Bellum Ciao. Die antimilitarismus information ist nach 33 Jahren am Ende. Doch es gibt beinahe keine Konkurrenz mehr, die davon profitieren könnte.

 

Vermutlich hat nicht mal jemand den Schlussgag bemerkt. »Erbsenzählen in Nordkorea« war ein Artikel in der letzten Ausgabe der antimilitarismus information überschrieben.

Für Erbsenzählen, das Auflisten von taktischen und strategischen Nuklearsystemen oder das Vergleichen von Reichweiten war das Blatt bekannt, und die Hochzeit mit etwa 3 500 Lesern erlebte die ami, wie sie sich abkürzt, entsprechend in den frühen Achtzigern, als die Kenntnis intimer Details von Pershing II und SS-20 zum hiesigen Linkssein zählte.

Zuletzt hatten noch 900 Abonnenten die ami bezogen. »Das war nicht mehr kostendeckend«, sagt Stefan Gose, Redakteur und letzter Geschäftsführer. »Aber das größere Problem war, dass wir zu wenig Leute waren.« Nur zwei bis drei Leute hätten in der Berliner Redaktion als feste Autoren gearbeitet. So habe sich das seit den Anfängen 1971 entwickelte kollektive Arbeitsprinzip nicht halten lassen.

Damals, inspiriert von der Vietnamkriegs-Opposition und den allmählich steigenden Zahlen der Kriegsdienstverweigerer, hatte eine Handvoll Studenten in Frankurt/Main das Blatt gegründet, später zog man nach Berlin um. Ob die Abkürzung ami dabei eher an die abschätzige Charakterisierung der Amerikaner oder eher an das französische Wort für Freund erinnern sollte, lässt sich mit Sicherheit nicht mehr sagen. Jedenfalls begannen die Studenten Christian Wellmann, Hanne-Margret Birckenbach mit ein paar Kommilitonen damals, ihr eigenes friedenswissenschaftliches Programm mit entsprechender Infrastruktur zu schaffen: Jeder war für die Auswertung einer Tageszeitung zuständig, auch Wochen- und Fachblätter wurden fleißig ausgeschnibbelt, und jeder Redakteur betreute eine Rubrik. Die handelte von Zivildienst oder von Bundeswehr, von Friedensbewegung oder von der Rüstungsindustrie, 19 solcher Rubriken gab es. Auf den Konferenzen stellten die Redakteure ihr Material vor, und es wurde beschlossen, welcher Text geschrieben werden sollte. Die Artikel wurden dann vom Kollektiv, oft stundenlang und oft nervenzehrend, diskutiert, verändert, umgestellt oder gekippt.

»Lange Textbesprechungen und noch längere Produktionen waren nicht mehr konkurrenzfähig in einer kurzatmigen Aufbruchstimmung«, heißt es nun mit ein wenig Selbstmitleid im letzten Editorial der ami, »die das schnelle Feedback im Internet, bei Globalisierungsprotesten oder im Tangokurs suchte.«

»Der Tangokurs«, erläutert Gose den etwas kryptischen Vorwurf, »steht für vielfältigeres Freizeitverhalten.« Eine beinah ausschließliche Orientierung aufs politische Engagement gebe es kaum noch. »Das war vor zehn Jahren anders.«

»Es waren am Schluss auch schlicht sehr lange Artikel«, erinnert sich ami-Gründer Christian Wellmann, der heute im Schleswig-Holsteinischen Institut der Friedenswissenschaften arbeitet. »Die waren nicht immer brillant.« Die Themen des letzten Heftes lauten: Luftsicherheitsgesetz, Entsendegesetz, Nordkorea. Und dass sich mittendrin ein Aufsatz mit der Überschrift »US-Atomkriegsplanung gegen ›Schurkenstaaten‹« findet, fällt da gar nicht mehr auf.

Redakteure der ami waren meist Studenten, die, wenn schon kein Geld und kaum Renommee, wenigstens erste Erfahrung im Abfassen wissenschaftlicher Artikel erwarben und ihre Tätigkeit in der Redaktion auch als politische Arbeit verstanden. »Mit dem Ende der ami fällt ein wichtiges Potenzial der Nachwuchsförderung weg«, sagt Otfried Nassauer, Leiter des »Berlin information-center for Transatlantic Security« (Bits). Sein Institut hat eng mit der ami zusammengearbeitet.

Das mit der Nachwuchskrise sieht Christian Wellmann ähnlich. »Wir haben zwar damals, als wir die ami gründeten, nie im Leben daran gedacht, dass wir später in der Friedensforschung landen würden«, sagt er, »aber die ami hat doch ganz wesentliche Berufsqualifikationen vermittelt.« Etliche Ex-ami-Redakteure sind heute in der Wissenschaft oder im Journalismus tätig. »Genau in der Schnittstelle von Journalismus und Wissenschaft«, ergänzt Otfried Nassauer, »gibt es für die ami keine Alternative.«

Auch Blätter, die der ami vergleichbar sind, wie etwa Wissenschaft und Frieden vom Bund demokratischer Wissenschaftler, sind in einer Krise, und dass sie die Abonnenten der ami einfach einsammeln könnten, glaubt niemand. Der Markt ist viel zu klein, und das sagt vielleicht auch etwas über die Qualität der neuesten Friedensbewegung, wie sie sich etwa vor einem Jahr am 15. Februar zeigte. »Es scheint paradox«, formulieren die letzten ami-Redakteure im letzten Editorial, »noch immer befindet sich Deutschland im ›Bündniskrieg‹, die Bundeswehr schreitet mit Siebenmeilenstiefeln immer tiefer in den Interventionsmorast. Demokratisch unkontrolliert stapft die Militarisierung Europas hinterher, Völkerrecht und Außenpolitik werden zunehmend durch Faustrecht ersetzt, die ungezählten übrigen Kriege auf dem Globus scheinen nur noch RegionalexpertInnen begreiflich. – Und doch ist es der ami nicht gelungen, mit all diesen Themen genügend Menschen anzusprechen, um auf Basis eines soliden AbonnentInnenstammes weiterhin fundierte Hintergrundberichterstattung zu liefern.«

Ein wichtiger Teil der ami-Leserschaft fand sich in Gruppen von Kriegsdienstverweigerern, doch diese Gruppen gibt es kaum noch. Aber dass der Beratungsbedarf mittlerweile beinahe bei Null ist, wird kaum als Erfolg gesehen. Die Militarisierung erfolgt jetzt halt anders. »Wir erleben unter Rot-grün zurzeit«, sagt Nassauer, »die Transformation der friedenswissenschaftlichen Bereiche in die Softthemen.« Was nicht mehr gewollt werde, sei die »klassische Militärkritik«.

Für die aber stand ein Blatt wie die ami, auch wenn sie sich zuletzt durch »eine Laissez-Faire-Themenauswahl« (Wellmann) auszeichnete. »Den Zugang zu attac und solchen Bewegungen haben wir nicht gefunden«, sagt Stefan Gose. Aber er kann auch nicht sagen, welche von den linken Zeitungen in Deutschland denn dort gelandet wäre.

Die ami wurde am Schluss kaum noch gelesen, es gab kaum noch Leute, die sie erstellen wollten, und die das doch machten, waren auf etlichen Baustellen gleichzeitig aktiv. Nicht wenige ami-Redakteure arbeiteten auch projektbezogen für Nassauers Bits, das aber selber in der Krise ist, sie schrieben für andere Blätter und schlugen sich irgendwie durch.

Ein klares Konzept, das die ami von anderen Blättern unterscheidbar gemacht hätte, konnte so gar nicht mehr entstehen. Und auch wenn sie sich nie so ganz zwischen einer irgendwie gearteten Ablehnung des Militärischen, einer konsequent pazifistischen Haltung oder einem eher klassischen Verständnis von Antimilitarismus entscheiden konnte, so war die ami doch stets mehr als ein bloßes Erbsenzähler-Magazin.

Anfang Februar erfuhren die Abonnenten vom Ende des Blattes. »Für mich ist aber nicht erklärungsbedürftig, dass es die ami nicht mehr gibt«, sagt Christian Wellmann, »sondern dass es sie 33 Jahre lang gegeben hat.«

Otfried Nassauer hat mit seinem Institut bislang acht Jahre geschafft. »Ob es das Bits am Ende des Jahres 2004 noch geben wird, kann ich nicht sicher sagen.« Er sammelt gerade Spenden.

martin krauss, jungle World Nummer 11 vom 03. März 2004

Bibliotheks- und Archivstandorte, wo es die ami noch zu lesen gibt.

 
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