Abwendung der humanitären Katastrophe im Kosovo
gegeben. Das Bundeskabinett hatte am 12. Oktober 1998 nach vorheriger
Abstimmung mit Ministerpräsident Schröder und dem Sprecher von Bündnis
90/Die Grünen, Herrn Fischer, die Zustimmung zu diesem Beschluß des
NATO-Rates autorisiert. Heute geht es entsprechend dem Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts um die konstitutive Zustimmung des Deutschen
Bundestages zu der Entscheidung des Bundeskabinetts.
Auch nach der Übereinkunft zwischen Botschafter Holbrooke und Präsident
Milosevic muß der militärische Druck auf Belgrad aufrechterhalten
bleiben. Das war auch gestern die klare Haltung der Kontaktgruppe
einschließlich der Russen in Paris. Deshalb bitte ich Sie im Namen der
Bundesregierung um Zustimmung zu dem Beschluß des Bundeskabinetts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den vergangenen Monaten
mit unseren Partnern in der Kontaktgruppe, in der NATO, in den Vereinten
Nationen, in der Europäischen Union und in der OSZE wirklich alles
versucht, um Milosevic zu einer friedlichen Lösung des Konflikts im
Kosovo zu bewegen. Dabei war gerade auch für mich selber die
Einbeziehung Rußlands in die Kontaktgruppe von zentraler Bedeutung, weil
nur mit Rußland, nicht ohne Rußland eine dauerhafte Lösung des Kosovo-
Konflikts möglich ist.
Wir haben seit Beginn der Kosovo-Krise keinen Zweifel daran gelassen:
Der Einsatz von Gewalt kommt nur als Ultima ratio in Frage. Aber
Milosevic blieb uneinsichtig - trotz aller politischen und
diplomatischen Bemühungen. Auch auf den letzten Versuch der
internationalen Staatengemeinschaft um eine politische Lösung, nämlich
die Resolution 1199 des Weltsicherheitsrates vom 23. September 1998, auf
die ich selber sehr stark gedrängt hatte, hat er nicht reagiert. In
dieser Resolution wird von ihm gefordert: die Vereinbarung eines
Waffenstillstands zwischen den Konfliktparteien, die Linderung der
humanitären Notlage, natürlich die Rückkehr der Flüchtlinge und
Vertriebenen und die sofortige Aufnahme von Substanzverhandlungen
zwischen den Konfliktparteien.
Sie alle haben miterlebt, daß sich in den vergangenen Monaten die
humanitäre Lage im Kosovo dramatisch verschlechtert hat. Das brutale
Vorgehen der serbischen Militärkräfte, der paramilitärischen Kräfte und
der Polizei hat Hunderttausende ins Flüchtlingselend gestürzt und hat
Hunderte von Menschen das Leben gekostet. Zehntausende Menschen haben
sich aus Angst vor den serbischen Sicherheitskräften in die Wälder des
Kosovo geflüchtet. Die über 290 000 Flüchtlinge und Binnenvertriebenen
sind ganz zweifellos in einer außerordentlich schwierigen, ich würde
sogar sagen: verzweifelten Lage.
Albanien und Mazedonien, die beiden Nachbarländer - mit die ärmsten
Länder in Europa -, sind mit der Bewältigung des Flüchtlingsproblems
völlig überfordert. Wir müssen, wenn es um die Flüchtlinge geht, auch
die Situation in Montenegro - politisch und tatsächlich - im Auge
behalten.
Deutschland hat bislang von allen westlichen Staaten die meisten
Flüchtlinge aus dem Kosovo aufgenommen. Wenn die Flüchtlinge und die
Binnenvertriebenen nicht bald in ihre Dörfer zurückkehren können -
soweit das nach dem dortigen Zerstörungsgrad möglich ist -, dann wird es
angesichts des bevorstehenden Winters zu einer humanitären Katastrophe
kommen.
Vor diesem Hintergrund und nachdem Milosevic keinerlei Bereitschaft zur
Umsetzung dessen gezeigt hat, was wir ihm in der
Sicherheitsratsresolution auferlegt haben, gab der NATO-Rat dem NATO-
Oberbefehlshaber die Ermächtigung zum Einsatzbefehl für begrenzte
Luftoperationen.
Das Ergebnis der Gespräche zwischen Holbrooke und Milosevic zeigt:
Diese Entscheidung war richtig, und sie war auch notwendig. Erst dieser
höchste Grad der militärischen Drohung hat in Belgrad die Einsicht
bewirkt, den Forderungen des UN-Sicherheitsrates in letzter Minute doch
noch nachzukommen. Das zeigt: Milosevic reagiert offensichtlich - leider
- nur auf militärischen Druck.
(Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS]: Der ist aber verboten, Herr Außenminister!)
Mit den Vereinbarungen zwischen Holbrooke und Milosevic ist eine
politische Lösung des Konflikts im Kosovo in greifbare Nähe gerückt.
Dank an Botschafter Holbrooke für seinen großen Einsatz!
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Milosevic muß jetzt seinen Worten Taten folgen lassen, und die
Sicherheitsratsresolution 1199 muß rasch und vollständig verwirklicht
werden. Diesmal reichen bloße Ankündigungen nicht mehr aus. Präsident
Clinton hat recht: Die Friedhöfe des Balkans sind voll mit gebrochenen
Versprechen und Zusagen von Herrn Milosevic. Ihm darf nicht erlaubt
werden, sein zynisches Katz-und-Maus-Spiel, das er jahrelang auch in
Bosnien gespielt hat, fortzusetzen.
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD)
Weil weiterhin eine humanitäre Katastrophe droht, muß die militärische
Drohung der NATO weiter aufrechterhalten werden, bis wir einen
wasserdichten internationalen Beschluß zur Umsetzung der Einigung
zwischen Holbrooke und Milosevic haben und die Vereinbarungen in die
Praxis umgesetzt werden. Es darf jetzt kein falsches Signal durch
Uneinigkeit oder halbherzige Maßnahmen nach Belgrad ausgesendet werden.
Es geht darum, durch die Drohung mit Gewalt schlimmere Gewalt zu
verhindern. Das war gestern der Tenor in den außerordentlichen
Beratungen des Auswärtigen Ausschusses - außerordentlich deshalb, weil
ich in langen Jahren keine so
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23129

noch: Bundesminister Dr. Klaus Kinkel

verantwortungsvoll geführte Debatte im Auswärtigen Ausschuß erlebt
habe.
Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß viele, die über die
Notwendigkeit der Gewaltanwendung - zu Recht - nachdenken, vielleicht
vergessen haben, daß auch wir in Deutschland nicht selbst in der Lage
waren, uns vom Tyrannen zu befreien, sondern durch Gewalt anderer vom
Tyrannen befreit worden sind.
Die Fortschritte der vergangenen Tage konnten wir nur erreichen, weil
Holbrooke mit glaubhaftem militärischen Druck im Rücken verhandelt hat.
Wir werden diesen Druck auch in der Zukunft brauchen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die NATO, also 16 demokratische Länder
mit rechtsstaatlichen Traditionen, die sich in ihrer rechtsstaatlichen
Tradition nun wirklich messen können, hat die rechtlichen Grundlagen für
die Entscheidung zur Entsendung und zum eventuellen Einsatz von Truppen
sorgfältig und gewissenhaft geprüft. Nachdem sich beim
Kontaktgruppentreffen letzte Woche in London gezeigt hatte, daß es keine
neue Sicherheitsratsresolution geben würde - das hat gestern der
russische Außenminister Iwanow bei dem Kontaktgruppentreffen in Paris
nochmals ausdrücklich bestätigt -, hat Generalsekretär Solana das
Ergebnis der Beratungen im NATO-Rat am 9. Oktober so zusammengefaßt:
Die Bundesrepublik Jugoslawien hat die dringlichen Forderungen der
Internationalen Gemeinschaft trotz der auf Kapitel VII der VN-Charta
gestützten Resolutionen des VN-Sicherheitsrates 1160 vom 31. März 1998
und 1199 vom 23. September 1998 noch nicht erfüllt.
Der eindeutige Bericht des VN-Generalsekretärs zu den beiden
Resolutionen hat u. a. vor der Gefahr einer humanitären Katastrophe im
Kosovo gewarnt.
Die humanitäre Notlage hält wegen der Weigerung der Bundesrepublik
Jugoslawien, Maßnahmen zu einer friedlichen Lösung zu ergreifen,
unvermindert an.
In absehbarer Zeit ist keine weitere Resolution des VN-Sicherheitsrates
zu erwarten, die Zwangsmaßnahmen mit Blick auf den Kosovo enthält.
Die Resolution 1199 des VN-Sicherheitsrates stellt unmißverständlich
fest, daß das Ausmaß der Verschlechterung der Lage im Kosovo eine
ernsthafte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in der Region darstellt.
Unter diesen außergewöhnlichen Umständen der gegenwärtigen Krisenlage im
Kosovo, wie sie in der Resolution des VN-Sicherheitsrates 1199
beschrieben ist, ist die Drohung mit und gegebenenfalls der Einsatz von
Gewalt durch die NATO gerechtfertigt.
Die Bundesregierung teilt diese Rechtsauffassung mit allen anderen 15
NATO-Partnern. Mit ihrem Beschluß hat die NATO kein neues
Rechtsinstrument geschaffen und auch nicht schaffen wollen, das eine
Generalvollmacht der NATO für Interventionen begründen könnte. Der
Beschluß der NATO darf nicht zum Präzedenzfall werden. Wir dürfen nicht
auf eine schiefe Bahn kommen, was das Gewaltmonopol des Sicherheitsrates
anbelangt.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber im Kosovo liegt eine akute humanitäre Notsituation großen Umfangs
vor, die sofortiges Handeln erfordert. Die Verhandlungsmöglichkeiten
sind erschöpft, der Einsatz von Gewalt ist Ultima ratio. Die gesamte
Staatengemeinschaft hat das Verhalten der Belgrader Führung mit der
Sicherheitsratsresolution 1199 und durch den Bericht des UN-
Generalsekretärs scharf verurteilt. Deshalb muß man sagen, daß die
Drohung mit dem militärischen Einsatz schließlich auf die Verwirklichung
der einstimmig gefaßten Sicherheitsratsresolution hinzielt. Sie soll
verhindern, daß die humanitäre Katastrophe eintritt und daß es zu einer
weiteren Destabilisierung der Lage im und um den Kosovo kommt.
Ich habe es auch mir selber nicht einfach gemacht - wenn ich das
hinzufügen darf -, was die rechtliche Absicherung dessen betrifft, was
von der NATO angeordnet worden ist; die Kolleginnen und Kollegen hier im
Haus kennen meine Auffassung ja. Ich glaube aber nach eingehender
Prüfung, daß der Weg, der von den 16 NATO-Partnern jetzt begangen worden
ist, rechtlich vertretbar ist.
Deutschland darf nicht abseits stehen, wenn das Bündnis die sich
abzeichnende humanitäre Katastrophe in dieser außergewöhnlichen Lage
notfalls durch den Einsatz von Streitkräften zu verhindern sucht. Ohne
die Zustimmung aller NATO-Partner, also auch Deutschlands, wäre es nicht
zum Einsatzbefehl der NATO gekommen, weil wir Einstimmigkeit brauchen.
Ohne diesen Einsatzbefehl hätten wir heute nicht die Übereinkunft
zwischen Holbrooke und Milosevic. Das ist die klare Auffassung derer,
die Verantwortung tragen. Das war auch gestern eindeutig die Meinung
insbesondere der Vereinigten Staaten, die ja die beiden Hauptverhandler
Holbrooke und Hill gestellt haben.
Es geht schließlich um die europäische Friedensverantwortung
Deutschlands und um unsere Verläßlichkeit im Bündnis. Unsere Partner
müssen sich auf die Solidarität des vereinten Deutschlands verlassen
können, so wie wir uns über Jahrzehnte auf die NATO in anderer Beziehung
verlassen konnten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die NATO ist auf die Flugzeuge der Bundeswehr und die Mitwirkung des
deutschen Personals in den integrierten Stäben und bei der
Luftraumüberwachung angewiesen. Wir müssen mit unserer
Integrationsbereitschaft, die wir hier im Deutschen Bundestag in der
Vergangenheit beschlossen haben, eben auch bündnisfähig bleiben. Ohne
die Tornados der Bundeswehr und unsere Beteiligung an den Awacs-
Aufklärungsflügen wäre ein Einsatz für unsere Partner mit einem ungleich
höheren Risiko verbunden. Das weiß auch Milosevic. Wenn wir uns nicht
beteiligen, sinkt die Glaubwürdigkeit des militärischen Be
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23130

noch: Bundesminister Dr. Klaus Kinkel

drohungspotentials. Das wäre eindeutig das falsche Signal an Belgrad.
Meine Damen und Herren, die Umsetzung der jetzt geschlossenen
Vereinbarungen stellt die NATO, die OSZE und natürlich auch die
Vereinten Nationen vor große Herausforderungen. Milosevic muß wissen:
Die Staatengemeinschaft wird die Verwirklichung der Abkommen genauestens
beobachten; die Vereinbarungen, die getroffen worden sind, werden das
ermöglichen. Der Weltsicherheitsrat wird die Vereinbarungen mit der OSZE
und mit der NATO sowie die Zusicherungen zur Selbstverwaltung in einer
Resolution des Sicherheitsrates auf der Grundlage des Kapitels VII der
Charta festschreiben. Damit bleibt der Weltsicherheitsrat Herr des
Verfahrens.
Wir streben eine Resolution an, die auch hinsichtlich möglicher
Zwangsmaßnahmen klare Regelungen vorsieht. Das ist natürlich ganz
wichtig im Hinblick auf die "activation order" der NATO. Das war
gestern auch Hauptgegenstand der Gespräche der Kontaktgruppe, weil da
natürlich eine Verbindung besteht, die leicht nachvollziehbar ist.
Ohne die NATO wird es auch in Zukunft nicht gehen. Sie wird für die
Flankierung einer friedlichen Regelung durch ein Luftüberwachungssystem
sorgen. Ein entsprechendes Abkommen ist bereits gestern von
Generalsekretär Solana in Belgrad unterschrieben worden. Auch bei der
militärischen Luftüberwachung sollten so weit wie möglich Rußland und
andere Partner einbezogen werden.
Die OSZE steht mit der Überwachung der Umsetzung der
Sicherheitsratsresolution vor einer gewaltigen Herausforderung. Das
Abkommen zwischen Milosevic und Holbrooke sieht die Entsendung von etwa
2 000 Mann in einer nicht bewaffneten Mission vor. Der OSZE-Vorsitzende,
der polnische Außenminister Geremek, ist gestern unmittelbar von Paris
nach Belgrad gereist und wird das vereinbarte Abkommen mit Milosevic so
schnell wie möglich unterzeichnen. Wir unterstützen ihn dabei.
Schon heute ist klar: Die internationale Gemeinschaft wird sich auf ein
längeres Engagement im Kosovo einstellen müssen. Praktisch geht es für
die OSZE um die Mitwirkung bei der Flüchtlingsrückkehr, um die
Durchführung und Überwachung der Wahlen, um die Überwachung der
serbischen Polizei im Kosovo sowie um die Überwachung des
Waffenstillstands. Wir treten dafür ein, daß sich Deutschland personell
maßgeblich beteiligt, das heißt mit zirka 150 bis 200 Personen.
Ich danke ausdrücklich dem Haushaltsausschuß, daß er, was die
Finanzierung des deutschen Beitrags zur OSZE-Mission angeht,
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Nur der Mehrheit des Haushaltsausschusses,
nicht allen!)
mit breiter Mehrheit die Notwendigkeit anerkannt hat, für den Einzelplan
05 außerplanmäßige Mittel zur Verfügung zu stellen.
Ich habe beim Kontaktgruppentreffen gestern in Paris besonders stark
darauf gedrängt, daß der Schutz der OSZE-Missionsteilnehmer durch eine
schnelle Eingreiftruppe der NATO von jenseits der jugoslawischen Grenze
gewährleistet wird. Bei Übergriffen auf OSZE-Angehörige - dieses Thema
hat gestern im Auswärtigen Ausschuß eine nicht ganz kleine Rolle
gespielt - würde im übrigen über Art. 51 der UNO-Satzung die
Rechtsgrundlage für eine unmittelbare Reaktion der NATO bzw. derer, die
zur Selbstverteidigung beitragen, vorliegen. Wir dürfen nie wieder
Soldaten oder OSZE-Angehörigen das zumuten, was in der Vergangenheit den
UNO-Truppen in Bosnien widerfahren ist - nie wieder.
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Die deutschen Missionsmitglieder sollten im wesentlichen aus zivilen
Experten bestehen. Wie andere EU-Partner müssen natürlich auch wir
prüfen, ob wir eventuell Soldaten der Bundeswehr in Zivil und
unbewaffnet entsenden, was vor allem die Briten tun werden. Von
besonderer Bedeutung wird die Stellung von aktivem Polizeipersonal aus
Bund und Ländern sein.
Als künftige EU-Präsidentschaft werden wir dem Profil der EU in der
Mission besondere Aufmerksamkeit schenken müssen, weil es natürlich
interessant sein wird, wer diese Mission führt. Die Amerikaner
beanspruchen, die OSZE-Mission zu führen. Wir als Europäer sollten aber
dafür sorgen, daß wir die stellvertretende Führung erhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frieden und Stabilität im Kosovo wird
es auf Dauer nur durch eine umfassende Selbstverwaltung des Kosovo im
Rahmen der bestehenden Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien geben.
Dazu müssen Belgrad und Pristina ihren Beitrag leisten. Deshalb trägt
auch die UCK eine ganz besondere Verantwortung.
(Beifall des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD])
Die Sicherheitsratsresolution 1199 fordert auch von den Kosovo-Albanern,
ihre Ziele friedlich zu verfolgen. Wir begrüßen die jüngsten Erklärungen
der UCK zu einem Ende der Gewalt. Umgekehrt gilt: Wer weiter den Weg der
Gewalt beschreitet, muß mit energischen Maßnahmen der
Staatengemeinschaft rechnen.
Die Kosovo-Albaner müssen wissen: Die Forderung nach Einhaltung ihrer
legitimen Menschen- und Minderheitenrechte darf nicht dazu benutzt
werden, um die bestehenden Grenzen in Frage zu stellen.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir müssen der kosovo-albanischen Seite klar und deutlich sagen, daß das
Ergebnis der Dialogverhandlungen eine weitgehende Selbstverwaltung in
Autonomie, nicht aber Unabhängigkeit sein kann.
Im Grundgesetz bekennt sich das deutsche Volk zu den unverletzlichen
und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen
Gesellschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
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noch: Bundesminister Dr. Klaus Kinkel

Diesen Werten ist seit ihrer Gründung auch die Bundeswehr verpflichtet.
Rund 3 000 Soldaten der Bundeswehr wirken derzeit bei der Sicherung von
Frieden und Menschenrechten in Bosnien mit. Mit demselben Ziel werden
sich jetzt Soldaten der Bundeswehr bei dem Engagement der NATO im
Kosovo-Konflikt beteiligen.
Ich war am vergangenen Samstag beim Jagdbombergeschwader 32 der
Bundeswehr in Lager Lechfeld und habe mit zirka 30 Piloten der Tornados
gesprochen, die, wenn es zum Einsatz kommt, dorthin fliegen werden bzw.
Bosnien aus dem unmittelbaren Einsatz kennen. Sie sind, wissend, daß es
ein sehr gefährlicher Einsatz wird - gefährlicher als alles, was bisher
in diesem Kontext von der Bundeswehr unter Mitbeteiligung bewältigt
werden mußte -, bereit, Verantwortung für den Frieden und die
Menschenrechte zu übernehmen. Um dieses hohen Gutes willen würden sie
und die anderen für den möglichen Einsatz vorgesehenen Soldaten ihr
eigenes Leben der Gefahr aussetzen. Dafür verdienen sie und ihre
Familien unsere höchste Anerkennung und die ungeteilte Unterstützung des
Deutschen Bundestages.
(Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kardinal Puljic aus Sarajevo hat
gesagt: "Wer das Böse nicht stoppt, wird schuld am Bösen." Das ist die
Lehre aus Bosnien, aber es ist auch die Lehre - wie ich vorher
angedeutet habe - aus unserer eigenen deutschen Geschichte. Sie gilt
auch für den Kosovo. Dort dürfen wir nicht nur sagen, daß es kein
zweites Bosnien geben darf, sondern wir müssen dafür sorgen, daß es kein
zweites Bosnien gibt.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Gewalt und Vertreibung müssen ein Ende haben. Ohne Frieden im Kosovo
wird der Balkan, wird das ganze Europa keine Ruhe finden. Zu diesem
Europa gehört auch das serbische Volk. Wir wünschen, daß auch ein
freies, ein demokratisches Jugoslawien wieder seinen legitimen Platz in
der europäischen Völkerfamilie findet und dafür die inneren
Voraussetzungen schafft.
Auch die sich verschärfende Unterdrückung der freien Berichterstattung
in Jugoslawien ist nicht hinnehmbar. Die OSZE-Mission - das haben wir
gestern besprochen, Herr Kollege Duve - sollte sich deshalb auch dem
Schutz der Medienfreiheit zuwenden. Ich glaube, daß es ganz wichtig ist,
daß Sie sich bereit erklärt haben, für diesen Auftrag als OSZE-
Medienbeauftragter zur Verfügung zu stehen.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Menschen in Deutschland verstehen: Unser Land darf nicht abseits
stehen, wenn es darum geht, Frieden, Stabilität und Menschenrechte in
unserer unmittelbaren Nachbarschaft zu sichern.
Deutschland stellt sich der Herausforderung, gemeinsam mit seinen
Partnern den Frieden in Europa zu gestalten, auch auf dem Balkan. Ich
bitte Sie nochmals um Ihre Zustimmung zu dem Kabinettsbeschluß.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD
und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Bevor wir zur Aussprache kommen, erteile
ich zunächst den Berichterstattern das Wort. Es beginnt der Kollege Dr.
Karl-Heinz Hornhues.
Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Im Einvernehmen mit meinen Kollegen Vorsitzenden des
Rechts-, des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses will ich einen
kurzen Bericht über die Beratungen geben.
Interfraktionell war vereinbart worden, daß in den genannten
Ausschüssen beraten wird, als ob uns die Regierungsvorlage überwiesen
worden sei. Dies ist gestern geschehen. Wir sind in getrennten Sitzungen
zusammengetreten. In Wahrnehmung des Selbstbefassungsrechtes haben die
genannten Ausschüsse den von der Bundesregierung eingebrachten Antrag
beraten. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses, des
Verteidigungsausschusses und des Rechtsausschusses haben mit großer
Mehrheit dem Antrag auf Drucksache 13/11469 zugestimmt. Dem Auswärtigen
Ausschuß als federführendem Ausschuß sind die Voten der anderen
beteiligten Ausschüsse vor seiner Beratung zugegangen. In Kenntnis der
Empfehlungen der genannten Ausschüsse, die sich im Kern auf die Beratung
der ihnen besonders obliegenden Pflichten bezogen haben, hat der
Auswärtige Ausschuß wie folgt abgestimmt: Wir im Auswärtigen Ausschuß
haben dem Antrag der Bundesregierung mit den Stimmen der Fraktionen von
CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. gegen eine Stimme der
Gruppe der PDS bei je einer Stimmenthaltung aus den Fraktionen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. - also mit einer sehr großen Mehrheit -
zugestimmt.
Für unsere Beratungen in den Ausschüssen, insbesondere im Auswärtigen
Ausschuß, war es von erheblicher Bedeutung, daß uns dieser Antrag - dies
möchte ich besonders unterstreichen - politisch als eine gemeinsame
Empfehlung von alter und neuer Mehrheit zugeleitet werden konnte. Ich
glaube, dies war ein sehr guter Stil, für den ich mich jedenfalls im
Namen meiner Kollegen ausdrücklich bedanken möchte. Er hat uns das ganze
schwierige Problem sichtlich erleichtert.
In der Vergangenheit der Beratungen war für uns auch von großer
Bedeutung, daß wir über die Zeiten hinweg - der Außenminister hat dies
angedeutet - mit der Bundesregierung, mit dem Außenminister im
besonderen und mit dem Verteidigungsminister seit Jahren die Frage
Kosovo und alle Entwicklungen dieser Region nicht nur detailliert,
sorgfältig diskutiert und beraten haben und über alles informiert
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23132

noch: Dr. Karl-Heinz Hornhues

worden sind, sondern auch, daß wir unsererseits, so gut wir konnten, in
Wahrnehmung der Pflicht, die ein Ausschuß hat, stellvertretend für die
Kollegen dieses Hohen Hauses versucht haben, die Regierung zu
unterstützen und auch unseren Rat und unsere Meinung konstruktiv
einzubringen. Das heißt, für unsere Beratungen war es von großer
Wichtigkeit, daß dieser permanente Prozeß des Miteinanders in dieser wie
auch in anderen international wichtigen Fragen so eng gehalten werden
konnte und daß wir sicherlich auch von daher zu den
Mehrheitsverhältnissen, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe, in
unserem Ausschuß gekommen sind.
Meine Bitte an dieser Stelle gilt für alle Kollegen des alten
Auswärtigen Ausschusses - ich unterstelle einmal: für die des neuen wird
es ähnlich sein -, daß dieses Miteinander in so wichtigen Fragen, wo
immer es geht, beibehalten wird. Wenn das geschieht, dann kann man auch
in entscheidenden, schweren Fragen entsprechend zusammenstehen.
Die Schwere der Entscheidung, die heute zu treffen ist, ist vom
Außenminister angesprochen worden. Sie hat immer in besonderer Weise die
Beratungen unseres Ausschusses, aber auch die der anderen Ausschüsse
gekennzeichnet, nicht wegen der sicherlich gewichtigen Probleme über
Rechtsgrundlagen oder über andere wichtige Fragen, sondern vor allen
Dingen, weil wir uns immer mit der bitteren Erkenntnis beschäftigen
mußten, daß letztendlich ohne die glaubwürdige Androhung von Gewalt in
dieser Region - heute geht es speziell um den Kosovo - offensichtlich
keine Wende zum Besseren, zur Wahrung von Menschenrechten und zur
Abwendung einer humanitären Katastrophe machbar ist. Dies ist keine
vergnügliche Veranstaltung gewesen und wird es, so hoffe ich, wohl nie
werden. Es war immer von größter Problematik und größter Schwere,
darüber zu beraten; denn wir waren uns darüber im klaren, daß das, was
hier in den Schlußbemerkungen des Außenministers eben anklang, die
Realität ist, über die wir abstimmen. Wir schicken im Zweifelsfall
nämlich - in der Regel - junge Männer in einen Einsatz, der ihr Leben
kosten kann, um - daher müssen wir das Ziel definieren - ebendiese
humanitäre Katastrophe abzuwenden. Das ist immer schwierig abzuwägen,
aber man muß genau wissen, was man tut. Das macht auch für mich - wenn
ich diese persönliche Bemerkung hier einflechten darf - die Schwere der
Entscheidung aus. Ich glaube aber - und mit mir die entsprechende
Mehrheit, die sich deutlich abzeichnet -, daß angesichts der Situation
keine Alternative besteht, wenn man die Katastrophe nicht sehenden Auges
hinnehmen will. Dies ist, wie ich glaube, nicht verantwortbar.
Holbrooke zu den unbestreitbaren Erfolgen, die er vor dem Hintergrund
eines glaubwürdigen Druckszenarios erreichen konnte, zu gratulieren,
will ich nicht hintanstehen. Trotzdem glauben ich und die entsprechende
Mehrheit des Ausschusses, daß es notwendig ist, daß heute ein
entsprechender Beschluß gefaßt wird, damit das Schwert - symbolisch
gesprochen - über Milosevic hängenbleibt; denn über viele Jahre hinweg
haben wir die Erfahrung gemacht, daß dies sein muß, wenn Besserung
erreicht werden soll. Deswegen glauben wir nicht den Versprechungen
Milosevics, sondern nur den Taten, also dem, was er tatsächlich tut. Die
entsprechende Mehrheit des Ausschusses hält es daher für notwendig,
jetzt diesen Beschluß in der vorliegenden Fassung zu treffen. Ich
appelliere im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen nachdrücklich an
Milosevic, nun den Worten und Papieren die entsprechenden Taten folgen
zu lassen. Wir bitten nachdrücklich auch die Kosovo-Albaner, in diesen
Prozeß einzusteigen, obwohl sicherlich manches weit von dem entfernt
ist, was sie sich erträumen und vielleicht auch erhoffen durften.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle den
Soldaten danken, die zu diesem Einsatz bereit sind, wenn er denn
notwendig wird. Ich möchte aber gleichzeitig auch den vielen tausend
Soldaten, die inzwischen in Bosnien im Einsatz waren, für das danken,
was sie dort geleistet haben. Mein dringendster Wunsch ist, daß, wenn
der Einsatz doch nötig sein sollte, sie gesund und glücklich
zurückkehren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich fasse zusammen: Wir empfehlen Ihnen, verehrte Kolleginnen und
Kollegen im Deutschen Bundestag, dem Antrag der Bundesregierung
zuzustimmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Kollege Karsten
Voigt.
Karsten D. Voigt (Frankfurt) (SPD): Im Anschluß an den Bericht des
Ausschußvorsitzenden möchte ich im Namen der Mehrheit des Ausschusses
nachdrücklich die Zusammenarbeit zwischen der alten und der neuen
Mehrheit in dieser schwierigen Phase loben, weil damit die
Bundesrepublik Deutschland in jeder Phase außenpolitische
Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Es ist wichtig, daß dieses in Zeiten
möglich ist, in denen Regierung und Opposition wechseln.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)
Es gebührt auch dem bisherigen Kanzler und dem künftigen Kanzler, den
bisherigen und künftigen Ministern, die durch diese Art des
Zusammenwirkens einen Beitrag zur politischen Kultur in Deutschland
geleistet haben, nachdrücklich Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
Für ein Land, das zur Bewältigung solcher militärischer Entscheidungen
erst eine politische Kultur entwickeln muß, ist dieses besonders
wichtig.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23133

noch: Karsten D. Voigt (Frankfurt)

Die Entscheidung war und ist nach Auffassung der Mehrheit nicht nur
erforderlich, um eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu verhindern,
sondern auch, um dort Gewalttaten zu unterbinden, die Chancen für eine
politische Lösung des Kosovo-Problems zu erhöhen und die Ursachen für
Flucht und Vertreibung aus dem Kosovo, die in der Politik Milosevics
liegen, zu beseitigen. Die Aufrechterhaltung der Gewaltdrohung ist
leider weiterhin unabweisbar, um die Umsetzung dieser legitimen
politischen Ziele zu gewährleisten. Die bisherige Politik der NATO
zeichnet sich dadurch aus, daß Ergebnisse bereits zu erkennen sind und
man nicht darüber zu spekulieren braucht oder mit Unterstellungen
arbeiten müßte. Die bisherigen Ergebnisse der Gewaltandrohung zeigen
bereits, daß eine politische Lösung ohne Gewaltanwendung als möglich
erscheint. Es zeichnet sich ab, daß durch eine Beteiligung der OSZE eine
Stärkung ihrer Rolle möglich zu sein scheint - dies ist auch vereinbart
worden -, daß durch die getroffene Vereinbarung die Zusammenarbeit mit
Rußland gestärkt und nicht etwa verringert oder erschwert wird und daß
auf Grund einer neuen UN-Resolution die Vereinten Nationen nicht etwa
geschwächt oder ausgegrenzt werden, sondern daß deren Rolle
unterstrichen wird.
Alle diese Punkte zusammengenommen zeigen nach Auffassung der Mehrheit
im Ausschuß, daß die bisherige Politik richtig war. Ich betone noch
einmal: Man braucht über die Wirkungen dieser Politik nicht zu
spekulieren; denn sie sind zum großen Teil bereits eingetreten. Man
sollte die Politik an ihren erklärten Absichten und ihren bereits heute
erzielten Wirkungen messen und nicht an Unterstellungen oder vermuteten
Risiken.
Eine andere Politik als diejenige, die von der Mehrheit vorgeschlagen
wird, hätte die Bundesrepublik Deutschland innerhalb des Bündnisses und
in Europa isoliert. Sie hätte diejenigen, die Gewalt anwenden, belohnt
und hätte diejenigen, die die UN-Resolution verletzen, ungestraft
gelassen. Deshalb bewährt sich Deutschland heute mit dieser Entscheidung
als europäischer und transatlantischer Partner.
Im Ausschuß selber hat es eine Gegenstimme von der PDS gegeben. Dies
ist nicht überraschend. Für sich allein genommen wäre diese Gegenstimme
in diesem Fall nicht problematisch, wenn sie - lassen Sie mich das
hinzufügen - nicht im Kontext mit anderen Entscheidungen der PDS zu
sehen wäre, und zwar im Zusammenhang mit negativen Entscheidungen gegen
das NATO-Bündnis und die Verträge von Maastricht und Amsterdam.
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!)
Zumindest in diesen Bereichen unterscheidet sich die PDS von anderen
postkommunistischen Parteien in Ungarn, Polen, Slowenien und Slowakei
sowie von den Eurosozialisten in Bulgarien.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In dem Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ist sie - das muß ich
bedauerlicherweise sagen - mehr dem Milieu von vor 1989 verhaftet, als
es andere postkommunistische Parteien sind.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sagen
Sie das doch einmal in Schwerin oder in Magdeburg!)
Zuletzt noch ein Wort an die Serben: Es leben bei uns im Lande mehrere
hunderttausend Serben. Es ist mir ein Anliegen, deutlich zu machen, daß
sich die Politik, die wir heute beschließen, nicht gegen die Serben,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
F.D.P.)
sondern gegen die Politik von Milosevic richtet und daß wir als
Deutsche, als NATO und als Europäische Union ein Interesse daran haben,
mit demokratischen Serben engstens zusammenzuarbeiten. Man muß dies
gerade zu einem solchen Zeitpunkt sagen. Denn angesichts der deutschen
Geschichte - unter anderen, noch schwierigeren Verhältnissen - war es
immer wichtig, zwischen denjenigen zu unterscheiden, die eine für ihr
eigenes Land verhängnisvolle Politik betreiben, und denjenigen im Volk,
die gegen diese Politik sind.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
F.D.P.)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Bundesminister der
Verteidigung, Volker Rühe.
Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute vor ernsten und
weitreichenden Entscheidungen - für die deutsche Außen- und
Sicherheitspolitik, für Frieden und Stabilität auf dem Balkan, aber auch
für die Zukunft der europäischen Sicherheitsordnung. Es ist keine
Übertreibung, wenn ich sage, daß unsere Verbündeten heute auf die
Entscheidung des 13. Deutschen Bundestages schauen. Alle unsere NATO-
Partner - auch die drei künftigen Mitglieder, Polen, Ungarn und
Tschechien -, deren Regierungen und Parlamente haben sich unzweideutig
hinter die geplanten Luftoperationen der NATO gestellt. Sie alle
erwarten ein klares Votum des Deutschen Bundestages.
Auch wenn es erste politische Erfolge auf Grund einer glaubwürdigen
militärischen Abschreckung gibt, muß ich Ihnen für Ihre heutige
Entscheidung sagen: Ein Einsatz auch der deutschen Streitkräfte kann
keinesfalls ausgeschlossen werden. Wenn Sie Ihre Stimme abgeben, müssen
Sie das in dem Bewußtsein tun, daß dieser Einsatz durchgeführt und von
uns abverlangt werden kann.
Im übrigen muß jeder wissen, daß im Zusammenhang mit dem Kosovo weitere
militärische Entscheidungen auf den 14. Deutschen Bundestag zukom
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23134

noch: Bundesminister Volker Rühe

men werden, etwa wenn es darum geht, sicherzustellen, daß
Rettungsoperationen für die 2000 Mitarbeiter der OSZE, die dort als
Beobachter eingesetzt werden, durchgeführt werden können. Dies wird
weitere militärische Entscheidungen schwierigster Natur von uns
verlangen.
Die deutschen Soldaten brauchen für ihre schwierige Mission den
vorbehaltlosen und sichtbaren Rückhalt des deutschen Parlaments. Ich
sage Ihnen als jemand, der viele Jahre als Verteidigungsminister tätig
war: Unterschätzen Sie nicht, was das Votum des Deutschen Bundestages
für unsere Soldaten bedeutet! Hier ist jeder in der Verantwortung; dies
wird in den Familien der Männer sehr wohl zur Kenntnis genommen. Diese
schwierige Situation ist sehr viel leichter zu tragen, wenn man spürt:
Die Vertreter des deutschen Volkes stehen hinter unseren Soldaten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn es zu einem Einsatz kommt, ist dies für die Bundeswehr der
gefährlichste Einsatz, den sie bisher durchgeführt hat. Insbesondere die
ECR-Tornados spielen eine Schlüsselrolle; diese Einsätze sind mit einer
ganz besonderen Gefahr verbunden. Sie sind allerdings unbedingt
erforderlich, um Sicherheit für die Piloten der anderen alliierten
Flugzeuge zu schaffen.
Insgesamt würden mit den dafür vorgesehenen notwendigen Stabs- und
Unterstützungskräften durchschnittlich rund 500 deutsche Soldaten in
diesem Gebiet eingesetzt. Dieser Beitrag ist militärisch notwendig und
bedeutend. Er ist aber mehr als das: Er ist Ausdruck der Solidarität
Deutschlands im Bündnis.
Es war ungeheuer wichtig, daß wir Anfang der Woche die Entscheidung
getroffen haben, in dieser Woche nicht nur die Unterstützung für die
Auslösung des Einsatzbefehls in Brüssel zu geben, sondern auch
sicherzustellen, daß die deutschen Soldaten im Falle eines Eingreifens
an der Seite ihrer Verbündeten stehen.
Was hätte es bedeutet, wenn wir dies nicht getan hätten und heute keine
solche Entscheidung träfen? Wir müßten ausscheiden aus den integrierten
Strukturen, aus den Einsätzen mit den AWACS-Flugzeugen - ein Drittel
aller Soldaten sind deutsche Soldaten -, aus dem NATO-Hauptquartier in
Vicenza, möglicherweise sogar aus den Hauptquartieren der SFOR in
Bosnien, wenn diese im Verlaufe eines Konflikts Aufgaben im Hinblick auf
den Kosovo übernehmen würde.
Dies ist ein Beispiel für die Zukunft; denn wir gehören zu einem
Bündnis im Prinzip Gleichgesinnter, einem Bündnis, das sich integrierte
Strukturen geschaffen hat, gewollte gegenseitige Abhängigkeiten, wie es
sie nie zuvor in der Militärgeschichte gegeben hat, wie es sie nirgendwo
anders auf der Welt gibt. Daraus - das muß jeder wissen - ergeben sich
auch Verpflichtungen: In einer schwierigen Situation darf Deutschland
diese integrierten Strukturen niemals lahmlegen. Das muß man wissen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich kann dem, was Karsten Voigt im Hinblick auf die Zusammenarbeit
zwischen den Vertretern der neuen und der alten Mehrheit gesagt hat, nur
zustimmen. Diese war ganz wichtig. Deutschland hat in dieser Woche
gezeigt: Es ist voll handlungsfähig. Stellen Sie sich einmal vor, wir
hätten dies nicht getan! Wenn die Woche dann so verlaufen wäre wie
jetzt, mit den ersten politischen Erfolgen, wären diese ohne einen
deutschen Beitrag zu einer glaubwürdigen militärischen Abschreckung
erreicht worden. Wenn die Woche anders verlaufen und es schon zu einem
militärischen Konflikt gekommen wäre, dann wären unsere Soldaten aus der
Solidarität ausgestiegen. Deswegen meine volle Unterstützung: Es ist
beispielhaft, wie hier die neue und die alte Mehrheit zusammengearbeitet
haben, um Deutschland in einer schwierigen Situation voll handlungsfähig
zu halten.
Der Außenminister hat geschildert: Die NATO hat es sich nicht
leichtgemacht. Es geht aber um die Abwehr einer humanitären Katastrophe.
Ich sage Ihnen: Es darf keinen Freibrief für den Einsatz von Panzern und
Artillerie gegen die eigene Bevölkerung geben. Gewalt darf sich in
Europa nicht auszahlen. Wir würden das Gesicht Europas auf Dauer
verschandeln, wenn wir uns dies anschauten, ohne zu handeln. Darum geht
es.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Man kann auch sagen: Wenn wir diese schrecklichen Szenen als
Fernsehzuschauer in Westeuropa einfach konsumieren würden, ohne zu
handeln, dann würden wir letztlich mit einer rostigen Rasierklinge unser
Gesicht zerschneiden und unser eigenes Gesicht entstellen. Es geht um
die Situation dort vor Ort; es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit
unseres Handelns in dieser Situation.
Ich möchte an die Debatte, die wir 1995 im Deutschen Bundestag geführt
haben, und an die Auseinandersetzung mit den Grünen in der damaligen
Situation erinnern. Ich habe damals gesagt: Es gibt genug Beispiele in
der Geschichte, die zeigen: Es kann unmoralisch sein, Soldaten
einzusetzen; es gibt aber auch andere Situationen, in denen man sagen
muß, daß es zutiefst unmoralisch ist, Soldaten nicht einzusetzen, wenn
dies die einzige Chance ist, Krieg und Massaker zu stoppen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Damals gab es eine bestimmte Situation; heute gibt es wiederum eine
solche Situation. Es hat sich gezeigt, daß Belgrad nur auf glaubhaften
und massiven Druck reagiert. Erst die unmißverständliche Drohung der
Allianz hat Milosevic zum Einlenken veranlaßt. Dieser Druck muß auch
aufrechterhalten werden. Einmal mehr hat sich erwiesen: Die NATO
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23135

noch: Bundesminister Volker Rühe

und auch Deutschland brauchen einsatzbereite, hochmoderne und flexibel
einsetzbare militärische Mittel. Wenn wir nicht modernste Flugzeuge
hätten und wenn uns nicht zum Beispiel für eine mögliche Verifikation im
Kosovo aus der Luft unbemannte Drohnen zur Verfügung stünden, dann wäre
es unverantwortlich, die Streitkräfte einzusetzen. Deswegen gestatten
Sie mir, daß ich als Verteidigungsminister in dieser aktuellen Situation
sage: Eine moderne, leistungsfähige und gut ausgerüstete Armee darf
nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Deswegen habe ich mit
großer Freude gehört, was der Kollege Scharping gesagt hat - er wird
mein Nachfolger -, daß er eine Garantie für die Bundeswehr in ihren
jetzigen Strukturen abgegeben hat und daß er sich bemühen will, sogar
noch mehr Mittel einzusetzen, damit die Bundeswehr eine moderne Armee
bleibt.
Da heute Koalitionsverhandlungen sind, möchte ich den Vertretern der
Grünen sagen: Was nicht geht, ist, daß Sie unsere Soldaten in
gefährlichste Einsätze schicken und gleichzeitig zu Hause versuchen, an
den Kasernen sozusagen herumzuzündeln und in die Strukturen unserer
Armee zu Hause einzugreifen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird Zeit, daß Sie auf Ihren Platz gehen!)
Jeder muß wissen: Hier liegt eine besondere Verantwortung,
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sitz! Aus! Platz!
Pfui!)
und wir werden diejenigen unterstützen, die unseren Soldaten hier zu
Hause den Rücken stärken, damit wir sie in solche Einsätze schicken
können.
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daß das ein Ende
hat - was für ein Glück! Man kann es nicht mehr hören! - Kerstin Müller
[Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja peinlich!)
Herr Kollege Fischer, ich wende mich jetzt an die künftige
Regierungsfraktion - das werden Sie sich schon noch anhören müssen -:
(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja gern
an den Haushaltsberatungen teilnehmen!)
Wenn man in der Opposition ist, kann man sich enthalten. Aber wenn Sie
in der Regierungsverantwortung sind, dann müssen Sie handeln; dann hilft
Enthalten nicht weiter. Eine Regierung muß entscheiden, auch eine
Regierungsfraktion. Die Moral ist immer ganz konkret. Auch durch
Nichthandeln kann man in einer so schwierigen internationalen Situation
schuldig werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie
heute, einer Beteiligung deutscher Streitkräfte an den geplanten
Luftoperationen der NATO im Kosovo mit breiter Mehrheit hier im
Deutschen Bundestag zuzustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Walter Kolbow
[SPD] und Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD])
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat
der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Gerhard Schröder.
Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) (von Abgeordneten der
SPD mit Beifall begrüßt): Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich will zum eigentlichen Anlaß der Debatte zurückkommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Noch vor wenigen Tagen hatte es den Anschein, als müßte der Deutsche
Bundestag in einer Situation eine schwerwiegende Entscheidung treffen,
die zu dem Zeitpunkt sehr viel angespannter war, als sie jetzt
erscheint. Ich bin heute zuversichtlich, daß es so weit nicht kommen
wird, daß wir militärisch intervenieren müssen. Wenn es nicht so weit
kommt - das muß klar sein -, dann hat das ausschließlich damit zu tun,
daß die NATO auf der Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrates
eine militärische Drohung aufgebaut hat, die buchstäblich in letzter
Minute ihre Wirkung nicht verfehlt hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)
Es besteht jetzt eine realistische Chance, nicht nur die drohende
humanitäre Katastrophe im Kosovo abzuwenden, sondern auch den
eigentlichen politischen Konflikt zu lösen. Diese Chance besteht nicht
zuletzt deshalb - das will ich ausdrücklich feststellen -, weil der
amerikanische Sondergesandte Holbrooke seine Arbeit so vorzüglich
gemacht hat, wie es der Fall war. Auch ich will, mit dem Außenminister
zusammen, ihm dafür ausdrücklich meinen Respekt und meinen Dank sagen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
F.D.P.)
Meine Damen und Herren, der Kosovo-Konflikt beschäftigt den Deutschen
Bundestag, beschäftigt uns, die deutsche Öffentlichkeit, schon seit fast
zehn Jahren. Manchmal ist es gewiß schwer, in internationalen Krisen die
Schuldigen genau zu definieren. Hier ist es, so denke ich, nicht schwer:
Auslöser des Konfliktes ist der damalige serbische, heute jugoslawische
Präsident Milosevic, der im Zuge einer großserbisch-nationalistischen
Politik das Autonomiestatut für den Kosovo aufgehoben hat. Daraus - aus
keinen anderen Umständen heraus; das gilt es klarzumachen - folgte eine
sich steigernde Politik der Unterdrückung der Kosovo-Albaner, jener
Menschen, die
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23136

noch: Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen)

viele Jahre lang mit friedlichen Mitteln versucht haben, den für sie
unerträglichen Zustand zu beenden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte deshalb ausdrücklich die großen Verdienste des Präsidenten
der Kosovo-Albaner, Rugova, würdigen und daran erinnern, daß Ibrahim
Rugova immer wieder, auch hier in Bonn, eindringlich vor der Entwicklung
gewarnt hat - einer Entwicklung, die dann auch tatsächlich eingetreten
ist -: die Radikalisierung eines Teiles der Kosovo-Albaner mit deren
Übergang zu Gewalt. Die letzte schreckliche Konsequenz dieser
jahrelangen Entwicklung erleben wir seit dem Frühjahr dieses Jahres:
Mord, Vertreibung, unsagbares Flüchtlingselend.
Ich denke, man muß sich der gesamten Vorgeschichte sehr bewußt sein.
Wenn es in jüngster Zeit eine schwere Krise gab, die vorhersehbar war,
dann war es diese. Es ist klar, daß wir Europäer und die internationale
Gemeinschaft insgesamt eine solche systematische Verletzung von
Menschenrechten, ein solches Ausmaß von Gewalt nicht hinnehmen dürfen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich habe nachvollzogen, was hier im Deutschen Bundestag dazu
übereinstimmend gesagt worden ist: Wir werden kein zweites Bosnien
zulassen. - Nun müssen wir erkennen, daß die intensiven Bemühungen, zu
einer Verhandlungslösung zu kommen, erfolglos waren und angesichts des
herannahenden Winters das Flüchtlingsproblem in einer humanitären
Katastrophe münden könnte.
Es hat nicht an politischen und diplomatischen Bemühungen gefehlt. Ich
will der amtierenden Bundesregierung ausdrücklich keinen Vorwurf machen.
Sie hat sich im Rahmen der Kontaktgruppe intensiv für diese
Verhandlungen eingesetzt, und das war richtig. Denn wir wissen - auch
das gilt es auszusprechen -, daß unser Land leicht das Ziel einer großen
Flüchtlingsbewegung werden könnte und immer noch werden kann.
Deutschland hat - mir ist wichtig, daß das einmal festgestellt wird -
im Zusammenhang mit der Bosnien-Krise bewiesen, daß es seine humanitäre
Verpflichtung wirklich ernst nimmt. Wir, die Deutschen, haben - das sage
ich auch unseren ausländischen Kritikern - über 300 000 Flüchtlinge aus
Bosnien aufgenommen, von denen ein großer Teil inzwischen zurückkehren
konnte. Vor allem auf der Ebene der Länder und der Gemeinden sind
inzwischen mehr als 20 Milliarden DM aufgewendet worden, um den
betroffenen Menschen zu helfen. Wir sind nicht hartherzig, wenn wir
sagen, daß auch wir überfordert werden können. Darum haben gerade wir
ein vitales Interesse an Frieden und Stabilität, auch und gerade auf dem
Balkan.
Ich sage das sehr betont, weil sich ja die Frage anschließt, was wir
zur Abwendung einer großen Fluchtbewegung und zur Vermeidung einer
humanitären Katastrophe zu tun bereit sind.
Schon bei der Begegnung mit dem amerikanischen Präsidenten Anfang
August dieses Jahres stimmten wir darin überein, daß Milosevic eine
leicht zu durchschauende Taktik verfolgt: Er testet immer wieder, wie
weit er gehen kann, ohne auf ernsthaften Widerstand der internationalen
Gemeinschaft zu stoßen. Wenn der Druck zu stark wird, gibt er scheinbar
ein wenig nach, um beim Nachlassen des Druckes sein Spiel fortzusetzen.
Deshalb war es richtig und nötig, die Bemühungen um eine politische
Lösung mit einer glaubwürdigen Drohung zu verbinden. Und das, meine
Damen und Herren, bleibt weiter nötig. Deswegen werbe ich für die
Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung.
Wir sind - auch das, denke ich, gehört ausgesprochen - Anfang dieser
Woche in eine sehr schwierige Entscheidungssituation gekommen. Der
amerikanische Sondergesandte ließ mich - auch die amtierende Regierung -
wissen, daß Milosevic sich offenbar an die Hoffnung klammerte, das
Bündnis würde wegen der politischen Übergangssituation in Deutschland
nicht handlungsfähig sein. Ich halte es in Übereinstimmung mit der
amerikanischen und anderen Regierungen nicht für einen Zufall, daß
Milosevic zum Nachgeben erst dann bereit war, als ihm klar wurde, daß
die internationale Handlungsfähigkeit Deutschlands nicht eingeschränkt
ist und die NATO in der Lage war, ihre militärische Drohung
uneingeschränkt wahrzumachen - uneingeschränkt, das heißt: unter
Mitwirkung der Streitkräfte.
Ich sage es ausdrücklich auch hier noch einmal: Ich bin Bundeskanzler
Helmut Kohl dankbar dafür, in welcher Atmosphäre wir diese Gespräche
führen konnten. Es war über den Tag hinaus wichtig, denke ich, zu
zeigen, daß die demokratischen Kräfte unseres Landes zu
verantwortungsvollem Handeln fähig sind, auch dann, wenn wir uns mitten
in einem Regierungswechsel befinden.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Die Bundesregierung hatte völlig unbestritten das Recht, allein zu
handeln. Daß wir das zusammen getan haben, ist, glaube ich, ein Zuwachs
an demokratischer Kultur.
Ich werbe - ich sage das noch einmal - um Zustimmung des Deutschen
Bundestages für den Antrag der Bundesregierung. Die Entscheidung fällt
mir nicht leicht, meine Damen und Herren, so wie auch keinem Mitglied
dieses Hauses die Entscheidung in dieser Frage leichtfallen kann.
Immerhin mußten wir am Montag noch davon ausgehen, daß wenigstens der
erste Schritt der angestrebten NATO-Maßnahmen tatsächlich erfolgen
würde, also ein Angriff auf eine beschränkte Zahl militärischer Ziele im
Kosovo und in Serbien unter Beteiligung deutscher Streitkräfte. Das, so
denke ich, hat sich niemand in diesem Hohen Hause gewünscht. Aber auf
der anderen Seite gilt auch, daß wir unserer Verantwortung nicht
ausweichen können und daß klar sein muß: Wenn wir diese Entscheidung
nicht fällten, würden die Drohung und die Ziele der Drohung sowie der
bisher erreichte Erfolg in Frage gestellt werden. Deswegen
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23137

noch: Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen)

muß diese Entscheidung mit breiter Mehrheit gefällt werden.
Ich will etwas zu den Dingen sagen, die bedacht werden mußten. Da ist
zunächst die moralische Seite, die viel diskutiert wurde. Es ist gefragt
worden: Warum wird im Kosovo eine humanitäre Katastrophe verhindert und
anderswo nicht? Meine Damen und Herren, ich kann in der Tatsache, daß
wir Katastrophen anderswo nicht verhindern konnten und können, keine
Rechtfertigung dafür erblicken, eine Katastrophe dann auch im Kosovo
geschehen zu lassen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Dann wurde natürlich die Frage gestellt, was ausgerechnet deutsche
Kampfflugzeuge und deutsche Soldaten in dieser Region bedeuten. Auch
hier habe ich einen klaren Standpunkt. Ich denke, die Tatsache, daß
Deutschland unter einer verbrecherischen Führung auf dem Balkan schuldig
geworden ist, erlaubt es dem demokratischen Deutschland von heute nicht,
in diesem Teil Europas Verbrechen geschehen zu lassen - eher umgekehrt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Eine weitere Frage ist die nach den politischen Zielen des angedrohten
Militärschlages. Das Ziel war zunächst sehr eingeschränkt: Es sollten
die Voraussetzungen für die Rückkehr der Flüchtlinge und ihre Versorgung
geschaffen sowie gleichzeitig die politische Lösung des Kosovo-
Konfliktes insgesamt ermöglicht werden. Die inzwischen getroffenen
Vereinbarungen zeigen, daß diese Ziele erreicht werden.
Die Umsetzung des von Holbrooke erreichten Verhandlungsergebnisses wird
uns vor weitere schwierige Aufgaben und Entscheidungen stellen. Zwar
dürfen und müssen wir erleichtert sein, daß es zur militärischen
Gewaltanwendung höchstwahrscheinlich nicht kommen wird; wenn wir sie
aber wirklich ausschließen wollen, müssen wir bereit sein, unseren
Beitrag zur vollen Umsetzung der Vereinbarungen zu leisten. Das wird uns
lange beschäftigen und, meine Damen und Herren, hohen Aufwand verlangen.
Ich sage ausdrücklich: Wir sind dazu bereit; denn Frieden und Stabilität
in diesem Teil Europas sind aller Mühen wert, und wir müssen wissen, daß
sie ihren Preis haben.
Ich hoffe sehr, daß es jetzt gelingen kann, eine neue
Sicherheitsratsresolution mit einem klaren Durchsetzungsmandat zustande
zu bringen. Wir sollten unsere guten Beziehungen zu Rußland nutzen, um
dieses für die Lösung des Balkankonfliktes unverzichtbare große Land zur
Gemeinsamkeit mit der übrigen Kontaktgruppe zu bewegen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Rußland darf und soll nicht von Bemühungen um die Lösung der Kosovo-
Frage ausgeschlossen werden. Mir sind die russischen Bemühungen bekannt,
auf Milosevic positiv einzuwirken, und ich möchte sie ausdrücklich
würdigen.
Eine sehr wichtige Frage betrifft die Rechtsgrundlage der NATO-
Entscheidung. Mir ist bewußt - und ich respektiere das -, daß viele
Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen damit innere Probleme haben.
Diese wird jeder haben müssen, der sich intensiv mit dieser Frage
beschäftigt. Auch mir - ich sage das - wäre ein neues, mit einer klaren
Ermächtigung versehenes UNO-Mandat lieber gewesen. Daß es dieses Mandat
nicht gibt, lag aber nicht an den NATO-Mitgliedern. Gerade mit Rücksicht
auf Rußland und gerade mit Rücksicht auf die Stellung der Vereinten
Nationen war es richtig, die NATO-Entscheidungen nicht von einer
weiteren Sicherheitsratsresolution abhängig zu machen.
Die am 23. September beschlossene Resolution 1199 ist eine Kapitel-VII-
Maßnahme der Vereinten Nationen. Der UN-Generalsekretär hat
festgestellt, daß der Adressat der Resolution, Milosevic, die
Forderungen nicht erfüllt hat. Die NATO bezieht sich in ihrer
Entscheidung ausdrücklich auf die Resolution 1199 und auf die
Notwendigkeit, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Die NATO - das
ist, denke ich, für uns alle wichtig - hat sich nicht selber ein Mandat
erteilt; sie handelt im Bezugsrahmen der Vereinten Nationen.
Meine Damen und Herren, ich möchte keinen Zweifel daran lassen, daß für
mich das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen und die Verantwortung des
Sicherheitsrates für die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit unverzichtbar sind für die Entwicklung einer
Weltfriedensordnung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
An diesen Grundsätzen wird sich eine neue Regierung orientieren.
Ich will auch nicht verschweigen, daß bei der sehr schwierigen
rechtlichen Abwägung für mich nicht ganz unwichtig war, zu welchen
Ergebnissen unsere Freunde und Verbündeten gekommen waren. Wenn alle
NATO-Staaten, in deren Mehrheit sozialdemokratische Parteien
Regierungsverantwortung tragen, die NATO-Entscheidung unterstützen und
in ihr eine ausreichende Rechtsgrundlage sehen, ist es jedenfalls für
mich nicht zwingend, anzunehmen, daß alle unsere Freunde im Unrecht sind
und der eine oder andere von uns im Recht.
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das hängt aber nicht davon ab, ob es
Sozialdemokraten sind!)
Es gibt noch etwas sehr Wichtiges zu bedenken, meine Damen und Herren:
Wir konnten nicht bei der ursprünglich auch von dem amerikanischen
Präsidenten und anderen wichtigen Verbündeten akzeptierten Haltung
bleiben, daß wir aus verfassungspolitischen - nicht aus
verfassungsrechtlichen - Gründen eine Bundestagsentscheidung jetzt nicht
herbeiführen können, weil es Legitimationsprobleme verfas
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23138

noch: Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen)

sungspolitischer Art gibt. Nachdem nicht mehr ausgeschlossen werden
konnte, daß das deutsche Verhalten die Reaktionen in Belgrad wesentlich
beeinflussen würde, war eine solche Haltung nicht mehr möglich. Das wäre
als deutsche Verweigerung angesehen worden und hätte schwere, nicht
leicht zu reparierende Schäden innerhalb des Bündnisses und wohl auch in
der Europäischen Union angerichtet. Ein Scheitern der Verhandlungen
hätte uns angelastet werden können.
Das Ergebnis wäre ein verheerender Ansehens- und Bedeutungsverlust für
die Bundesrepublik Deutschland gewesen. Daran kann niemand ein Interesse
haben. Man kann die Frage stellen, ob die heute geforderte Entscheidung
des Bundestages im Lichte der neuen Entwicklungen noch nötig ist. Diese
Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort an die
Adresse der Bundesrepublik Jugoslawien und besonders an die Führung
Serbiens richten. Wir hegen - Karsten Voigt hat das zu Recht ausgeführt
- keine feindseligen Gefühle gegenüber Serbien oder gar gegenüber dem
serbischen Volk. Im Gegenteil: Wir wünschen ausdrücklich, daß dieses
Volk seinen Weg in die Strukturen der europäischen Integration und der
europäischen Kooperation findet.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sind bereit, dabei zu helfen. Die Bedingungen dafür kann aber nur
die serbische Führung selber schaffen. Ich fordere sie daher auf, an der
Lösung aller Balkankonflikte konstruktiv mitzuwirken, und ich fordere
sie auf, den Weg demokratischer und rechtsstaatlicher Reformen zu
beschreiten und die Bundesrepublik Jugoslawien auf die Höhe der
europäischen Normen und Standards zu bringen; denn das ist der einzige
Weg, der in dieser Region Frieden bringen kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der F.D.P.)
Pressezensur, Meinungsverbote, Unterdrückung der Opposition und all
das, was wir gegenwärtig erleben, entsprechen diesen Standards nicht.
Ich plädiere dafür, die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik
Jugoslawien stärker zu unterstützen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und ihnen auch internationalen Schutz und Solidarität anzubieten.
Schließlich appelliere ich an alle Kräfte im Kosovo: Arbeiten Sie
konstruktiv an der Verwirklichung einer Friedenslösung mit! Auch auf der
Seite der Kosovo-Albaner muß die Gewalt dauerhaft ein Ende haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Der Frieden im Kosovo ist möglich, wenn wir ihn alle wollen. Der
Deutsche Bundestag kann mit seiner Entscheidung heute dazu beitragen,
daß auch in diesem von Gewalt erschütterten Teil Europas die Menschen in
Zukunft wieder frei von Angst leben können.
Ich denke, meine Damen und Herren, wenn uns dies zusammen gelingt,
können wir alle miteinander ein wenig stolz darauf sein.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der
Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Dr. Wolfgang Schäuble.
Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Antrag der
Bundesregierung zu. Ich stimme auch dem meisten zu, was in dieser
Debatte bisher gesagt wurde - vom Bundesaußenminister, vom
Bundesverteidigungsminister und von den anderen Kollegen, denen ich
allen für die vorbereitende Arbeit in den Ausschüssen, die gestern
getagt haben, danke. Herr Ministerpräsident Schröder, ich stimme auch
dem meisten zu, was Sie gesagt haben. Es ist gut, daß diese schwierige
und schwerwiegende Entscheidung von einer breiten Mehrheit in diesem
Bundestag getragen wird.
Bei aller Hoffnung, daß die Entscheidungen der Bundesregierung und der
NATO ihre Wirkung schon getan haben und daß es nicht zu einem Einsatz
der Luftstreitkräfte kommen muß, möchte ich dennoch hinzufügen: Es kann
natürlich weiterhin dazu kommen. Deswegen möchte ich vor allen Dingen
auch den Soldaten der Bundeswehr unseren Dank, unseren Respekt, unsere
Unterstützung und unsere Solidarität für ihre Bereitschaft bekunden,
Frieden und Menschenrechte in Europa zu verwirklichen und durchzusetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg. Joseph Fischer
[Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich will in diesen Dank auch ausdrücklich die Soldaten einschließen, die
seit Jahren in Bosnien einen wichtigen, gefährlichen und
verantwortungsvollen Dienst in hervorragender und beispielgebender Weise
tun. Herzlichen Dank!
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist auch richtig, daß wir die Entscheidung heute und damit im 13.
Deutschen Bundestag treffen müssen. Ich füge hinzu, Herr
Ministerpräsident Schröder: Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dieser
Entscheidung im 13. Deutschen Bundestag zu, und sie würde ihr genauso im
14. Deutschen Bundestag zustimmen. Daran gibt es überhaupt keinen
Zweifel.
(Beifall bei der CDU/CSU)
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23139

noch: Dr. Wolfgang Schäuble

Deswegen glaube ich auch, daß es richtig und beispielgebend war - ich
danke allen Beteiligten dafür -, daß auch in einer Zeit direkt nach
einer Bundestagswahl, in der aus Gründen der Verfassung und des
Wahlrechts der bisherige Bundestag noch besteht und dessen
Verantwortlichkeit gilt, bis der neugewählte Bundestag zusammentreten
kann - so steht es im Grundgesetz und im Wahlgesetz; danach müssen erst
das Wahlergebnis und die Abgeordnetennamen festgestellt werden; die
Fristen müssen eingehalten werden -, die bisherige Bundesregierung und
der bisherige Bundestag ihre Verantwortung voll wahrnehmen.
Gleichzeitig haben wir immer gesagt: Wir werden solche Entscheidungen,
wie sie heute anstehen, nicht gegen den erklärten Willen derjenigen
treffen, die nach dem Ergebnis der Bundestagswahl vom 27. September 1998
im künftigen Deutschen Bundestag die Mehrheit haben. Deswegen haben wir
miteinander das so gut geschafft. Das finde ich auch richtig.
Ich möchte allerdings die Bemerkung hinzufügen, damit die
Geschäftsgrundlage auch für die kommende Zusammenarbeit - wenn auch in
unterschiedlichen Verantwortlichkeiten - klar ist, Herr Kollege
Verheugen: Die Art, wie die Darstellung der Abläufe von Ihnen subtil
verändert worden ist - so habe ich es gestern in der "Süddeutschen
Zeitung" gelesen -, sollten wir gar nicht erst anfangen. Es war nicht
die alte Bundesregierung, die etwa von sich aus vorbereitet hatte, daß
man in dieser Woche zwar dem NATO-Beschluß, aber nicht einer Beteiligung
der Bundesrepublik Deutschland zustimmen sollte - so habe ich es gestern
in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen, und Sie, Herr Verheugen, waren
der Informant -; vielmehr war es der Wunsch der künftigen Mehrheit von
SPD und Grünen, daß die Bundesregierung so entscheiden möge. So ist es
auch nach den Gesprächen in Washington verkündet worden. Es war das
Ergebnis unserer gemeinsamen Besprechungen, daß wir am Montag gesagt
haben: wir wollen es gemeinsam machen. Das Ergebnis dieser Gespräche
jetzt im nachhinein anders darzustellen, das sollte man nicht tun.
Ich danke der Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Außenminister und
dem Verteidigungsminister für ihre klare und verläßliche Haltung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Günter Verheugen [SPD]: Sie
können es nicht lassen!)
- Nein, Sie können es nicht lassen. Ich zeige Ihnen den Artikel gern und
lese ihn vor. Ich finde es nämlich, Herr Kollege Verheugen, nicht
richtig: Wenn Sie so viele Gemeinsamkeiten haben wollen, gleichzeitig
aber nicht hören wollen, welchen weiten Weg Sie in den vergangenen
Jahren gegangen sind, wenn Sie nicht hören wollen, wie Sie uns für etwas
beschimpft haben, was wir heute gemeinsam für richtig halten, dann
sollten Sie wenigstens im nachhinein nicht sagen, daß wir der
gegenteiligen Meinung gewesen seien und Sie schon immer recht gehabt
hätten. Das geht ein bißchen zu weit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Die andere Bemerkung, die ich in aller Ruhe auch noch hinzufügen will:
Die CDU/CSU-Fraktion stimmt in dieser Legislaturperiode des Deutschen
Bundestages in ihrer jetzigen Funktion und Verantwortlichkeit der
Entscheidung in dieser Sache zu, und sie wird im nächsten Deutschen
Bundestag bei gleicher Sachlage bei einer anderen parlamentarischen
Aufgabenstellung genauso zustimmen. Aber ich füge hinzu: Im kommenden
Deutschen Bundestag werden wir schon darauf achten, daß die Regierung
eine eigene Mehrheit auch in solchen Entscheidungen hat - damit auch
daran kein Zweifel besteht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich würde gern noch eine Bemerkung zu der schwierigen Frage machen,
deren Beantwortung sich viele Kolleginnen und Kollegen nicht
leichtgemacht haben und nicht leichtmachen können: Wie ist es eigentlich
mit der Rechtsgrundlage? Vor ein paar Monaten haben sie noch in
ähnlichen Debatten gefragt: Wollen Sie notfalls auch ohne Mandat des
Sicherheitsrats einschreiten? Wie ist die Abgrenzung?
Ich bin der Überzeugung - auch ich habe mir das nicht leichtgemacht;
wir alle haben das, jeder für sich und miteinander, sorgfältig geprüft -
: Die Entscheidung der Bundesregierung, der der Bundestag zustimmen soll
und der die CDU/CSU-Fraktion zustimmen wird, steht verfassungsrechtlich
und völkerrechtlich auf sicherer Grundlage. Ich möchte, daß daran
überhaupt kein Zweifel besteht. Ich glaube, daß die Debatte über das
Gewaltmonopol - das wir uns wünschen; auch da gibt es keinen Dissens -
im Bereich des Völkerrechts ein wenig komplizierter ist. Wir sollten uns
da keinen Illusionen hingeben. Wir werden vielleicht in der Zukunft
andere, ebenso schwierige Entscheidungen zu treffen haben.
Wir haben in einer Welt, in der die gegenseitigen Abhängigkeiten von
Entwicklungen viel stärker geworden sind - Sie haben das Problem der
Flüchtlingsströme angesprochen -, eben immer noch nicht und
möglicherweise auch auf absehbare Zeit nicht eine Situation, die mit der
im demokratischen Rechtsstaat vergleichbar ist, daß nämlich tatsächlich
ein Gewaltmonopol und Entscheidungsinstanzen bestehen, die verbindlich
mit Mehrheit Entscheidungen treffen können, die von der Minderheit
akzeptiert werden, die notfalls durch Gerichte auf die Einhaltung der
Grenzen hin kontrolliert werden und die notfalls durchgesetzt werden
können, weil der Vollzug solcher Entscheidungen möglich ist. Diese
Situation haben wir im internationalen Bereich nicht, und wir werden
dort auf absehbare Zeit auch nichts Vergleichbares haben.
Deswegen müssen wir uns bei der rechtlichen Begründung von
Entscheidungen, die im Interesse von Frieden und Menschenrechten auf
dieser Welt, die unteilbar sind, liegen, im internationalen Bereich um
Sorgfalt bemühen und bei unseren Entscheidungen heute schon ein wenig
daran denken, was morgen anstehen kann. Daran muß man bei der Begründung
jeder Entscheidung denken. Deswegen haben wir früh - dafür bin ich nicht
zuletzt dem Bundesverteidigungsminister dankbar - gesagt: Natürlich ist
ein klares Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23140

noch: Dr. Wolfgang Schäuble

Nationen die beste Lösung - das war immer unstreitig -; es kann aber
auch eine Situation eintreten, in der wir ohne rechtlichen Vorbehalt -
es hat ja Vorbehaltserklärungen von zwei Ständigen Mitgliedern gegeben -
ein solches Mandat nach einer sorgfältigen Prüfung und Abwägung der
Argumente zu erteilen gezwungen sein werden. Wir sollten frühzeitig
daran denken, daß wir in solche Entscheidungssituationen kommen können.
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Schäuble, gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Schuster?
Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr.
Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Schäuble, Sie haben vorhin zu Recht
auf die fehlenden Infrastrukturvoraussetzungen - Rechtsstaatlichkeit und
dergleichen - hingewiesen. Wenn wir den Menschen im Kosovo wirklich
helfen wollen, was wir alle wollen, dann wundert mich, daß wir heute
ausschließlich den Teil eins beschließen, nämlich die militärische
Intervention. Warum beschließen wir nicht auch das, was der zukünftige
Bundeskanzler, Herr Schröder, formuliert hat: die Förderung der
demokratischen Strukturen der Zivilgesellschaft im Kosovo?
(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir schon ein dutzendmal beschlossen!
Sie müssen nur einmal die Protokolle lesen!)
Wollen wir das mit gleichem Ernst, um wirklich den Menschen zu helfen?
Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Kollege Schuster, ich glaube, Sie
haben mich mißverstanden. Ich habe von dem Problem gesprochen - auch was
Sie ansprechen, ist ein Problem -, daß wir den Grad an Zivilisation auch
in der Austragung von Konflikten, den wir in unserem freiheitlich-
demokratischen Rechtsstaat Gott sei Dank in 50 Jahren erworben haben, im
internationalen Bereich nicht haben. Sie sprechen jetzt von der
Situation der rechtsstaatlichen Verhältnisse im Kosovo; das ist ein
anderes Problem.
Ich gehe auf Ihre andere Frage gleich ein; aber ich wollte doch
zunächst einmal sagen, wovon ich gerade rede, falls mir noch jemand
zuhören mag. Ich spreche von dem Problem, daß wir im internationalen
Bereich unter engen Voraussetzungen, die man sehr sorgfältig prüfen muß,
auf den Einsatz von militärischen Mitteln nicht generell verzichten
können, um den Frieden zu wahren und die Menschenrechte durchzusetzen.
Das ist die Situation im internationalen Bereich, die sich von der
Situation des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats leider noch - und
wahrscheinlich noch für lange Zeit - unterscheidet. Zu dieser Situation
möchte ich jetzt etwas sagen. Über einer sehr klugen Analyse von Sibylle
Tönnies steht in diesen Tagen in einer großen deutschen Tageszeitung die
Überschrift: "Wir lassen uns in Ruhe, auch beim Morden." Es geht ja um
die Frage: Können wir in die inneren Angelegenheiten, auch in die
Rechtsfragen eines Staates eingreifen? Dort ist das Prinzip des
Interventionsverbotes gegen die Verwirklichung von Menschenrechten
abgewogen worden.
Weil man aber nicht zuletzt aus der Geschichte dieses Jahrhunderts
weiß, daß der Schritt zur Störung des Friedens in den internationalen
Beziehungen ein kleiner ist, müssen wir bei den völkerrechtlichen Fragen
bereit sein, den Frieden und die fundamentalen Menschenrechte zu
sichern: durch Integration, durch Regionalisierung, notfalls auch unter
Androhung militärischer Gewalt. Eine Drohung macht nur dann Sinn, wenn
man im Zweifel auch bereit ist, sie zu realisieren; sonst wird die
Drohung leer. Deswegen muß man sich bei jeder Entscheidung über alle
Konsequenzen klar sein. Man soll nicht androhen, was man hinterher nicht
einhalten kann. Das ist die eigentliche Frage.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das geht nur unter engen Voraussetzungen. Darüber haben wir oft
gestritten. Wir werden es nur durch Integration schaffen, niemals
allein: durch die europäische Einigung, durch das Atlantische Bündnis,
durch Berechenbarkeit und Verläßlichkeit der Bundesrepublik Deutschland
als Bündnispartner. Wir haben in diesen Tagen erlebt: Hätten wir
Deutschen abseits gestanden, wäre die Chance, daß die Entscheidung des
Atlantischen Bündnisses auf Milosevic eine Wirkung erzielt, geringer
gewesen. Das war der ausschlaggebende Grund, diese Entscheidung zu
treffen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Das andere, Herr Kollege Schuster, steht heute nicht zur Abstimmung im
Deutschen Bundestag. Dazu ist auch gar kein Antrag eingebracht worden.
Vielmehr geht es jetzt nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes um
die notwendige konstitutive Zustimmung des Bundestages zu der
gegebenenfalls notwendigen Beteiligung deutscher Streitkräfte an den
Luftoperationen der NATO, wobei wir hoffen, daß die Drohung damit dazu
führt, daß es dazu nicht kommt. Die Drohung funktioniert nur, wenn damit
die Bereitschaft verbunden ist, notfalls auch zu handeln. Hier ein
möglichst großes Maß an Klarheit zu haben dient dem Frieden, dient den
Menschenrechten. Hier ein möglichst großes Maß an Verläßlichkeit zu
haben und ein berechenbarer, verläßlicher Bündnispartner zu sein dient
dem Frieden der Deutschen unter allen denkbaren Umständen in der
Zukunft.
Deswegen danke ich der Bundesregierung und allen, die daran mitgewirkt
haben, daß wir heute zu einer Entscheidung kommen, die hoffentlich
hilft, daß das Blutvergießen in Europa weniger wird. Die CDU/CSU-
Fraktion wird zustimmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt der
Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Joseph Fischer.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23141

Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Wir entscheiden heute über die Beteiligung der
Bundeswehr an einem Militäreinsatz der NATO, von dem wir alle hoffen und
heute Gott sei Dank begründet hoffen können, daß er niemals stattfinden
muß und niemals stattfinden wird.
Ich will hier aber überhaupt nicht darum herumreden: Für meine Fraktion
ist dieses eine sehr schwere Entscheidung. Vor allen Dingen, als es
darum ging, diese Entscheidung vorzubereiten, stand noch im Raum, daß
die Holbrooke-Mission scheitern könnte und daß wir deswegen hier über
nichts Geringeres zu entscheiden hätten als über einen Krieg gegen
Serbien. Daß dieses von besonderer Beschwer ist, dafür gibt es nicht nur
ethische, sondern auch historische Gründe.
Wir tun dieses unter Rahmenbedingungen, meine Damen und Herren, ganz
besonderer Art. Es sind die Rahmenbedingungen eines Übergangs, wo eine
alte abgewählte Mehrheit durch die freie Wahlentscheidung des deutschen
Volkes durch eine neue Mehrheit abgelöst wird. Diese besonderen
Bedingungen werfen eben auch die Frage nach der Handlungsfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland in diesem Übergangsprozeß auf.
Ich möchte mich hier auch beim Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel und
seinen Mitarbeitern ganz besonders für die vertrauensvolle Unterrichtung
in jeder Phase dieses Prozesses und für die gute Zusammenarbeit
bedanken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der F.D.P. sowie bei
Abgeordneten der SPD)
Ich möchte nachdrücklich um Unterstützung für das Ja zum Abkommen
werben, das Richard Holbrooke in Belgrad erreicht hat. Dieses Abkommen
eröffnet noch nicht die Möglichkeit eines Friedens; dazu bedarf es der
politischen Lösung. Aber dieses Abkommen eröffnet den Weg, ohne den
Einsatz von Gewalt zu einer friedlichen, dauerhaften Lösung zu kommen.
Andererseits müssen wir feststellen, daß dieser Weg ohne die Androhung
von Gewalt nicht eröffnet worden wäre. Das macht heute unseren
Widerspruch aus. In diesem Widerspruch müssen und werden wir heute
entscheiden.
Für uns ist aber völlig klar: Bei einer Entscheidung, bei der es um
Krieg und Frieden geht, vor allen Dingen in einer solchen Situation des
Übergangs, hat es sich um eine Entscheidung zu handeln, die jeder
einzelne vor sich verantworten muß. Deswegen geben wir die Abstimmung
frei.
Für uns ist es wichtig - das macht die Entscheidungsgrundlage für uns
gewiß nicht einfacher; aber wir schauen optimistischer auf die
Entwicklung im Kosovo -, daß es keine Selbstmandatierung der NATO in
dieser Frage gibt. Ich möchte ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen,
Herr Bundesaußenminister, daß Ihre heutige Erklärung, es handle sich um
eine Notfallsituation, um eine Ausnahmesituation, nicht um einen
Präzedenzfall, für uns ebenfalls von großer Bedeutung ist. Wir
unterstützen nachdrücklich die Position, daß wir jetzt eine UN-
Resolution mit einer eindeutigen, klaren Rechtsgrundlage brauchen.
Wir begrüßen es, daß die Umsetzung des Abkommens vor Ort überwacht
wird: erstens durch unbewaffnete Luftfahrzeuge, durch
Überwachungseinheiten der westlichen Allianz in der Luft und zweitens
durch OSZE-Beobachter. Wir unterstützen nachdrücklich die Haltung, daß
sich daran auch Deutschland beteiligen sollte.
Wir begrüßen ebenfalls nachdrücklich, daß in jeder Phase dieses
Prozesses versucht wurde, Rußland einzubinden. Wir begrüßen ebenfalls
die Erklärung der russischen Regierung, daß sie sich an der Umsetzung
der jetzt gefundenen Vereinbarungen umfassend beteiligen wird. Ich
denke, das ist eine gute Kontinuität in dieser Frage. Ich bin sehr froh,
wenn es zu einer erfolgreichen Umsetzung dieses Abkommens kommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Meine Damen und Herren, reden wir doch nicht darum herum! Ich habe für
die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kollegen Kinkel gedankt. Aber
tun Sie doch nicht so, als wenn sich nicht auch Teile bzw. einzelne
Kollegen der Koalitionsfraktionen, als wenn sich nicht auch die
Bundesregierung diese Entscheidung aus ähnlichen Gründen, wie wir sie
haben, unendlich schwer gemacht hat, weil natürlich ein Negativszenario,
ein Szenario, das auf einen Krieg, auf einen Militärschlag hinausläuft,
unüberschaubare Konsequenzen für Frieden und Sicherheit in Europa gehabt
hätte.
Es ist doch völlig klar: Wir alle sind dafür, daß wir uns nicht in
Richtung einer Selbstmandatierung der NATO bewegen, sondern daß wir zur
klaren Grundlage des Gewaltmonopols - ich danke Gerhard Schröder an
dieser Stelle für seine eindeutige Aussage - der UN und ihres
Sicherheitsrates in den internationalen Beziehungen zurückkehren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Tun Sie doch nicht so, als ob Ihnen dies in der Bundesregierung keine
Probleme bereitet hätte. Ich finde es gut und richtig, daß es so war.
Ich sehe darin kein Defizit, sondern finde es für eine demokratische
Regierung überaus positiv, daß die noch von Ihnen getragene
Bundesregierung im Interesse Deutschlands bis zum letzten Augenblick um
den politischen Standpunkt, aber auch um den Rechtsstandpunkt -
angesichts der Widersprüche, die wir alle nur zu gut kennen - gerungen
hat.
Insofern werden wir, auch auf dieser Grundlage, heute eine notwendige
Entscheidung zu treffen haben. Es ist allerdings eine Entscheidung, die
mir - das füge ich persönlich hinzu - im Lichte der heutigen Entwicklung
nicht mehr so schwerfällt, die aber im Lichte eines nicht erfolgreichen
Abschlusses der Verhandlungen von Holbrooke die schwerste gewesen wäre -
ich nehme an, da spreche ich für viele Kol
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23142

noch: Joseph Fischer (Frankfurt)

leginnen und Kollegen -, die wir je zu treffen gehabt hätten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Denn - auch das möchte ich hinzufügen -: In unserer Diskussion haben
natürlich auch der mögliche Einsatzbefehl und die Rolle, die die
deutschen Streitkräfte dabei in der ersten Welle zu spielen gehabt
hätten, eine große Bedeutung gehabt. Auch das will ich an diesem Punkt
hier offen ansprechen.
Dennoch ist die andere Seite völlig klar: Die andere Seite ist - das
steht in der Sicherheitsresolution 1199, das ist für uns ein bedeutender
Punkt -, daß von der Politik der Bundesrepublik Jugoslawien Gefahr für
Frieden und Sicherheit in der Region ausgeht. Das bitte ich alle, die
meinen, diesem Einsatz nicht zustimmen zu können, einmal zu Ende zu
denken. Was würde es denn unter dem Gesichtspunkt Wahrung des Friedens
heißen, wenn die internationale Staatengemeinschaft den Druck nicht
aufgebaut hätte?
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eben!)
Wir wären bestenfalls in eine Situation - "bestenfalls" klingt hier
zynisch, weil es viele unschuldige Opfer, vor allen Dingen unter den
Kosovo-Albanern, bedeuten würde - wie in Bosnien hineingelaufen.
Schlimmstenfalls würde es einen großen Krieg bedeuten.
Das Problem ist doch nicht nur die humanitäre Katastrophe, so schlimm
sie auch ist. Das Problem ist, daß von der Politik der Bundesrepublik
Jugoslawien, von der Politik Milosevic' - ich sage nicht: von der des
serbischen Volkes, sondern von der Milosevic' - eine dauerhafte
Kriegsgefahr in Europa ausgeht. Diese Kriegsgefahr können wir nicht
akzeptieren. Das ist der entscheidende Punkt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die nicht zustimmen wollen,
dieses zu bedenken.
Es geht hier nicht um eine - wovon auch immer getragene -
Interventionssucht. Es geht hier nicht darum - ich sage das denen, die
jetzt meinen, in der Öffentlichkeit mit Strafanzeigen arbeiten zu müssen
-, Angriffskriege und ähnliches im Stil nationalstaatlicher Hybris und
nationalstaatlicher Hegemonialpolitik vorzubereiten. Vielmehr geht es
darum, ebensolches zu verhindern, darum, eine rational nicht mehr
erklärbare, ethisch nicht mehr verantwortbare, eine auf agressivem
Nationalismus beruhende Politik Belgrads in die Schranken zu weisen -
oder wir bekommen dort letztendlich einen großen Balkankrieg, den Europa
nicht zulassen kann und darf, wenn wir ein Interesse am Frieden haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr.
Renate Hellwig [CDU/CSU])
Das war - neben den menschenrechtlichen und ethischen Gründen - der
Grund, der mich seinerzeit meine Position zu Bosnien hat ändern lassen.
Ich appelliere nochmals an alle, egal, welcher Fraktion sie zugehören,
zu bedenken, daß wir dies in Europa nicht zulassen dürfen. Wenn wir die
Lehre aus unserer Geschichte und aus der blutigen ersten Hälfte des 20.
Jahrhundert gelernt haben, dann darf es in Europa keine Kriegstreiberei
mehr geben: von niemandem und aus welchen Gründen auch immer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Eine politische Lösung wird sehr schwierig werden. Das weiß die jetzige
Bundesregierung, das wissen wir alle. Die Situation ist anders als in
Bosnien. Die Mehrheit der Kosovo-Albaner hat ein anderes politisches
Ziel, nämlich die Unabhängigkeit, als die übergroße Mehrheit des
serbischen Volkes.
Es wird notwendig sein, hier auf Frieden ausgerichtete Spielregeln und
ein friedliches Zusammenleben durchzusetzen. Ich unterstütze
nachdrücklich die Durchsetzung des Autonomieabkommens, den Versuch, hier
einen gemeinsamen Weg zu eröffnen.
Aber machen wir uns nichts vor: Diese ganzen Konflikte werden entweder
von uns gemeinsam, von der Europäischen Union und der westlichen
Staatengemeinschaft, ins 21. Jahrhundert hinein, also in die europäische
Integration, geöffnet, oder sie werden auf blutige und hochgefährliche
Art und Weise im nationalistischen Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet
bleiben und dann auch auf ähnliche Art und Weise ausgetragen - was
Europa nicht zulassen kann. Deswegen werden wir für alle beteiligten
Völker eine politische Lösung brauchen, die nach Europa führt. Das wird
für das wiedervereinigte Deutschland eine besondere Verantwortung, auch
in materieller Hinsicht, bedeuten.
Aber ich möchte hier die Menschen in Belgrad nochmals nachdrücklich
dazu auffordern, zu begreifen, daß es ein Irrweg ist, auf einen
aggressiven Nationalismus zu setzen, sondern daß der Weg des serbischen
Volkes - genauso wie der aller anderen Völker in Europa - ein Weg in die
gemeinsame Zukunft Europas sein muß. Wir sind bereit, diesen Weg mit zu
tragen, mit zu gestalten und mit zu öffnen, auch für die anderen
beteiligten Völker.
Meine Damen und Herren, es gilt heute zu entscheiden. Die Entscheidung
muß getroffen werden angesichts vieler Bedenken: Rechtsbedenken,
politischer Bedenken, Bedenken hinsichtlich einer drohenden Gefahr für
unschuldige Opfer und eines Weitertreibenlassens dieses Prozesses. Wir
müssen jetzt, in dieser Übergangsphase, als Bundesrepublik Deutschland
handlungsfähig sein. Ich denke, wir sind handlungsfähig. Milosevic jetzt
aus dem Druck herauszulassen, die Verantwortung dafür zu übernehmen,
wenn es zum Holbrooke-Abkommen nicht gekommen wäre, halte ich nicht für
verantwortbar. Deswegen werden meine Freundinnen und Freunde und ich dem
Antrag der Bundesregierung zustimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23143

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang
Gerhardt.
Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich keine seiner außen- und
sicherheitspolitischen Entscheidungen, die er in der
Nachkriegsgeschichte getroffen hat, leichtgemacht. Aber wenn wir einmal
auf alle Kontroversen zurückblicken - das wird auch für die heutige
gelten -: Er hat mit Mehrheiten - im Bewußtsein und in Kenntnis der
deutschen Geschichte in diesem Jahrhundert - immer richtige und
glückliche Entscheidungen getroffen. Das gilt im übrigen auch für eine
Entscheidung, die wir gemeinsam zu Beginn dieser Legislaturperiode sehr
kontrovers diskutiert haben, nämlich den ersten Einsatz deutscher
Soldaten außerhalb des NATO-Gebietes und ihre Stationierung im früheren
Jugoslawien. Ich will heute daran erinnern, weil wir ja so vergeßlich
geworden sind, was es damals hier für Kontroversen gab. Wenn wir nun
alle Reden gehört haben, dann kann sich die jetzige Koalition, die
amtierende Bundesregierung in ihrer damaligen Argumentation bestätigt
fühlen. Ja, mehr noch: Es ist nicht nur nicht zu einer Militarisierung
der deutschen Außenpolitik gekommen; die deutschen Soldaten sind dort
heute ausdrücklich willkommen.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Welcher Aufwand an Argumentation ist damals hier getrieben worden!
Die Bundeswehr hat dort Hervorragendes geleistet. Bevor wir jetzt die
Entscheidung treffen, müssen wir wissen: Wir können sie auch treffen,
weil wir uns auf deutsche Soldaten mit Maß und Ziel verlassen können.
Den deutschen Soldaten gebührt unser Dank.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Wir entscheiden jetzt erneut in einer schwerwiegenden Frage; das will
ich hier gar nicht juristisch abhandeln und vor dem Hintergrund des
Völkerrechts hin- und herdiskutieren. Sie alle, die Mitglieder des
Deutschen Bundestages, entscheiden heute mit dem Blick auf das Elend,
die Not, den Hunger, die Flüchtlingsströme und eine desolate Situation
im Kosovo über das Schicksal von Menschen in diesem Gebiet. Natürlich
entscheiden wir mit der Hoffnung, daß es am Ende nicht zum Ernstfall
kommt. Aber wir wissen, daß es überhaupt nicht zu einer
Verhandlungslösung gekommen wäre, wenn nicht die Bereitschaft der NATO
bestanden hätte, notfalls mit militärischen Mitteln einzugreifen, um
Menschen helfen zu können.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Das ergibt sich aus allen Dokumenten, die man lesen kann, und aus allen
Verhandlungsberichterstattungen, die Holbrooke gegeben hat. Selbst wer
sich die nicht zugänglich machen kann, kann im Gesicht von Herrn
Milosevic ablesen, daß er nur reagiert hat, weil wir ihn dazu gezwungen
haben.
Hans-Peter Schwarz hat einmal formuliert, daß sich die Deutschen
völkerrechtlich, moralisch und strategisch klare Verhältnisse wünschen.
Und er hat hinzugefügt, daß sich die Wirklichkeit diesen ordentlichen
Erwartungen leider nicht immer so fügt, wie das ordentlichen Leuten
wünschenswert erscheint. - Diese Lage haben wir nun. Wir alle hätten
lieber - niemand sollte drumherumdiskutieren - ein eindeutiges Mandat
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Auf dessen Grundlage wäre
uns die heutige Entscheidung leichter gefallen. Dies liegt in der Form
einer klassischen Mandatierung nicht vor. Aber das Unvermögen des
Sicherheitsrates, das Gewaltmonopol in diesem Fall einzusetzen, das ist
die rauhe Wirklichkeit. Völkerrecht - so stellen wir fest, wir haben es
auch damals schon festgestellt - trägt sich nicht von selbst; es bedarf
kluger politischer Entscheidungen, die dazu verhelfen, es auch
durchzusetzen. Deshalb kommen wir um diese Entscheidung nicht herum. Die
Eindringlichkeit der Lageschilderung, die durch den Generalsekretär der
Vereinten Nationen gegeben worden ist, kontrastiert - das erfahren wir
doch - mit dem Impetus der Entscheidungsfindung, die die Mitglieder des
Sicherheitsrats nun bevorzugen.
Eines ist doch wahr: Es sind dort doch nicht alle von dem moralischen
Impetus getragen, ein Problem durch Ausübung des Gewaltmonopols zu
lösen, sondern es gibt dort auch Entscheidungsträger, die sich nicht
nach den Zielen und dem moralischen Impetus der Charta der Vereinten
Nationen richten. Jeder weiß und kann beobachten, daß staatliche
Repräsentanten für ihre Entscheidungen vielfältige Gründe haben.
Nun komme ich auf einen entscheidenden Punkt zu sprechen, meine Damen
und Herren: Das ist keine Frage der Quantitäten. Viele sagen ja, daß 200
000 Menschen noch nicht ausreichen, um politischen Zielen zum Durchbruch
zu verhelfen, sondern es mindestens 500 000 sein müssen. Nein, unserer
Entscheidungsfindung muß auch zugrunde liegen, daß das Menschenrecht
eines einzelnen schon unendlich viel gilt und er Anspruch hat, daß wir
es verteidigen.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mich bewegt nicht, wenn jemand einwendet, daß es in anderen Teilen der
Welt noch größere Probleme gibt. Wir können abends auf den
Fernsehbildschirmen Genozide in anderen Staaten hautnah erleben; das
ändert aber nichts an der Tatsache, daß es im Kosovo 290 000 Flüchtlinge
und 90 000 Personen gibt, die anscheinend im Freien campieren, daß es
ein Massaker mit 14 Toten, darunter eine Frau und ein Kind, gegeben hat
und von einem weiteren berichtet wird. Es ist nicht auszuschließen, daß
der serbische Präsident nicht innehält, wenn wir ihm nicht klar
entgegentreten. Diese Entscheidungsgrundlagen dürfen in einer Demokratie
nicht beiseite geschoben werden können. Deshalb ist für mich die
Erörterung, ob das klassische Mandat des Sicherheitsrates vorliegt, ob
man es wieder zurückholen kann, ob eine Selbstmandatierung der NATO
vorliegt, zwar wichtig, aber nicht entscheidend.
Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn sich regionale Faustrechte
entwickeln und Menschenrechte
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23144

noch: Dr. Wolfgang Gerhardt

in Regionen so verletzt werden, daß es zu humanitären Katastrophen
kommen kann, weil das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen nicht
ausgeübt werden kann. Die Nichtausübung des Gewaltmonopols der Vereinten
Nationen kann das Gegenteil dessen bewirken, was wir durch die
völkerrechtliche Festschreibung des Gewaltmonopols erreichen wollten.
Diese Argumentation muß einer Aussprache im Deutschen Bundestag zugrunde
gelegt werden können. Es geht nicht nur um die Frage, ob es legal ist
und ob eine Mandatierung in klassischer Form vorliegt. Jeder weiß, daß
wir heute nicht den Königsweg gehen werden. Aber dieser Weg ist
verantwortbar. Es ist meine tiefe innere Überzeugung, daß die Androhung
von Gewalt gegen Milosevic und notfalls auch die Ausübung von Gewalt
gegen sein System in dieser außerordentlichen Situation legitim sind -
ich benutze bewußt diesen Ausdruck. Allein darum geht es!
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Situation ist so ernst, daß die internationale Gemeinschaft
reagieren muß. Wir wissen, daß sich die Lage auf eine humanitäre
Katastrophe zubewegt und es noch viel schlimmer kommen kann. Es ist kein
Willkürakt der NATO, wenn sie, wie auch der Deutsche Bundestag, sagt,
wir wollen nicht, daß Menschen leiden, frieren, flüchten oder verhungern
müssen, weil einige Staatsoberhäupter nicht in der Lage sind, die
Trümmer ihrer eigenen Geschichte zu beseitigen, und Menschenrechte
verletzen oder wiederum andere, die aufgerufen werden, vom Gewaltmonopol
über den Weg der klassischen Mandatierung Gebrauch zu machen, das aus
ganz anderen Beweggründen nicht wollen. Deshalb haben die Menschen einen
Anspruch darauf, daß ihnen der Deutsche Bundestag sagt, wie ihnen
geholfen werden könnte. Hier geht es ja nicht um eine isolierte deutsche
Entscheidung, sondern wir befinden uns im Verein mit anderen Demokratien
in einer großen Staatengemeinschaft und sind einer breiten, weltweiten
öffentlichen Akzeptanz sicher - weit über die NATO-Staaten hinaus. Das
ist der Hintergrund für die Entscheidung, die wir zu treffen haben. Die
Lebenswirklichkeit, so lernen wir, ist komplizierter als das Völkerrecht
und auch vielschichtiger. Sie läßt aber in diesem Fall keine andere
Entscheidung zu als die, die zu beschließen wir uns hier anschicken.
Letztendlich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, stehen wir doch
hier vor der Frage, wie wir uns gegenüber Diktatoren verhalten, die die
fundamentalsten Rechte ignorieren und Übergriffe auf die Bevölkerung
zulassen. Diese Fragestellung kann hier nicht ausgeklammert werden, auch
wenn wir Deutsche immer wieder den Versuch machen müssen, vom
Gewaltmonopol her zu denken. Aber in dieser außergewöhnlichen Situation
hilft mir keine Rechtskonstruktion. Vielmehr geht die internationale
Gemeinschaft, die weit mehr Staaten als die NATO-Staaten umfaßt, davon
aus, daß augenblicklich gehandelt wird. Die NATO selbst weiß, daß ein
möglicher Einsatz zu einer weiteren Destabilisierung der regionalen
Strukturen führen könnte. Gleichzeitig waren aber die
Verhandlungsmöglichkeiten erschöpft, und nur die Bereitschaft, notfalls
das letzte Mittel einzusetzen, eröffnet die Chance, Menschen zu
schützen. Angesichts dieser außergewöhnlichen Situation kann ich für
mich keine andere Entscheidung treffen, als der Beschlußvorlage der
Bundesregierung zuzustimmen. Das gilt auch für den überwiegenden Teil
meiner Freunde in der F.D.P.-Fraktion.
Meine Damen und Herren, wir beschließen hier als Ultima ratio über ein
militärisches Eingreifen im Ernstfall, wobei wir davon ausgehen und
hoffen, daß es nicht nötig sein wird, und von dem wir wissen, daß es am
Ende Probleme nicht dauerhaft lösen kann. Das ist jedem klar. Aber wir
können heute darauf nicht verzichten, wenn Menschen im wahrsten Sinne
des Wortes in ihrer physischen Existenz bedroht sind. Um nicht mehr und
um nicht weniger geht es bei der heutigen Entscheidung. Darüber muß sich
jeder klar sein.
Für die Serben gilt, daß wir gerne mit ihnen in der internationalen
Gemeinschaft den europäischen Weg gehen würden. Dieses Land ringt um
seine inneren Strukturen. Es gibt dort Menschen, die dieses System nicht
nur für überflüssig halten, sondern die dieses Systems auch überdrüssig
sind. Es gibt dort Repression und Pressezensur. Es gibt dort in der
Staatsführung nicht den Katalog europäischer kultureller
Verhaltensweisen, den wir uns angeeignet haben. All das ist nicht
vorhanden.
Trotzdem haben wir heute die Hoffnung, daß dies mehr und mehr entsteht
und daß wir es in Zukunft statt mit Vertretern dieses Regimes, das jetzt
im Kosovo hoffentlich zum Einlenken bewogen werden kann, mit
Repräsentanten zu tun haben, die mit uns durch die Schaffung von
Demokratie, die Einhaltung von Menschenrechten und Minderheitenrechten
einen europäischen Weg, den Weg zurück in die internationale Völker- und
Staatengemeinschaft, gehen wollen. Diesen Repräsentanten sollten wir die
Hand reichen. Dies sollten wir heute mit unserem Beschluß auch deutlich
machen. Denn es muß klar sein, daß es bei diesem Beschluß nicht darum
geht, jemanden zu vernichten, sondern darum, Menschen zu helfen. Es gibt
keinen wichtigeren Grund für einen Abgeordneten bzw. für eine
Abgeordnete des Deutschen Bundestages, sich im Lichte dieser Erwägungen
zu überwinden und sich dem humanitären Anliegen dieser Beschlußlage mit
großem Impetus anzuschließen.
Deshalb erkläre ich für die Fraktion der F.D.P.: Man muß keine
Abstimmungen freigeben. Abstimmungen sind immer frei.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Aber im Vorfeld von Abstimmungen, Herr Kollege Fischer, muß man seine
Überzeugungen vertreten. Dann hat man das legitime Recht, auf
Kolleginnen und Kollegen einzuwirken, mit einem den eigenen Weg zu
gehen.
(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Richtig!)
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23145

noch: Dr. Wolfgang Gerhardt

Wir haben dies früher getan als Sie. Daß auch Sie heute dazu übergehen,
respektiere ich. Es wäre besser gewesen, Sie hätten dies schon früher
getan.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr.
Gregor Gysi.
Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Erstens. Ich möchte zunächst noch Kritik an der Sitzung selbst üben. Ich
will jetzt nicht verfassungsrechtlich argumentieren, sondern
verfassungspolitisch. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hat
am 27. September 1998 einen neuen Bundestag gewählt. Das amtliche
Endergebnis liegt seit dieser Woche vor. Hier verhandelt ein abgewählter
Bundestag, während der neugewählte nicht zusammengerufen wurde, obwohl
es natürlich möglich gewesen wäre, Konstituierung und Sachentscheidung
miteinander zu verbinden.
(Beifall bei der PDS)
Ich werde das Gefühl nicht los, daß man der neuen Mehrheit,
insbesondere den Grünen, damit einen Gefallen tun wollte, dergestalt,
noch nicht die Mehrheit zu sein und deshalb noch nicht in ihrer neuen
Funktion entscheiden zu müssen. Ich halte das für völlig illegitim. Ich
bin der Meinung, man hätte für diese Entscheidung den neugewählten
Bundestag zusammenrufen müssen, auch, um ihn nicht mit der Entscheidung
eines Bundestages zu binden, der bereits abgewählt ist.
(Beifall bei der PDS)
Zweitens. Wie Sie alle schätzen auch wir die Situation im Kosovo als
höchst kompliziert ein. Ich habe mehrfach gesagt - und wiederhole dies -
: Auch ich gehe davon aus, daß Milosevic und damit die Regierung in
Jugoslawien die Hauptverantwortung für die gegenwärtige Situation im
Kosovo trägt, insbesondere deshalb, weil 1989 das Autonomiestatut für
den Kosovo aufgehoben worden ist und damit dort eine Vielzahl von
Problemen entstanden ist, die sich nun in jeder Hinsicht zugespitzt
haben.
Nur, wenn wir alle das so sehen, dann müssen wir doch folgende Frage
zulassen: Was hat die NATO, was hat die internationale
Staatengemeinschaft, was hat die Bundesregierung, was haben wir alle in
den Jahren seit 1989 real getan, um die Situation im Kosovo zu
stabilisieren und den dort lebenden Menschen einen anderen Status zu
geben, als sie ihn gegenwärtig haben? Nicht einmal in Dayton ist darüber
ernsthaft verhandelt worden. Das ist eine Tatsache.
(Beifall bei der PDS)
Jetzt haben wir es mit der Situation zu tun, daß sich dort eine
militärische Macht in Form der UCK herausgebildet hat, die nicht die
Autonomie anstrebt, sondern die Abspaltung und Unabhängigkeit. Das ist
doch nichts Neues in der Geschichte. Ich kenne keinen Fall, in dem die
Zentralregierung auf solche Art von Gewalt nicht ihrerseits mit Gewalt
geantwortet hat, um die Abspaltung und die Unabhängigkeit eines Teils
des Landes zu verhindern.
Ich erinnere Sie an die diesbezüglichen Auseinandersetzungen in
Nordirland, als nicht nur von den Nordiren, die eine Loslösung von
Großbritannien wollten, Gewalt angewandt wurde, sondern auch von der
Zentralregierung. Dieselbe Situation hatten wir im Baskenland und - noch
viel schlimmer - in Tschetschenien, als die russische Regierung sogar
gebombt hat, ohne daß hier jemand auf die Idee gekommen wäre, daß wir
uns mit der Androhung oder gar dem Einsatz von militärischer Gewalt
einzumischen hätten.
Noch viel schlimmer ist die Situation bei einem NATO-Partner, in der
Türkei: Seit Jahren findet dort ein Krieg gegen das
Selbstbestimmungsrecht des kurdischen Volkes statt, ohne daß es
überhaupt jemanden in diesem Bundestag gegeben hätte, der dafür gewesen
wäre, dies seitens der NATO oder der Bundesrepublik Deutschland mit der
Androhung oder der Anwendung militärischer Gewalt zu beantworten.
(Beifall bei der PDS)
So schlimm die Situation im Kosovo auch ist: Niemand hier kann
bestreiten, daß die Situation in Afghanistan noch tausendmal schlimmer
ist, ohne daß irgend etwas ernsthaft unternommen wird, um diese
Situation zu verändern. Ich finde, dies macht die ganze Sache mit dem
moralischen Stempel so unglaubwürdig: wenn man so unterschiedliche
Maßstäbe anlegt, je nach Land, je nach Regierung, je nach Nähe, oder
dies von der Frage abhängig macht, ob man besonders viele Flüchtlinge
oder besonders wenige Flüchtlinge befürchtet, und deshalb das
Eigeninteresse im Vordergrund steht und nicht die Interessen der
Menschen in anderen Ländern.
(Beifall bei der PDS)
Es ist hier darauf hingewiesen worden, daß das Ganze der Verhinderung
einer humanitären Katastrophe dienen soll. Ich will in diesem
Zusammenhang nicht völkerrechtlich argumentieren, was den Begriff
anbetrifft. Es gibt eine solche Katastrophe, und sie kann noch schlimmer
werden. Nein, was mich in diesem Zusammenhang stört, ist: Wie reagieren
wir denn auf diese Katastrophe? Mit der Androhung der Militärgewalt
durch die NATO wurden die Hilfskräfte in der Bundesrepublik Jugoslawien
und im Kosovo aufgefordert, das Land zu verlassen, damit sie durch einen
Militärschlag nicht getroffen werden. Das heißt: Wir helfen, indem wir
erst einmal die Hilfskräfte abziehen. Der Außenminister hat sich hier
beim Haushaltsausschuß bedankt, daß die Mittel für einen Militärschlag
sofort zur Verfügung gestellt worden sind. Wo sind denn die Mittel für
Zelte? Wo sind die Mittel für Medikamente? Wo sind die Mittel für
Lebensmittel? Nichts davon ist beantragt worden. Das Ganze unter
"Humanität" laufen zu lassen und diesbezüglich im Antrag nichts zu
erwähnen, das ist, wie ich finde, höchst unglaubwürdig.
(Beifall bei der PDS)
Ferner sage ich folgendes: Die PDS war immer gegen den internationalen
Einsatz der Bundeswehr -
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23146

noch: Dr. Gregor Gysi

- aus politischen, moralischen, aber auch aus vielen historischen
Gründen. Das war lange Zeit auch überwiegend Auffassung in der SPD und
beim Bündnis 90/Die Grünen. Herr Fischer hat in der Zeitschrift "Die
Woche" vom 30. Dezember 1994 folgendes ausgeführt.
Für die Zukunft sehe ich die erhebliche Gefahr, daß die Bundesregierung,
Koalition und Generalität nach den Gesetzen der Salamitaktik Anlässe
suchen oder Anlässe schaffen werden, um die Barrieren abzuräumen, die es
gegenüber den militärischen Optionen der Außenpolitik des vereinigten
Deutschland noch gibt. Als Vehikel dienen dabei die Menschenrechts- und
die Humanitätsfrage.
So das Zitat von Joseph Fischer. - Ich bin der Meinung, es hat eine
entsprechende Entwicklung stattgefunden.
(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)
Wir haben immer vor der Militarisierung der Außenpolitik gewarnt. Es
wird heute so schnell an Militär gedacht und so selten an andere Wege
und Möglichkeiten, daß dies nicht nur in Europa, sondern weltweit
verheerende Folgen hat. Wenn man nämlich internationale Beziehungen und
Außenpolitik so militarisiert, dann entsteht doch der Eindruck, daß
Einfluß nur der militärisch Starke hat. Das führt dann zum Beispiel in
Pakistan und Indien zu der Überlegung, daß man überhaupt nur politischen
Einfluß hat, wenn man selber über Atomwaffen verfügt. So kommt weltweit
eine Militarisierung der internationalen Beziehungen und der
Außenpolitik zustande. Deshalb waren wir immer dagegen; früher auch
andere.
Nun sind die meisten hier einen anderen Weg gegangen. Herr Voigt wirft
uns vor, daß wir auf unserem Weg geblieben sind. Bloß, Kollege Voigt,
eines sage ich ebenfalls: Wenn wir auch jetzt noch die Positionen
vertreten, die Sie früher auch einmal vertreten haben, sollten Sie uns
dafür nicht gar so sehr beschimpfen.
(Beifall bei der PDS)
Das ist auch eine große Kritik an Ihrer eigenen Entwicklung. Vielleicht
ist es gar nicht so unvernünftig, daß wir bei Positionen geblieben sind,
die Sie auch einmal vertreten haben. Heute sind Sie von diesen
Positionen weit weg.
(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Lange!)
Wir glauben, daß das der falsche Weg ist. Man kann dazu eine andere
Auffassung haben, und eine wachsende Mehrheit in diesem Bundestag - auch
im nächsten Bundestag - hat dazu eine andere Auffassung. Aber auch für
die Befürworter eines internationalen Einsatzes der Bundeswehr war
bisher immer eines klar: Es muß völkerrechtlich legitimiert sein. Wenn
Herr Gerhardt sagt, die völkerrechtliche Frage interessiere ihn nicht so
sehr, dann kann ich nur erwidern: Das ist ein kreuzgefährlicher Weg. Es
ist in Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta geregelt, daß alle Mitgliedsländer
der Vereinten Nationen sowohl die Androhung als auch die Anwendung von
Gewalt in den internationalen Beziehungen zu unterlassen haben. Gerade
in bezug auf die Androhung wird hier ständig so getan, als sei sie ein
völlig legitimes Mittel, obwohl nach der UN-Charta schon die Androhung
von militärischer Gewalt verboten ist. Darüber wird hier schon gar nicht
mehr diskutiert. Und die Anwendung von Gewalt ist dann erst recht
verboten.
In der Charta sind zwei Ausnahmen geregelt, nämlich der Fall von
Selbstverteidigung, auch kollektiver Selbstverteidigung, und der Fall,
daß der Frieden gefährdet ist, der Weltsicherheitsrat dies feststellt
und selbst beschließt, militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden.
Das darf aber ausschließlich der Weltsicherheitsrat. Es besteht da ein
Gewaltmonopol, und das wissen Sie.
In Art. 39 der UN-Charta heißt es dazu:
Der Sicherheitsrat
- nicht die NATO -
stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine
Angriffshandlung vorliegt; er
- nicht die NATO -
gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der
Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die
internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.
Der Sicherheitsrat hat sich befaßt. Er hat zwei Resolutionen
verabschiedet und hat aus guten Gründen auf die Androhung oder Anwendung
militärischer Gewalt verzichtet. Er hat am Schluß seiner letzten
Resolution gesagt: Wir bleiben damit befaßt; wir werden weitere Berichte
zur Kenntnis nehmen, und wir werden entscheiden, ob wir weitere
Maßnahmen treffen. Deshalb liegt natürlich eine Selbstmandatierung und
sogar eine Verletzung dieser Resolution vor,
(Zuruf von der SPD: Quatsch!)
wenn die NATO dann, ohne daß der Sicherheitsrat sich damit beschäftigt
hat und ohne daß er weitere Maßnahmen beschlossen hätte, sagt: Wir legen
fest, welche Maßnahmen zu beschließen sind. - Das verletzt nicht nur das
allgemeine Völkerrecht, sondern auch diese spezielle Resolution. Damit
begeben wir uns auf eine Stufe mit der Bundesrepublik Jugoslawien, die
diese Resolution ebenfalls nicht einhält.
(Beifall bei der PDS)
Ich möchte noch etwas dazu sagen. Es ist doch nichts Neues, daß UN-
Resolutionen nicht eingehalten werden. Aber das war schon bei Israel so;
das war beim Irak so; das war bei Südafrika so; das war in Zypern so.
Noch niemand ist auf die Idee gekommen, daß dann, wenn eine Resolution
nicht eingehalten wird, ein anderer als der Sicherheitsrat das Recht
hat, zu entscheiden, welche Maßnahmen dann zu treffen sind. Und diese
Maßnahmen hat der Sicherheitsrat - und zwar abgewogen - in aller Regel
getroffen. Jetzt sagen wir: Gerade weil er dazu nicht in der Lage ist,
übernehmen wir als NATO und als Bun
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23147

noch: Dr. Gregor Gysi

desrepublik Deutschland das selbst. Wer das vertritt, kann sich doch
nicht mehr hier hinstellen und behaupten, das sei kein Präzedenzfall. Ob
etwas ein Präzedenzfall ist oder nicht, entscheidet doch nicht
derjenige, der das macht, sondern das wird von den anderen Ländern auf
der ganzen Welt entschieden. Sie wissen, daß es in fast allen Ländern
ethnische Minderheiten gibt; überall gibt es Menschenrechtsverletzungen.
Ja, was glauben Sie denn, was andere Staaten, von denen Minderheiten in
dritten Staaten leben, in Zukunft sagen werden? Sie können fragen: Wieso
soll denn der UN-Sicherheitsrat dafür zuständig sein? Wir sehen dort
Menschenrechtsverletzungen, und deshalb werden wir militärisch
eingreifen und damit auch angreifen. - Den Präzedenzfall dafür hat die
NATO geschaffen, und ihn schafft heute der Bundestag der Bundesrepublik
Deutschland, wenn Sie mit Mehrheit dem Antrag der Bundesregierung
zustimmen.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Gysi, Ihre Redezeit ist
um.
Dr. Gregor Gysi (PDS): Sie können es nicht leugnen: Sie ändern die
völkerrechtliche Weltordnung, wie sie nach 1945 in der UN-Charta
festgelegt wurde. Man kann in bezug darauf über eine Änderung
nachdenken. Aber Sie ändern diese Weltordnung, ohne daß Sie eine neue
hätten. Damit schaffen Sie einen Präzedenzfall, der den Sicherheitsrat,
insbesondere China und Rußland, entmachten soll - mit katastrophalen
Folgen für die künftigen internationalen Beziehungen. Und
grundgesetzwidrig ist es nach Art. 26 auch, genauso wie es auch strafbar
ist nach § 20 Strafgesetzbuch.
Ja, es geht um einen möglichen Krieg gegen Serbien. Dafür wird heute
ein Vorratsbeschluß gefaßt. Ich halte das für indiskutabel und für den
falschen Weg. Hingegen wird die humanitäre Hilfe, die dringend
erforderlich wäre, nicht geleistet.
(Beifall bei der PDS - Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Herr Gysi,
dann müssen Sie jetzt vor das Verfassungsgericht gehen! Das ist der
einzige Weg!)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der
Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Rudolf Scharping.
Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit
dem Beschluß, den wir heute fassen werden, verfolgen wir ein Ziel. Das
Ziel, das wir verfolgen, ist, bedrohten Menschen in einer katastrophalen
Situation so gut zu helfen, wie wir es eben vermögen. Das Ziel ist, den
Druck in einer Situation aufrechtzuerhalten, die ja nicht vom Himmel
gefallen ist, sondern auf Grund langer Entwicklungen entstanden ist.
Dieser Druck ist leider notwendig, zum einem als Ausdruck einer klaren
Haltung und eines festen Willens, zum anderen angesichts der schlechten
Erfahrungen, die wir gemacht haben.
Wir haben nämlich mit Blick auf die aktuelle Situation im Kosovo
festzuhalten, daß der Rückzug der serbischen Polizeieinheiten,
Spezialkräfte und Streitkräfte zwar zugesagt, aber nicht durchgeführt
ist, daß von den 13 000 dort stationierten Soldaten immer noch 10 000 im
Kosovo sind, davon 3 000 dieser besonders berüchtigten Spezialkräfte.
Das ist die schlechte internationale Erfahrung, die man mit der
Regierung Milosevic sammeln mußte und für die es viele, leider
schreckliche Beispiele gibt.
Deshalb sollten wir in dieser Diskussion das Ziel nicht vergessen, das
wir mit unseren Entscheidungen, mit unserem Handeln in der
internationalen Staatengemeinschaft und mit der internationalen
Staatengemeinschaft verfolgen. Denn unsere schlechte Erfahrung ist ja
nur die Kehrseite von bitterem Leid und von besonders schrecklichen
Erfahrungen der Menschen, die unter dem skrupellosen Verhalten der
Regierung Milosevic leiden müssen.
Die Sache ist ernst, für uns, für die internationale
Staatengemeinschaft. Aber ganz besonders ernst ist sie für jene
Menschen, die vertrieben worden sind, die mit Mord bedroht werden, die
in den Wäldern hausen müssen, bedroht von Hunger, Krankheiten und
anderen schweren Beeinträchtigungen ihrer Lebenschancen. Wer in einer
solchen Debatte dieses Ziel aus dem Auge verliert und instrumentell
diskutiert, der begibt sich auf eine schiefe Ebene.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Im übrigen: Wir sollten bei dieser Diskussion nicht vergessen, daß mit
der Aufrechterhaltung notwendigen, auch militärisch untermauerten Drucks
das Ziel noch längst nicht erreicht ist. Die Entwicklung der letzten
Tage hat deutlich gemacht - auch das entspricht den gemachten
Erfahrungen -, daß sich die Regierung Milosevic zu einem einigermaßen
akzeptablen Handeln nur bewegen läßt, wenn es diesen Druck gibt. Also
wird er auch für die Zukunft aufrechterhalten bleiben müssen, damit
überhaupt eine Chance besteht, die eigentliche Aufgabe zu lösen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und das eigentliche politische Ziel zu verwirklichen, das hinter dieser
Entscheidung steckt, nämlich den Albanern im Kosovo eine Autonomie
innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes zu ermöglichen, die ihre
Menschenrechte, ihre kulturelle Identität, ihr Selbstbestimmungsrecht
ernst nimmt und auf diese Weise verhindern hilft, was ja als Gefahr auch
nicht übersehen werden darf, daß nämlich in dieser Region Europas ein
neues, ein gewalttätiges, ein von Terror erschüttertes "zweites
Nordirland" entstehen könnte.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN])
Deshalb wird es jetzt darauf ankommen, ein Abkommen durchzusetzen - und
dann dauerhaft die Einhaltung dieses Abkommens zu gewährleisten - und
den Weg hin zu diesem Ziel schrittweise zu ermöglichen.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23148

noch: Rudolf Scharping

Das Ziel einer Autonomie für die Albaner im Kosovo und im
jugoslawischen Staatsverband kann nicht erreicht werden ohne
verantwortungsbewußtes Handeln auf beiden Seiten: sowohl auf der Seite
der Bundesrepublik Jugoslawien wie auf der Seite der Kosovo-Albaner.
Deshalb sollten wir bei dieser Entscheidung immer mitbedenken und im
Auge behalten, daß es darum geht, zivile, demokratische,
rechtsstaatliche Entwicklungen und die sie tragenden Kräfte in der
Bundesrepublik Jugoslawien zu unterstützen.
(Beifall der Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es geht nicht allein darum, mit einer militärischen Drohung einen
Konflikt einzudämmen, sondern auch darum, mit Hilfe dieser Drohung eine
für die Zukunft tragfähige Lösung des Konfliktes zu ermöglichen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb wird es unsere Aufgabe sein, neben allem notwendigen Handeln der
Staaten und der Staatengemeinschaft dafür zu sorgen - jedenfalls
mitzuhelfen -, daß zivile, demokratische, rechtsstaatliche Entwicklungen
in der Bundesrepublik Jugoslawien möglich werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Auf der anderen Seite wird es darum gehen, mit Blick auf manche Kräfte
unter den Kosovo-Albanern mit derselben Deutlichkeit, mit derselben
festen Haltung und mit demselben klaren Ziel zu sagen: Auch auf dieser
Seite ist jede Form der Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer
Ziele inakzeptabel und wird auf den gleichen entschiedenen Widerspruch
der internationalen Staatengemeinschaft stoßen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
In dieser Debatte sind einige Bemerkungen gemacht worden, die ich mit
ein paar, wie ich hoffe, weiterführenden Überlegungen verbinden möchte.
Wenn man sagt, man wolle nichts tun, dann ist auch das ein
Präzedenzfall. Wenn man sich auf die Position zurückziehen wollte, daß
die Rechtsgrundlage des Eingreifens eine schwierige, jedenfalls
hinterfragbare Rechtsgrundlage ist, und deshalb zu dem Ergebnis kommt,
in dieser Situation nichts tun zu wollen, dann setzt man ein Signal auch
für künftige internationale, innerstaatliche, sich zwischen
Bevölkerungsgruppen entwickelnde Konflikte. Dann ist auch das
Nichthandeln ein Präzedenzfall und eine Ermutigung für jene, die sich
darauf berufen könnten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wenn also in dieser Debatte die Befürchtung geäußert wird, hier könnte
gewissermaßen in einer unzulässigen Dehnung von rechtlichen
Handlungsmöglichkeiten der internationalen Staatengemeinschaft - in
diesem Falle der Vereinten Nationen und der NATO - ein Präzedenzfall
geschaffen werden, den andere mißbrauchen könnten - hier ist unter
anderem Rußland erwähnt worden, was ich im übrigen für eine höchst
problematische Erwähnung halte; aber das nur nebenbei -,
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
dann würde das Nichthandeln genau jenen Präzedenzfall kreieren, der
jetzt befürchtet wird.
Wenn gesagt wird, daß die Charta der Vereinten Nationen in ihrer
rechtlich nicht zu bezweifelnden Verfassung eine solche
Handlungsmöglichkeit nicht eröffnet, dann muß man das im Zusammenhang
mit der drohenden humanitären Katastrophe sehen, die mit unserem Handeln
verhindert werden soll. Im übrigen werden wir uns für die Zukunft - auch
da will ich deutlich machen, daß die eigentliche Aufgabe erst in der
Zukunft liegt - mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob man mit der
Charta der Vereinten Nationen, ob man mit international respektierten
oder auch reklamierten Grundsätzen von der universellen Geltung der
Menschenrechte, ob man mit dem vorhandenen Instrumentarium, das aus der
Zeit des kalten Krieges und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammt,
noch in der Lage sein wird, anderen, völlig veränderten Konfliktlagen
innerhalb von Staaten und zwischen Staaten gerecht zu werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dahinter steckt das notwendige Ziel, daß man diesem Handeln schrittweise
die notwendige Verrechtlichung folgen lassen muß; denn sonst würde man
das Ziel, das wir verfolgen, außer acht lassen.
(Beifall bei der SPD)
Ich will noch einen dritten Hinweis geben: Ich bitte doch sehr darum,
in einer solchen Diskussion einen Anspruch, zum Beispiel den der
universell geltenden Menschenrechte und der daraus folgenden
Verantwortung, nicht mit der Reichweite unserer Möglichkeiten zu
verwechseln, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Ich habe den
Eindruck, daß einige unter uns so argumentieren, als würde die begrenzte
Reichweite der Möglichkeit, Verantwortung wahrzunehmen, uns von der
Verantwortung selbst entbinden. Das präzise Gegenteil ist der Fall!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Gerade wenn man erkennt, daß man mit dem Anspruch universell geltender
Menschenrechte, mit dem Anspruch von Humanität, der Förderung von
Demokratie Politik gestalten will, ist man verpflichtet, die bittere
Erkenntnis begrenzter Möglichkeiten zur Wahrnehmung dieser Verantwortung
nicht als Entschuldigung dafür mißzuverstehen, die gesamte Verantwortung
zur Seite zu legen, sondern wenigstens die begrenzten Möglichkeiten zu
nutzen, um der Verantwortung gerecht zu werden, die sich aus unserem
Anspruch ergibt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
In diesem Teil der Debatte drücken sich ganz ernste Fragen aus. Diese
Fragen wiederum kann man vermutlich mit Blick auf ein Ziel ernster,
hoffnungsvoller und zielbewußter beantworten.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23149

noch: Rudolf Scharping

Es wird notwendig sein, nicht nur zu unterstützen, was es an
rechtsstaatlichen und demokratischen Bewegungen und Möglichkeiten in der
Bundesrepublik Jugoslawien genauso wie auf der Seite der Kosovo-Albaner
gibt. Es ist hier schon gesagt worden - ich will das unterstreichen -,
daß man den Weg nach Europa offenhalten muß. Ich füge hinzu, daß dieser
Weg nicht allein von Staaten beschritten werden kann. Manchmal schleicht
sich ja in einer solchen Diskussion in den geistigen Hintergrund das
Mißverständnis förmlich ein, der Weg nach Europa sei nur der Weg einer
mehr oder weniger staatlichen Integration, untermauert von ökonomischen
Interessen. Das wird aber nicht reichen.
Wenn es beispielsweise nicht gelingt - was in der Debatte meiner
Fraktion eine große Rolle gespielt hat -, einen kulturellen Dialog zu
eröffnen, die Möglichkeiten des Austausches auch auf den Ebenen
gesellschaftlicher Gruppen und kommunaler Selbstverwaltung, so sie sich
dort und andernorts entwickelt, zu verbessern, wenn es nicht gelingt,
auch den Dialog zwischen Muslimen, die sich als aufgeklärt empfinden,
Christen, die mit einem vergleichbaren Anspruch ihr Leben zu gestalten
suchen, und orthodoxen Christen zu eröffnen, dann könnte sich
herausstellen, daß die innere Qualität eines Prozesses, der als
Zusammenschluß von Staaten mit ökonomischer Basis und sonst nichts
mißverstanden wird, dem es also an politischer und geistiger Kraft
mangelt, zum Scheitern der Integration und des Dialogs führt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Ich denke, solche Bemerkungen gehören hinzu.
Ich will noch eine Bemerkung machen, die sich mit der hier und da
deutlich werdenden Skepsis auseinandersetzt, das, was wir heute
entscheiden, könnte zu einer Schwächung internationaler Organisationen
führen.
(Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Im Gegenteil!)
Wenn wir als Bundesrepublik Deutschland konsequent jenen zur Seite
treten, die ein sogenanntes Durchsetzungsmandat der Vereinten Nationen
anstreben, dann läßt sich in diesem Prozeß auch eine Stärkung der
Vereinten Nationen erreichen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wenn wir einbeziehen, daß die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa die Überwachung eines Abkommens mit dem Abzug
der Truppen, einem Waffenstillstand und der humanitären Versorgung der
Bevölkerung übernimmt, und zwar unter Beteiligung Rußlands, dann ist das
ein mehr als deutlicher Hinweis darauf, daß es eben nicht um einen
Ausschluß oder eine Brüskierung Rußlands oder eine Ignoranz gegenüber
der internationalen Bedeutung Rußlands geht, sondern ganz im Gegenteil
darum, Rußland so gut wie irgend möglich in diese Entwicklung
einzubeziehen und dabei gleichzeitig die OSZE zu stärken. Das kann
gelingen, wenn man sich dem Ziel widmet, das hier beschrieben worden
ist.
Schließlich: Mit Blick auf die Bedeutung von
Nichtregierungsorganisationen, von gesellschaftlichen, sozialen und
kulturellen Prozessen sollten wir das alles nicht geringschätzen.
Meine letzte Bemerkung gilt den Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr. Sie sind in diesen Prozeß besonders einbezogen - zum einen,
weil man von ihnen die Erfüllung einer Pflicht erwartet, und zum
anderen, weil in dieser Erwartung der Erfüllung einer Pflicht ein enorm
hohes Risiko für die beteiligten Menschen stecken kann. Niemand von uns
sollte die Illusion haben, mit dieser Entscheidung oder mit dem Abkommen
und seiner Überwachung sei der Prozeß schon zu Ende. Ganz im Gegenteil:
Es werden schwierige, von außerordentlichen Risiken geprägte Situationen
auf uns zukommen. Gerade deshalb ist es wichtig - das ist ja heute
mehrfach gesagt worden -, daß der Deutsche Bundestag diesen Auftrag an
die Soldaten, der mit einem hohen Risiko verbunden sein kann, mit großer
Gemeinsamkeit unterstützt und im übrigen den Soldaten mit dieser
Unterstützung noch etwas anderes signalisiert, nämlich daß die Menschen,
von denen wir einen besonderen Beitrag zur Gewährleistung von Sicherheit
erwarten und denen wir diesen Auftrag geben, in innerstaatlichen
politischen Diskussionen die gleiche Sicherheit und Verläßlichkeit
erhalten. Das ist eine Frage der Gegenseitigkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Ich will sehr deutlich sagen, daß es Aufgabe und Ziel der neuen
Bundesregierung sein wird, es als Prinzip durchzusetzen, daß jene
Menschen, von denen wir einen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes und
in den internationalen Beziehungen fordern, vom Parlament und von der
Regierung ebenfalls Sicherheit und Verläßlichkeit für ihren eigenen
Auftrag fordern können. Das wollen wir gewährleisten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluß
eine kleine persönliche Bemerkung. Ich erinnere mich sehr gut, daß sich
meine vermutlich erste Rede als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
nach der Haushaltsdebatte 1994 mit genau diesen Themen
auseinanderzusetzen hatte. Ich erinnere mich an streitige Abstimmungen
und an schwierige und mit großem Ernst geführte Diskussionen im
Parlament, aber auch in meiner eigenen Bundestagsfraktion. Mit Blick auf
die Zukunft und auch mit Blick auf das Handeln der künftigen
Bundesregierung will ich sagen, daß der in großen Schwierigkeiten und
mit großer Ernsthaftigkeit erreichte Konsens in den Grundlagen deutscher
Außen- und Sicherheitspolitik auch in der Zukunft bewahrt werden sollte.
Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, weil er nach draußen, zu
unseren Freunden und Partnern etwas signalisiert, nämlich
Verläßlichkeit, Festigkeit und Stetigkeit in den aus
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23150

noch: Rudolf Scharping

wärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland und in der
Wahrnehmung des Teils der Verantwortung, der sich für Deutschland daraus
ergibt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei
Abgeordneten der F.D.P.)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Vielen Dank, Herr Kollege Scharping.
(Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Was heißt "vielen Dank"?)
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Glos.
Michael Glos (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte nur einen Satz zur ganz linken Seite dieses Hauses
sagen. Der Vertreter der SED, die sich jetzt PDS nennt, hat vorhin
gesprochen.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das sind die, die Sie jetzt als
Mitglieder aufnehmen wollen!)
Ich erinnere mich nicht, daß die SED 1968 ein Mandat gefordert hat, als
es um die Intervention in der damaligen Tschechoslowakei ging.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. - Ludger
Volmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie wollen doch die SED-Mitglieder
in die CDU aufnehmen!)
Der Deutsche Bundestag hat heute eine ernste und wichtige Entscheidung
zu treffen. Es geht um die Verhinderung einer humanitären Katastrophe.
Unser politisches Ziel muß sein: Retten von Menschenleben und Beenden
menschlichen Leidens. Deswegen ist Deutschland aufgefordert,
(Unruhe - Glocke der Präsidentin)
im Bündnis seinen gleichgewichtigen Beitrag zu leisten, der Gewalt im
Kosovo wirksam Einhalt zu gebieten.
Die aktuellen Zusagen des Herrn Milosevic ändern nichts an der
Notwendigkeit, daß wir heute über die Teilnahme deutscher Soldaten an
NATO-Operationen zu entscheiden haben. Bis Milosevic seinen Worten
überprüfbare Taten folgen läßt, bis die Rückkehr der Flüchtlinge
Realität ist, muß er wissen, daß die NATO jederzeit handeln kann und daß
die Deutschen im Rahmen der NATO ihren Beitrag leisten werden. Dabei
geht es ganz sicher nicht um eine Militarisierung unserer Außenpolitik,
wie es uns früher immer unterstellt worden ist. Wir stehen vor der
aktuellen Aufgabe, unser außenpolitisches Handeln in der Kosovo-Krise
glaubwürdig zu untermauern. Wir müssen gleichermaßen das Vertrauen
unserer Partner in die Verläßlichkeit Deutschlands erhalten. An dieser
Verläßlichkeit hat es bisher nie Zweifel gegeben, und ich hoffe, daß das
auch in der Zukunft so bleibt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Lage im Kosovo ist eindeutig. Die Resolution 1199 des UN-
Sicherheitsrates stellt klar: Das bisherige Vorgehen der serbischen
Sicherheitskräfte gegen die albanische Bevölkerung gefährdet den Frieden
in dieser Region. Damit ist der Konflikt im Kosovo keine innere
Angelegenheit Serbiens oder Jugoslawiens mehr. Wir stehen vor der
wichtigen Entscheidung, angesichts des Leidens der Menschen im Kosovo
die Kraft zum Handeln aufzubringen, um bestenfalls - das wünschen wir
uns sicherlich alle - nicht handeln zu müssen.
Zu Recht hat der amerikanische Präsident Clinton - er ist heute schon
zitiert worden, und ich möchte es noch einmal tun - darauf hingewiesen,
daß "die Friedhöfe des Balkans voll sind von den gebrochenen
Versprechen Milosevics".
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Deshalb darf und kann es keine Entwarnung für Herrn Milosevic geben. Der
glaubwürdige Druck muß erhalten bleiben.
(Beifall und Zuruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es!)
Wir begrüßen die positive Entwicklung, die sich in den Verhandlungen
zwischen dem amerikanischen Vermittler und der jugoslawischen Führung
ergeben hat.
(Unruhe - Glocke der Präsidentin)
Diese Verhandlungen lassen hoffen, daß es zu einer politischen Lösung
kommt, die dauerhaft eine regionale Autonomie des Kosovo innerhalb Rest-
Jugoslawiens gewährleistet. Diese erfreuliche Chance ist ganz
offensichtlich auf eine Tatsache zurückzuführen: Die NATO hat
unmißverständlich deutlich gemacht, bereit zu sein und auch entschlossen
zu handeln. Das hat letztendlich den Durchbruch zu dieser politischen
Lösung eröffnet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. - Dr. Peter
Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es!)
Einmal mehr war es gut, daß unsere amerikanischen Freunde und
Verbündeten die Initiative ergriffen haben. Die USA haben in gebotener
Weise Führung und Verantwortung übernommen. Ich hatte unlängst
Gelegenheit, mit dem bis vor drei Wochen zuständigen Oberbefehlshaber
der amerikanischen Streitkräfte in Europa und damit auch in Bosnien,
General Eric Shinseki, zu sprechen, der früher im Rahmen der Wahrnehmung
seiner Aufgaben zweimal in meinem Wahlkreis stationiert war. Er hat mir
von der Schwierigkeit berichtet, die Aufgabe dort zu erfüllen. Ich habe
ihn gefragt: Herr General, was war eigentlich das Allerschwierigste?
Darauf antwortete er: Das Allerschwierigste war die Aufgabe, den
Delegationen des amerikanischen Kongresses, die uns besucht haben, zu
erklären, warum hier amerikanische Steuergelder eingesetzt werden
müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
machen wir uns überhaupt nichts vor: Es wäre verheerend für uns und
unsere Zukunft gewesen, wenn deutsche Besatzungen aus den Awacs-
Flugzeugen hätten aussteigen müs
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23151

noch: Michael Glos

sen und wenn sich deutsche Soldaten und Offiziere aus den Einsatzstäben
hätten zurückziehen müssen. Deswegen danke ich auch an dieser Stelle
unseren amerikanischen Verbündeten, daß sie immer treu zu uns und treu
zu Europa standen. Ich freue mich deswegen, daß heute, wie ich hoffe,
vom gesamten Bundestag - bis auf die ganz linke Seite - ein Signal der
Verläßlichkeit ausgeht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)
Erfolg und Wert des Atlantischen Bündnisses hängen entscheidend von
seiner Geschlossenheit und von seiner Entschlossenheit ab. Deshalb war
es richtig und notwendig, daß die Bundesregierung auch zwischen
Bundestagswahl und Regierungsbildung Beschlüsse gefaßt hat. Die noch
amtierende Regierung hat Verantwortung übernommen, entschlossen
entschieden und ihre Pflicht wahrgenommen. Dafür bedanke ich mich ganz
herzlich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Wenn sich das Atlantische Bündnis in diesem Fall zum Handeln
entschließt, entspricht es fundamentalen deutschen Interessen, wenn
Deutschland von Anbeginn dieser Operation - und wenn sie nur eine
Operation der glaubhaften Drohung war - seinen gleichgewichtigen Anteil
leistet. Gerade im Interesse unserer Soldaten ist es wichtig, daß heute
alle demokratischen Parteien des Deutschen Bundestages ganz breit einem
möglichen Einsatz zustimmen.
Ich habe mich über die Rede des Vertreters der Grünen und wohl
künftigen Außenministers unseres Landes gefreut. Wenn ich an viele
Debatten zurückdenke, die wir hier geführt haben, stelle ich fest, daß
er einen sehr weiten Weg gegangen ist. Ich erinnere mich an dieser
Stelle an die Debatte über den Einsatz deutscher Tornados zur Beendigung
des elenden Völkersterbens in Bosnien. Damals war vieles noch ganz
anders. Ich will mir verkneifen, aus den damaligen Reden von führenden
grünen Politikern zu zitieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deutsche Soldaten haben in den
vergangenen Jahren in einer Vielzahl von Einsätzen zur Erhaltung und
Schaffung des Friedens ganz Herausragendes geleistet. Ich möchte mich
bei diesen Soldaten bedanken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich weiß von einem Besuch und Gesprächen mit deutschen Soldaten in
Sarajevo, aber auch in Mostar - mit Soldaten auch aus meinem Wahlkreis,
die ich dort getroffen habe -, daß die schlimmen geschichtlichen
Ereignisse, die uns, wenn es um den Balkan geht, natürlich immer wieder
begleiten, offensichtlich aber eine geringere Rolle spielen, als wir
befürchtet haben. Die Soldaten haben mir gesagt, sie seien auch zum
Beispiel in der Republika Srpska angesehen, weil sie Friedensbringer
sind und weil ohne Hilfe von außen der Frieden dort nicht möglich
gewesen wäre.
Ebenso klar sage ich: Im deutschen Interesse wäre es auch, wenn die
neue Regierungskoalition in dieser wichtigen Entscheidung geschlossen
aufträte. Ich halte an dieser Stelle von der Freigabe der Abstimmung
nicht sehr viel. Das würde sehr ernste Fragen aufwerfen. Wir werden -
das hat Wolfgang Schäuble gesagt - auch künftig, wenn die Verantwortung
noch klarer definiert ist, darüber wachen, daß sich diejenigen, die vom
Wähler die Mehrheit bekommen haben, geschlossen zum Handeln
entschließen. Man kann nicht die vermeintlichen Sonnenseiten der
Regierung in Anspruch nehmen und sich um das Unangenehme, das auch dazu
gehört, letztendlich drücken wollen. Wie glaubwürdig wir als Deutsche
insgesamt sind, wie glaubwürdig aber auch Herr Joschka oder Joseph
Fischer als Außenminister ist, wird heute von seiner eigenen Fraktion
abhängen, und zwar davon, inwieweit sie ihm Gefolgschaft gewährt bzw.
inwieweit sie ihm Gefolgschaft verweigert.
Wir machen in der heutigen Sitzung mit unserem Abstimmungsverhalten
deutlich, daß auf die CDU/CSU-Fraktion Verlaß ist. Auf die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion war in den Zeiten Verlaß, in denen wir die
Regierungsverantwortung getragen haben. Es wird auch in der Zeit Verlaß
auf uns sein, in der wir als Opposition eine wichtige Rolle für unser
Land wahrnehmen.
Ich bedanke mich herzlich und bitte um die Zustimmung zu dieser
Vorlage.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Ludger Volmer.
Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Der Deutsche Bundestag befindet sich in einem
Entscheidungsdilemma.
(Zurufe von der CDU/CSU: Sie!)
Er befindet sich im Widerspruch zwischen der Legitimität und der
Legalität eines Militäreinsatzes.
Es kann keinen Zweifel darin geben, daß es überfällig war, den
boshaftesten Despoten in Europa, der Krieg gegen sein eigenes Staatsvolk
führt, es entwurzelt, in die Wälder treibt und ermorden läßt, in seine
Schranken zu verweisen, um eine humanitäre Katastrophe noch größeren
Ausmaßes zu verhindern. Es kann aber auch nicht bezweifelt werden, daß
die notwendige völkerrechtliche Grundlage für ein Eingreifen der NATO
nicht gegeben ist. Das Fehlen eines Sicherheitsratsbeschlusses kann
nicht durch andere Rechtskonstruktionen aufgewogen werden.
Mein Respekt gilt allen, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen der
eigenen Fraktion, die sich ihre Entscheidung im Spannungsverhältnis von
Völkerrecht und Bündnissolidarität nicht leichtgemacht haben und aus
humanitären Motiven dem Einsatz nun zustimmen. Denselben Respekt aber
verlange ich für diejenigen, die dem Antrag der Bundesregierung nicht
zustimmen werden, weil sie in der Umgehung des Völkerrechts einen
gefährlichen Präze
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23152

noch: Ludger Volmer

denzfall sehen, der mittelfristig mehr Schaden anrichten kann, als er
kurzfristig Probleme löst.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Machen wir uns nichts vor: Die Argumentation, es handele sich um eine
Ausnahme und nicht um einen Präzedenzfall, ist Augenwischerei. Jede
beliebige Regionalmacht, die in Zukunft in ihrer Nachbarschaft Ordnung
schaffen will und nur eine halbwegs zutreffende UNO-Resolution anführen
kann, wird auf das Beispiel verweisen. Der Selbstmandatierung von
Militärbündnissen ist Tür und Tor geöffnet; ein Sicherheitsrat, der
immer dann umgangen wird, wenn ein Veto droht, ist als Garant des UNO-
Gewaltmonopols außer Kraft gesetzt. Es ist ja kein Geheimnis, daß eine
solche Entwicklung gerade dort Anhänger hat, wo die Verfügung über
mächtige Militärapparate Anlaß zu der Überlegung gibt, ob man denn die
Macht mit zahlreichen anderen ärmeren, schwächeren Ländern im Rahmen
internationaler Organisation teilen soll, wenn man stark genug ist, den
eigenen Willen jederzeit überall durchsetzen zu können.
Ich selber gehöre zu denen, die dem Antrag nicht zustimmen werden, weil
sie daran glauben, daß das Recht des Stärkeren auch international durch
die Stärke des Rechts ersetzt werden muß. Nur eine Verdichtung und
Verbreiterung des Völkerrechts, nur die Stärkung des UNO-Gewaltmonopols
durch entsprechende Mandate und Ressourcen wird dazu beitragen, nicht
seine Aushöhlung.
Nun wenden einige ein, daß das Recht auf dem Balkan nach Lage der Dinge
nur durch Waffen erzwungen werden könne. Nicht allen, die das
formulieren, nehme ich die Ernsthaftigkeit des Arguments ab. Warum sind
denn auch von NATO-Staaten die Sanktionen gegen Milosevic unterlaufen
worden? Warum wurde der jugoslawischen Fluggesellschaft so spät und
unvollständig das Landerecht entzogen? Ich kann nicht begreifen, wie
jemand einen Kampfauftrag für die NATO ohne UNO-Mandat befürwortet, der
nicht einmal bereit war, Jugoslawien die Teilnahme an der
Fußballweltmeisterschaft zu verwehren. Alle Fachleute sind sich einig,
daß eine solch scheinbar läppische Maßnahme für den größenwahnsinnigen
Diktator eine empfindlichere Schmach gewesen wäre, die ihm eher die
Sympathie seiner Bevölkerung entzogen hätte, als die geplanten
Bombardierungen.
Zu erinnern ist auch daran, daß die bündnisgrüne Bundestagsgruppe
bereits 1991 in einem Antrag auf die Gefährlichkeit der Situation im
Kosovo hingewiesen hat. Anläßlich des Dayton-Abkommens forderten wir,
den Kosovo-Konflikt mit zu lösen. Das hielt man aber nicht für nötig.
Wenn heute über Militäreinsätze entschieden wird, dann sollen das
diejenigen verantworten, die unsere frühen Mahnungen nicht ernst
genommen haben, schlimmer noch, die der Kosovo nur unter der
Fragestellung interessierte, wie sie die Kosovo-Flüchtlinge wieder
zurückschicken könnten.
Wir diskutieren heute unter dem Eindruck der Verhandlungserfolge. Diese
Erfolge sind ausdrücklich zu begrüßen. Es wird die Aufgabe der kommenden
Regierung sein, sie zu untermauern. Aber man kann nicht sagen: Ende gut,
alles gut. Erstens ist der Konflikt nicht zu Ende, und zweitens hat mir
niemand die Frage beantworten können, was denn nach den ersten
Bombardements gekommen wäre. Eine Invasion mit Bodentruppen? Ein Krieg,
der die gesamte Region erfaßt hätte? Ein Wiedererstarken von Milosevic
und die totale Unterdrückung der Opposition? Eine gestärkte UCK, die nun
ihrerseits Terror verbreitet?
Das Dilemma jeder Abschreckungspolitik besteht darin, ein Übel
anzudrohen, das schlimmer ist als das aktuelle, und den festen Willen zu
haben, es auch eintreten zu lassen. Es scheint, als seien wir
davongekommen; aber wir waren nahe dran.
Um so wichtiger ist es in der Zukunft, in der internationalen Politik
alles zu tun, was solche Zuspitzungen unterbinden kann. Dies ist auch
der Grund, warum wir Grünen uns an dieser Frage nicht zerstreiten
werden; denn wir sind uns einig, daß auch in der deutschen Politik
Mechanismen gestärkt werden müssen, die bereits bei der
Konfliktentstehung ansetzen: Frühwarnsysteme und eine Verstärkung
krisenpräventiver Maßnahmen, wie die OSZE sie anbietet. Solange diese
Mittel nicht ausprobiert und ausgereizt werden, wird ein Militäreinsatz
bei uns immer auf wenig Verständnis stoßen. Das ist der Grundsatz grüner
Außenpolitik.
Wir freuen uns darauf, diese Elemente der Konfliktprävention und
Konfliktbeilegung mit friedlichen Mitteln in einer neuen Regierung
weiterentwickeln zu können mit einem Außenminister Fischer, der dafür
meine und die volle Unterstützung unserer Fraktion haben wird.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Ulrich Irmer.
Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Ort, an dem wir heute tagen - das Wasserwerk -, aber auch die
Ausführungen meines Vorredners Volmer rufen in mir Erinnerungen an
Debatten wach, die wir hier im Hause geführt haben, als es zum ersten
Mal darum ging, daß eine deutsche Beteiligung an internationalen
militärischen Einsätzen verlangt wurde.
In der Tat müssen wir uns noch einmal daran zurückerinnern, daß wir die
deutsche Außenpolitik nach der Vereinigung unseres Landes neu
orientieren mußten. Das war nicht einfach. Wir waren bis zur deutschen
Einheit Frontlinienstaat. Es gab zwei deutsche Staaten in den Vereinten
Nationen. Wir konnten mit einem gewissen Recht eine Sonderrolle für uns
in Anspruch nehmen, auch mit Blick auf die jüngere deutsche Geschichte.
Als aber die Einheit erreicht war, als ein Deutschland Mitglied der
Vereinten Nationen war, als der Ost-West-Konflikt überwunden war, da
haben unsere Bündnispartner mit Recht gefragt: Warum wollt
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23153

noch: Ulrich Irmer

ihr euch denn auf einen Sonderweg begeben, in dem ihr allein euch
verweigert, wenn als - wohlgemerkt - immer nur allerletztes Mittel der
Einsatz oder die Androhung militärischer Gewalt unausweichlich geworden
ist, um schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhüten?
Ich kann die neue Mehrheit nur dazu beglückwünschen, wie lernfähig sie
in den letzten Jahren gewesen ist. Wir sind hier bezichtigt worden, wir
betrieben eine Militarisierung deutscher Außenpolitik. Wir haben immer
darauf Wert gelegt festzustellen, daß das natürlich absoluter Unsinn
ist; denn wir haben immer betont, daß wir den Einsatz von Militär nur
für legitim halten, wenn er wirklich unausweichlich zur Wahrung von
Menschenrechten ist. Dabei bleibt es.
(Beifall bei der F.D.P.)
Wir haben insofern eine Umorientierung unserer Außenpolitik vornehmen
müssen. Aber wir haben zugleich Kontinuität gewahrt, indem wir nämlich
den Weg der alten Bundesrepublik Deutschland weitergegangen sind:
Einbindung in unsere Bündnissysteme, in die Weltordnung, in die vom
Recht der Vereinten Nationen geprägte Weltlage.
Wir haben immer sagen müssen - und wir sagen das weiterhin -: Es darf
keine deutschen Alleingänge geben. Das gilt nicht nur im Sinne von
Abenteuern und von deutschem Sonderweg auf Grund neuerworbener eigener
Kraft. Nein, wir dürfen auch keine Sonderwege gehen, wenn es darum geht,
internationale Verpflichtungen zu erfüllen. Wir dürfen auch dann keine
Sonderwege gehen, wenn uns das wie heute schwierige und schwierigste
Entscheidungen abverlangt.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich kann der neuen Bundesregierung nur wünschen und hoffe, daß dieser
Weg auch in Zukunft nicht verlassen wird. In der schwierigen Lage nach
der deutschen Einheit hat die scheidende Bundesregierung die
entscheidenden Weichenstellungen für die notwendigen Veränderungen, aber
auch für die Wahrung der Kontinuität eingeleitet. Sie ist dabei von den
Regierungsfraktionen inhaltlich voll unterstützt worden.
Ich danke der Bundesregierung für das, was sie hier geleistet hat. Ich
wünsche der neuen Bundesregierung, daß sie die Kraft und vor allem auch
die innere Geschlossenheit aufbringt, diesen Weg nicht zu verlassen, der
nämlich allein dazu beitragen kann, daß Deutschland auch weiterhin nicht
nur eine wichtige, sondern auch eine geachtete Rolle in der Welt spielen
kann.
Ich bedanke mich.
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Kollege Günter
Verheugen.
Günter Verheugen (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Um noch einmal auf den Kern der Frage zurückzukommen, um die es
heute geht, die Entscheidung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte
an einem Einsatz von NATO-Luftstreitkräften, den wir alle nicht
erhoffen, aber mit dem wir rechnen müssen, muß noch eine Frage
beantwortet werden. Wir wollen heute etwas entscheiden, wissen aber
nicht, ob diese Entscheidung tatsächlich dazu führt - hoffen, daß sie
nicht dazu führt - daß es zu diesem Einsatz kommt: Wie lange hat diese
Entscheidung Bestand? Können wir hier einen Beschluß fassen, der eine
unbegrenzt lange Wirkung entfaltet?
Ich möchte deshalb für meine Fraktion sehr deutlich sagen, daß der
Beschluß, den wir heute fassen, kein Vorratsbeschluß ist, der bedeutet,
daß man in vier, sechs, acht oder zwölf Wochen dann gegebenenfalls
darauf zurückkommen kann, sondern daß nur für eine sehr überschaubare
Zeit der Bereitschaftsstatus, den die NATO mit unserer gemeinsamen
Unterstützung eingenommen hat, aufrechterhalten werden kann und daß in
absehbarer Zeit eine Entscheidung darüber fallen muß, ob dieser Zustand
aufrechterhalten wird oder nicht. Wenn sich dann die Krise erneut
verschärfen sollte, ist ein neuer Entscheidungsprozeß innerhalb der NATO
und auch innerhalb von Bundesregierung und Bundestag notwendig.
Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Entscheidung, die
heute getroffen wird, keinen militärischen Automatismus auslöst. Man hat
falsche Darstellungen gelesen, als sei es folgendermaßen: Wenn wir dem,
was heute hier vorliegt, zustimmen, heißt das, daß der NATO-
Oberbefehlshaber, wann immer er es für richtig hält, auf den Knopf
drücken kann, und dann geht es los. So ist die NATO nicht.
Es ist sehr wichtig, festzuhalten, daß alle einzelnen Schritte, jede
einzelne Entscheidung, die noch getroffen werden muß, bis zur
allerletzten Einsatzentscheidung unter vollständiger politischer
Kontrolle steht, daß jederzeit die politische Möglichkeit gegeben ist,
einen Prozeß anzuhalten oder ihm eine andere Richtung zu geben. Diese
Möglichkeit hat auch die jeweilige deutsche Bundesregierung. Das ist
vielleicht für diejenigen hilfreich, die Bedenken haben, weil sie nicht
wissen, wie mit dem Instrument, das wir heute der NATO zur Verfügung
stellen, tatsächlich umgegangen wird.
Im übrigen sind für mich aus dieser Debatte drei weiterführende Fragen
hervorgegangen, die ich kurz skizzieren möchte. Die erste und
wahrscheinlich wichtigste ist in der Tat die Frage nach der
völkerrechtlichen Entwicklung. Wir haben jetzt mitten in Europa eine
Situation, bei der der Inhaber des Gewaltmonopols das, wozu er
eigentlich verpflichtet ist, aus Gründen, die ich nicht näher
untersuchen möchte, nicht tun kann. Es ist dargestellt worden, das es
intensive Bemühungen gegeben hat, ein eindeutiges und klares Mandat der
Vereinten Nationen mit Erzwingungsermächtigung herbeizuführen. Rußland
hat sich dem verweigert.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23154

noch: Günter Verheugen

Ich will übrigens an die Adresse unserer russischen Partner sagen, daß
diese Haltung nicht ganz verständlich ist. Gerade wenn Rußland vermeiden
will, daß gefährliche Präzedenzfälle entstehen - das ist die russische
Position, meine ist es nicht -, gerade dann wäre es im russischen
Interesse gewesen, mit den anderen Sicherheitsratsmitgliedern möglichst
viel Gemeinsamkeit zu zeigen und gemeinsam daran zu arbeiten, daß eine
Resolution zustande kommt; dann hätte Rußland nämlich die Sicherheit,
daß nur auf der Grundlage von klaren Mandaten gehandelt werden kann.
Ich fürchte also, daß die russische Haltung in erster Linie nicht von
Rücksicht auf die Vereinten Nationen bestimmt ist, sondern daß es sich
um Interessen handelt, die Rußland auf dem Balkan verfolgt und die nicht
dazu geeignet sind, eine schnelle und friedliche Lösung der
Balkankonflikte herbeizuführen. Da werden wir in den Kontakten mit
unseren russischen Kolleginnen und Kollegen in den nächsten Monaten
sicherlich noch eine Menge zu tun haben.
Die zweite Frage ist, ob die völkerrechtlichen Grundsätze
weiterentwickelt werden können. Das ist der Fall bei dem Grundsatz der
Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Hier hat sich das
Völkerrecht bereits weiterentwickelt. Vor 15 Jahren wäre selbst die
Resolution 1199, auf die wir uns heute stützen, nicht möglich gewesen,
weil die Vereinten Nationen eine solche Resolution damals unter dem
Gesichtspunkt der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten nicht
hätten fassen können. Da hat es im Laufe der letzten zehn Jahre eine
bemerkenswerte Entwicklung gegeben. Es ist wichtig, festzuhalten, daß
das Völkerrecht heute auf einem Stand angekommen ist, der besagt, daß
systematische Menschenrechtsverletzungen in einem Land dem Tätigwerden
der internationalen Gemeinschaft nicht deshalb entgegenstehen, weil es
sich um die innere Angelegenheit dieses Landes handelt. Dieser Stand ist
bereits erreicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU])
Wie handelt man in einer solchen Notfallsituation, wie wir sie jetzt
haben, wenn der eigentliche Inhaber des Gewaltmonopols handlungsunfähig
ist? Herr Kinkel hat in seiner Regierungserklärung gesagt, das, was hier
vorgeschlagen werde, sei rechtlich vertretbar. Das ist eine Formel, die
ich als die unterste Möglichkeit dessen bezeichne, was man als eine dem
Recht verpflichtete Regierung dem Deutschen Bundestag - rechtlich
vertretbar - noch vortragen kann. Also müssen wir in den nächsten Jahren
daran arbeiten, daß die humanitäre Intervention, die Möglichkeit,
humanitäre Katastrophen abzuwenden, auf eine völkerrechtliche Grundlage
gestellt wird, die den jeweiligen Außenminister nicht in die Lage
bringt, sagen zu müssen, es sei rechtlich vertretbar, sondern in die
Lage bringt, zu sagen: Das ist das Völkerrecht, das es uns erlaubt, in
einem solchen Fall tätig zu werden.
Die dritte weiterreichende Frage bezieht sich auf die Konfliktlösung
auf dem Balkan selbst. Wir müssen die Balkankonflikte im Zusammenhang
sehen. Es ist immer ein Fehler, einen dieser Konflikte isoliert zu
betrachten, so wie es falsch war, Bosnien oder Kosovo isoliert zu
betrachten. Wir müssen die Auswirkungen auf Albanien, auf Makedonien und
auf alle Nachfolgestaaten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien
sehen. Und da gibt es Auswirkungen. Die Antwort ist eigentlich in allen
Fällen dieselbe: Wir müssen unsere Bemühungen verstärken, dieses Gebiet,
diesen Raum mitten in Europa zu einem starken und handlungsfähigen
demokratischen Gebilde zu machen. Je stärker die demokratischen Kräfte
in Serbien, in Bosnien und in Albanien werden, desto eher haben wir die
Möglichkeit, eine langfristige und stabile Friedensordnung auch für
diesen Raum herzustellen.
Wir sollten uns auch bemühen, zur Stabilisierung der Region die
Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Region zu fördern. Einige von
uns, die sich in Bosnien gut auskennen, schütteln immer wieder den Kopf
darüber, daß uns die Freunde dort sagen, sie wollten gerne nach Europa.
Wir müssen ihnen dann sagen: Wie wollt ihr in einer europäischen
Integration mitwirken, wenn ihr nicht einmal in der Lage seid, zwischen
euren beiden Identitäten, der Republika Srpska und der Föderation, eine
Integration herzustellen und wirklich zusammenzuarbeiten? Das gilt auch
darüber hinaus. Wenn die Staaten der Regionen nicht in der Lage sind,
eine enge politische und wirtschaftliche Kooperation als Vorstufe zur
Integration in Europa zu verwirklichen, dann werden sie diesen Weg nicht
finden. Wir aber sollten bereit sein, ihnen dabei zu helfen.
Vorletzter Punkt: die hier aufgeworfene Frage, ob Sanktionen nicht eine
bessere Möglichkeit wären, mit einem solchen Problem umzugehen. Ja, ich
glaube, daß das so ist. Wir müssen aber erkennen, daß gerade im Falle
Kosovo, gerade im Falle Jugoslawien das Thema Sanktionen in Verbindung
mit dem Thema "Handlungsfähigkeit der Europäischen Union" ein
außerordentlich beschämendes und außerordentlich bedrückendes war. Wir
haben hier über Monate und Jahre ein Trauerspiel erlebt.
Es gibt einen Punkt, an dem gearbeitet werden muß: Noch schärfere
Sanktionen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien als bisher würden vor
allen Dingen die Nachbarländer in unglaubliche Probleme stürzen. Das
haben wir ja früher schon gesehen. Wenn wir also über die Verschärfung
des Instruments Sanktionen nachdenken, ist es notwendig, auch darüber
nachzudenken, wie man den Ländern helfen kann, die völlig unschuldig
Opfer einer solchen Sanktionspolitik werden. Man kann nicht Jugoslawien
sanktionieren wollen und die Nachbarstaaten dadurch bestrafen. Man wird
einen Weg finden müssen, wie man das vermeidet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Letztes: Hier wurden ja
Rückblicke über die letzten Jahre gehalten. Auch ich will - zum
allerletzten Mal, ich verspreche es - noch etwas zu diesem
Diskussionsprozeß sagen. Wir hatten harte Diskussionen. Es waren aber,
soweit es mich betraf, immer Diskussionen über die rechtspolitische
Frage, was wir eigentlich dürfen, also eine Verfassungsdiskussion. Bis
vor we-
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23155

noch: Günter Verheugen

nigen Jahren hat diese Regierung - wie auch ihre Vorgänger - gesagt, der
Einsatz deutscher Truppen außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung
ist nicht zulässig. Ich bleibe dabei, daß es richtig war, eine Klärung
in dieser Frage herbeizuführen. Sie hat uns im übrigen den
Parlamentsvorbehalt eingebracht, ohne den wir heute hier nicht
zusammensäßen. Das damalige Urteil des Verfassungsgerichts hat überhaupt
erst dafür gesorgt, daß wir darüber beraten und entscheiden, ob die
Bundeswehr eingesetzt wird oder nicht. Dieses Recht hätten wir sonst
überhaupt nicht. Sie hatten nicht vor, es so zu machen.
(Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist ja nicht wahr!)
In dem Moment, wo die Rechtsfrage geklärt war und klar war, was wir
dürfen, hat sich die SPD-Bundestagsfraktion auf den Weg begeben, mit dem
auch unsere heutige Entscheidung in Einklang steht. Es wäre schön, wenn
wir uns endlich darauf verständigen könnten, worüber wir eigentlich
gestritten haben. Wir haben nicht über die Notwendigkeit gestritten, für
Deutschland Verantwortung wahrzunehmen, sondern wir haben über die Frage
gestritten, was uns unsere Verfassung erlaubt und was nicht.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Dr. Christian Schwarz-Schilling.
Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich möchte all denjenigen Dank sagen, die
sowohl in der Bundesregierung, in den Fraktionen wie auch außerhalb
Deutschlands dazu beigetragen haben, daß das sich mehr und mehr
ausbreitende Feuer, das jeder, der wollte, sehen konnte, noch
einigermaßen rechtzeitig gelöscht wird. Das ist der Unterschied zum
Jahre 1992, als sich das Feuer genauso ausbreitete. Damals haben wir die
Frage, ob auch wir beim Löschen des Feuers helfen sollen, verneint. Das
Feuer breitete sich dann aus und brachte 300 000 Tote, 800 000 Krüppel
und 2 Millionen Vertriebene mit sich. Das ist der entscheidende
Unterschied, warum ich trotz der Schwere der Entscheidung, die heute zu
treffen ist, froh über den Geisteswandel bin, der sich hier abgespielt
hat. Jetzt erhalten nämlich die Menschenrechte in unserem Denken den
Primat gegenüber anderen Gesichtspunkten, die aus der Historie
berechtigt sein mögen, aber nicht bei der jetzt anstehenden
Entscheidung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. sowie des Abg.
Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das hat auch die Glaubwürdigkeit Europas gestärkt. Ich habe es mehr als
einmal gesagt, daß Europa nicht bestehen kann, wenn es nur den Euro
einführt. Vielmehr kann es nur bestehen, wenn es im Bewußtsein seiner
kulturellen Werte bereit ist, zu handeln und diese zu verteidigen, wo
auch immer sie in Europa angegriffen werden. Nur dann haben wir unsere
Aufgabe erfüllt.
Natürlich dürfen wir uns jetzt nicht zurücklehnen. Die Aufgabe steht
noch vor uns. Frieden und Stabilität zu schaffen ist etwas anderes als
eine militärische Drohung, die den Diktator nun dazu gebracht hat, zu
verhandeln. Jetzt kommt es entscheidend darauf an, wie die
"Substanzverhandlungen", die auch im Antrag der Bundesregierung
gefordert werden, basierend auf der UN-Resolution 1199 geführt werden.
Wie wird die Autonomie des Kosovo rechtsstaatlich abgesichert und
international garantiert? Dies ist ein ganz entscheidender Punkt. Wie
können wir die politischen Ziele des gemäßigten Rugova einigermaßen
erfüllen, damit bei den Wahlen in neun Monaten nicht nur die
Extremisten, die UCK und ähnliche, gewinnen werden? Das muß jetzt
bedacht werden. Wie kann die im Antrag ausgeführte Zielsetzung zur
Unterbindung schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen
erfüllt werden?
Wir haben nach den bisherigen Vereinbarungen Beobachter installiert,
und zwar am Boden Vertreter der OSZE und in der Luft Satelliten und
Flugzeuge. Aber wie können wir den zurückkehrenden Flüchtlingen das
Gefühl der Sicherheit geben, daß wir, wenn neue Massaker geschehen und
die Polizei plötzlich beginnt, neue ordnungswidrige Verhaftungen
vorzunehmen, tatsächlich präsent sind? Das ist eine Aufgabe, deren
Bewältigung sehr schwer ist.
Die Resolution stellt fest, daß die ganze Region von der Entwicklung im
Kosovo betroffen ist. Dies wurde soeben auch von Herrn Verheugen
festgestellt. Ich habe in der letzten Woche Gespräche in Bosnien-
Herzegowina sowie mit den Regierungen in Mazedonien und Albanien
geführt. Wenn es im Moment keine hohen Flüchtlingszahlen gibt, dann
deswegen, weil die Flüchtlinge Hoffnungen auf den Militärschlag setzen.
Die Flüchtlinge fragten, wenn man mit ihnen sprach: Mit welchen
Sicherheiten können wir wieder zurückkehren? Wir müssen auch für die
umgebenden Staaten schnellstens Stabilisierungsaktionen in Gang setzen.
Beratungen zur Verbesserung des Rechtssystems, die Schaffung eines
Polizeiwesens, all das gehört dazu und nicht nur das, was heute
beschlossen wird.
Herr Ministerpräsident Schröder, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie darauf
hingewiesen haben, daß das die Aufgabe der Zukunft ist. Eigentlich ist
es ein guter Stil, daß die alte Bundesregierung die Wege frei gemacht
hat, um unsere Integration in das NATO-Bündnis zu sichern, und daß Sie
die Zukunftsaufgabe, deren Bewältigung vor uns liegt, in ihrer Schwere
gekennzeichnet haben.
Meine Damen und Herren, wir sollten nicht über Vergangenheitsfragen
sprechen, also darüber, wer mehr und wer weniger Anteil an diesem
Beschluß hat. Herr Verheugen, wir wollen nicht über die einzelnen Zitate
sprechen. Unser Minister Rühe hat genausosehr darauf hingewirkt, daß wir
noch in dieser Woche die Integration in das Bündnis beschließen konnten.
Streit über die Vergangenheit hat keinen Sinn. Wir alle hier stehen vor
der ganz wichtigen
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23156

noch: Dr. Christian Schwarz-Schilling

Aufgabe, Frieden zu schaffen. Wir sollten dankbar sein, daß wir alle an
der Schaffung des Friedens mitwirken können, und dies in gemeinsamer
internationaler Solidarität mit den großen Demokratien, die dem NATO-
Bündnis angehören. Deswegen sollten wir alle so weit wie möglich
geschlossen für den Antrag der Bundesregierung stimmen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Gernot Erler.
Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die SPD macht es sich bei der anstehenden Entscheidung nicht
leicht. Ich spreche hier für diejenigen, die dem Antrag der
Bundesregierung nur mit großen Bedenken zustimmen können, aber auch für
eine Minderheit, die sich wegen dieser Bedenken letztlich anders
entscheiden wird. Es bleibt unsere Grundüberzeugung, daß wir für eine
Stärkung der Vereinten Nationen als der Weltorganisation zu sorgen
haben, in der alle Weltregionen - auch die armen und einflußlosen Länder
der Welt - vertreten sind,
(Beifall bei der PDS)
und daß wir uns für eine Weltordnung einsetzen müssen, in der die Stärke
des Rechts über das Recht der Stärkeren in der Tat triumphiert. Wir
sehen die Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen. Aber es gibt in
der internationalen Politik keine Alternative bei der Hoffnung auf
Interessenausgleich und auf ein geregeltes Zusammenleben der Völker an
Stelle einer einseitigen Vermachtung. Gerade deshalb fällt eine
Zustimmung zu potentieller Gewaltanwendung, die nicht durch ein
ausdrückliches Mandat der Vereinten Nationen autorisiert ist, schwer.
Wenn die Mehrzahl von uns trotzdem diese Zustimmung gibt, dann deshalb,
weil wir drei schwer entkräftbaren Argumenten folgen.
Das erste ist: Es erscheint nicht möglich, eine Drohkulisse in dem
Augenblick, wo sie in letzter Minute wirkt, in Frage zu stellen. Die
Vorstellung ist geradezu unerträglich, daß die Bundesrepublik die
Verantwortung dafür übernehmen müßte, daß Milosevic an der
Entschlossenheit der Weltgemeinschaft zweifelt, ihm in seinen Schrecken
verbreitenden Arm zu fallen.
Der zweite Punkt: Es sind nicht nur die Mitglieder der NATO, sondern
alle europäischen Staaten, die jetzt eine Drohung bis zur
Gewaltanwendung für notwendig halten. Ein Nein des Deutschen Bundestages
würde in der Tat Deutschland isolieren und Zweifel an der deutschen
Bündnis- und Integrationsfähigkeit wecken.
Schließlich der dritte Punkt: Wir freuen uns über die Mission von
Richard Holbrooke und sind dank-
bar dafür. Sie gemahnt uns aber auch daran, daß bei einem europäischen
Konflikt einmal mehr die amerikanische Shuttle-Diplomatie notwendig war,
um überhaupt eine Lösung zu eröffnen. Das zeigt, wie weit der Weg für
eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik noch ist. Ein
Nein würde die Chancen für dieses Instrument, das wir brauchen,
verringern.
Was jetzt dringend notwendig ist, ist eine begleitende Politik. Hier
ist mehrfach gesagt worden: Diese Entscheidung ist keine Umgehung der
Vereinten Nationen, kein Präzedenzfall. Hier autorisiert sich nicht eine
neue, eine andere NATO selber. - Das darf aber nicht nur eine verbale
Erklärung sein. Das muß sich widerspiegeln in der Politik der nächsten
Wochen und der nächsten Monate.
(Beifall bei der SPD)
Dazu gehört als erstes, daß nach wie vor versucht und die Chance
genutzt wird, doch noch eine gemeinsame, Rußland einbeziehende UN-
Resolution zu bekommen - nicht nur aus völkerrechtlichen Erwägungen,
sondern auch weil ohne eine russische Beteiligung eine dauerhafte Lösung
für die Probleme auf dem Balkan politisch nicht möglich ist.
Dazu gehört auch eine Stärkung der OSZE, die in dieser Region den
schwierigsten Part übernimmt. Es war immer die Überzeugung der SPD, daß
wir die OSZE stärken und ihr die notwendigen Mittel geben müssen.
Vielleicht findet diese Politik endlich einmal eine Mehrheit und läßt
sich auch durchsetzen.
(Beifall bei der SPD)
Die OSZE hat die schwierige Aufgabe, nach beiden Seiten zu wirken. Es
geht nicht nur um das Unrecht der serbischen Sicherheitskräfte, sondern
auch um das Verhalten der Befreiungsarmee des Kosovo, das heißt der UCK.
Die Menschenrechtsverletzungen von militärisch Überlegenen sind
sichtbar. Aber auch Gewaltanwendungen von militärisch Unterlegenen sind
nicht akzeptabel. Das muß in der Politik der OSZE deutlich werden.
(Beifall bei der SPD)
Die Mitwirkung der UCK an dem politischen Teil der Vereinbarung ist
notwendig. Nicht nur das Ruhen der Waffen ist erforderlich, sondern auch
ein echter Dialog mit Kompromißbereitschaft und eine Beteiligung der
Albaner an den verabredeten Wahlen. Notfalls wird man für ein solches
Wohlverhalten auch Druck ausüben müssen.
Und schließlich: Es mahnt uns doch auch, wenn mitten in Europa eine
Gemeinschaft von Ländern einem anderen Land einen Militärschlag androhen
muß, weil dort Menschenrechte verletzt werden. Das heißt: Hier hat
Politik schon sehr große Defizite aufgezeigt. Es war ein Fehler, daß der
Kosovo nicht in Dayton vorkam. Wir wissen doch seit 1989, was da auf uns
zukommt. Das heißt aber, daß wir in den nächsten Wochen und Monaten
zeigen müssen, daß die Alternative zu der Sackgasse, in die wir jetzt ge
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
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noch: Gernot Erler

raten sind, eine präventive Friedenspolitik für ganz Europa ist. Das ist
ein ganz entscheidender Punkt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum Abschluß wiederhole ich: Es fällt uns schwer, diese Zustimmung zu
geben. Ich habe begründet, warum die meisten von uns in der jetzigen
Situation eine Zustimmung trotzdem für alternativlos halten. Die
schwierige Abwägung der verschiedenen Risiken und Bedenken haben wir in
einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung niedergelegt, die ich
hier übergeben werde.
Wir haben uns entschieden im Vertrauen darauf, daß die Vereinten
Nationen und die OSZE künftig durch eine neue Regierung gestärkt werden.
Ich begrüße ausdrücklich, was Gerhard Schröder in diesem Zusammenhang
gesagt hat.
(Beifall bei der SPD)
Wir vertrauen darauf, daß die neue Bundesregierung einen Schwerpunkt auf
die präventive Friedenspolitik legt, die verhindert, daß das Greifen
nach der letzten Möglichkeit zum Regelfall wird. Wir vertrauen darauf,
daß die neue Bundesregierung nicht darin nachlassen wird, auch die
Russische Föderation in eine dauerhafte Friedensregelung auf dem Balkan
einzubeziehen. Wir vertrauen schließlich darauf, daß die neue
Bundesregierung dazu beiträgt, daß die Abwehr von
Menschenrechtsverletzungen nicht in einem selektiv vorgehenden
Zufallsverfahren stattfindet. Es gibt ja in der Tat viele Gegenden in
der Welt, wo wir Menschenrechtsverletzungen entgegentreten müssen, auch
wenn sie nicht im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen. In diesem
Sinne stimmen zahlreiche Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion trotz
erheblicher Bedenken dem Antrag der Bundesregierung zu.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt
Rossmanith. Ich möchte um etwas mehr Ruhe im Saal bitten und Sie darauf
hinweisen, daß noch zwei Redner auf der Rednerliste stehen und daß
danach noch Erklärungen zur Abstimmung abgegeben werden. Wir brauchen
also noch ein wenig Konzentration. - Bitte, Herr Kollege.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Als gewählte Vertreter unserer Mitbürgerinnen und
Mitbürger haben wir natürlich in diesem Parlament Positionen zu beziehen
und auch schwierige Entscheidungen nach unserem Gewissen zu treffen. Ich
freue mich darüber, daß in einem solch schwierigen und sehr sensiblen
Bereich, wie ihn das Thema darstellt, das wir heute zu behandeln und
über das wir abzustimmen haben, ein so breiter Konsens über alle
Fraktionen hinweg besteht. Ich meine die Entscheidung des Bündnisses,
eine humanitäre Katastrophe für die Menschen im Kosovo notfalls auch
durch den Einsatz von Streitkräften abzuwenden. Ich bin dankbar dafür,
daß diese Position, die ja die bisherige Bundesregierung schon seit
langem mitgetragen hat, auch von der zukünftigen Bundesregierung
getragen werden wird, daß wir hier im Einklang miteinander sind.
Sehr geehrter Herr Kollege Volmer, wir sollten dies nicht abwertend mit
Begriffen, die vielleicht in die Kategorie der politischen Kampfbegriffe
gehören, wie "Selbstmandatierung" oder ähnliche, belegen. Ich glaube,
wir tun uns keinen Gefallen damit; wir schaden uns und dem Bündnis, und
wir schaden vor allem auch unseren Soldaten, die notfalls diesen
Auftrag, den sie von uns erhalten, durchführen müssen. Es wird sich ja
um rund 500 Soldaten handeln, die im Rahmen dieses besonderen Auftrags
im Ausland ihren Dienst leisten werden, seien es Berufssoldaten,
Zeitsoldaten oder auch Grundwehrdienstleistende, die sich freiwillig zu
diesem Einsatz melden.
Es war ja immer unsere Aufgabe - auch darin waren wir uns einig -,
darauf zu achten, daß unsere Soldaten auf derartige Einsätze gut
vorbereitet sein sollen. Sie müssen im Hinblick auf solche Ziele
ausgebildet sein, sie müssen entsprechend motiviert sein, und sie müssen
die bestmögliche Ausrüstung erhalten. Deswegen berührt der Beschluß, dem
vorliegenden Antrag der Bundesregierung zuzustimmen, den Kernpunkt des
sich neu entwickelnden Bündnisses, nämlich unseren Willen, die
Verteidigungsfähigkeit in einem kollektiven Bündnissystem unter Beweis
zu stellen. Lassen Sie mich dazu feststellen - ich sage das mit großem
Ernst -, daß die mit der parlamentarischen Verantwortung befaßten
deutschen Abgeordneten natürlich, wie wir heute schon mehrfach gehört
haben, eine sehr schwere Bürde schultern. Wir tun dies aber in dem
Wissen, daß sich die deutschen Soldaten erforderlichenfalls an
militärischen Maßnahmen beteiligen, die ja dem wichtigsten aller Zwecke
dienen, nämlich dem Schutz von Menschenleben und der Wahrung der
Menschenwürde derer, die im Kosovo-Konflikt Opfer sind, und nicht derer,
die die Aggressoren sind. Ich glaube, in dieser Überlegung liegt die
eigentliche Legitimation für unsere Zustimmung zur Beteiligung deutscher
Soldaten an den von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen
durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären
Katastrophe in diesem Konflikt.
Ich möchte an dieser Stelle schon jetzt den Soldaten meinen Dank
aussprechen, die sich in diesen eventuellen Einsatz befehlen lassen
müssen. Diese Soldaten tragen eine schwere Verantwortung, genauso wie
ihre Familien. Denn es sind die Männer, es sind die Väter, es sind die
Söhne dieser Familien, die diesen von uns geforderten Auftrag ausführen
müssen. Ich glaube, dafür verdienen sie unseren besonderen Dank und
unsere Anerkennung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb bitte ich in diesem Zusammenhang mit allem Nachdruck: Lassen
Sie uns diese Gemeinsamkeit auch in Zukunft mittragen! Fassen wir heute
diesen Beschluß mit einer breiten Mehrheit! Wir sind es den Menschen im
Kosovo schuldig. Aber wir sind es auch unseren Soldatinnen und Soldaten
schuldig, die not
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23158

noch: Kurt J. Rossmanith

falls dort den von uns gewollten Auftrag erfüllen müssen, für die
Freiheit und für die Menschenwürde in einem Teil Europas, der geschunden
genug ist.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete
Kurt Neumann. Vorher möchte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
jedoch bitten, noch einige Minuten Ruhe zu halten, damit wir den Redner
verstehen können.
Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Mich trifft wieder einmal die Ungnade der späten Redezeit.
Dies ist eine überflüssige Sitzung; gleichwohl ist es eine historische
Sitzung. Die Sitzung ist überflüssig; eine Einigung über die nächsten
Schritte ist in Belgrad bereits zustande gekommen. Diese Einigung beruht
- darauf hat der Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der
OSZE, der Kollege Wimmer, vorgestern im Deutschlandfunk hingewiesen - im
wesentlichen auf Überlegungen, die schon vorher mit der Bundesrepublik
Jugoslawien angestellt worden waren. Eines unmittelbaren Einsatzbefehls
der NATO bedurfte und bedarf es nicht. Ich erlaube mir zusätzlich die
Bemerkung, daß vorher ein Mehr an nichtmilitärischem Druck durchaus
denkbar gewesen wäre.
Es geht hier ja auch nicht um einen militärischen Einsatz, auch nicht
um die Ausübung von Druck. Ganz im Gegenteil zu den Ausführungen des
Bundesaußenministers geht es um einen Präzedenzfall. Ich halte mich da
an die "FAZ", die heute über unsere Sitzung getitelt hat: "Es wird ein
Präzedenzfall geschaffen". Die konservative französische Zeitung "Le
Figaro" schrieb dazu vor zwei Tagen:
Jugoslawien ist ein Glücksfall für die internationalen
Sicherheitsorganisationen. Die NATO, die nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs auf der Suche nach sich selbst war, hat eine zweite Jugend
gefunden. Auch der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) bietet sich die Gelegenheit des Neuanfangs ... Die OSZE
wird im Kosovo das Auge des Westens sein, aber die NATO bleibt der
Schlagstock.
Darum geht es letztlich. Denn wie das Ziel durchgesetzt werden soll, den
Kosovo-Albanern eine begrenzte Autonomie zu verschaffen, wenn sie selbst
das gar nicht wollen, bleibt völlig offen.Unbeantwortet bleibt auch die
Frage, was denn geschieht, wenn die Separatisten der UCK ein Kraftwerk
oder eine andere wichtige Versorgungseinrichtung besetzen. Darf Serbien,
darf Jugoslawien dagegen einschreiten? Wie sollen Provokationen derer
verhindert werden, die sich ein Eingreifen der NATO geradezu
herbeiwünschen? Und was schließlich wird mit Makedonien?
Im übrigen darf ja vielleicht einmal daran erinnert werden - wenn es
manchem nicht paßt, stört mich das nicht -, daß auch anderswo die
Autonomie von Volksgruppen verletzt und die Menschenrechte mißachtet
werden. Das ist zwar kein Grund, hier nicht einzugreifen; aber wer hier
und heute sagt, wir müßten im Kosovo etwas tun, von dem erwarte ich in
nächster Zeit Aktivitäten, was die Situation der Kurden in der Türkei
angeht.
Die heutige Sitzung, meine Damen und Herren, ist historisch. Die "FAZ"
schreibt in dem bereits zitierten Artikel unter anderem:
Wie auch immer die Abgeordneten entscheiden, sie entscheiden damit
zugleich über die Reichweite des völkerrechtlichen Gewaltverbots, die
Rolle der Nato und die Auslegung des Grundgesetzes.
Nach den bisher unumstrittenen Grundsätzen des Völkerrechts sind die
Voraussetzungen für ein gewaltsames Eingreifen nicht gegeben. Es liegt
weder eine Notwehrsituation vor, noch hat die Völkergemeinschaft durch
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Ermächtigung zur
Gewaltanwendung erteilt. Die Begründung dafür, daß ein militärisches
Eingreifen im Kosovo dem geltenden Völkerrecht entspräche, gibt es
schlichtweg nicht. Der gegenteilige Versuch des Außenministers -
nachzulesen in der "FAZ" vom 13. Oktober - demonstriert das mit
unfreiwilliger Deutlichkeit:
Im Lichte des Unvermögens des Sicherheitsrats, seinem Gewaltmonopol bei
dieser besonderen notstandsähnlichen Situation gerecht zu werden, fußt
die Rechtsgrundlage angesichts der humanitären Krise im Kosovo auf Sinn
und Logik der Sicherheitsratsresolutionen 1160 und 1199 in Verbindung
mit dem Gesichtspunkt der humanitären Intervention und einem
Mindeststandard in Europa für die Einhaltung der Menschenrechte, dem wir
die Qualität eines sich entwickelnden regionalen Völkerrechts beimessen.
Das spricht für sich, das spricht gegen sich. Wer das nicht klarer
definieren kann, zeigt, daß er keine Begründung hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle und nach dem
Wahlsieg, über den ich mich sehr gefreut habe, meine Enttäuschung über
das Verhalten der SPD ausdrücken, der Partei, der ich 30 Jahre angehört
habe.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist ja nun schon einige Zeit
her!)
Dabei will ich gar nicht auf ihr Berliner Grundsatzprogramm hinweisen.
Das ist vielen so kostbar, daß sie es nicht einmal mehr anfassen,
geschweige denn darin lesen. Ich will auch nicht aus dem Beschluß des
Hannoveraner Parteitags vom 3. Dezember 1997 zitieren, der von einer
Kommission unter Leitung des designierten Verteidigungsministers
erarbeitet wurde. Nein, ich beziehe mich auf das Wahlprogramm vom 17.
April dieses Jahres - wegen der vielfach und immer wieder in Anspruch
genommenen
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
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noch: Kurt Neumann (Berlin)

Verläßlichkeit. In diesem Wahlprogramm heißt es unmißverständlich:
Einsätze der NATO, die über ihren kollektiven Verteidigungsauftrag
hinausgehen, bedürfen eines Mandats der Vereinten Nationen oder der
OSZE.
Von einem Mandat ist hier die Rede, nicht von einem wie auch immer
gearteten Handlungsrahmen, den Gerhard Schröder vorhin wolkig ansprach.
Ich komme zum Schluß.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zum Schluß zitiere ich, meine Damen und Herren, das, was unser allseits
geschätzter Kollege Wimmer im Rundfunk geäußert hat. Ich würde das Ganze
nicht so scharf kritisieren. Er sagt:
Das ist ja etwas, was ich für wirklich außerordentlich bedenklich halte,
weil wir 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen unserer Armee nicht
zumuten sollten, was nicht international auf einer eindeutigen
Rechtsbasis steht.
Das geht vielleicht etwas weit. Aber eines sollten wir bedenken: Wenn
wir heute einen Beschluß fassen, der Einsätze jenseits des Völkerrechts
billigt, schaffen wir einen Präzedenzfall, kommen wir in eine Politik
des Rechts des Stärkeren.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre Redezeit ist vorbei.
Kurt Neumann (Berlin) (fraktionslos): Das wieder rückgängig zu machen
wird außerordentlich schwierig sein. Deswegen bitte ich, den Antrag der
Bundesregierung abzulehnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der PDS)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir sind damit am Schluß der Debatte,
die ich hiermit schließe, und kommen nun zu den Abstimmungen.
Mir liegt eine Reihe von schriftlichen Erklärungen zur Abstimmung vor.
Ich nenne nur die Namen der Abgeordneten: Michael Müller, Winfried
Nachtwei, Kerstin Müller, Volker Beck, Wilhelm Schmidt, Eberhard Brecht,
Gerald Häfner, Angelika Köster-Loßack, Birgit Homburger, Jörg van Essen,
Reiner Krziskewitz, Volker Kröning 1), Konrad Gilges und andere 2),
Gernot Erler und andere 3), Dr. Helmut Lippelt und andere, Dr. Winfried
Wolf, Rolf Köhne, Klaus Dieter Reichardt, Freimut Duve sowie Gila
Altmann 4).
Zu einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung hat der Kollege Dr.
Burkhard Hirsch um das Wort gebeten. Bitte.
(Beifall bei der PDS)

1) Anlage 2
2) Anlage 3
3) Anlage 4
4) Anlage 5
Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei der Bundestagspräsidentin
Frau Professor Süssmuth dafür entschuldigen, daß eine
Meinungsverschiedenheit über die Einberufung dieser Sitzung in einer
Weise veröffentlicht worden ist, die ich nicht gewollt, aber verursacht
habe. Das tut mir leid. Ich bitte dafür um Entschuldigung.
Ich möchte im übrigen folgende Erklärung abgeben:
Erstens. Wir sehen uns in vielen Teilen der Welt denselben humanitären
Problemen gegenüber wie im Kosovo, häufig verbunden mit einer nicht
akzeptablen Behandlung ethnischer und religiöser Minderheiten. Niemand
kann und sollte uns daran hindern, jede nur erdenkliche humanitäre Hilfe
anzubieten und zu leisten. Die Anwendung militärischer Gewalt, die wir
heute beschließen sollen, ist weder Voraussetzung noch Ersatz für diese
materiellen Hilfeleistungen.
(Beifall bei Abgeordneten der PDS)
Zweitens. Ich bin der Auffassung, daß der 13. Deutsche Bundestag
angesichts der weitreichenden Bedeutung die ihm vorgelegte Entscheidung
nicht mehr selbst treffen sollte und treffen kann. Die Verfassung hat
zwar für die Konstituierung des 14. Bundestages eine maximale Frist von
30 Tagen bestimmt, um eine bundestagsfreie Zeit mit Sicherheit
auszuschließen. Aber wenn der Bundestag nach Art. 39 Abs. 3 des
Grundgesetzes vorher zusammengerufen werden muß, dann kann man zumindest
nach der amtlichen Feststellung des Wahlergebnisses nicht an der
Tatsache vorbeigehen, daß der 13. Bundestag nicht mehr dem Wählerwillen
entspricht und daß die Mitglieder des 14. Deutschen Bundestages auch
unabhängig von jeder anderen Verabredung das Recht hätten, sich
unverzüglich selbst zu konstituieren. Ich bin der Auffassung, daß die
Abgeordneten des 14. Bundestages zumindest hätten gefragt werden müssen,
ob sie angesichts des außergewöhnlichen Sachverhaltes die Wahl
unverzüglich annehmen und zusammentreten wollen, um ihre Verantwortung
wahrzunehmen. Diese eigene Entscheidung eines jeden gewählten
Abgeordneten kann ihnen niemand - auch nicht in wohlmeinender Absicht -
abnehmen.
Drittens. Die völkerrechtliche Friedensordnung der gesamten
Nachkriegszeit beruht auf der Charta der Vereinten Nationen. Ihre
entscheidende Grundlage ist der Verzicht auf Gewalt als Mittel der
Politik. Nach Kapitel VII der Charta ist die Entscheidung über
Gewaltanwendung in dem hier vorliegenden Sachverhalt ausschließlich dem
Sicherheitsrat zugewiesen. Dementsprechend hat er sich in seiner hier
immer wieder erwähnten Resolution 1199 ausdrücklich vorbehalten, selbst
darüber zu entscheiden, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, wenn
die Parteien des Kosovo-Konfliktes die Forderungen nicht erfüllen, die
in der Resolution enthalten sind. Der NATO-Vertrag stellt ausdrücklich
fest, daß die Rechte und Pflichten der Mitglieder aus der Charta der
Vereinten Nationen vom NATO-Vertrag nicht berührt werden. Darum bin ich
der Überzeugung, daß ein militärisches Vorgehen der NATO mit dem
geltenden Völkerrecht nicht begründet werden kann
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23160

noch: Dr. Burkhard Hirsch

und daß wir mit der heutigen Entscheidung einen irreparablen Vorgang
schaffen, auf den sich später andere - im Osten und im Westen - berufen
werden.
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Damit schaffen wir keine neue Friedensordnung, sondern kehren zu dem
Zustand des Völkerrechts zurück, in dem es sich vor der Gründung der
Vereinten Nationen befunden hat. Das kann und will ich nicht mit
verantworten.
(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ebenfalls zu einer Erklärung zur
Abstimmung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer.
Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
stimme vor allem aus juristischen Gründen gegen diese Entscheidung.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Wie war es denn beim Einmarsch in Prag mit den
juristischen Gründen? - Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ausgerechnet Sie!)
Die juristischen Gründe sind aber bedeutungsvoll, wenngleich sie in
dieser Debatte keine so große Rolle gespielt haben.
Das Recht dient der Überwindung des "bellum omnium contra omnes", des
Krieges aller gegen alle. Auch das Völkerrecht hat diese Funktion. Es
hat diese Funktion sehr lange sehr unvollkommen wahrgenommen; das wissen
Sie alle. Aber ich meine, daß die UN-Charta bei der Überwindung des
"bellum omnium contra omnes" international einen großen Schritt
vorwärts gemacht hat. Dieser Fortschritt wird heute zurückgenommen.
Ich bin gegen internationale Einsätze der Bundeswehr über den Art. 87 a
des Grundgesetzes hinaus. Es ist mir bekannt, daß das
Bundesverfassungsgericht dazu eine nach meiner Ansicht problematische
Entscheidung gefällt hat. Aber auch diese Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts setzte ausdrücklich einen UN-Beschluß für den
Einsatz deutscher Truppen voraus. Jetzt wird auf ein Mandat des UN-
Sicherheitsrats verzichtet.
Es wird gesagt, es gebe kein eindeutiges, kein klares, kein klassisches
Mandat. Ehrlicherweise muß man aber sagen: Es gibt kein Mandat. Für
einen Juristen gibt es kein Mandat. Der Rechtsausschuß fühlte sich auch
in einer sehr unglücklichen Lage. Man war sich dort einig darüber, daß
es kein klares Mandat gebe. Aber ein nicht klares Mandat ist eben kein
Mandat. Es gibt also keine Rechtsgrundlage für den Einsatz. Im
Rechtsausschuß ist dann gesagt worden, man müsse mehreres kumulieren.
Wenn aber ein Jurist mehreres kumulieren muß, weiß man, daß er in einer
verzweifelten Lage ist.
Ich lehne zudem die Einseitigkeit der Beschlußvorlage ab, die sich
ausschließlich an Belgrad wendet. Die Rolle der kosovo-albanischen
Führung und der UCK werden überhaupt nicht behandelt. Aber auch das ist
ein wichtiger Punkt.
Mein Hauptanliegen ist aber, daß wir mit dem heutigen Beschluß - darin
bin ich mit dem Abgeordneten Burkhard Hirsch einig - eine ganz
wesentliche Gefährdung des Völkerrechts und - wenn man so sagen will -
der Verfassungsordnung der Welt einleiten. Der Grundsatz "Macht geht
vor Recht" wird endgültig in den internationalen Beziehungen
installiert.
Im Rechtsausschuß fiel die Formulierung vom "Unvermögen des
Sicherheitsrates", seine Aufgabe wahrzunehmen. Das bedeutet: Man setzt
sich an die Stelle des Sicherheitsrates. Jetzt übernimmt die NATO das
Gewaltmonopol vom Sicherheitsrat. Das ist eine unzulässige Usurpation
von Macht. Das bedeutet, daß der Sicherheitsrat, der nach der Charta der
Vereinten Nationen die Hauptverantwortung für die Wahrung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit trägt, ausgehebelt wäre,
weil die USA das wollen; er würde durch die NATO ersetzt.
Wir schlagen damit einen gefährlichen Weg ein. Es ist gesagt worden,
das sei kein Präzedenzfall. Natürlich ist es ein Präzedenzfall. Jeder
Jurist weiß, daß jeder Akt, der geschieht, ein Präzedenzfall ist. Herr
Fastenrath von der "FAZ" hat seinen Artikel nicht umsonst - -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Sie dürfen nicht mehr
debattieren. Sie sollten Ihre Abstimmung erklären. Ihre Redezeit ist
jetzt auch um.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Ich begründe meine Abstimmung.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Aber etwas zur "FAZ" gehört nicht in
eine persönliche Erklärung.
Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Ich begründe meine Abstimmung mit diesem
Artikel aus der "FAZ". Herr Fastenrath schrieb seinen Artikel unter der
Überschrift "Es wird ein Präzedenzfall geschaffen". Auch der
Abgeordnete Schäuble hat heute gesagt, wir würden damit künftiges
Völkerrecht schaffen.
Es wird also auf den Zustand vor Gründung der UNO zurückgegangen. Wir
setzen das Faustrecht wieder ein - das Faustrecht der NATO.
(Widerspruch bei der CDU/CSU)
- Aber natürlich! Es wurde nämlich heute vom Gewaltmonopol der NATO
gesprochen. Das ist das Faustrecht der NATO. Warum nicht ein Faustrecht
für Rußland? - Nur ein Faustrecht für die Großen?
Meine Damen und Herren, verteidigen Sie mit mir die UNO-Charta gegen
die Angreifer!
(Beifall bei der PDS - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen damit zur Abstimmung über
den Antrag der Bundesre
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23161

noch: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

gierung zur deutschen Beteiligung an den von der NATO geplanten
begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung
einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt, Drucksache 13/11 469.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Zur Abgabe
der Stimmkarten sind fünf Urnen aufgestellt, und zwar eine Urne an der
Regierungsbank, eine Urne an der Bundesratsbank, eine Urne am
Stenographentisch und je eine Urne an der "Ja"- und "Nein"-Tür. Sie
können dieses Mal eine Urne Ihrer Wahl benutzen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Am Stenographentisch
fehlt noch ein Schriftführer, und an der Bundesratsbank fehlt noch ein
Schriftführer von der CDU/CSU. - Jetzt sind alle Urnen besetzt. Dann
eröffne ich die Abstimmung.
Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß wir nachher eine weitere
Abstimmung haben. - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe dann
die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis werden wir Ihnen später bekanntgeben. -
Wir haben jetzt noch eine allerletzte Abstimmung. Dafür bitte ich um
ein bißchen Übersichtlichkeit.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Gruppe der
PDS auf Drucksache 13/11470. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des ganzen übrigen Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt
worden.
Bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt, unterbreche ich
die Sitzung.
(Unterbrechung von 13.40 Uhr bis 13.47 Uhr).
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich eröffne die unterbrochene Sitzung
und gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Antrag
der Bundesregierung auf Drucksache 13/11 469 bekannt.
Abgegebene Stimmen 584. Mit Ja haben gestimmt 503. Mit Nein haben
gestimmt 63. Enthaltungen 18. Der Antrag ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen:580;
davon
ja:500
nein:62
enthalten:18

Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin
Jürgen Augustinowitz
Dietrich Austermann
Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Paul Breuer
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler (Bruchsal)
Dankward Buwitt
Peter Harry Carstensen (Nordstrand)
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Gertrud Dempwolf
Albert Deß
Renate Diemers
Wilhelm Dietzel
Werner Dörflinger
Hansjürgen Doss
Dr. Alfred Dregger
Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann
Rainer Eppelmann
Anke Eymer
Jochen Feilcke
Ulf Fink
Dirk Fischer (Hamburg)
Leni Fischer (Unna)
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Michaela Geiger
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Joachim Gres
Hermann Gröhe
Claus-Peter Grotz
Manfred Grund
Horst Günther (Duisburg)
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Otto Hauser (Esslingen)
Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Josef Hollerith
Elke Holzapfel
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Hubert Hüppe
Peter Jacoby
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Helmut Jawurek
Dr. Dionys Jobst
Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung (Limburg)
Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Manfred Kanther
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz)
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Manfred Koslowski
Thomas Kossendey
Annegret Kramp-Karrenbauer
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause (Dessau)
Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner
Dr.-Ing. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)
Karl Lamers (Königswinter)
Dr. Norbert Lammert
Helmut Johannes Lamp
Armin Laschet
Herbert Lattmann
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Editha Limbach
Walter Link (Diepholz)
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach)
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid)
Julius Louven
Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer
Dr. Michael Luther
Erich Maaß (Wilhelmshaven)
Dr. Dietrich Mahlo
Erwin Marschewski
Günter Marten
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)
Wolfgang Meckelburg
Rudolf Meinl
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Rudolf Meyer (Winsen)
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Elmar Müller (Kirchheim)
Engelbert Nelle
Bernd Neumann (Bremen)
Johannes Nitsch
Claudia Nolte
Dr. Rolf Olderog
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto (Erfurt)
Dr. Gerhard Päselt
Dr. Peter Paziorek
Hans-Wilhelm Pesch
Ulrich Petzold
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Dr. Winfried Pinger
Ronald Pofalla
Dr. Hermann Pohler
Marlies Pretzlaff
Dr. Albert Probst
Dr. Bernd Protzner
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23162

noch: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Otto Regenspurger
Klaus Dieter Reichardt (Mannheim)
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Dr. Norbert Rieder
Klaus Riegert
Franz Romer
Hannelore Rönsch (Wiesbaden)
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)
Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Jürgen Rüttgers
Roland Sauer (Stuttgart)
Ortrun Schätzle
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Ulrich Schmalz
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt (Fürth)
Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Halsbrücke)
Andreas Schmidt (Mülheim)
Hans-Otto Schmiedeberg
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Dr. Dieter Schulte (Schwäbisch Gmünd)
Gerhard Schulz (Leipzig)
Frederik Schulze (Sangershausen)
Clemens Schwalbe
Dr. Christian Schwarz-Schilling
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Marion Seib
Heinz-Georg Seiffert
Rudolf Seiters
Johannes Selle
Bernd Siebert
Jürgen Sikora
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Gerhard Stoltenberg
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Michael Stübgen
Egon Susset
Dr. Rita Süssmuth
Gottfried Tröger
Dr. Klaus-Dieter Uelhoff
Gunnar Uldall
Dr. Horst Waffenschmidt
Dr. Theodor Waigel
Alois Graf von Waldburg-Zeil
Kersten Wetzel
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Matthias Wissmann
Dr. Fritz Wittmann
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Cornelia Yzer
Wolfgang Zeitlmann
Benno Zierer
Wolfgang Zöller

SPD
Gerd Andres
Robert Antretter
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Gerd Bauer
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Hans Berger
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Rudolf Bindig
Tilo Braune
Edelgard Buhlmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner (Ingolstadt)
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Peter Conradi
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Karl Diller
Rudolf Dreßler
Ludwig Eich
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Lothar Fischer (Homburg)
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Eva Folta
Norbert Formanski
Dagmar Freitag
Anke Fuchs (Köln)
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf (Friesoythe)
Dieter Grasedieck
Achim Großmann
Karl Hermann Haack (Extertal)
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Dr. Ingomar Hauchler
Dieter Heistermann
Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Monika Heubaum
Reinhold Hiller (Lübeck)
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann (Chemnitz)
Frank Hofmann (Volkach)
Ingrid Holzhüter
Erwin Horn
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Wolfgang Ilte
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Dr. Uwe Jens
Volker Jung (Düsseldorf)
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ernst Kastning
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Marianne Klappert
Hans-Ulrich Klose
Dr. Hans-Hinrich Knaape
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Thomas Krüger
Horst Kubatschka
Eckart Kuhlwein
Helga Kühn-Mengel
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Klaus Lohmann (Witten)
Dieter Maaß (Herne)
Winfried Mante
Dorle Marx
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Ingrid Matthäus-Maier
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Herbert Meißner
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer (Ulm)
Ursula Mogg
Siegmar Mosdorf
Jutta Müller (Völklingen)
Christian Müller (Zittau)
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Leyla Onur
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Willfried Penner
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Rudolf Purps
Hermann Rappe (Hildesheim)
Karin Rehbock-Zureich
Margot von Renesse
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Dieter Schanz
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Günter Schluckebier
Ulla Schmidt (Aachen)
Dagmar Schmidt (Meschede)
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Regina Schmidt-Zadel
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann (Delitzsch)
Brigitte Schulte (Hameln)
Ilse Schumann
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz (Oldenburg)
Ernst Schwanhold
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Lisa Seuster
Erika Simm
Johannes Singer
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Dietrich Sperling
Jörg-Otto Spiller
Ludwig Stiegler
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Dr. Bodo Teichmann
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Siegfried Vergin
Günter Verheugen
Karsten D. Voigt (Frankfurt)
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis (Stendal)
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen (Wiesloch)
Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Helmut Wieczorek (Duisburg)
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf (München)
Heidi Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn)
Marieluise Beck (Bremen)
Matthias Berninger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23163

noch: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Andrea Fischer (Berlin)
Joseph Fischer (Frankfurt)
Rita Grießhaber
Antje Hermenau
Kristin Heyne
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Manuel Kiper
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Oswald Metzger
Christa Nickels
Egbert Nitsch (Rendsburg)
Cem Özdemir
Gerd Poppe
Simone Probst
Christine Scheel
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt (Hitzhofen)
Wolfgang Schmitt (Langenfeld)
Waltraud Schoppe
Werner Schulz (Berlin)
Dr. Antje Vollmer
Margareta Wolf (Frankfurt)

F.D.P.
Ina Albowitz
Dr. Gisela Babel
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Jörg van Essen
Dr. Olaf Feldmann
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Detlef Kleinert (Hannover)
Roland Kohn
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann
Uwe Lühr
Günther Friedrich Nolting
Lisa Peters
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Klaus Röhl
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)
Guido Westerwelle
 
 

Nein
CDU/CSU
Reiner Krziskewitz

SPD
Klaus Barthel
Anni Brandt-Elsweier
Dr. Marliese Dobberthien
Peter Dreßen
Katrin Fuchs (Verl)
Konrad Gilges
Christel Hanewinckel
Uwe Hiksch
Konrad Kunick
Detlev von Larcher
Waltraud Lehn
Christa Lörcher
Dr. Christine Lucyga
Adolf Ostertag
Renate Rennebach
Otto Reschke
Marlene Rupprecht
Horst Schmidbauer (Nürnberg)
Heinz Schmitt (Berg)
Ute Vogt (Pforzheim)
Berthold Wittich

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann (Aurich)
Annelie Buntenbach
Amke Dietert-Scheuer
Monika Knoche
Steffi Lemke
Halo Saibold
Irmingard Schewe-Gerigk
Ursula Schönberger
Helmut Wilhelm (Amberg)

F.D.P.
Dr. Burkhard Hirsch

PDS
Wolfgang Bierstedt
Petra Bläss
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heinrich Graf von Einsiedel
Dr. Ludwig Elm
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi
Hanns-Peter Hartmann
Dr. Uwe-Jens Heuer
Dr. Barbara Höll
Dr. Willibald Jacob
Ulla Jelpke
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Rolf Köhne
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Dr. Günther Maleuda
Manfred Müller (Berlin)
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Steffen Tippach
Klaus-Jürgen Warnick
Dr. Winfried Wolf
Gerhard Zwerenz
fraktionslos
Kurt Neumann (Berlin)
 
 

Enthalten
CDU/CSU
Manfred Carstens (Emstek)
Willy Wimmer (Neuss)

SPD
Dr. Eberhard Brecht
Freimut Duve
Angelika Graf (Rosenheim)
Jens Heinzig
Ilse Janz
Dr. Hermann Scheer
Hans Wallow

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Volker Beck (Köln)
Angelika Beer
Kerstin Müller (Köln)
Winfried Nachtwei
Marina Steindor
Christian Sterzing
Manfred Such
Ludger Volmer

F.D.P.
Dr. Max Stadler
Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Die konstituierende Sitzung
des 14. Deutschen Bundestages findet am Montag, dem 26. Oktober 1998, um
15 Uhr statt.
Die letzte Sitzung des 13. Deutschen Bundestages ist damit geschlossen.
(Schluß der Sitzung: 13.48 Uhr)
Berichtigung
247. Sitzung, Seite 23070 D, Zeile 13 von unten: Statt "Karl Lamers
[CDU/CSU]: ..." ist zu lesen "Zuruf von der CDU/CSU: ...".
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23164
 
 
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23165

Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

Abgeordnete(r)

entschuldigt bis
einschließlich
Adler, Brigitte
SPD
16.10.98
Bargfrede, Heinz-Günter
CDU/CSU
16.10.98
Dr. Blank,
Joseph-Theodor
CDU/CSU
16.10.98
Blunk, Lilo
SPD
16.10.98
Bosbach, Wolfgang
CDU/CSU
16.10.98
Bredehorn, Günther
F.D.P.
16.10.98
Brudlewsky, Monika
CDU/CSU
16.10.98
Büttner (Schönebeck),
Hartmut
CDU/CSU
16.10.98
Eßmann, Heinz Dieter
CDU/CSU
16.10.98
Falk, Ilse
CDU/CSU
16.10.98
Frick, Gisela
F.D.P.
16.10.98
Genscher,
Hans Dietrich
F.D.P.
16.10.98
Grill, Kurt-Dieter
CDU/CSU
16.10.98
Gröbl, Wolfgang
CDU/CSU
16.10.98
Günther (Duisburg),
Horst
CDU/CSU
16.10.98
Gysi, Andrea
PDS
16.10.98
Dr. Hartenstein, Liesel
SPD
16.10.98
Haschke
(Großhennersdorf),
Gottfried
CDU/CSU
16.10.98
Dr. Hauchler, Ingomar
SPD
16.10.98
Heise, Manfred
CDU/CSU
16.10.98
Helling, Detlef
CDU/CSU
16.10.98
Hempelmann, Rolf
SPD
16.10.98
Hornung, Siegfried
CDU/CSU
16.10.98
Kampeter, Steffen
CDU/CSU
16.10.98
Keller, Peter
CDU/CSU
16.10.98
von Klaeden, Eckart
CDU/CSU
16.10.98
Klemmer, Siegrun
SPD
16.10.98
Kroneberg,
Heinz-Jürgen
CDU/CSU
16.10.98
Dr. Graf Lambsdorff,
Otto
F.D.P.
16.10.98
Lange, Brigitte
SPD
16.10.98

Abgeordnete(r)

entschuldigt bis
einschließlich
Lenzer, Christian
CDU/CSU
16.10.98
Leutheusser-
Schnarrenberger,
Sabine
F.D.P.
16.10.98
Lotz, Erika
SPD
16.10.98
Dr. Meister, Michael
CDU/CSU
16.10.98
Möllemann, Jürgen
F.D.P.
16.10.98
Müller (Düsseldorf),
Michael
SPD
16.10.98
Neumann (Bramsche),
Volker
SPD
16.10.98
Neumann (Gotha),
Gerhard
SPD
16.10.98
Odendahl, Doris
SPD
16.10.98
Oesinghaus, Günther
SPD
16.10.98
Opel, Manfred
SPD
16.10.98
Polenz, Ruprecht
CDU/CSU
16.10.98
Poppe, Gert
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
16.10.98
Pützhofen, Dieter
CDU/CSU
16.10.98
Rachel, Thomas
CDU/CSU
16.10.98
Rau, Rolf
CDU/CSU
16.10.98
Rauber, Helmut
CDU/CSU
16.10.98
Rauen, Peter Harald
CDU/CSU
16.10.98
Reichard (Dresden),
Christa
CDU/CSU
16.10.98
Dr. Reinartz,
Berthold
CDU/CSU
16.10.98
Reuter, Bernd
SPD
16.10.98
Dr. Riesenhuber,
Heinz
CDU/CSU
16.10.98
Rixe, Günter
SPD
16.10.98
Dr. Rochlitz,
Jürgen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
16.10.98
Ronsöhr,
Heinrich-Wilhelm
CDU/CSU
16.10.98
Rübenkönig, Gerhard
SPD
16.10.98
Schäfer (Mainz),
Helmut
F.D.P.
16.10.98
Schaich-Walch,
Gudrun
SPD
16.10.98
Schlee, Dietmar
CDU/CSU
16.10.98
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23166
 
 

Abgeordnete(r)

entschuldigt bis
einschließlich
Schmalz-Jacobsen,
Cornelia
F.D.P.
16.10.98
Dr. Schmidt-Jortzig,
Edzart
F.D.P.
16.10.98
Schmitz (Baesweiler),
Hans Peter
CDU/CSU
16.10.98
von Schmude, Michael
CDU/CSU
16.10.98
Schulz (Everswinkel),
Reinhard
SPD
16.10.98
Schulz (Köln), Volkmar
SPD
16.10.98
Steen, Antje-Marie
SPD
16.10.98
Teiser, Michael
CDU/CSU
16.10.98
Terborg, Margitta
SPD
16.10.98
Dr. Tiemann, Susanne
CDU/CSU
16.10.98
Vogt (Düren), Wolfgang
CDU/CSU
16.10.98
Dr. Warnke, Wolfgang
CDU/CSU
16.10.98
Willner, Gert
CDU/CSU
16.10.98
Wilz, Bernd
CDU/CSU
16.10.98
Wonneberger, Michael
CDU/CSU
16.10.98
Würzbach, Peter Kurt
CDU/CSU
16.10.98 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung
über den Antrag der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an den von der
NATO geplanten
begrenzten und in Phasen durchzuführenden
Luftoperationen zur Abwendung einer
humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
- Drucksache 13/11 469 -

Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Die Beteiligung der Bundeswehr an den
von der NATO geplanten Luftoperationen im Kosovo-Konflikt stellen mich
vor eine schwerwiegende Abwägung:
Auf der einen Seite scheint der serbische Präsident Milosevic nur auf
Druck einzulenken, die internationalen Vereinbarungen zu erfüllen. Die
OSZE-Mission ist eine wichtige Voraussetzung, um die Lage zu
stabilisieren und die Menschen besser zu schützen. Die Vertreibung der
Menschen und die dramatische humanitäre Notlage sind nicht hinzunehmen.
Angesichts des bevorstehenden Winters muß eine Lösung schnell gefunden
werden.
Auf der anderen Seite beschädigt das Eingreifen der NATO ohne
entsprechende Rechtsgrundlage unbestritten das Gewaltmonopol der
Vereinten Nationen und schafft einen Präzedenzfall mit unübersehbaren
Folgen. Für den angedrohten Militärschlag gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien liegt kein Mandat der Vereinten Nationen oder der OSZE vor.
Eine Berufung auf den Art. 51 der UN-Charta scheidet ebenfalls aus.
Richtig ist aber auch, daß bisher ein Sicherheitsrats-Mandat wegen des
angekündigten Vetos von Rußland und China nicht zu erreichen war.
Einerseits bedeutet dies, daß die schlimmen Folgen für die
Zivilbevölkerung im Kosovo bestehen blieben, andererseits würde aber bei
einem Militärschlag der NATO eine nicht autorisierte Gewaltanwendung zur
Durchsetzung von UN-Zielen übertragen, was ebenfalls international
schwerwiegende politische Folgen haben könnte.
Bei Abwägung aller, hier nicht weiter aufgeführter Aspekte plädiere ich
an die Bundesregierung, angesichts der jüngsten Entwicklung, daß es neue
Bewegung gibt - unbeschadet der festen Bereitschaft, die Vertreibung und
Tötung der Menschen nicht länger hinzunehmen -, für eine Aussetzung der
Entscheidung. Diese letzte Chance sollte genutzt werden.
Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN): Der Wahlkampf ist kaum drei Wochen vorbei. In ihm war
die Außenpolitik praktisch kein Thema. Hätte es nicht die Interventionen
von Eine-Welt-Gruppen gegeben, wären die außen- und friedenspolitischen
Herausforderungen gar nicht zur Sprache gekommen.
Heute hat der Bundestag erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland über die Beteiligung der Bundeswehr an einem ausdrücklichen
Kampfeinsatz abzustimmen. Das Gewicht der heutigen Entscheidung wird
kaum dadurch gemindert, daß die Luftangriffe der NATO wegen des
bisherigen Einlenkens des jugoslawischen Präsidenten und der in Aussicht
stehenden OSZE-Überwachungsmission weniger wahrscheinlich geworden sind.
Hauptverantwortlicher für diese äußerste Zuspitzung des Kosovo-
Konfliktes ist der jugoslawische Präsident und Hauptkriegsverbrecher
Milosevic mit seiner bis zum Krieg eskalierenden jahrelangen
Unterdrückungspolitik gegenüber der albanischen Bevölkerungsmehrheit und
seiner völligen Taubheit gegenüber den Appellen der internationalen
Gemeinschaft. Mitverantwortlich ist aber auch diese internationale
Gemeinschaft selbst, die gegenüber dem Kosovo-Konflikt über Jahre eine
deklamatorische, uneinheitliche und konzeptionslose Politik betrieb, den
bewundernswerten gewaltfreien Widerstand der Kosovo-Albaner im Stich
ließ und damit den Befürwortern eines bewaffneten nationalen
"Befreiungskampfes" Auftrieb verlieh. Frühzeitige und hartnäckige
Initiativen unserer Fraktion - und vor allem unseres Kollegen Gerd Poppe
- zur Lösung des Kosovo-Konflikts fanden bei der herrschenden Politik
nicht das notwendige Gehör; Menschenrechtsaktivisten, zum Beispiel das
Balkan Peace Team, blieben ohne jede offizielle Förderung. Exemplarisch
für die auch in diesem Hause vorherrschende Ignoranz gegenüber dem
Pulverfaß Kosovo war die Bundestagsde
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23167

batte zum Kosovo, die in die Abendstunden des 7. Mai 1998 abgedrängt
wurde, während das für den Wahlkampf so "wichtige" Bekenntnisthema
Bundeswehrgelöbnis in Frankfurt/Oder das Bundestagsplenum am folgenden
Morgen zu bester Medienzeit beschäftigte.
Auch als die serbischen "Sicherheitskräfte" den Kampf gegen die UCK
zum Krieg gegen die kosovo-albanische Zivilbevölkerung ausgeweitet
hatten, blieben die beschlossenen Sanktionen der westlichen Staaten
gegenüber Jugoslawien halbherzig und deshalb unglaubwürdig.
Zuletzt schilderte UN-Generalsekretär Kofi Annan in seinem Bericht
Anfang Oktober eindeutig die Lage der in die Wälder geflohenen
Zivilbevölkerung. Da Hilfsorganisationen zu ihnen keinen ungehinderten
Zugang hätten, drohe mit dem kommenden Winter für Zehntausende von
Menschen eine humanitäre Katastrophe.
Die maßgeblichen westlichen Mächte schlossen von vornherein eine große
von den UN geführte internationale Polizeiaktion aus und fixierten sich
einzig auf die Planung eines Militäreinsatzes der NATO. Dieser wurde
damit angesichts des näher rückenden Winters und der bisherigen
Starrheit des jugoslawischen Präsidenten zur einzigen und
alternativlosen Option, um die humanitäre Katastrophe abzuwenden und den
Forderungen der Resolution 1199 des UN-Sicherheitsrates zum Durchbruch
zu verhelfen. Zugleich war aber die Option von NATO-Luftschlägen mit
einem enormen Eskalationsrisiko behaftet. Niemand wußte, was geschehen
wäre, wenn die Luftangriffe nicht das gewollte politische Einlenken,
sondern eine Verhärtung der serbischen Haltung gebracht und der UCK
Auftrieb verschafft hätten.
Die Androhung massiver militärischer Gewalt war - wieder einmal -
Resultat einer gescheiterten, weil vernachlässigten Krisenprävention und
hochriskant. Daß sie nach Ankündigung der vollen deutschen Beteiligung
offenbar gewirkt und den serbischen Präsidenten im letzten Moment zum
Einlenken gebracht hat, kann alle nur mit Erleichterung erfüllen. Der
von der OSZE zu kontrollierende Abzug der serbischen Sicherheitskräfte
ist die Grundvoraussetzung, die drohende humanitäre Katastrophe
abzuwenden, die Menschenrechte im Kosovo wiederherzustellen und eine
friedliche Konfliktlösung anbahnen zu können. Nach aller ernüchternden
Erfahrung ist aber weiterer Druck auf Milosevic unverzichtbar, um ihn
verhandlungs- und kompromißbereit zu halten.
Zugleich können wir nicht hinnehmen, daß die Androhung der NATO-
Luftangriffe ohne ein klares Mandat des UN-Sicherheitsrates erfolgte.
Dies steht im Widerspruch zum Völkerrecht und beeinträchtigt das
Gewaltmonopol der UN. Die Selbstmandatierung der NATO schwächt massiv
die Autorität der UN und schafft für die künftige internationale Ordnung
einen gefährlichen Präzedenzfall. Er leistet der Wiederauferstehung
eines internationalen Rechts der Stärkeren Vorschub. Der unmandatierte
Militäreinsatz der NATO wird dadurch noch gefährlicher, daß seine
Hauptbetreiber ihn keineswegs als absoluten Ausnahmefall verstehen,
sondern als einen bedeutenden Schritt bei dem Bestreben, die NATO bei
der Verteidigung vitaler Interessen jenseits der Bündnisverteidigung
unabhängiger von einer UN-Mandatierung zu machen. Wie anders sind
Äußerungen des bisherigen Verteidigungsministers Rühe und anderer CDU-
Vertreter zu verstehen, ein UN-Mandat sei ein Ideal und "Königsweg"
(also nicht der Alltag), und die NATO könne sich bei ihren Aufgaben der
Krisenbewältigung nicht von einem russischen Veto abhängig machen? Der
Widerspruch des unmandatierten Militäreinsatzes der NATO zum geltenden
Völkerrecht läßt sich nicht kleinreden und kaschieren. Auf der anderen
Seite ist es überzogen und verkürzt, ihn als "völkerrechts- und
grundgesetzwidrigen Angriffskrieg" zu bezeichnen und damit auf eine
Stufe zu stellen zum Beispiel mit dem deutschen Überfall auf Polen. Daß
das Primärziel der NATO-Drohung eindeutig humanitär ist, daß es um die
Durchsetzung der Sicherheitsratsresolution 1199 als Voraussetzung eines
Friedensprozesses im Kosovo geht, kann nicht einfach beiseite gewischt
werden.
Wir stehen heute in dem Dilemma zwischen aktueller humanitärer
Herausforderung und der für den Weltfrieden elementaren Verpflichtung
auf das Völkerrecht. Dieser Konflikt ist nicht lösbar. Deshalb stimmen
wir mit Enthaltung.
In den kommenden Tagen und Wochen kommt es darauf an, die OSZE zur
Durchführung einer wirksamen Beobachtermission zu befähigen und die
Fehler zu vermeiden, die die Staatengemeinschaft bei der UN-
Blauhelmmission in Bosnien machte. Dringend notwendig ist eine kohärente
und beharrliche Politik der zivilen Konfliktbearbeitung, um im Kosovo
langfristig tatsächlichen Frieden zu schaffen. Hierfür haben gestern
Persönlichkeiten aus Friedensforschung Friedensbewegung fundierte
Vorschläge vorgelegt.
Die neue Bundesregierung ist in der Verantwortung, daß der heutige
Beschluß des Bundestages kein Präzedenzfall für die Ausrichtung der
künftigen deutschen Sicherheitspolitik wird, sondern Ausnahme bleibt in
einer Situation, wo eine neue Mehrheit die von der alten Regierung
hinterlassene Erblast bewältigen muß.
Der Verlauf des Kosovo-Konflikts macht erneut deutlich, wie dringend
notwendig neben aller Kontinuität eine Neuorientierung der Außen- und
Sicherheitspolitik ist: hin zu ernsthafter Krisenprävention, weg von der
Fixierung auf militärische "Katastrophenhilfe", die dann zum Zuge
kommt, wenn es mal wieder zu spät ist, die obendrein immer besonders
teuer und hochriskant ist. Die neue Bundesregierung wird diese
friedenspolitische Herausforderung selbstbewußt, entschlossen und
besonnen angehen. Sie kann sich dabei auf die konstruktiven und
ermutigenden Erfahrungen stützen, die viele
Nichtregierungsorganisationen, Friedensfachkräfte und Friedensforscher,
Polizisten und Bundeswehrangehörige bei der Gewaltprävention und
Friedensförderung in Krisengebieten gemacht haben.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23168

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Ich stimme dem Antrag der
Bundesregierung zu.
Hinsichtlich der Begründung für diese Haltung teile ich im wesentlichen
die Erklärung des Abg. Gernot Erler. Darüber hinaus stelle ich fest:
1. Die abgewählte Bundesregierung unter Bundeskanzler Dr. Kohl hat
Deutschland und den Bundestag in diese politische Zwickmühle manövriert.
2. Mit dieser Entscheidung entsteht sowohl für den Bundestag als auch
für mein eigenes künftiges Verhalten kein Präzedenzfall.
3. Ich stimme vor allem aus humanitären Gründen zu, um mit der
Drohkulisse des Militärschlags den jugoslawischen Präsidenten zum
Einlenken zu bewegen und damit Zehntausende von Flüchtlingen vor
weiterem Elend und Tod zu bewahren. Alle anderen Einschätzungen haben
dahinter zurückzustehen.
4. Vor diesem Hintergrund halte ich diese Entscheidung für eine
Notfall-Regelung.
5. Ein UNO-Mandat wäre zwar auch aus meiner Sicht besser - es würde
aber in der praktischen Ausformung nichts anderes bedeuten und einen
Militärschlag in gleicher Weise herbeiführen. Eine formale Argumentation
in diesem Zusammenhang ist daher nicht hinnehmbar.
Dr. Eberhard Brecht (SPD): Bei der heutigen Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung zum Kosovoeinsatz der Bundeswehr - Drucksache 13/11
469 - enthalte ich mich aufgrund schwerer Rechtsbedenken der Stimme.
Es gibt keinen Zweifel, daß der jugoslawische Präsident Slobodan
Milosevic mit einer glaubhaften Drohkulisse konfrontiert werden muß, um
eine erneute Gefährdung des fragilen Friedens auf dem Balkan zu
vermeiden, die andauernden Menschenrechtsverletzungen zu beenden und
eine humanitäre Katastrophe für die albanischen Flüchtlinge im Kosovo
abzuwenden. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich den daraus
ergebenden Konsequenzen zu stellen.
Andererseits gibt es für eine noch immer mögliche Intervention der NATO
im Kosovo keine völkerrechtliche Grundlage. In der unter Kapitel VII der
Charta stehenden VN-Sicherheitsratsresolution 1199 behält es sich der
Sicherheitsrat selbst vor, weitere Aktionen und Maßnahmen zu erwägen.
Dies ist am Widerstand Rußlands und Chinas bislang gescheitert. Andere
Rechtskonstruktionen wie der Bezug auf Art. 51 der VN-Charta, auf ein
angebliches Recht für humanitäre Interventionen, auf den "Veto-
Mißbrauch", auf die Entwicklung eines neuen Gewohnheitsrechtes oder auf
die in der Pariser KSZE-Charta festgeschriebenen Grundsätze werden von
der Mehrheit der Völkerrechtler und auch von mir als nicht haltbar
angesehen.
Mit der Charta der Vereinten Nationen wollten die Völker dem Recht der
Macht die Macht des Rechtes entgegenstellen. Jetzt verhelfen wir dem
Recht zur Macht, indem wir uns selbst eines Mittels bedienen, das durch
dieses Recht nicht gedeckt ist. Dieser Sündenfall der NATO wird
möglicherweise später einmal zum Kronzeugen für Aggressoren, die
vorgeben, Unrecht in einem anderen Staat beenden zu wollen.
Gerald Häfner und Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nach reiflichem und intensivem Bedenken werde ich dem Antrag in der
heutigen Abstimmung zustimmen.
Ich tue das, weil auch und gerade meine pazifistische Grundüberzeugung
verlangt, daß organisierter Mord, Vertreibung und Geiselnahme einer
ganzen Bevölkerung niemals mehr hingenommen werden dürfen und daß
deshalb den Mördern entgegengetreten und Einhalt geboten werden muß,
notfalls auch unter Anwendung militärischer Gewalt. Pazifismus darf
nicht zu einer kaltherzigen, ideologischen Fratze werden, die zuläßt und
zusieht, wie Menschen zu Hunderttausenden verfolgt und umgebracht werden
und zum Beispiel auf den Trümmern des kommunistischen Totalitarismus
neue, nun auf rassistischen Konzepten gegründete Diktaturen entstehen.
Nein: Eine pazifistische, gewaltfreie Grundhaltung verlangt, wo immer
möglich, die Diktatoren in die Schranken zu weisen, zu entwaffnen und
zur Rechenschaft zu ziehen.
Aus einer Ära der Gewalt, der Unterdrückung und Bedrohung, wie sie das
20. Jahrhundert in weiten Teilen gekennzeichnet hat (woran wir Deutschen
besondere Schuld tragen) gilt es, Schritt für Schritt in eine Ära
einzutreten, in der nicht mehr Terror und Gewalt, sondern Toleranz,
friedliche Konfliktlösung und die Anerkennung des Rechts die
Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den Staaten bestimmen.
Genau hier aber liegt mein Problem bei der heutigen Entscheidung. Der
heutige Beschluß ist notwendig, um den neuen Kriegstreibern in Europa
Einhalt zu gebieten. Er ist notwendig, um Zivilisation und Recht gegen
Barbarei und Unrecht zu verteidigen. Aber er wird, so legitim und
notwendig er ist, selbst nicht vollständig vom geltenden normativen
Völkerrecht getragen. Wenn es - was ich nicht hoffe - zu einem Einsatz
der NATO käme, wäre dieser von keinem Beschluß der Vereinten Nationen
getragen. Gerade auch die UN-Sicherheitsratsresolution 1199, die nun so
oft als Legitimationsgrundlage angeführt wird, gibt hierfür keine
rechtliche Grundlage. Ein solcher Einsatz wäre damit ein Bruch des
geltenden Völkerrechtes. Dies sollte nicht leicht genommen werden. Es
könnte ein Fall sein, auf den sich andere zu anderen Zeitpunkten mit
weniger friedlichen und humanitären Absichten berufen.
Dennoch ist der Beschluß notwendig. Es gilt, die Strukturen der VN und
das Völkerrecht weiterzuentwickeln. Es muß von einem exklusiven
Machtinstrument der Groß- und Atommächte zu einem demokratischen
Instrument auch der Friedensbewahrung und -erzeugung in den Händen aller
Völker werden. Ein Vetorecht für einen einzelnen Staat hat in einer
solchen, demokratisch gestalteten UN keinen Platz und keine Berechtigung
mehr.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23169

Mit der Zustimmung zu dem heutigen Antrag verbinde ich daher die
Hoffnung, daß er den Frieden im ehemaligen Jugoslawien, Recht und
Sicherheit für das albanische Volk und ein ausreichendes Maß an
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung für den Kosovo befördern, dem mehr
und mehr den Frieden in Europa bedrohenden Machtwahn und Staatsterror
von Slobodan Milosevic und seinen Freunden endgültig eine wirkungsvolle
und dauerhafte Grenze ziehen und schließlich einen Anstoß zur dringend
notwendigen Reform der Vereinten Nationen und zur Fortentwicklung des
Völkerrechtes im Sinne einer Weltinnen- und Weltfriedenspolitik geben
möge.

Birgit Homburger und Jörg van Essen (F.D.P.): Die bisher gefaßten
Resolutionen der UNO zum Kosovo-Konflikt beinhalten kein Mandat für eine
militärische Operation. Im Verhandlungsprozeß hat sich gezeigt, daß eine
friedliche Lösung ohne die Androhung von Gewalt bei Präsident Milosevic
nicht zu erreichen war. Um die jetzt erreichten Verhandlungsergebnisse
zu einer Umsetzung zu bringen, ist es dringend erforderlich, den Druck
auf Präsident Milosevic aufrechtzuerhalten. Dazu gehört, daß die
internationale Staatengemeinschaft auch nach seinem vorläufigen
Einlenken Entschlossenheit signalisiert und die Einsatzbereitschaft
herstellt. Eine deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten
Luftoperationen ist nur dadurch zu legitimieren, daß es sich um die
gemeinsame Aktion von 16 Staaten handelt, die nach intensivem
Verhandlungsprozeß erkannt haben, daß eine friedliche Lösung nur durch
die Androhung militärischer Gewalt erreichbar ist. Bei internationalen
Einsätzen zur Abwendung humanitärer Katastrophen ist es unabdingbar, daß
die Staatengemeinschaft gemeinsam handelt. Alleingänge einzelner Länder,
mögen sie noch so groß oder bedeutend sein, sind und bleiben
inakzeptabel.
Trotz Kritik an der Art und Weise der Vorbereitung dieses Einsatzes
durch die NATO und trotz rechtlicher Bedenken haben wir uns in einem
intensiven Abwägungsprozeß durchgerungen, dem Antrag der Bundesregierung
zuzustimmen, weil nur ein deutliches Ergebnis im Deutschen Bundestag
Herrn Milosevic signalisiert, daß wir geschlossen und entschlossen gegen
seine Menschenrechtsverletzungen stehen und nicht gewillt sind, einen
Rückfall in alte Positionen hinzunehmen.

Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Dem vorliegenden Antrag stimme ich nicht
zu!
1. Beschlüsse von solch einer Tragweite sollten nicht vom scheidenden
13. Bundestag, wenige Tage vor der Konstituierung des neuen Bundestages,
sondern vom vor drei Wochen neu gewählten 14. Bundestag gefaßt werden.
In diesen drei Wochen wäre eine Konstituierung möglich gewesen.
2. Die angezeigten Maßnahmen sind, sollten sie zur Anwendung kommen,
nicht unbedingt geeignet, eine Lösung des Konfliktes herbeizuführen. Da
keine Entwaffnung der albanischen Aufständischen damit erreicht wird,
kann es bei dieser Vorgehensweise zur Abspaltung der Provinz Kosovo
kommen und damit die territoriale Integrität eines souveränen Staates
verletzt werden.
3. Es besteht die Gefahr, daß im schlimmsten Fall, die Nachbarländer,
besonders Albanien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina, in großflächige
militärische Auseinandersetzungen verwickelt werden.
Diese Unwägbarkeiten, die die künftige Situation nicht berechenbar
machen, machen mir eine Zustimmung nicht möglich.
Volker Kröning (SPD): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung in der
Form der Empfehlung der zuständigen Ausschüsse des Bundestages trotz der
vorgebrachten rechtlichen Bedenken (z. B. Ulrich Fastenrath "FAZ", 16.
Oktober 1998, S. 5) aus folgenden Gründen zu:
1. Der Haupteinwand, bisher sei eine politische Lösung des Konflikts im
Kosovo - von wem auch immer - versäumt worden, spricht nicht gegen eine
militärische Drohung, sondern ist nur ein Ausdruck der Situation -
nämlich daß es keine andere Wahl gibt.
2. Der weitere Einwand, bei einem Scheitern der Drohung wäre eine
Eskalation mit unabsehbaren militärischen und politischen Folgen zu
befürchten (gewesen), verkennt, daß die Operationspläne für den Einsatz
der Streitkräfte die politische Kontrolle in jeder Phase gewährleisten.
3. Maßgebend für meine Zustimmung zum Zeitpunkt der Entscheidung des
Deutschen Bundestages sind jedoch folgende Gründe:
Die Resolution 1199 (1998) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen,
auf die sich die NATO und die Bundesregierung u. a. stützen und die vom
Sicherheitsrat ohne Gegenstimmen (14 : 0:1) angenommen wurde, fordert
nicht nur die Verhinderung einer humanitären Katastrophe, sondern
bekräftigt auch das Ziel der Vereinten Nationen, "an enhanced status
for Kosovo, a substantially greater degree of autonomy, and meaningful
self-administration" zu erreichen (Resolution 1160 (1998), Nr. 5).
Dieses Ziel hat der Vertreter der Russischen Föderation im
Sicherheitsrat, Sergey Lavrov, knapp, doch auch deutlich mit dem Hinweis
unterstrichen, daß Rußland ein "settlement of the conflict in Kosovo
... on the basis of broad autonomy to be granted to the region, ensuring
strict respect for the territorial integrity of the FRY" anstrebt
(Pressemitteilung der Mission, Nr. 76, S. 3).
Die Einigung, die in der Zwischenzeit erzielt worden ist, beauftragt -
"gestützt auf die UN-Resolutionen (vgl. 1160 (1998), Nr. 13) - auch die
OSZE damit, eine friedliche Lösung des Konflikts vorzubereiten. Diese
Einigung ist offenkundig unter Mitwirkung sowohl der USA als auch
Rußlands zustandegekommen.
4. Die Lösung selbst erfordert noch lange, intensive Anstrengungen. Die
europäische Politik wird wesentlich mehr als bisher tun müssen. Auf
militärische Mittel wird weiterhin nicht verzichtet werden können.
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23170

Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Konrad Gilges, Uwe Hiksch, Berthold Wittich,
Christa Lörcher, Adolf Ostertag,
Dr. Christine Lucyga, Marlene Rupprecht,
Klaus Barthel, Dr. Marliese Dobberthien,
Heinz Schmitt (Berg), Waltraud Lehn, Otto Reschke,
Peter Dreßen, Detlev von Larcher,
Kurt Neumann (Berlin) (alle SPD)
zur Abstimmung über den Antrag der Bundes-
regierung: Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten begrenzten
und in Phasen
durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung
einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt - Drucksache 13/11469 -
Wir, die Unterzeichner, lehnen den vorliegenden Antrag der
Bundesregierung (Drucksache 13/11469) aus schwerwiegenden
völkerrechtlichen Bedenken ab. Nur eine entsprechende, eindeutige
Ermächtigung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen kann die
Rechtfertigung für eine militärische Intervention sein, die andernfalls
als ein Angriffskrieg auf einen souveränen Staat zu verstehen wäre. Die
vorliegenden Resolutionen 1160 und 1199 enthalten keine solche
Rechtsgrundlage.
Ein Eingreifen ohne Rechtsgrundlage aber beschädigt das bisher
unbestrittene Gewaltmonopol der VN in unverantwortlicher Weise und würde
einen Präzedenzfall mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität des
internationalen Systems darstellen.
Über diese Erwägungen hinaus lehnen wir den Antrag ab, weil die dazu
vorgesehenen Mittel, Luftoperationen, ungeeignet sind. Weder können
diese nachhaltig die humanitäre Situation verbessern, noch sind sie der
angestrebten politischen Konfliktlösung in irgendeiner Weise zuträglich.
Wir verurteilen das Vorgehen, der serbischen Kräfte im Kosovo, das zur
Zerstörung der Infrastruktur, der Vertreibung der Zivilbevölkerung und
zu einer dramatischen humanitären Notlage geführt hat. Gleichermaßen
verurteilen wir das Verhalten bewaffneter albanischer Gruppen im
Krisengebiet, das zu einer Verschärfung der politischen und humanitären
Situation beiträgt. Wir bedauern, daß die Staatengemeinschaft einer
Zuspitzung des Konflikts, die sich seit 1991 abzeichnete, nicht
energisch entgegengetreten ist.
Wir plädieren für eine politische Lösung des Konflikts auf der
Grundlage der Resolutionen 1160 und 1199 der VN, die eine friedliche
Lösung des Kosovo-Problems mit einer erweiterten Autonomie und einer
angemessenen Form der Selbstverwaltung fordern. Wir unterstützen die
politische Zielsetzung des vorliegenden Antrages der Bundesregierung,
eine humanitäre Katastrophe im Kosovo-Konflikt abzuwenden.
Mit dieser Auffassung befinden wir uns in völliger Übereinstimmung mit
der geltenden Beschlußlage der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten
Gernot Erler, Dr. Konstanze Wegener,
Dr. Edith Niehuis, Ingrid Holzhüter,
Iris Gleicke, Günter Graf (Friesoythe),
Siegfried Scheffler, Ursula Mogg,
Hanna Wolf (München), Annette Faße,
Hans-Peter Kemper, Monika Heubaum,
Gisela Schröter, Dr. Barbara Hendricks,
Hans-Werner Bertl, Ulla Schmidt (Aachen),
Hans-Eberhard Urbaniak, Matthias Weisheit,
Wolfgang Behrendt, Friedhelm Julius Beucher,
Hermann Bachmeier, Arne Fuhrmann, Elke Ferner, Angelika Mertens, Dr.
Jürgen Meyer (Ulm), Dr. Edelbert Richter, Günter Gloser,
Marion Caspers-Merk, Hans Büttner (Ingolstadt),
Regina Schmidt-Zadel, Dagmar Schmidt (Meschede), Dieter Maaß (Herne),
Wolfgang Weiermann, Christel Deichmann,
Monika Ganseforth, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast,
Heide Mattischek, Ludwig Eich, Rudolf Bindig,
Karin Rehbock-Zureich, Ulrike Mehl,
Ulrike Mascher, Eckart Kuhlwein,
Marianne Klappert, Horst Kubatschka,
Helga Kühn-Mengel, Barbara Imhof,
Robert Weidinger, Albrecht Papenroth, Uta Zapf,
Herbert Meißner, Uta Titze-Stecher,
Jelena Hoffmann (Chemnitz), Gabriele Iwersen,
Jörg Tauss, Adelheid Tröscher, Dieter Schanz,
Lydia Westrich, Dr. R. Werner Schuster, Eva Folta,
Nicolette Kressl, Angelika Graf (Rosenheim)
(alle SPD)
zur Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung:
Deutsche Beteiligung an den von der NATO
geplanten begrenzten und in Phasen durchzu-
führenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im
Kosovo-Konflikt
- Drucksache 13/11 469 -
Der bisherige Verlauf der Kosovo-Krise mit den vorangegangenen
Beschlüssen der Vereinten Nationen und der NATO sowie mit den jetzt von
Richard Holbrooke erreichten Verhandlungsergebnissen stellt die
Abgeordneten des Deutschen Bundestages vor eine außerordentlich
schwierige Entscheidung: Erst die massive Drohung mit einem
Militärschlag seitens der NATO hat den serbischen Präsidenten Milosevic
zum Einlenken gebracht, und vieles spricht dafür, daß eine zügige
Erfüllung der Vereinbarungen nur bei einer weiteren Aufrechterhaltung
der Drohkulisse erfolgen wird. Auf der anderen Seite würde sich ein
tatsächlicher Militärschlag der NATO auf einer unzureichenden
völkerrechtlichen Grundlage bewegen und zu einer Reihe von schwer
kalkulierbaren politischen Risiken führen.
Gegen eine Zustimmung des Bundestages zu einer deutschen Beteiligung an
den geplanten und vorbereiteten Luftoperationen werden folgende Bedenken
und Einwände erhoben:
Erstens. Für den angedrohten Militärschlag gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien liegt kein Mandat der Vereinten Nationen oder der OSZE vor.
Eine Be
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23171

rufung auf Art. 51 der UN-Charta im Sinne einer Nothilfe im Falle
äußerer Bedrohung scheidet ebenfalls aus. Die NATO stützt sich auf die
UNO-Resolutionen 1 160 und 1 199, deren Forderungen sie mit der
Androhung bzw. mit dem Einsatz von Gewalt durchsetzen will, und macht
"außergewöhnliche Umstände" geltend. Auch wenn sich die NATO damit
zweifelsfrei politische Zielsetzungen der Vereinten Nationen zu eigen
macht (Abwendung einer humanitären Katastrophe und Unterbindung schwerer
und systematischer Menschenrechtsverletzungen), fehlen ihr doch für
einen tatsächlichen Militärschlag ausreichende völkerrechtliche
Grundlagen.
Zweitens. Hintergrund dieser Selbstermächtigung, UNO-Ziele notfalls
auch mittels Gewaltanwendung durchzusetzen, ist die Gewißheit, daß ein
Sicherheitsratsmandat in Sachen Kosovo wegen des angekündigten Vetos von
Rußland und China nicht zu erreichen ist. Dies könnte ein Präzedenzfall
sein für die Ausschaltung oder Umgehung der bisher gültigen
Entscheidungsprozeduren der Vereinten Nationen und damit die
Weltorganisation dauerhaft schwächen.
Drittens. Ein Präzedenzfall könnte auch für die Aufgaben und Funktionen
der NATO vorliegen: Die nichtautorisierte Gewaltanwendung zur
Durchsetzung von UNO-Zielen würde die internationale Wahrnehmung der
NATO mit schwer absehbaren politischen Folgen verändern.
Viertens. Schon absehbar ist, daß die Russische Föderation, die immer
wieder vor Gewaltmaßnahmen gegen Serbien warnt, bei einer tatsächlichen
Durchführung der Luftoperationen ihre Beziehungen zur NATO überprüfen
und möglicherweise die NATO-Rußland-Grundakte zumindest vorübergehend in
Frage stellen könnte.
Fünftens. Für die vorbereiteten Luftoperationen, die begrenzt und in
Phasen durchgeführt werden sollen, bestünden Eskalationsrisiken, falls
die serbische Seite trotz der Gewaltanwendung ihr Verhalten nicht
änderte. Eine Beschränkung auf Luftschläge, die ihre politischen Ziele
nicht erreichen, wäre schon aus Prestigegründen für die westliche
Allianz nicht hinnehmbar.
Sechstens. Ein weiteres Risiko besteht darin, daß eine einseitige und
nachhaltige Schwächung serbischer Militär- und Polizeikräfte die
Verbände der albanischen Befreiungsarmee UCK zur Fortsetzung ihres
Versuches bringen könnte, die Loslösung des Kosovo aus der
Bundesrepublik Jugoslawien mit Gewaltmitteln zu erreichen. Eine solche
Wirkung würde zur Verlängerung der Kriegshandlungen beitragen und den
radikalen Kräften unter den Kosovo-Albanern dabei helfen, ihre
Vorstellungen von vollständiger Autonomie zu verwirklichen, die mit den
westlichen Vorstellungen nicht vereinbar sind.
Auf der anderen Seite lassen sich die erheblichen Risiken nicht
übersehen, die bei einer Ablehnung einer deutschen Beteiligung an den
angedrohten Luftoperationen entstehen:
Erstens. Ohne die deutsche Zustimmung verliert die aufgebaute
Drohkulisse gegen die serbische Führung an Glaubwürdigkeit. Präsident
Milosevic, der erst im letzten Moment auf die Drohungen mit einem
Militärschlag reagierte, könnte den Eindruck gewinnen, die NATO sei
letztlich doch nicht handlungsfähig, und zu einer hinhaltenden Taktik
bei der Erfüllung der ausgehandelten Verabredungen zurückkehren - mit
schlimmen Folgen für die Zivilbevölkerung im Kosovo. In diesem Fall
müßte Deutschland die Verantwortung für einen solchen Rückschlag
gegenüber dem jetzt Erreichten übernehmen.
Zweitens. Nachdem bereits die Zustimmung aller übrigen NATO-Staaten zu
den notfalls durchzuführenden Luftschlägen vorliegt und alle
europäischen Länder keine andere Möglichkeit zur Lösung der Kosovo-Krise
sehen, würde sich Deutschland bei einer Ablehnung vollständig isolieren
und Zweifel an seiner Bündnis- und Integrationsfähigkeit wecken.
Drittens. Ein Ausscheren der Bundesrepublik aus der europäischen
Gemeinsamkeit in der Kosovo-Frage würde, noch verstärkt durch die
Tatsache, daß hier erneut ein europäisches Problem erst durch den
massiven Eingriff der amerikanischen Diplomatie in Richtung einer Lösung
bewegt werden konnte, die Zweifel an der Handlungsfähigkeit Europas
verstärken und das Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
der EU in weite Ferne rücken.
Beide Risiko-Pakete wiegen schwer. In der Abwägung erscheint es aber
eher möglich, die denkbaren negativen Folgen bei einer Zustimmung
abzuwehren oder durch eine aktive Politik unter Kontrolle zu bringen,
als die denkbaren Wirkungen einer Ablehnung:
Erstens. Aus heutiger Sicht kann als sehr wahrscheinlich gelten, daß
gerade die Aufrechterhaltung und Glaubwürdigkeit der Drohkulisse die
Lösung des Kosovo-Konflikts näherbringt und die vorbereiteten
Luftoperationen überflüssig macht.
Zweitens. Die Zustimmung zu einer möglichen NATO-Aktion gegen die
Bundesrepublik Jugoslawien, die völkerrechtlich nicht zureichend
legitimiert ist, kann nur in tatsächlicher Anerkennung
"außerordentlicher Umstände" erfolgen. Sie muß von klaren Aussagen
begleitet werden, daß es sich nicht um einen Präzedenzfall für eine
künftige Selbstmandatierung oder Selbstautorisierung der westlichen
Allianz handelt und daß unser Ziel einer Stärkung der Vereinten Nationen
und ihrer Kompetenzen unverändert weiter verfolgt wird.
Drittens. Rußland muß in die Bemühungen zur Lösung des Kosovo-Problems
in vollem Umfang einbezogen werden. Eine dauerhafte Friedensordnung auf
dem Balkan ist ohne eine russische Beteiligung nicht möglich.
Viertens. Politische Forderungen sind nicht nur an die serbische
Führung zu richten, sondern in gleicher Weise an die Vertreter der
Albaner. Es ist beunruhigend und nicht hinnehmbar, daß Präsident Rugova
und das Kosovo-Parlament die Holbrooke-Vereinbarungen nur teilweise
akzeptieren und an ihren Forderungen zur vollständigen Loslösung des
Kosovo aus der Bundesrepublik Jugoslawien festhalten. Die OSZE-
Beobachtermission muß das Verhalten der UCK-Verbände ebenso
kontrollieren wie das der ser
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
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bischen Sicherheitskräfte. Zur Sicherstellung dieser Aufgabe soll die
Bundesregierung auch unverzüglich ein angemessenes Kontingent für die
OSZE-Mission zur Verfügung stellen.
Fünftens. Sollte es wider Erwarten doch notwendig werden, die
vorbereiteten Luftoperationen zur Erzwingung der getroffenen
Verabredungen mit der serbischen Führung durchzuführen, muß eine
politische Kontrolle und Steuerung der militärischen Aktivitäten, auch
zur Vermeidung einer Eskalationsautomatik, jederzeit gewährleistet
bleiben.
Aufgrund dieser Erwägungen stimmen wir dem eingangs genannten Antrag
der Bundesregierung zu.
Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung:
Deutsche Beteiligung an den von der NATO
geplanten begrenzten und in Phasen durch-
zuführenden Luftoperationen zur Abwendung
einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
- Drucksache 13/11469 -
Dr. Helmut Lippelt, Ulrike Höfken, Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Antje
Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Trotz prinzipieller Bedenken und
entgegen den programmatischen Überzeugungen, die wir in unserer Partei
mitformuliert haben, werden wir dem deutschen Beitrag zu NATO-
Luftoperationen über Jugoslawien zustimmen.
Dies aus folgenden Gründen:
1. Es ist ein schweres Bedenken, daß die geplanten Einsätze ohne UN-
Mandat sein werden. Das läuft auf eine Selbstlegitimierung zu
militärischem Handeln der in der NATO verbündeten Regierungen hinaus.
Alle uns bekanntgewordenen juristischen Konstruktionen, mit denen dies
legitimiert werden soll, sind deutlich nur Hilfskonstruktionen. Am
überzeugendsten ist für uns noch die Brücke, die Außenminister Kinkel zu
bauen versucht, indem er sich zusätzlich auf die KSZE-Prinzipien,
insbesondere die Charta von Paris beruft und hieraus die Entwicklung
eines europäischen Friedensraumes ableitet. Aber auch dies ist nur eine
Hilfskonstruktion. Die Gefahr, daß auf solches Vorgehen eines
Militärbündnisses sich andere Bündnisse oder Regierungen als einen
Präzedenzfall berufen können, liegt auf der Hand. Man braucht nur auf
die vielen nationalen Gegensätze im Raum der ehemaligen Sowjetunion
hinzuweisen oder auf unerträgliche Verhältnisse in Afganistan, die
nördlichen Anrainer - Mächten unerträglich erscheinen mögen. Aber:
Militärisches Vorgehen, das den Charakter ethnischer Säuberung annimmt,
gegen einen Teil des eigenen Volkes in einem europäischen Land, ist ein
Vorgang, den Europa nicht ein zweites Mal hinnehmen darf.
2. Obwohl die UNO die beste Möglichkeit der Entwicklung einer
Weltfriedensordnung ist, die wir haben, ist sie und ihr Sicherheitsrat
nicht die Institutionalisierung von Naturrecht. Internationales Recht
wächst historisch. Es wächst nach der Methode des Case law, nicht nach
einer von Naturrecht abzuleitenden Deduktion. Die UNO ist entworfen nach
der militärischen Niederwerfung des faschistischen Deutschland. Der
Sicherheitsrat entspricht der Großmachtkonstellation jenes Augenblicks.
Wenn er deshalb nicht wie ein Welt-Areopag handelt, sondern sich
gegenseitig blockiert, ist es gerechtfertigt, nach
"Hilfskonstruktionen" zu suchen, die es erlauben, rassistischem
Vorgehen in den Arm zu fallen. Gerade aufgrund unserer eigenen
Geschichte müssen wir das tun.
3. Gerade die aus innenpolitischen Gründen nachvollziehbaren Reaktionen
Rußlands müssen sehr sorgfältig bedacht werden. Aber wir nehmen zur
Kenntnis, daß es gelungen ist, Rußland weiterhin an der jetzt gefundenen
Lösung zu beteiligen.
4. Wir müssen erneut schmerzhaft erfahren, daß Außenpolitik, die Mord
im Inneren eines Landes verhindern will, auch mit Gewalt in Form einer
Drohkulisse umgehen muß. Das ist außerordentlich riskant, denn
Drohkulissen können Eigendynamik aus Handlungszwang entfalten. Uns
quält, daß trotz der heute sich abzeichnenden Lösung daraus ein realer
militärischer Einsatz mit Opfern auf der militärischen und zivilen Seite
und einer dann nicht mehr absehbaren politischen Lösung folgen kann.
Eine Entwicklung, die wir mit allen politischen Kräften in Zukunft
verhindern wollen. Wir nehmen zur Kenntnis, daß der Generalsekretär der
UN, Kofi Annan, nach seiner erfolgreichen Mission im Irak gefragt, ob
verhandeln nicht doch besser sei als Militär einzusetzen, antwortete:
"Negotiations are always better, but negotiations backed up by force."
Wir nehmen weiterhin zur Kenntnis, daß derselbe Generalsekretär, von
Milosevic eingeladen zu einer ähnlichen Vermittlungsmission, dieses Mal
eine solche abgelehnt hat, weil er fürchtete, die Autorität der UNO
dadurch zu beschädigen.
5. Was nur mit Aufbau einer so gefährlichen Drohkulisse, die jederzeit
eskalieren kann, möglich war, könnte - mit allen Risiken behaftet - der
Beginn eines Friedensprozesses in Jugoslawien selbst sein. Die Partei,
die wir im Bundestag vertreten, ist aus einer Friedensbewegung in
Mitteleuropa hervorgegangen. Wir sind davon überzeugt, daß eine solche
Partei sich einem realen Friedensprozeß nicht verweigern darf.
Dr. Winfried Wolf (PDS): Ich stimme gegen den Antrag der
Bundesregierung, weil mit diesem die Politik der alten und abgewählten
Bundestagsmehrheit zur Militarisierung der Außenpolitik fortgesetzt und
für den neuen Bundestag - u. a. mit den Stimmen der SPD -
festgeschrieben werden soll.
Ich stimme für den Antrag der PDS, weil diese sich damit erneut und in
Kontinuität der letzten Jahre als einzige Partei erweist, die eindeutig
gegen jede Art von Bundeswehreinsätzen im Ausland und gegen die
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23173

Nato-Aggressions-Politik auf dem Balkan Stellung bezieht.
Ich stimme für den Antrag der PDS, obgleich ich die dort enthaltene
Forderung nach "unverzüglicher Erfüllung der VN-Sicherheitsresolution
1199" für problematisch halte und in dieser Resolution einen Teil der
aggressiven und erpresserischen Politik der NATO enthalten sehe. Darüber
hinaus ist diese Forderung in Frage zu stellen, da mit keinem Wort auf
die Konzessionen der Regierung in Belgrad eingegangen wird. Wesentlich
sinnvoller wäre die Formulierung einer positiven Forderung, wonach der
albanischen Bevölkerung im Kosovo im Rahmen eines Bundesstaates
Jugoslawien die gleichen Rechte wie z. B. der Bevölkerung in Montenegro,
also der Status einer Teilrepublik, zu gewähren sind.
Ich stimme für den Antrag der PDS, wobei ich im - nicht abzustimmenden
- Begründungsteil große Teile der Passage V für falsch halte. In dieser
Passage wird positiv auf eine "seit 1945 bestehende Weltordnung" und
positiv auf die gegenwärtige Konstruktion des Sicherheitsrates Bezug
genommen. Die PDS hat mehrfach erklärt, welche demokratisierte und
reformierte UNO sie fordert, daß die jetzige Konstruktion des
Sicherheitsrats eine Weltordnung im Interesse weniger Großmächte
festschreibt und viele Länder zur Ohnmacht verurteilt. Im übrigen war es
diese "Weltordnung", die Aggressionskriege unter UN-Flagge ermöglichte
- so die US-Aggression im Koreakrieg Anfang der fünfziger Jahre, die
belgische Aggression im Kongo/Katanga in den sechziger Jahren und den
alliierten Krieg gegen den Irak Anfang der neunziger Jahre. Die in
dieser Passage ebenfalls positiv hervorgehobene Charta der UN, die u. a.
Angriffskriege verurteilt, steht in Widerspruch zu dieser Weltordnung:
Es gibt eine größere Zahl von Resolutionen der UN-Vollversammlung - u.
a. zu den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten und zur
türkischen Aggression auf Zypern, die vom Sicherheitsrat der UN nicht
umgesetzt werden.
Rolf Köhne (PDS): Ich kann dem Antrag aus fünf Gründen nicht zustimmen:
Erstens sehe ich mich - angesichts deutscher Vergangenheit - in der
merkwürdigen Tradition eines Franz Josef Strauß, der in frühen Jahren
die Schlußfolgerung zog: "Jedem Deutschen, der nochmal ein Gewehr
anfaßt, soll die Hand abfallen ..."
Zweitens habe ich nach meinen persönlichen Erfahrungen mit der
Bundeswehr nicht das Vertrauen, daß dort demokratischer Geist überwiegt.
Drittens verfüge ich nicht über die Doppelmoral, die man braucht, um
militärisches Eingreifen in einen Bürgerkrieg wie Kosovo zu fordern und
es in einem anderen wie in Kurdistan nicht zu tun.
Viertens sehe ich die große Gefahr, daß das Völkerrecht durch
Lynchjustiz ersetzt wird.
Fünftens schließlich: Wenn ich mir die hier vielfach und variantenreich
vorgetragenen Argumente, daß Ethik und Moral - also das Ziel - die
Mittel heiligen, dann würden mir noch viele andere Dinge einfallen, wo
die Verletzung humanitärer Grundsätze den Einsatz von militärischer
Gewalt rechtfertigen würden. Kurz: Ich will nicht, daß im Namen von
Moral und Humanität beides unter die Räder kommt.
Klaus-Dieter Reichardt (Mannheim) (CDU/CSU): Dem Antrag der
Bundesregierung stimme ich zu.
Zugleich weise ich allerdings darauf hin, daß die Konfiguration SPD,
Bündnisgrüne und PDS in dieser zentralen außen- und
sicherheitspolitischen Frage erneut gespalten auftritt. Aus meiner Sicht
muß die Außen- und Sicherheitspolitik künftig zu einem zentralen Feld
der kontroversen politischen Diskussion werden. Es kann nicht angehen,
daß die künftige Opposition bei schwierigen Entscheidungen in diesem
Bereich in eine "nationale Verantwortung" gerufen wird, während die
drei linken Parteien ungestört ihre Gespaltenheit zelebrieren können,
wohl wissend, daß die erforderlichen Mehrheiten anderweitig gesichert
sind.
Gerhard Schröder und mehr noch Oskar Lafontaine und Joseph Fischer sind
aufgerufen, hier schnellstens geistige Klarheit zu schaffen und diese in
reale Politik umzusetzen.
Freimut Duve (SPD): 1. In der Sache stimme ich dem Antrag 11469 voll
inhaltlich zu.
2. Ich enthalte mich, da ich als OSZE-Beauftragter bereits in die
Friedensbemühungen eingeschaltet bin.
Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich teile die Sorge um
die Menschen im Kosovo, denen immer schwerere Menschenrechtsverletzungen
und furchtbare Massaker angetan worden sind. Auch ich bin der
Auffassung, daß es nicht hingenommen werden kann, wenn ein Staat gegen
seine Bevölkerung - auch wenn sie nach Autonomie oder staatlicher
Eigenständigkeit drängt - Krieg führt.
Mit der Zustimmung zu einem nicht durch UN-Mandat abgesicherten NATO-
Einsatz wird aber ein Präzedenzfall geschaffen, dessen Folgen nicht
abzusehen sind. Wesentliche Elemente der UN-Charta und des Völkerrechts
- wie das klare Verbot der Gewaltanwendung nach Art. 42 f der UN-Charta
- werden außer Kraft gesetzt. Ein militärisches Eingreifen ohne
völkerrechtlich verbindliches Mandat durch die UNO öffnet weltweit die
Türen für Militäraktionen und schwächt die Rolle der Vereinten Nationen
bei der internationalen Konfliktlösung. Der Einsatz, dem wir heute die
Zustimmung erteilen sollen, ist auch verfassungsrechtlich bedenklich:
Ein NATO-Einsatz, der weder der Verteidigung dient noch eine
friedenserzwingende Maßnahme nach UN-Charta darstellt, stellt eindeutig
einen Angriffskrieg dar. Bereits die Beteiligung ist nach dem
Grundgesetz ausdrücklich untersagt. Die bestehende UN-Resolution 1199
zur Kosovo-Frage deckt einen Militäreinsatz in keinster Weise ab.
Selbst wenn man bereit wäre, sich über diese Bedenken hinwegzusetzen,
bliebe ein weiteres Pro
 
 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/248 vom 16.10.1998
Seite: 23174

blem gelöst: Ein Konzept für eine tragfähige und dauerhafte politische
Lösung des Konflikts im Kosovo besteht nicht, konkrete Ziele für den
Einsatz, wie diese Lösung erreicht werden soll, sind nicht formuliert.
Die Flüchtlinge brauchen vor allem konkrete humanitäre Hilfe vor dem
Beginn des Winters und eine umgehende politische Lösung. Dies muß nach
meiner Auffassung das zentrale Kriterium sein. Ein Kampfeinsatz leistet
dies - auch vor dem Hintergrund des jetzt vorliegenden
Verhandlungsergebnisses - nicht: Zu seinen Kosten könnten die 300 000
Flüchtlinge im Kosovo ein Dach über dem Kopf, ausreichend Nahrung und
die dringend nötige humanitäre Hilfe erhalten. Ein Militärschlag der
NATO führt zu einer weiteren innenpolitischen Solidarisierung mit den
Hardlinern in Serbien und blockiert damit die Chancen der serbischen
Opposition gegen Milosevic. Diesen Effekt erleben wir bereits jetzt:
Regimekritische Medien werden verboten, die Opposition unterdrückt.
Die vorhandenen zivilen Möglichkeiten und politischen
Handlungsspielräume, etwa durch Wirtschaftssanktionen Druck zur Lösung
des Kosovo-Konflikts auszuüben, sind weder durch die Vereinten Nationen
noch durch die Europäische Union oder in multi- und bilateralen
Verhandlungen - auch seitens der Bundesrepublik Deutschland -
ausgeschöpft worden. Hierzu gehört nicht nur eine glaubwürdige Embargo-
und Sanktionspolitik der Europäischen Union, sondern auch flankierende
Angebote zur Wirtschaftshilfe und zum Wiederaufbau im Falle einer
positiven Beilegung des Konfliktes. Die Möglichkeiten politischen
Handels sind also nicht erschöpft. So hat z. B. die EU nicht ernsthaft
versucht, ein Flugverbot für die staatliche jugoslawische
Fluggesellschaft zu erreichen. Im Gegenteil, die Umgebung bestehender
Embargo-Beschlüsse durch Mitgliedsstaaten ist von der EU toleriert
worden.
Vor diesem Hintergrund kann ich dem Einsatz von Bundeswehreinheiten im
Rahmen einer NATO-Mission im Kosovo nicht zustimmen.

Anlage 6 Amtliche Mitteilungen
[...]

Ende des Plenarprotokolls
 
 

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