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Dokumentation: Revisionsrechtfertigung  Dokumentation des Aufrufs im -Format (76KB)
 
gegen xxxxxxxxx

wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten

wird die Revision des Staatsanwaltschaft vom 10 Juli 2000 gegen das Urteil der 73. kleinen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 7. Juli 2000 - 573-50/00 - wie folgt begründet: 

Gerügt wird die Verletzung sachlichen Rechts. 
Es wird die allgemeine Sachrüge erhoben. 
Nachstehende Ausführungen erfolgen nur beispielhaft.
 
 

1.

Zu Unrecht geht das Landgericht davon aus, der von der Angeklagten als ,,Erstunterzeichnerin" mitveröffentlichte Aufruf an Soldaten der Bundeswehr in der Ausgabe der ,,tageszeitung" vom 21. April 1999 enthalte keinen strafbaren Inhalt.

In dem Anzeigentext werden vielmehr alle an dem Kosovo-Einsatz mitwirkenden Soldaten, darunter ausdrücklich auch die an der Logistik beteiligten Soldaten im Verteidigungsministerium, zur Begehung rechtswidriger Taten, nämlich zur Fahnenflucht und zur Befehlsverweigerung, aufgerufen.

Die Interpretation eines Textes wie des hier in Rede stehenden hat nach folgenden Grundsätzen zu geschehen:

Bereits die Erfassung und Würdigung einer Äußerung hat, davon geht auch das Landgericht zu Recht aus, im Licht des für die demokratische Willensbildung schlechthin konstituierenden, in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG garantierten Grundrechts der freien Meinungsäußerung zu erfolgen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich - wie hier - zumindest auch um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (vgl. BverfGE 85, S.1, 16). Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass der Angeklagten keine Äußerung zur Last gelegt wird, die sich aus dem Wortlaut der Erklärung nicht oder nicht mit hinreichender Klarheit ergibt (vgl. BVerfGE 82, 5.43, 50 m.w.N.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 5 GG darf einer Äußerung keine Aussage, auch keine mehrdeutige Aussage, zu Grunde gelegt werden, die sie bei verständiger Würdigung nicht haben kann (Beschluß des BVerfG v. 25. August 1994 - 1 BvR 1423/92-S.7). Zutreffend weist das Landgericht insoweit daraufhin (S.4 UA), dass die zur Sinnermittlung vorzunehmende Deutung des Textes von dessen Wortlaut auszugehen hat, als Maßstab das Verständnis eines unvoreingenommenen Publikums zu Grunde zu legen ist und der umstrittene Textteil regelmäßig nicht isoliert betrachtet werden darf (BVerfGE 93, S.266, 295).

Es wird nicht verkannt, dass die Auslegung von Erklärungen an Hand der genannten Grundsätze eine typische Aufgabe des Tatrichters ist, dem Revisionsgericht daher eine eigene Wertung ebenso verboten ist wie bei der Beweiswürdigung. Das gilt auch dann, wenn die Äußerung in dem Urteil - wie hier - wörtlich wiedergegeben ist. Revisibel [sic] freilich ist die Auslegung von Gedankenäußerungen, wenn sie als solche rechtsfehlerhaft ist, insbesondere auf Rechtsirrtum beruht. Damit kann die Auslegung von Gedankenäußerungen namentlich auf Lückenhaftigkeit, auf Verstöße gegen Sprach- und Denkgesetze sowie gegen Erfahrungssätze geprüft werden, einschließlich der Frage, ob die Auslegung allgemeine Auslegungsregeln verletzt (zum Vorstehenden statt aller: Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 337 Rdnrn. 117 und 118 m.w.N.).

a) Hier ist das Gericht zunächst von nicht bestehenden Erfahrungssätzen ausgegangen.

Entgegen dessen Auffassung ermöglicht nämlich weder der Umstand, dass der Aufruf in der ,,tageszeitung" veröffentlicht wurde, noch die Tatsache, dass der Abdruck auf Seite 10 der Ausgabe erfolgte, den Schluss, dass die in dem Aufruf angesprochenen Soldaten gar nicht erreicht werden sollten. Dem verständigen Leser zeigt vielmehr die Auswahl der ,,tageszeitung" als Publikationsmittel, dass die Angeklagte und die übrigen Unterzeichner mit ihrem Aufruf unter anderem die an dem Kosovo-Einsatz unmittelbar und mittelbar beteiligten Bundeswehrsoldaten erreichen wollten. Gerade von der ,,tageszeitung", die unter den überregional erscheinenden Zeitungen - wie allgemein bekannt - dem politischen Standpunkt des für die bundesdeutsche Beteiligung an dem Kosovo-Einsatz in erheblichem Maße verantwortlichen Bundesaußenministers besonders nahe steht, konnte sich ein angesichts der Begleitumstände - Einsatz ohne Mandat durch den Weltsicherheitsrat - nach Information suchender Soldat mit Recht eine kritische Auseinandersetzung und zugleich eine im Ergebnis den Einsatz befürwortende Haltung erhoffen. Denn zur Erbitterung der übriggebliebenen Mitglieder der Friedensbewegung erfolgte der Einsatz mit Zustimmung der ,,Grünen", die ebenso wie die ,,tageszeitung" aus den sogenannten sozialen Bewegungen hervorgegangen sind. Nicht zufällig sah sich gerade die ,,taz" daher im Zusammenhang mit dem Kosovo-Einsatz dem Vorwurf der unkritisch regierungsfreundlichen Berichterstattung ausgesetzt. Der verständige Leser musste daher beim Studium der Anzeige davon ausgehen, dass die ,,taz" als Publikationsmittel ausgewählt worden war, weil die Unterzeichner - zu Recht - davon ausgehen konnten, dass zwar die Herausgeber der Zeitung - im Gegensatz zu anderen etablierten Tageszeitungen - die Anzeige ungeachtet des strafbaren Inhalts aus alter Verbundenheit zur Friedensbewegung abdrucken würden, aber sie so ein Publikum erreichen würden, das der Haltung der Bundesregierung nahe steht und den Einsatz - ebenso wie diese - grundsätzlich befürwortet. Im Übrigen zeigt schon die Wahl des fast halbseitigen Formats, dass die Anzeige durchaus zur Kenntnis genommen werden sollte. Zu alledem enthält das Urteil nichts, sondern unterstellt kurzerhand, dass die ,,tageszeitung" - insbesondere der Mittelteil - "mit Sicherheit nicht von diesem Personenkreis [gemeint: ,,Berufssoldaten oder sich freiwillig zu diesem Einsatz gemeldet habende Wehrpflichtige"] regelmäßig gelesen wird" (UA S. 5 oben).

Es gibt weder einen Erfahrungssatz, dass Bundeswehrsoldaten, insbesondere freiwillige Teilnehmer humanitärer Einsätze oder insoweit im Bundesverteidigungsministerium an ,der Logistik beteiligte Soldaten, nur bestimmte Zeitungen lesen, noch einen Erfahrungssatz, dass sie bestimmte Teile von Zeitungen nicht lesen.

b) Die Interpretation des Landgerichts entfernt sich weiterhin völlig von der vom Gericht selber mitgeteilten Tatsachengrundlage nämlich der Erklärung selbst.

Denn Aufmachung und Inhalt der Anzeige lassen keinerlei Zweifel daran zu, dass es. sich nicht um einen bloßen Spendenaufruf, sondern um eine Aufforderung zur Fahnenflucht und zur Befehlsverweigerung handelt. Der veröffentlichte Aufruf steht nämlich unter der fettgedruckten Überschrift: ,,Aufruf an alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind. Verweigern Sie Ihre weitere Beteiligung an diesem Krieg!". Der nachfolgende eng und zweispaltig gedruckte Text wird unterteilt durch einen Absatz, der graphisch deutlich hervorgehoben ist. Dieser sticht nämlich nicht nur durch die fett geschriebenen Buchstaben, sondern auch durch seine Anordnung als zentrierter, einspaltiger Absatz hervor. Er enthält die Feststellung ,,Eine Beteiligung an diesem Krieg ist nicht zu rechtfertigen", gefolgt von den Imperativsätzen: ,,Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle! Entfernen Sie sich von der Truppe! Lehnen Sie sich auf gegen diesen Krieg!"

Dem Leser springen damit bei erster Wahrnehmung des Textes zuerst die an die Soldaten gerichteten Forderungen ins Auge, deren Aneinanderreihung und inhaltliche Steigerung den Aufforderungscharakter und die Dringlichkeit zusätzlich unterstreichen.

Sicherlich kann eine solche graphische und inhaltliche ,,Aufmachung" eines Druckwerks auch allein dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, um ihn zum Studium eines Textes anzuregen, der ausschließlich als Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung dienen soll. Der Text selbst beginnt jedoch mit dem erneuten ausdrücklichen Appell an das Verhalten der Soldaten: ,,Wir rufen alle Soldaten dazu auf, sich nicht weiterhin an dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu beteiligen". Auch die nachfolgenden Ausführungen zur rechtlichen Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und zu § 22 Wehrstrafgesetz zwingen zu dem Schluss, dass die Veröffentlichung dem Ziel dient, die an dem Kosovo-Einsatz beteiligten Soldaten zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen Schließlich nehmen die beiden letzten Textabschnitte vor der Liste der Erstunterzeichner, unter denen auch die Angeklagte mit Namen und Adresse aufgeführt ist, dem Leser jeglichen Interpretationsspielraum. Dort wird den Soldaten nämlich mitgeteilt, dass sie, sobald sie den Aufforderungen nachkommen und sich diesen entsprechend von der Truppe entfernen oder die Befolgung der Befehle verweigern, mit der Einleitung von Ermittlungsverfahren rechnen müssen. Die Anklagte und die übrigen Unterzeichner erklären damit zu wissen, dass das von ihnen anempfohlene Verhalten von den Strafverfolgungsbehörden als strafbar angesehen wird. Sie machen darüber hinaus deutlich, dass sie davon ausgehen, eine Verurteilung der Soldaten sei allenfalls ,,politisch", durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit und nicht etwa durch Ausschöpfung des Rechtsmittelzuges zu verhindern.

c) Schließlich sind auch die weiteren Ausführungen des Landgerichts zur Auslegung der Erklärung ,,im Lichte des Artikel 5" in erheblichem Maße lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft. Sie erschöpfen sich darin, dass die Rechtmäßigkeit des Kosovo-Einsatzes in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wurde (UA S. 5 unter [sic] /6 oben). Das Verhalten, zu dem die Angeklagte und die übrigen Unterzeichner die Soldaten auffordern, ist rechtswidrig und strafbar. Das den Soldaten anempfohlene Entfernen von der Truppe für die Zeit des bewaffneten Einsatzes im Kosovo ist gemäß § 16 Absatz 1 Wehrstrafgesetz als Fahnenflucht anzusehen.

Dabei kann offen bleiben, ob auf der Grundlage des geltenden Völkerrechts eine ausreichende völkerrechtliche Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Intervention der Nato im Kosovo bestand. Das Verlassen der Truppe stellt auch für den Fall und den Zeitraum eines völkerrechtswidrigen Einsatzes eine rechtswidrige Tat dar. Denn weder das Recht zur Kriegsdienstverweigerung aus Artikel 4 Abs. 3 GG noch § 22 Wehrstrafgesetz vermögen ein solches Verhalten zu rechtfertigen.

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird nämlich die situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung, d.h. die Entscheidung, in bestimmten historischen und politischen Situationen nicht am Krieg teilzunehmen, nicht von Artikel 4 Absatz 3 Grundgesetz geschützt (vgl. BVerwGE 74, S.72, 74f., m.w.N.).

Die Vorschrift des § 22 Wehrstrafgesetz sieht allein vor, dass in den Fällen eines strafbaren Verstoßes gegen die Gehorsamspflicht die Unverbindlichkeit eines Befehls die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit entfallen läßt. Die Vorwürfe der eigenmächtigen Abwesenheit von der Truppe (§15 Wehrstrafgesetz) und der Fahnenflucht (§16 Wehrstrafgesetz) Werden von dieser Norm nicht erfasst. Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck dieser Vorschrift lassen allein den Schluss zu, dass diese sich ausschließlich auf Straftaten bezieht, die an die Pflichten von' Untergebenen anknüpfen und nicht auf Vergehen gegen die Pflicht zur militärischen Dienstleistung überhaupt (vg. Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, 4. Auflage, § 22 Rdn. 2).

Auch bei der: zugleich von der Angeklagten angestrebten Gehorsamsverweigerung durch Bundeswehrsoldaten, die im Rahmen der Intervention im Kosovo eingesetzt waren, hätte es sich um ein rechtswidriges und ggf. nach den §§ 19 bis 21 WStG strafbares Verhalten gehandelt. Denn der Befehl zum Einsatz im Rahmen der Nato-Intervention im Kosovo war - unabhängig von der völkerrechtlichen Einordnung des Einsatzes - nicht unverbindlich.

Die Völkerrechtswidrigkeit eines Befehls führt nur dann zu dessen Unverbindlichkeit, wenn die Schwere des Rechtsbruchs mit kriminellem Unrecht gleichzusetzen ist (vgl. Schölzlingens, a.a.O., § 2 Rdn 40 m.w.N.), was jedoch hier erkennbar nicht der Fall ist. Denn dies würde voraussetzen, dass die militärische Intervention der Nato - deren Völkerrechtswidrigkeit unterstellt - den Charakter einer Handlung hat, die dazu geeignet und bestimmt ist, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, wie es zum Beispiel die Strafbarkeit wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) voraussetzt. Der Einsatz der Nato im Kosovo erfolgte jedoch unabhängig von seiner völkerrechtlichen Grundlage allein mit dem Ziel, eine völker- und menschenrechtswidrige Unterdrückung und Vertreibung der Kosovo-Albaner und damit einen Völkermord im Sinne von § 220 a StGB abzuwenden. [Unterstreichungen im Original, ami]

Zu diesen wesentlichen strafrechtlichen Aspekten findet sich im Urteil des Landgerichts nichts.
 
 

2.

Die Angeklagte hat entgegen der Auffassung des Landgerichts mit ihrer Teilnahme an der Veröffentlichung des Aufrufes auch vorsätzlich öffentlich zu rechtswidrigen Taten aufgerufen. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum im Sinn von § 17 StGB liegt nicht vor. Zwar geht das angefochtene Urteil zutreffend davon aus, dass die Angeklagte den Einsatz der Bundeswehr für völkerrechtswidrig hielt und möglicherweise aufgrund der von ihr benutzten Quellen insoweit auch keine andere Einsicht gewinnen konnte. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an. Bei Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntniskräfte hätte es gerade der Angeklagten leicht gelingen können zu erkennen, dass auch ein Einsatz außerhalb der Grundlagen des geltenden Völkerrechts einen Soldaten der Bundeswehr nicht dazu befugt, seine Truppe zu verlassen. Das machen gerade auch die - allgemein bekannten - Rechte und Pflichten des Soldaten deutlich, die diesem die Verweigerung unverbindlicher Befehle nicht nur erlauben, sondern ihn sogar dazu verpflichten.

Das Soldatenverhältnis ist - wie auch für die Angeklagte ersichtlich - letztlich ein besonderes öffentliches Dienstverhältnis, in dem der einzelne Soldat nicht rechtlos ist, sondern ihm sowohl gegen von ihm für rechtswidrig gehaltene Befehle als auch hinsichtlich disziplinarischer Maßnahmen Rechtsbehelfe zustehen. Die Angeklagte hätte sich daher ohne Schwierigkeiten Klarheit darüber verschaffen könne, dass ein Soldat, ebenso wie jeder andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, zwar möglicherweise unter gewissen Umständen ein bestimmtes, von ihm verlangtes Verhalten verweigern, aber nicht den Dienst einstellen und ihm fernbleiben darf Gleiches gilt auch für die Frage der sogenannten situationsbedingten Kriegsdienstverweigerung. Die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine solche nicht von Art. 4 Absatz 3 GG erfasst wird, ist insbesondere in der Friedensbewegung hinlänglich bekannt. Schließlich hätte die Angeklagte bei Anspannung ihres Gewissens und ihrer Einsichtsfähigkeit erkennen können, dass der Einsatz der Nato - unabhängig von seiner völkerrechtlichen Einordnung - kein kriminelles Unrecht darstellt und die den Soldaten erteilten Einsatzbefehle verbindlich sind. Zu alledem verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Das Gericht hat ersichtlich die rechtlichen Voraussetzungen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums verkannt.
 

Ich beantrage daher,
 

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den dazugehörigen Feststellungen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückzuverweisen.
 

 

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