Dokumentation:
Hermann Theisen, 4. Dezember 2000
Dokumentation einer schriftlichen Befragung aller Bundestagsabgeordneten
zu ihrem Abstimmungsverhalten hinsichtlich der Bundeswehrbeteiligung am
Kosovo-Krieg
1. Vorbemerkung1. Vorbemerkung top
2. Antrag der Bundesregierung (Drucksache 13/11469)
3. Brief an alle Bundestagsabgeordneten im Wortlaut
4. Reaktionen der Bundestagsabgeordneten4.1. Schriftliche Antworten5. Auswertung
4.2. Telefonische AntwortenA) Antrag der Bundesregierung6. Ausblick
B) Die Reaktionen der Bundestagsabgeordneten
Am 24. März 1999 fand mit der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg im ehemaligen Jugoslawien eine Zäsur in der Außen- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik statt: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nahmen deutsche Soldaten aktiv kämpfend an einem Krieg teil.
Die Befürworter einer solchen Beteiligung begründeten deren Notwendigkeit überwiegend mit dem notwendigen bündnispolitischen Engagement der Bundesrepublik als wichtigem europäischem Mitgliedsstaat der NATO und vor allem auch mit der aus ihrer Sicht fehlenden Alternative zum militärischen Einsatz, der eine humanitäre Katastrophe im Kosovo stoppen bzw. verhindern sollte.
Die Gegner begründeten ihre Haltung überwiegend mit den fehlenden rechtlichen und inhaltlichen Voraussetzungen einer solch weitreichenden und bedeutenden Entscheidung bzw. auch häufig ganz grundsätzlich mit einer entsprechend pazifistischen Haltung, wonach jegliche Beteiligung an einem Krieg strikt abzulehnen sei.
Als am 10. Juni 1999 der Krieg beendet wurde, fühlten sich die Vertreter beider Positionen zumeist bestätigt: Die Kriegsbefürworter sahen die Kriegsziele erreicht und gaben damit ihrer Haltung eine nachträgliche Legitimation. Die Kriegsgegner verwiesen auf die fehlende Rechtsgrundlage bzw. die aus ihrer Sicht durch die Kampfhandlungen begangenen Vestöße gegen das Völkerrecht, das Kriegsvölkerrecht sowie das Grundgesetz.
Dem Kriegsbeginn am 24. März 1999 gingen einige parlamentarische Entscheidungen voraus, womit die politischen Voraussetzungen für die Beteiligung der Bundeswehr an jenem Krieg geschaffen wurden. Eine dieser Abstimmungen fand am 12. Oktober 1998 im Deutschen Bundestag [nach Austausch der Argumente im Plenum; ami] statt. Dabei hatten die Bundestagsabgeordneten über folgenden von der Bundesregierung vorgelegten Antrag zu entscheiden: Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt (Drucksache 13/11469).
Interessant in diesem Zusammenhang ist der Umstand, daß die wenige Tage zuvor gewählte Bundesregierung dem Parlament einen Antrag zur Abstimmung vorlegte, ohne daß sich zu diesem Zeitpunkt der gerade gewählte Bundestag bereits konstituiert hatte. So entstand die außergewöhnliche parlamentarische Situation, daß der Bundestag der 13. Legislaturperiode über einen Antrag der Bundesregierung der 14. Legislaturperiode abzustimmen hatte.
Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt: Von 580 anwesenden Parlamentariern stimmten 500 mit Ja, 62 mit Nein und 18 enthielten sich ihrer Stimme.
Der zweite Jahrestag dieser entscheidungsträchtigen Abstimmung des Deutschen Bundestages, die als eine der bedeutendsten der jüngeren Parlamentsgeschichte betrachtet werden muß, wurde nun der Anlaß, die Bundestagsabgeordneten mit einem Brief an jene Abstimmung zu erinnern und sie zu ihrem Abstimmungsverhalten zu befragen.
Von 669 Bundestagsabgeordneten antworteten 130. Im folgenden werden der Antrag der Bundesregierung, der Brief an die Bundestagsabgeordneten sowie deren Reaktionen dokumentiert.
Abschließend folgen eine kurze Auswertung sowie ein Ausblick.
2. Antrag der Bundesregierung (Drucksache 13/11469) top
Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
Zugeleitet mit Schreiben des Bundeskanzlers vom 12. Oktober 1998.
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stimmt dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte entsprechend dem von der Bundesregierung am 12. Oktober 1998 beschlossenen deutschen Beitrag zu den von der NATO zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt geplanten, begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen für die von den NATO-Mitgliedsstaaten gebildete Eingreiftruppe unter Führung der NATO zu.
Begründung:
Die internationale Völkergemeinschaft ist tief besorgt über die Lage im Kosovo. Das unverhältnismäßige gewaltsame Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte hat zu 290.000 Flüchtlingen und Binnenvertriebenen geführt. Der Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen für Flüchtlingsfragen schätzt, daß ca. 50.000 Menschen schutzlos der Witterung ausgesetzt sind. Durch den herannahenden Winter wird die Lage äußerst kritisch. Diese Entwicklung kann, wenn nichts unternommen wird, in Kürze zu einer humanitären Katastrophe führen. Die Bundesregierung hat in bilateralen Bemühungen und in gemeinsamen Anstrengungen im Rahmen der Vereinten Nationen, der Nordatlantischen Allianz, der Kontaktgruppe, der EU und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa versucht, eine Lösung der Kosovo-Krise zu erreichen. Die Forderungen der internationalen Gemeinschaft an Belgrad zur Erreichung eines Waffenstillstands, zur Linderung der humanitären Notlage und damit zum Schaffen der Voraussetzungen für die Aufnahme von Substanzverhandlungen zwischen den Konfliktparteien sind in der Sicherheitsrats-Resolution 1199 festgehalten worden. Belgrad hat diese Forderungen bisher nicht erfüllt.
Vor diesem Hintergrund hat der NATO-Rat am 9. Oktober 1998 die Rechtsgrundlage
für das Handeln des Bündnisses erörtert. Der NATO-Generalsekretär
hat das Ergebnis wie folgt zusammengefaßt:
Der NATO-Generalsekretär erklärt, daß unter diesen
außergewöhnlichen Umständen der gegenwärtigen Krisenlage
im Kosovo, wie sie in der Resolution des VN-Sicherheitsrates 1199 beschrieben
ist, die Drohung mit und ggf. der Einsatz von Gewalt durch die NATO gerechtfertigt
ist.
Die Bundesregierung teilt diese Rechtsauffassung mit allen anderen 15 NATO-Mitgliedsstaaten.
Das Bündnis hat entschieden, den Eintritt einer humanitären Katastrophe abzuwenden. Der NATO-Rat hat die Operationspläne für begrenzte und in Phasen durchzuführende Luftoperationen am 8. Oktober abschließend gebilligt und hat nach Zustimmung der Mitglieder der Allianz den Einsatz autorisiert.
Die Bundesregierung hat deswegen beschlossen, unter dem Vorbehalt der vorherigen konstitutiven Zustimmung durch den Deutschen Bundestag für die Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe die nachstehend aufgeführten Kräfte als Beitrag für die von NATO-Mitgliedsstaaten gebildete Eingreiftruppe unter Führung der NATO einzusetzen.
1. Für die Luftoperationen werden bereitgestellt:
A) Luftwaffenkräfte bestehend aus
Darüber hinaus werden ggf. Heereskräfte zur Erkundung und Aufklärung, einschließlich erforderlicher Stabs- und Unterstützungskräfte, bereitgestellt; für diese Kräfte ist keine Stationierung im Kosovo vorgesehen.
Auf die für SFOR bereitgestellten Kräfte, Logistik und Infrastruktur wird zurückgegriffen, sofern dies möglich ist und der Auftrag im Rahmen des SFOR-Einsatzes dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Der Umfang der Gesamtkräfte im Einsatzgebiet wird eine durchschnittliche Größenordnung von rd. 500 Soldaten umfassen; bei gleichzeitigem vollem Einsatz aller Kräfte und Personalrotation kann sie zeitweise darüber liegen. Umfang und Zusammensetzung der deutschen Kräfte orientieren sich an dem Einsatz von bis zu 14 Aufklärungs- und ECR-TORNADO-Flugzeugen und den für die Operationen erforderlichen Aufklärungs- und Unterstützungskräften.
2. Es kommen zum Einsatz
3. Die von der Bundesregierung bereitgestellten Kräfte können,
soweit der VN-Sicherheitsrat eine entsprechende Resolution nicht verabschiedet,
zur Abwendung einer humanitären Katastrophe und zur Unterbindung schwerer
und systematischer Menschenrechtsverletzungen im Kosovo auf der Grundlage
eines entsprechenden Beschlusses des NATO-Rates eingesetzt werden, um die
Forderungen aus den Sicherheitsrats-Resolutionen 1160 und 1199 durchzusetzen.
4. Im Rahmen dieser Operationen kann der Einsatz von deutschem Austauschpersonal in Kontingenten anderer Nationen sowie der Einsatz von Austauschpersonal anderer Nationen im Rahmen des deutschen Kontingents auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen und in den Grenzen der für Soldaten des deutschen Kontingents bestehenden rechtlichen Bindungen genehmigt werden.
5. Bei dem Einsatz handelt es sich um eine besondere Auslandsverwendung im Sinne des § 58a des Bundesbesoldungsgesetzes.
6. Die Kosten für den Einsatz sind, soweit nicht veranschlagt,
aus dem Einzelplan 14 zu erwirtschaften.
3. Brief an alle Bundestagsabgeordneten im Wortlaut: top
Abstimmung des Bundestages am 16. Oktober über die "Deutsche Beteiligung an den von der NATO geplanten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt" (Drucksache 13/11469)
Sehr geehrte/r...
fast auf den Tag vor zwei Jahren hatten Sie im Bundestag über
die Frage zu entscheiden, ob sich deutsche Soldaten im Rahmen der NATO
-erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg- an einem Kampfeinsatz
beteiligen sollten.
Dieser außen- bzw. verteidigungspolitische Entscheidungsgegenstand
gehört sicherlich zu einem der bedeutendsten in der jüngeren
deutschen Parlamentsgeschichte und entsprechend schwierig dürfte Ihnen
Ihre Entscheidung gefallen sein.
Vor allem sicher auch deshalb, weil dieser Themenkomplex in der Öffentlichkeit
außerordentlich kontrovers diskutiert worden ist bzw. noch immer
wird.
Da mich dieses Thema sowohl persönlich immer wieder sehr bewegt
hat, als auch mein wissenschaftliches und publizistisches Interesse geweckt
hat, möchte ich Ihnen hierzu einige Fragen stellen und wäre Ihnen
für deren Beantwortung sehr dankbar.
4. Reaktionen der Bundestagsabgeordneten top
4.1. Schriftliche Antworten top
Brigitte Adler (SPD):
(...)Ich habe zugestimmt, dass deutsche Soldaten in den Kosovo gehen.
Ich habe aber zuvor, was die Bosnienfrage angeht, in der ersten Entscheidung
der Sache nicht zugestimmt, da ich der Auffassung war, dass die deutsche
Politik nicht rechtzeitig die Konfliktsituation erkannt hat und Vorsorge
d.h. Prävention betrieben hat. Im Kosovo war nun die Situation gegeben,
dass Menschenrechtsverletzungen auf gravierendste Art und Weise vorgenommen
wurden. Hier musste geholfen werden um Menschenleben zu retten. Da ich
dem Unterausschuss Vereinte Nationen des Deutschen Bundestages angehöre,
kann ich Ihnen versichern, dass die Frage Artikel 7 der UN-Charta mich
sehr interessiert und wir immer wieder versuchen, uns mehr Klarheit über
die Umsetzung dieses Artikels zu verschaffen.
Ina Albowitz (FDP):
(...)Die Entscheidung vor zwei Jahren war eine besonders schwierige
- eine Gewissensentscheidung! Ich habe damals für eine Beteiligung
deutscher Streitkräfte gestimmt, um den Eintritt einer humanitären
Katastrophe zu verhindern. Die Lage im Kosovo war außerordentlich
besorgniserregend. An dieser Stelle möchte ich an die 29000 Flüchtlinge
und Binnenvertriebene und an die 50000 der kalten Witterung schutzlos ausgesetzten
Menschen erinnern. Die Medien und die Politik haben umfangreich darüber
berichtet. Ein Eingreifen der NATO mit deutscher Beteiligung war notwendig.
Ich bin sehr froh darüber, dass inzwischen demokratische Kräfte in Serbien in die Verantwortung genommen wurden und hoffe, dass wir bald von einem friedlichen Zusammenleben in den Balkanstaaten sprechen können.
Doris Barnett (SPD):
(...)Vielen Dank auch dafür, dass Sie mir zutrauen, die damalige
Entscheidung nicht leichtfertig getroffen zu haben. In der Tat war (und
ist bis heute) dies eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich je treffen
musste. Angesichts der Berichterstattungen über die Massaker, die
damals von Bosnien-Herzegowina in alle Welt verbreitet wurden, die von
Blauhelmsoldaten hilflos mit angesehen werden mussten, schien ein militärisches
Eingreifen unumgänglich. Außerdem hofften wir ja primär
darauf, dass allein schon die Drohung mit dieser Entscheidung genügend
Druck für eine doch noch friedliche Lösung erzeugen könnte.
Zutiefst bestürzt und teilweise auch fassungslos war ich, als ich feststellen musste, dass und wie die Kampfhandlungen sich fortsetzten. Trotz allem jedoch muß ich sagen, dass ich heute, wenn die Ausgangsbedingungen die gleichen wären, wahrscheinlich wieder genauso entscheiden würde.
Um diesem Dilemma zu begegnen bleibt der Politik nur, und das möglichst schnell, andere Rahmenbedingungen für friedliche Konfliktlösungen zu entwickeln, damit solche Art des Eingreifens nicht mehr nötig sein wird. Meinen Beitrag dazu leiste ich, indem ich mich für die gewaltfreie Lösung von Konflikten einsetze, wo immer ich damit konfrontiert werde.
Dr. Hans-Peter Bartels (SPD):
1. Dafür. Kein Appeasement.
2. Ja.
3. Ja. Eine wichtige Rolle.
Norbert Barthle (CDU):
(...)1. Ich habe damals für den Einsatz gestimmt. Dabei haben
vor allem die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO und daraus resultierende
Bündnisverpflichtungen, die räumliche Nähe der Krisenregion
und der Staatsterrorismus Milosevics eine Rolle gespielt.
2. Ja, unter Abwägungen aller Argumente pro und kontra würde
ich wieder so entscheiden - nicht leichten Herzens allerdings.
3. Ja, ich glaube er wurde ausreichend thematisiert, wenn auch vielleicht
nicht immer differenziert genug.(...)
Angelika Beer (Bündnis 90/Die Grünen):
(...)Der Krieg im Kosovo war für die Bundesrepublik Deutschland
und für die Bündnisgrünen ein einschneidendes Ereignis.
Aus diesem Grund haben wir uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich
habe den Einsatz befürwortet, da ich der Ansicht war, daß alle
Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren und Milosewics Absichten,
den Kosovo ethnisch zu säubern, verhindert werden mußte. Auch
im Nachhinein kann ich keine andere Handlungsmöglichkeit sehen. Es
ist uns gelungen, die Vertreibungen rückgängig zu machen. Dabei
will ich nichts beschönigen. Der Einsatz hat dem Völkerrecht
widersprochen, er muß eine Ausnahme bleiben.(...)Ich glaube schon,
daß der Einsatz im Kosovo in der Öffentlichkeit genügend
thematisiert wurde, denke aber, daß über die Folgen zu wenig
diskutiert wird.(...)Zum Beispiel muß über die zukünftigen
Aufgaben der Bundeswehr diskutiert werden, denn noch ist nicht klar, ob
die Gesellschaft diese auch mitträgt (...)Vor allem aber müssen
wir am Aufbau von Mitteln der Gewaltprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung
arbeiten.
Dr. Axel Berg (SPD):
(...)Mein Mandat habe ich erst am 27. Oktober 1998 angenommen und war
daher am besagten Tag nicht entscheidungsbefugt. Dennoch möchte ich
Ihnen gerne auf Ihre Fragen antworten, da der NATO-Einsatz mir sehr nahe
ging und ich mich als Bundestagsabgeordneter für die Entscheidung
mitverantwortlich fühle. Nun zu Ihren Fragen:
1. An der Entscheidung am 16. Oktober konnte ich nicht mitstimmen.
Allerdings habe ich im Mai und Juni 1999 zwei Erklärungen zur Abstimmung
über den Antrag der Bundesregierung "Deutsche Beteiligung an der humanitären
Hilfe im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt" unterzeichnet. Die Erklärungen
schicke ich Ihnen in Kopie.
2. Alle Befürchtungen die ich hatte, wurden bestätigt. Ich
schicke Ihnen einen Artikel, der in der letzten Ausgabe der Vierteljahreszeitschrift
für Sicherheit und Frieden erschienen ist und meine allgemeine wehrpolitische
Skepsis zum Ausdruck bringt.(...)
Meinrad Belle (CDU):
(...)Diesem Einsatz habe ich damals zugestimmt, weil es die einzige
Möglichkeit war, die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand zu
bewegen und langfristig - vielleicht - zu einer Befriedung zu gelangen.
Diese Bewertung hat sich als richtig erwiesen, wie die soeben abgehaltenen
Kommunalwahlen gezeigt haben. Es ist eine gewisse Normalisierung eingetreten
und auch die lange untereinander zerstrittenen kosovarischen Parteien zeigen
Anzeichen von Zusammenarbeit.
Petra Bläss (PDS):
(...)1. Die PDS-Fraktion hat seinerzeit als einzige Partei bei der
Entscheidung über einen NATO-Kampfeinsatz mit einem klaren "Nein!"
Gestimmt. Krieg ist nach meiner Ansicht kein Mittel zur Problemlösung.
Ich werde mich daher weiterhin dafür einsetzen, die Rolle der Vereinten
Nationen als Instrument zivilgesellschaftlicher Konfliktvorbeugung und
-bewältigung zu stärken.
2. Zu meiner Abstimmungsentscheidung stehe ich nach wie vor - und die
jetzige Lage in Jugoslawien hat uns leider Recht gegeben!
3. Die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg stellt eine entscheidende
Zäsur in der deutschen Außenpolitik dar. Ich werde dies auch
zukünftig bei meiner politischen Arbeit immer mit bedenken.(...)
Annelie Buntenbach (Bündnis 90/Die Grünen):
(...)1. Ich habe gegen den Einsatz gestimmt und lege Ihnen zur Begründung
eine Erklärung bei, die ich damals mit 6 anderen grünen Abgeordneten
verfaßt habe.
2. Ich würde mich wieder so entscheiden. Zur weiteren Begründung möchte ich Sie auf beiliegende Rede anläßlich einer Bundestagsdebatte vom 5.4.2000 verweisen.
3. Ich bin nicht der Meinung, daß diese Zäsur in der deutschen Politik sowohl damals, als auch heute ausreichend thematisiert worden ist bzw. wird.(...) Ich wende mich ebenfalls gegen die derzeit stattfindende Bundeswehrreform und die Aufrüstung, die in den nächsten Jahren im Rahmen der WEU stattfinden wird und werde, falls es dazu eine Abstimmung im Bundestag gibt, mich auch dementsprechend verhalten.
Roland Claus (PDS):
(...)In diesem Zusammenhang muß zunächst auf eine Besonderheit
dieser Abstimmung hingewiesen werden: Die neu gewählte Bundesregierung
legte einen Antrag zur Abstimmung vor, aber der neu gewählte Bundestag
hatte sich noch gar nicht konstituiert. So entstand die eigenartige Situation,
dass der Bundestag der 13. Legislaturperiode über einen Antrag der
14. Legislaturperiode abzustimmen hatte. Das bedeutete für mich persönlich,
dass ich - da ich am 27. September 1998 zum ersten Mal in den Bundestag
gewählt wurde und dem Bundestag der 13. Legislaturperiode noch nicht
angehörte - an der Abstimmung nicht teilnehmen konnte, obwohl sie
drei Wochen nach meiner Wahl in den Bundestag stattfand.(...)
In der namentlichen Abstimmung gab es 500 Ja-Stimmen, 62 Gegenstimmen und 18 Enthaltungen. Zu den 62 Gegenstimmen gehörten die aller bei der Abstimmung anwesenden PDS-Abgeordneten. So, wie ich dann im Frühjahr 1999 gegen die Nato-Einsätze und gegen die deutsche Beteiligung an ihnen gestimmt habe, hätte ich auch im Oktober 1998 gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt.
Die Gründe dafür sind - in aller Kürze - die folgenden:
Ich halte grundsätzlich den Einsatz von militärischer Gewalt für nicht geeignet zur Lösung inner- und zwischenstaatlicher Probleme. Es ist höchste Zeit, die militärische Logik im Herangehen an Konflikte durch eine nichtmilitärische Logik zu ersetzen. Das heißt: nichtmilitärische Mittel müssen zum Kern aller Strategien der Konfliktvermeidung und der Konflikteindämmung werden.(...) Ich bin der Auffassung, dass Deutschland vor dem Hintergrund seiner Geschichte im 20. Jahrhundert eine besondere Verpflichtung hat, auch international in dieser Richtung der Ersetzung der militärische Logik durch eine nichtmilitärische tätig zu werden.(...) Ich halte die deutsche Beteiligung am Krieg der Nato gegen Jugoslawien für eine Verletzung der Bestimmungen des Grundgesetzes, und ich halte diesen Krieg insgesamt für eine Verletzung der UN-Charta. Ich habe keinen Zweifel, dass UNO und EU im Falle der Entwicklungen in Jugoslawien nicht untätig bleiben durften. Ich bin jedoch erstens der Auffassung, dass im Oktober 1998 bei weitem nicht alle Mittel nichtmilitärischer Konfliktvermeidung ausgeschöpft waren (die Möglichkeiten der OSZE zum Beispiel blieben sträflich vernachlässigt), und zweitens hätte unter keinen Umständen die Nato über ihren Kriegseinsatz an der UNO vorbei entscheiden dürfen. Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen worden, der die UNO auf lange Sicht - und mit heute noch nicht absehbaren Folgen - schwächt.(...) Die Menschenopfer, die die Luftangriffe gefordert haben, und die gewaltigen Zerstörungen in Industrie, Landwirtschaft und Umwelt sind mit nichts zu rechtfertigen. Das Leben auf dem Balkan ist mit den Luftangriffen für viele Menschen noch schwerer, der Frieden auf dem Balkan aber nicht sicherer geworden.(...) Ich glaube, dass in der ja durchaus nicht geringen öffentlichen Thematisierung des Nato-Krieges gegen Jugoslawien dieser Aspekt der mit dem Krieg verbundenen - und unerhört gefährlichen! - allmählichen Wiedergewöhnung an die Kategorien des Militärischen, der Gewalt und des Krieges zu kurz kommt.(...)
Rainer Eppelmann (CDU):
(...) 1. Ich habe damals für den Einsatz gestimmt, da ich der
Meinung bin, daß die Mitgliedschaft in einem Bündnis Pflichten
mit sich bringt, die allen Mitgliedern auferlegt werden und auch von allen
wahrgenommen werden müssen.
2. Die Entscheidung halte ich auch im Nachhinein für richtig. Sie
war notwendig geworden, weil die Politik mit ihren diplomatischen Bemühungen
den Konflikt nicht hatte in Griff kriegen können und auch die immer
weitergehende Gewalt nicht aufhalten konnte.(...)
Heidemarie Ehlert (PDS):
(...)1. Ich habe mich gegen die Beteiligung deutscher Soldaten im Rahmen
der Nato an dem Kriegseinsatz entschieden. Für mich war es Krieg und
kein Kampfeinsatz. Zudem bin ich nach wie vor der Meinung, dass es der
Bundesrepublik im Sinne des Schwurs von 1945 "Nie wieder Krieg, nie wieder
Faschismus" gut zu Gesicht stände, sich nie und nirgends an einem
Krieg zu beteiligen. Auch der Nato-Einsatz an sich war ein Bruch des Völkerrechts.
2. Ich stehe zu dieser Entscheidung und würde mich wieder so entscheiden.
3. Der Themenkomplex wurde zum damaligen Zeitpunkt stark debattiert. Inzwischen ist anderes in den Vordergrund gerückt. Aber auch und gerade unter den gegenwärtigen politischen Prämissen müssten diese Themen stärker diskutiert werden. Ich bin Finanz- und Haushaltspolitikerin und werde immer wieder mit dramatischen Einsparungen auf den Gebieten Arbeit und Soziales, Familien und Jugend, Umwelt und Gesundheit konfrontiert. Beim Kriegseinsatz war genug Geld da. Ich persönlich finde es schlimm, wenn junge Menschen Soldat werden, um der Arbeitslosigkeit wenigstens zeitweise zu entgehen. Dann lieber durch eine konsequente Konversion Arbeitsplätze schaffen.
Dr. Hans-Georg Faust (CDU):
(...)Zu meinem Bedauern kann ich Ihre ersten beiden Fragen aber nicht
beantworten, da ich in der 13. Wahlperiode noch kein Mitglied des Deutschen
Bundestages war und somit auch nicht an der Abstimmung teilgenommen habe.
Inhaltlich stehe ich aber zu dem unter den damaligen Erkenntnissen gefassten Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Frage, ob der Themenkomplex ausreichend thematisiert worden ist, kann ich bejahen, da ich der Auffassung bin, dass das Thema wie wohl kaum ein anderes in der Öffentlichkeit, vor allem auch in den Medien, breit diskutiert und auch thematisiert worden ist.
Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen): -Antwort
durch einen Mitarbeiter-
Einleitend muß ich betonen, daß Frau Ministerin Fischer
die Entscheidung für eine militärische Intervention der NATO
im Kosovo Anfang 1999 ausgesprochen schwer gefallen ist.
Als Mitglied der Grünen und in ihrer Verantwortung als Bundestagsabgeordnete
sah sie zum Zeitpunkt der Abstimmung über den NATO-Einsatz jedoch
keine andere Möglichkeit, um die Schlächter von Milosevic aufzuhalten
und so das Leben der Kosovo-Albaner zu retten. Die oftmals vorgetragenen
Einwände, die diesen Eingriff der NATO kritisch hinterfragen, um alternative
zukünftige Vorgehensweisen zu einer nachhaltigen Friedenssicherung
und der Wahrung der Menschenrechte auch jenseits unserer Grenzen im Ergebnis
einer politischen Diskussion aufzuzeigen, sind berechtigt und unterstützenswert.
Allerdings muß man ebenfalls bereit sein, diese Ziele auch unter
schwierigen tagespolitischen Bedingungen zu verwirklichen, denn Lippenbekenntnisse
allein rette keine Menschenleben. Und diese Situation stellte sich damals
so dar.(...) In jedem Fall geht es nun darum, präventiv das Entstehen
solcher aus der Not entstandenen Einsätze im Vorfeld wirksam zu verhindern.(...)
Ulrike Flach (FDP): -Antwort durch einen Mitarbeiter-
(...)Der 14. Deutsche Bundestag konstituiert sich am 26. Oktober 1998,
so daß Frau Flach als neue Parlamentarierin am 18. Oktober 1998 nicht
in die Situation gekommen ist, über den NATO-Einsatz abstimmen zu
müssen.
Sie ist aus der Rückschau der Ansicht, daß sie sich damals wahrscheinlich für einen Einsatz entschieden hätte. Das Thema hat in der deutschen Öffentlichkeit und den Medien nach Meinung von Frau Flach eine große Rolle gespielt und ist auch lange umfassend diskutiert worden.(...)
Arne Fuhrmann (SPD):
(...)1. Ich habe 1998 dem Einsatz deutscher Soldaten zur Abwehr einer
humanitären Katastrophe im Kosovo zugestimmt. Ich war mir dabei über
die besondere Verantwortung, die wir Deutsche in Jugoslawien haben, durchaus
bewusst. Und gerade deshalb habe ich nach langen Zweifeln und vielen schlaflosen
Nächten meine Zustimmung gegeben. Mir war klar, dass, wie auch immer
ich mich entschieden hätte, meine Entscheidung falsch oder zumindest
nicht gerecht sein könnte. Lediglich Untätigkeit schien mir noch
weniger akzeptabel, als durch handeln etwas zu verändern.
2. Trotz aller Kritik, die ich an der Operation habe (z.B. falsche Information, Fehlbombardierungen usw.) würde ich in einem ähnlichen Fall wieder so entscheiden.(...)
3. Ich glaube nicht, dass der Themenkomplex entsprechend seiner tatsächlichen Bedeutung in der breiten Öffentlichkeit ausreichend diskutiert und damit thematisiert wurde. In der aktuellen politischen Arbeit spielt der Wiederaufbau des Kosovo eine wichtige Rolle. Allerdings verdrängen die tagespolitischen Themen vieles.(...)
Wolfgang Gehrcke (PDS):
Wie Sie sicher wissen, ist die von Ihnen benannte Abstimmung nach der
Wahl zum 14. Deutschen Bundestag noch von den Abgeordneten der 13. Legislatur
durchgeführt worden. Dies wurde von Seiten der PDS, aber auch von
anderen Politikern wie dem FDP-Abgeordneten Burkhard Hirsch scharf kritisiert.
Dennoch wurde es so gehandhabt, so dass Ihre Frage nunmehr auch Abgeordnete
erreicht, die wie ich oder auch zahlreiche andere Kollegen meiner Fraktion
eben nicht an der Abstimmung teilgenommen haben.(...) Ich darf Ihnen aber
für die gesamte PDS-Fraktion - und hier der alten wie der neuen Legislatur
- versichern, dass alle Abgeordneten gegen alle Beschlussvorlagen gestimmt
haben, die den NATO-Krieg gegen Jugoslawien vorbereitet und ermöglicht
haben. Dies trifft auch für die von Ihnen genannte Abstimmung zu.
Wir würde uns immer wieder so entscheiden. Die Entwicklungen, zuletzt
der Ablauf von Wahlen und die Abwahl von Milosevic, habe uns darin bestärkt,
dass der Weg über einen Krieg, der das Völkerrecht brach und
nur Leid über die Menschen in Serbien und Kosovo brachte, falsch war.
Zivile Konfliktbewältigung wäre hier notwendig gewesen. Aber
die NATO wollte sich und der Welt Durchsetzungsfähigkeit und Bündnistreue
aller Mitgliedsstaaten beweisen. Dieser Themenkomplex spielt leider in
der Öffentlichkeit keine große Rolle. Die Konsequenzen des Völkerrechtsbruchs,
die Verlogenheit, mit der die öffentliche Meinung vor und während
des Krieges manipuliert worden ist, spielen eine viel zu geringe Rolle
im öffentlichen Diskurs.(...)
Dr. Wolfang Gerhardt (FDP):
(...)Zur Drucksache 13/11469 "Deutsche Beteiligung an den von der NATO
geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen
zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konftlikt" hat
meine Fraktion mit Ausnahme von Herrn Dr. Hirsch (nein) und Herr Dr. Stadtler
(Enthaltung) mit "ja" gestimmt. Diese Entscheidung war zwingend und hat
bis heute nichts von ihrer Richtigkeit eingebüßt. Sie wurde
getroffen nach umfassenden Debatten in Arbeitskreisen, in der Fraktion
und schließlich im Deutschen Bundestag. Bild- und Printmedien haben
über die Entscheidung des Parlaments in umfassender Form berichtet
und sie fachkundig kommentiert. Eine humanitäre Katastrophe wurde
durch den erfolgreichen Einsatz der NATO verhindert.(...)
Dr. Gregor Gysi (PDS):
(...)Ich habe damals gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt
und hatte dafür mehrere Gründe. Zunächst einmal lehne ich
eine deutsche Beteiligung an solchen NATO-Operationen ab. Darüber
hinaus fand ich auch die NATO-Operation selbst falsch. Das Ganze musste
- wie dann auch geschehen - auf einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen Jugoslawien hinauslaufen. Jugoslawien hatte keinen der NATO-Staaten
angegriffen, also befand sich weder das Bündnis noch eine ein einziges
Mitglied des Bündnisses in einer Verteidigungssituation. Der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen hatte keine Gefährdung des Friedens festgestellt
und demgemäß auch keine militärischen Kampfeinsätze
beschlossen.
Die Vorstellung, mittels Krieges Menschenrechte durchsetzen zu können, schien mir in jeder Hinsicht völlig absurd. An dieser, meiner Auffassung hat sich bis heute nichts geändert. Ich denke schon, dass das Thema breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Das Problem bestand darin, daß die Medien fast gleich geschaltet waren, dass kaum noch jemand in der Lage war, zwischen Wahrheit und Unwahrheit bei der Berichterstattung zu unterscheiden.
Uwe Göllner (SPD):
(...)1. Ich habe für den Einsatz gestimmt. Als Bürgermeister
meiner Heimatstadt habe ich seit Beginn des Konfliktes in Jugoslawien immer
wieder traumatisierten Kriegsflüchtlingen geholfen. Schon im Bosnien-Konflikt
habe ich mich immer wieder gefragt, warum denn niemand diesem Schrecken
ein Ende setzt.
2. Bei dem Wissensstand, den ich zum Zeitpunkt der Entscheidung hatte, würde ich mich wieder so entscheiden.
3. Ja. Im Wahlkreis spielt die Problematik keine Rolle mehr, als Mitglied im Verteidigungsausschuss bin ich immer wieder damit befasst.(...)
Angelika Graf (SPD):
(...)1. Die Entscheidung, die am 16. Oktober 1998 getroffen wurde,
ist sicherlich vielen von uns nicht leicht gefallen. Ich z.B. habe mich
bei allen Entscheidungen, die vorher zum Einsatz deutscher Soldaten
in Krisengebieten getroffen worden sind, nicht für solche Einsätze
ausgesprochen, bin also relativ oft von der Fraktionslinie abgewichen.
Die Entscheidung und Diskussion über den Einsatz deutscher Soldaten
im Rahmen des NATO-Kampfeinsatzes im Kosovo war von sehr unterschiedlichen
Informationen geprägt. Da waren einerseits Meldungen über schreckliche
Menschenrechtsverletzungen und die Vertreibungen und Ermordung der albanischen
Bewohner des Kosovo durch das Regime Milosevic und seine Schergen. Wir
waren uns relativ einig, daß wir - auch im Hinblick auf unsere eigene
Geschichte - eigentlich nicht untätig zusehen können. Und oft
haben wir gehört: "Herrgott, wir müssen doch was unternehmen,
notfalls mit Waffengewalt."
Die Argumente aber gegen einen Kampfeinsatz wogen schwer. Viele Menschen haben uns Briefe geschrieben, die auf die Gefahren und Risiken eines solchen Einsatzes hinwiesen.
Wir wußten, daß NATO-Luftangriffe ohne UN-Mandat völkerrechtswidrig sind, daß damit die Position der UNO als Vermittlungsinstanz geschwächt und auf gefährliche Weise Präzedenzfälle für andere Interventionen geschaffen werden. Wir wußten, daß durch die Luftangriffe die knapp 2000 im Kosovo eingesetzten OSZE-Beobachter zum Verlassen der Region gezwungen werden. Daß damit das Morden, Schlachten, Massakrieren durch Milosevic verstärkt einsetzen würde, mußte jedem von uns klar sein. Alle Erfahrungen mit "Strafbombardements" wie z.B. gegen Saddam Hussein im Irak zeigen, daß sie nicht den Diktator, sondern die Zivilbevölkerung treffen, die sich außerdem aber unter dem Eindruck der erlittenen Gewalt nicht von dem Diktator abwendet, sondern sich im Gegenteil mit ihm solidarisiert. Es bestand die Gefahr, daß die Region weiter destabilisiert wird. Die Haltung Rußlands in dem Konflikt war unkalkulierbar. Die Folge hätte ein Flächenbrand auf dem Balkan, ja ein Weltkrieg sein können. Das Ende der NATO-Aktion war nicht klar definiert.
Alle diese Bedenken, aber auch das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit haben mich im Oktober 1998 dazu gebracht, mich der Stimme zu enthalten, - ebenso übrigens wie Freimut Duve, Hermann Scheer und andere, - wohl wissend um die Problematik von Enthaltungen.
Leider muß man sagen, daß die Experten, die uns damals gewarnt hatten, weitgehend Recht behalten haben: Das große Schlachten im Kosovo begann direkt nach dem Abzug der OSZE-Beobachter. Ca. eine halbe Million Menschen sind im uns aus dem Kosovo vertrieben worden. (...)Die Luftbombardements haben die serbischen Einheiten nicht davon abgehalten, Massaker zu verüben. Der Haß aufeinander wurde stärker statt schwächer. (...) Nachdenkenswert ist auch die Tendenz, solche Kriege für die hochentwickelten Länder insofern zu einem geringen Risiko zu machen, als sie von der Luft aus und ohne Bodentruppen geführt werden. So sehr ich dies natürlich im Interesse unserer Soldaten begrüße, steigt damit aus meiner Sicht andererseits die Gefahr, leichtfertig einzugreifen.(...)
2. Im Nachhinein würde ich mich wohl - wenn ich die Entscheidung nochmals treffen könnte - nicht enthalten sondern dagegen stimmen.
3. (...)Die Begleitung in der Öffentlichkeit - insbesondere in den Medien - war m.E. über längere Zeit nicht objektiv. Die Gegner des Einsatzes wurden in manchen Medien deutlich verunglimpft. Ich erinnere mich außerdem mit Schrecken an Reportagen, in denen der deutschen Bevölkerung der Eindruck vermittelt wurde, es gebe - wegen der guten zielgenauen Waffensysteme - keine zivilen Opfer auf serbischer Seite sondern nur militärische. Das hat man schon beim Golfkrieg versucht. Man müßte m.E. viel deutlicher machen, daß es den Cyber-Krieg, bei dem nur der Böse getroffen wird und es keine unschuldigen Opfer gibt, nicht gibt. Daß ein Krieg, der mit der Zerschlagung Infrastruktur (z.B. duch die Bombardierung der Donaubrücken) sich zudem auf die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region - incl. der stromabwärtsliegenden Gebiete - auswirkt. Insbesondere das Fernsehen, welches wochenlang feuerwerksähnlich anzusehende Nacht-Bilder von brennenden Städten und einschlagenden funkensprühenden Raketen gebracht hat, sollte seine Form der Berichterstattung überdenken.(...)
Dr. Klaus Grehn (PDS):
(...)1. Ich habe gegen die Beteiligung deutscher Soldaten an dem Kampfeinsatz/Krieg
gestimmt.
A) Krieg ist kein Lösungsmittel für strittige Fragen, schon gar nicht in Jugoslawien.2. Ja. Ich würde wieder so entscheiden.
B) Gerade Deutschland sollte sich der Teilnahme an kriegerischen Handlungen enthalten.
C) Aus Gewissensgründen.
Hermann Gröhe (CDU):
(...)1. Ich habe für den Einsatz gestimmt, weil meines Erachtens
durch die serbische Aggression und die Vertreibung der albanischen Bevölkerung
ein Eingreifen unumgänglich war. Da ein solches Eingreifen nur im
NATO-Rahmen möglich und sinnvoll war, war es richtig, dass auch Deutschland
seiner Bündnisverpflichtung nachkam.
2. Bei aller - übrigens erst im Rückblick möglichen - Detail-Kritik bewerte ich meine damalige Entscheidung auch im Nachhinein als der Situation angemessen. Ich würde bei gleichen Voraussetzungen wieder einem Einsatz der Bundeswehr zustimmen.
3. Der NATO-Einsatz im Kosovo wurde und wird in der Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert. Diese Diskussion muss weiter geführt werden.(...)
Hans-Joachim Hacker (SPD):
(...) Auch ich kann mich noch gut an die damalige Situation erinnern.
Wenn ich zurückdenke, waren zwei Fragen für mich ganz entscheidend:
Zum einen die Erschütterung über die täglichen Kriegsberichte
aus dem Kosovo, das Leid der betroffenen Menschen und die Erschütterung,
dies ansehen zu müssen. Zum anderen die Frage, dass scheinbar Abhilfe
nur durch militärischen Einsatz der NATO geschaffen werde kann und
in diesem Fall auch deutsche Soldaten zum Einsatz kommen. Daher möchte
ich Ihnen nachstehend zu Ihren Fragen wie folgt antworten:
1. Ich habe der Drucksache zugestimmt und damit die Hoffnung verbunden, dass es gelingt, den jugoslawischen Präsidenten Milosevic zum Einlenken zu bewegen - d.h. Schluss mit Vertreibung und Mord.
2. Die damalige Entscheidung war auch aus heutiger Sicht richtig. Andernfalls wäre der Kosovo in einen Friedhof verwandelt worden.
3. Dieser Themenkomplex hatte damals eine außerordentliche Resonanz in der Öffentlichkeit. Hierbei verweise ich insbesondere auf die Leistungen Deutschlands zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen sowie beim Wiederaufbau im Kosovo und nach der demokratischen Revolution in Serbien auch in diesem Gebiet.(...)
Hubertus Heil (SPD):
(...)Ich habe bei der entsprechenden Abstimmung des Bundestages der
deutschen Beteiligung an den NATO-Luftoperationen im Kosovo zugestimmt.
Diese Entscheidung ist mir, wie wahrscheinlich allen meinen Kollegen nicht
leichtgefallen. Trotzdem war ich letzten Endes von der Notwendigkeit eines
Einschreitens überzeugt, um der menschenverachtenden Politik Milosevics
ein Ende zu machen und vor allem um eine weit schlimmere humanitäre
Katastrophe zu verhindern.
Auch heute bin ich der Meinung, dass es zu dem entsprechenden Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr gab, den Konflikt mit zivilen Mitteln zu beenden. Deshalb halte ich meine Entscheidung auch weiterhin für richtig. Ohne Zweifel muß aber unser vorderstes Interesse aber auch in Zukunft darin bestehen, militärische oder ökonomische Krisengebiete zu erkennen und deren demokratische Bewegungen tatkräftig zu unterstützen, so dass wir in Zukunft gar nicht erst vor Entscheidungen wie im Kosovo-Konflikt gestellt werden.
Dass dies nicht immer der Fall ist, liegt gewiss nicht zuletzt an dem geringen Interesse, das vielen Krisenregionen in der Öffentlichkeit zu Teil wird. Die Medienberichterstattung über die Probleme der Balkanländer vor Beginn des Krieges ließ, meiner Meinung nach, zu wünschen übrig. In solchen Fällen ist es für Politiker tatsächlich kein Leichtes, der Öffentlichkeit die Notwendigkeit gerade finanzieller Unterstützung zu vermitteln.
Ursula Heinen (CDU):
(...)Ich habe damals dem NATO-Einsatz der Bundeswehr zugestimmt. Seinerzeit
ging es für mich vor allem um die Wiederherstellung der elementaren
Grundsätze von Menschlichkeit, Recht und Frieden. Wer sich die Bilder
der unglaublich mordenden serbischen Soldateska vor Augen führt, wird
auch heute kaum anders können, als einer militärischen Intervention
zuzustimmen. Es handelte sich damals ja um keinen mehr oder weniger regulären
Krieg zwischen - sicherlich auch nicht harmloser - UCK und jugoslawischer
Armee. Das teilweise bestialische Vorgehen der militärisch weit überlegenden
jugoslawischen Soldaten gegen die Zivilbevölkerung, gegen Kinder,
alte Menschen und Frauen, die systematische Vertreibung, stellten alle
bisher erlebten Erfahrungen der vorangegangenen Jahre in den Schatten.
Ich bin auch der Auffassung, dass der Kosovo-Konflikt in den deutschen
Medien ausreichend thematisiert worden ist.(...)
Reinhold Hemker (SPD):
(...)1. Ich habe seinerseits für den militärischen Einsatz
gegen das Regime in Belgrad gestimmt, weil im Grunde die serbischen Truppen
nicht nur begonnen hatten, einen Völkermord zu begehen, sondern bereits
dabei waren, Massenabschlachtungen von Kosvo-Albanern zu organisieren und
auch konsequent durchführten.
2. Die politische Entwicklung in Serbien mit der Schwächung des Milosevic-Regimes und auch die Mobilisierung der Bevölkerung mit dem Wahlsieg der Opposition zeigt, dass mit aller Vorsicht in der Bewertung, der militärische Einsatz mitgeholfen hat, das Milosevic-Regime zu schwächen. Der Wiederaufbau im Kosovo unter Einbeziehung von rückkehrenden Kriegsflüchtlingen in Zusammenhang des Stabilitätspaktes gehen auch in die richtige Richtung.
3. (...) Leider wird der gesamte Themenkomplex in der Öffentlichkeit von den Medien in dem von mir angesprochenen Sinne nicht ausreichend thematisiert, so dass auch ich persönlich mich in meiner Arbeit nicht ausreichend öffentlich unterstützt finde.(...)
Reinhold Hiller (SPD):
(...) Im Deutschen Bundestag habe ich in der Sitzung vom 16. Oktober
1998 dem von Ihnen angesprochenen Antrag in der Drucksache 13/11469 zugestimmt,
weil die NATO-Luftoperationen notwendig geworden waren, weil alle diplomatischen
Bemühungen vergeblich waren, den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten
Slobodan Milosevic zu einer friedlich Lösung des Konfliktes um das
mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo zu veranlassen. Für mich
entscheidend war, dass potentielle Nachahmer durch entschiedenes Handeln
der Völkergemeinschaft abgeschreckt werden mussten. Der Versuch, Grenzänderungen
duch militärische Mittel zu erzwingen, und eine Politik ethnischer
Säuberungen durften unter keinen Umständen Erfolg haben und damit
nicht zu einem erfolgreichen Mittel zur Durchsetzung von Politik werden.
(...)Die Bilanz des Kosovo-Krieges ist nach meiner Einschätzung durchaus
positiv (...)Ohne das entschiedene Vorgehen der Völkergemeinschaft
gegen die Aggressionspolitik von Slobodan Milosevic wäre auch sein
Sturz durch die Volkserhebung der serbischen Demokratiebewegung in weite
Ferne gerückt und nicht möglich gewesen.(...)
Stephan Hilsberg (SPD):
(...) Ich habe mich damals für einen Einsatz der Bundeswehr ausgesprochen.
Dabei habe ich mich von der Menschenrechtssituation in Kosovo leiten lassen,
von den vielen Verhandlungsbemühungen zu einer friedlichen Beilegung
des Konflikts, die letztlich ergebnislos verlaufen sind, sowie von der
skrupellosen Politik des damaligen jugoslawischen Präsidenten Milosevic,
welcher bewußt ein Völkermord in Kauf nahm. Dies konnte Europa
nicht ein weiteres Mal hinnehmen.
Ich denke auch heute, dass diese Entscheidung damals richtig war und ich würde mich auch heute so entscheiden, wenn die Konstellation gleich ist.
Es gab nur wenige politische Themen, die in der damaligen Zeit so intensiv diskutiert wurden. Mein Eindruck war durchaus, dass alle Fassetten, die zu einer Urteilsfindung nötig sind, damals auf dem Tisch gelegen haben.
Dr. Barbara Höll (PDS):
(...)1. Alle Mitglieder der PDS-Fraktion, mich inbegriffen, haben sich
vor zwei Jahren gegen die deutsche Beteiligung an dem Kosovo-Krieg entschieden.(...)
2. Rückblickend halte ich unsere damalige Entscheidung für
die einzig richtige und stehe auch heute noch dazu, wie die gesamte Fraktion.
3. Ich bin nicht der Meinung, dass der Themenkomplex gemessen an seiner Bedeutung ausreichend in der Öffentlichkeit thematisiert wurde.(...) Diese erste Beteiligung der Bundeswehr an einem Krieg seit dem Ende des 2. Weltkrieges, welches nach meinem Verständnis gleichzeitig die Möglichkeit weiterer solcher Einsätze impliziert, wird gerade in dieser Bedeutung von den maßgeblichen politischen Kräften des Landes bewusst nicht weiter diskutiert.
Prof. Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
(...)Die heutige Entwicklung in Serbien und im Kosovo unterstreicht
aus meiner Sicht, dass unsere Entscheidung richtig war. Ob die Öffentlichkeit
über dieses Thema ausreichend informiert wurde, vermag ich nicht zu
beurteilen.(...) Der Auswärtige Ausschuß, dessen Vorsitzender
ich zur damaligen Zeit war, hat sich jedoch fraktionsübergreifend
bemüht, der Öffentlichkeit unsere Entscheidung verständlich
zu machen.(...)
Gerhard Jüttemann (PDS):
(...) Ich habe die deutsche Beteiligung an diesem Aggressionskrieg
im Bundestag abgelehnt. Diese Entscheidung beruhte auf der Erkenntnis,
dass es sich um einen imperialistischen Angriffskrieg handelte, in dem
die Interessen der Kosovo-Albaner nur vorgeschoben waren. In Wirklichkeit
zerbombten alle an der Aggression beteiligten Soldaten Jugoslawien einschließlich
dessen Zivilbevölkerung ausschließlich in ihrem eigenen ökonomischen,
politischen und militärischen Interesse.
Zum zweiten sind innerstaatliche Konflikte durch Gewalt von außen
niemals zu lösen. Eher werden sie dadurch verschärft. Zum dritten
halte ich imperialistische Kriege generell für verbrecherisch. All
diese Gründe sind von unveränderter Aktualität. Meine Abstimmungsentscheidung
war also richtig. Ich würde wieder so entscheiden, wenngleich ich
hoffe und wünsche, dass es so weit nie wieder kommen wird.
Zu ihrer letzten Frage, ob der Themenkomplex Jugoslawien-Krieg in der Öffentlichkeit gemessen an seiner Bedeutung ausreichend thematisiert worden ist: Quantitativ offensichtlich ja. Ohne diese mediale Begleitung und Unterstützung hätte die Bundesregierung diesen Krieg nicht führen können. Allerdings ist niemals seit dem zweiten Weltkrieg zu einem politischen Thema so hemmungslos, umfassend und gleichgeschaltet gelogen worden wie im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg. Noch heute werden diese Lügen verbreitet und deshalb kann ihre dritte Frage nur ganz entschieden verneint werden.(...)
Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU):
(...) Ich habe damals dem Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo-Konflikt
zugestimmt. Ich würde auch im nachhinein wieder so entscheiden. Der
Militäreinsatz ist nach meiner Auffassung eine von vielen Bausteinen
gewesen, die letzte Diktatur auf europäischem Boden zu überwinden
und einen demokratischen und friedlichen Aufbau im ehemaligen Jugoslawien
zu ermöglichen.
Ulrich Kelber (SPD):
(...) Da ich 1998 noch nicht Mitglied des Bundestages war, kann ich
Ihre drei Fragen nicht direkt beantworten. Ich glaube aber, dass ich mich
am 16. Oktober 1998 nicht anders entschieden hätte, als die Mehrheit
meiner Fraktion. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass die
Entscheidung für eine Beteiligung der Bundeswehr an diesem Nato-Einsatz
notwendig war, so schwer sie auch jedem Einzelnen gefallen ist und auch
mir gefallen wäre.(...) Ich bin auch davon überzeugt, dass der
gesamte Themenkomplex in der Öffentlichkeit breit und ausführlich
diskutiert worden ist, was auch notwendig war, um eine so weitreichende
Entscheidung in einem möglichst breit getragenen Konsens zu fällen.
Die aktuelle Entwicklung in Serbien, Montenegro und im Kosovo zeigt m.E.,
dass die Entscheidung insgesamt in die richtige Richtung gewiesen hat,
aber auch, wie notwendig ein weiterer Verbleib der Sfor-Truppen im Kosovo
weiterhin ist.
Dr. Klaus Kinkel (FDP):
(...)1. Ich habe dafür gestimmt, weil der Einsatz unumgänglich
geworden war.
2. Ja.
3. Ja, die Medien haben sich breit mit dem Thema befaßt.
Klaus Kirschner (SPD):
(....)1. Mit dem Beschluß, den ich unterstützt habe, ist
das Ziel verfolgt worden, bedrohten Menschen in einer katastrophalen Situation
zu helfen: Menschen, die vertrieben worden sind, die mit Mord bedroht wurden,
die in den Wäldern hausen mußten, bedroht von Hunger, Krankheiten
und anderen schweren Beeinträchtigungen ihrer Lebenschancen. Dieser
militärische Druck war leider notwendig, zum einen als Ausdruck einer
klaren Haltung und eines festen Willens, zum anderen angesichts der schlechten
Erfahrungen, die man mit dem Milosevic-Regime gemacht hatte, in Form nicht
eingelöster Zusagen. Es galt auch das eigentliche politische Ziel
zu verwirklichen, das hinter dieser Entscheidung steckte, nämlich
den Albanern im Kosovo eine Autonomie innerhalb des jugoslawischen Staatsverbandes
zu ermöglichen, die ihre Menschenrechte, ihre kulturelle Identität,
ihr Selbstbestimmungsrecht ernst nimmt und auf diese Weise verhindern hilft,
was ja als Gefahr auch nicht übersehen werden darf, daß nämlich
in dieser Region Europas ein neues, ein gewalttätiges, ein von Terror
erschüttertes "zweites Nordirland" entstehen könnte. Es ging
schließlich auch darum, zivile, demokratische, rechtsstaatliche Entwicklungen
und die sie tragenden Kräfte in der Bundesrepublik Jugoslawien zu
unterstützen.
2. Das von nicht wenigen vorhergesagte militärische Fiasko ist zwar ausgeblieben, gleichwohl sollte nicht übersehen werden, daß angesichts des brutalen Vorgehens der örtlichen Konfliktparteien, insbesondere der Serben, auch Blutvergießen in der Zivilbevölkerung nicht verhindert werden konnte. Dennoch darf jetzt mit Genugtuung festgestellt werden, daß das Milosevic-Regime nach der Präsidentenwahl nahezu entmachtet ist und die Demokratisierung des Landes fortschreitet.
3. Der Themenkomplex ist gemessen an seiner Bedeutung m.E. ausreichend thematisiert worden.(...)
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
(...)1. Ich habe für den Einsatz gestimmt.
2. Ich würde wieder so entscheiden.
3. Ich denke, der Themenkomplex ist ausreichend in der Öffentlichkeit thematisiert worden. In meiner aktuellen politischen Arbeit spielt der eine geringe Rolle.(...)
Jürgen Koppelin (FDP):
(...)1. Ich habe gegen den Kosovo-Krieg gestimmt.
2. Ich halte meine Entscheidung auch jetzt noch für richtig.
3. Nein. Ich verweise und begründe meine Haltung auch jetzt noch bei vielen Veranstaltungen, z.B. Bei der Bundeswehr.
Karin Kortmann (SPD):
(...)Ich bin erst seit der laufenden Legislaturperiode Mitglied des
Deutschen Bundestages, so dass ich zu der von Ihnen angeführten Drucksache
keine Entscheidung treffen mußte. (...) Ich bewerte jedoch die Entscheidung
des Deutschen Bundestages als falsch und würde im Falle einer erneuten
Abstimmung gegen einen Einsatz von deutschen Soldaten stimmen.(...) Ich
hoffe, dass die angekündigte wissenschaftlich-publizistische Bearbeitung
des Themas zugunsten vertrauensbildender Maßnahmen beiträgt,
damit der Bundestag eine solche Entscheidung nicht wieder treffen muß.
Thomas Kossendey (CDU):
(...)1. Ich habe für den Einsatz gestimmt, und die meiner Zustimmung
zugrundeliegende Einschätzung ergibt sich aus dem Protokoll des Deutschen
Bundestages.
2. Ich halte die Entscheidung im Nachhinein gesehen auch für richtig.
3. Dieser Themenkomplex hätte, gemessen an seiner Bedeutung in der Öffentlichkeit, intensiver diskutiert werden können; besonders die Eindimensionalität dieser Diskussion, die stattgefunden hat, hat mich negativ berührt.
Dr. Paul Krüger (CDU):
(...) Ich habe damals nach sehr langer und reiflicher Überlegung
und Abwägung für den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo-Konflikt
gestimmt. Diese Gewissensentscheidung war für mich persönlich
die schwerste Entscheidung in meinem politischen Wirken. Sie ist nicht
leicht gefallen, aber ich halte sie auch heute noch für richtig.(...)
Horst Kubatschka (SPD):
(...)1. Ich habe am 16.10.1998 der Entscheidung des Bundestages zugestimmt.
Ich war der festen Meinung, die Drohung würde ausreichen, um Milosevic
auf eine politische Lösung einschwenken zu lassen. Milosevic hatte
die vorher gehenden Jugoslawienkrieg verloren. Das Ergebnis waren mehrere
selbständige Staaten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien.
Ich habe nie im Traum daran gedacht, dass Milosevic so gegen die Interessen
seines eigenen Volkes handeln würde.
2. Meine damalige Entscheidung betrachte ich sehr zwiespältig. Die Drohung konnte ja den Krieg nicht verhindern, wie ich eigentlich erwartet habe.
3. Ob der Themenkomplex in der Öffentlichkeit ausreichend thematisiert wurde, kann ich nicht beurteilen. Dies spielt aber bei meinen politischen Entscheidungen keine Rolle, denn ich kann ja meine Entscheidungen nicht daran messen, wie ein Thema in der Öffentlichkeit beurteilt wird.
Rolf Kutzmutz (PDS):
(...)Ich habe den damaligen Antrag der Bundesregierung - wie alle Abgeordneten
der PDS - abgelehnt, weil
- jede völkerrechtliche Grundlage fehlte, es sich um eine "Selbstmandatierung" der NATO handelte, die weder im Falle des Kosovo, noch sonstwo hinnehmbar ist;
- die Androhung (und später Anwendung) von militärische Gewalt zur Abwendung einer humanitären Katastrophe weder stichhaltig noch sinnvoll war und ist, weil damit unter Inkaufnahme vieler Opfer und immenser Schäden sowie von Kosten, die besser für humanitäre Hilfe und nichtmilitärische Lösungsalternativen aufgewandt worden wären, die zugrundeliegenden Probleme nicht gelöst, sondern höchstens verschoben werden;
- ich aus historischen Gründen den Kriegseinsatz deutscher Streitkräfte
im Ausland persönlich ablehne.
Durch die Entwicklung seit Anfang 1999 bis zum heutigen Tag auf dem
Balkan sehe ich mich in meinem damaligen Verhalten bestätigt und würde
wieder so entscheiden.
Dieses Thema wurde und wird leider nicht ausreichend öffentlich thematisiert, wodurch die Gefahr weiterer derartiger politischer Sündenfälle mit ihren unabsehbaren gesellschaftlichen Konsequenzen wächst. Alle anderen Bundestagsfraktionen sehen die PDS bekanntlich insbesondere wegen ihrer außen- und verteidigungspolitischen Positionen als nicht regierungsfähig an. So lange deutsche Regierungen eine Politik im Sinne der von Ihnen erwähnten Bundestagsentscheidung betreiben, lege ich auch keinen Wert darauf, "regierungsfähig" zu sein, obwohl dies meine politischen Handlungsfähigkeiten - beispielsweise in der Wirtschaftspolitik - natürlich erheblich einschränkt.
Dr. Karl A. Lamers (CDU):
(...)1. Ich habe mit Ja gestimmt, weil klar war, daß wir handeln
mußten, nachdem die Friedensverhandlungen gescheitert waren. Nach
den von Serbien seit 1991 unter Milosevics Führung geführten
Kriege und massiven Menschenrechtsverletzungen blieb uns auch gar keine
Wahl, wenn wir uns nicht durch Duldung einer unmenschlichen serbischen
Politik mitschuldig machen wollten.
2. Sie war richtig, weil es der NATO gelungen ist, die verbrecherische Politik der Milosevic-Clique zu stoppen und eine humanitär Katastrophe im Kosovo zu verhindern. Letztlich hat die klare Linie der NATO/EU/UN auch die Opposition in Serbien gestärkt und ist der Schlüssel zu der Ablösung Milosevics als Präsident Jugoslawiens.
3. Ja. Die Menschen haben verstanden, daß man handeln muß, wenn politische Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen. Auch Deutschland als dasjenige Land, das die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat, mußte ein besonderes Interesse an der Beilegung der Konflikte und der Stabilisierung der sicherheitspolitischen Situation auf dem Balkan haben. Dies ist bisher mit Erfolg gelungen, wobei der Bundeswehr ein besonderes Verdienst an der Befriedung der Region zukommt.
Karl-Josef Laumann (CDU):
(...)Ich habe damals dem Einsatz zugestimmt, da mir ein militärisches
Eingreifen der einzige realistische Weg schien, eine humanitäre Katastrophe
von der albanischen Bevölkerungsminderheit im Kosovo abzuwenden. Da
es sich um einen europäischen Konflikt handelt, hätte ich es
als unangemessen empfunden, die Lösung dieses Konfliktes allein etwa
den Amerikanern zu überlassen. Als Nato-Mitglied und großer
Staat in Europa ist Deutschland in meinen Augen verpflichtet, Verantwortung
zu übernehmen.
2. Ich würde auch im Nachhinein wieder so entscheiden, denn auch im Rückblick war unsere Entscheidung richtig.
3. Der Themenkomplex scheint nur zur Zeit in der Öffentlichkeit
kaum eine Rolle zu spielen. Dies war anders, als die Entscheidung aktuell
anstand. Aber auch zu dieser Zeit fand eher die Frage, wie der pazifistische
Flügel der Grünen damit umgeht, das Interesse der veröffentlichten
Meinung. Insgesamt habe ich die Behandlung dieses Themas für durchaus
angemessen gehalten.
Werner Lensing (CDU):
(...)Ich habe sowohl den Entscheidungsvorlagen der Bundesregierung
im Herbst 1998 als auch im Frühjahr 1999 zugestimmt, da die Politik
Belgrads ausschließlich auf ein ethnisch "reines" Serbien ausgerichtet
war. Gewaltsame Vertreibungen albanischer Kosovaren mit dem verwerflichen
Ziel, diese dauerhaft aus der Heimat zu entfernen, um so die demographischen
Verhältnisse zum einseitigen Nutzen der Serben zu ändern, waren
das primäre Ziel von Milosevic. Dazu waren ihm alle Mittel recht.
Nur durch die NATO-Luftangriffe konnten diese Absichten verhindert bzw.
beendet werden. In Abwägung der Verhältnismäßigkeit
der Mittel zeigt sich daher nach meinen Erfahrungen - auch aus heutiger
Sicht - ganz deutlich, dass ein Nichteingreifen der NATO wesentlich schlimmere
Konsequenzen gehabt hätte. Dem Morden, Vergewaltigen und Vertreiben
der serbischen Militärs und der serbischen Polizei konnte zu meinem
allergrößten Bedauern nicht anders Einhalt geboten werden als
auch - neben den so wichtigen diplomatischen Bemühungen - durch militärische
Maßnahmen. Die Entscheidung zu den NATO-Einsätzen hat mich so
stark wie noch keine andere politische Entscheidung zuvor, die ich mit
zu bewerten und ggf. zu vertreten hatte (siehe u.a. § 218 StGB), bedrängt.
Dies auch deshalb, da moralisch begründetes Handeln durch ethische
Argumente konterkariert wurde. Ich frage/fragte mich: Verliere ich ein
Ideal
(was schwer zu definieren sein dürfte), wenn ich es nicht erreiche?
Wenn ich das Ideal nur verfehle, habe ich dann darauf gänzlich zu
verzichten? Wenn ich handle, um geschundene Menschen zu retten und zugleich
mit der Kriegsführung "zulasse", dass unschuldige Menschen sterben,
verrate ich dann das Ideal (des Friedens)? Auch umgekehrt gilt: Ethische
Argumente, die wiederum durch moralisch motiviertes Handeln konterkariert
werden, behalten gleichwohl ihre Gültigkeit und dienen als Maxime
verantwortlicher Gewissensentscheidungen in der Politik. Vor dem Dilemma
stehend, einerseits schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht zulassen
zu dürfen und andererseits eventuell gegen das Völkerrecht zu
verstoßen, hat sich die westliche Staatengemeinschaft nach Abwägung
aller Vor- und Nachteile und der Verhältnismäßigkeit der
Mittel für die Durchsetzung der moralischen Prinzipien sowie für
Schutz und Hilfe des albanischen Volkes entschieden. Das Verhalten der
verantwortlichen Politiker in den einzelnen Staaten ist für mich daher
verantwortungsethisches Handeln im Sinne von Max Weber.
Vor einem ähnlichen Dilemma stehend, hat Helmut Schmidt im "heißen
Herbst" 1977 ganz unter dem Eindruck der Entführung Hanns Martin Schleyers
und der Befreiung der Lufthansamaschine in Mogadischu formuliert: "Wer
weiss, dass er so oder so, trotz allen Bemühens, mit Versäumnis
und Schuld belastet sein wird, wie immer er handelt, der wird von sich
selbst nicht sagen wollen, er habe alles getan und alles sei richtig gewesen.
Er wird nicht versuchen, Schuld und Versäumnis den anderen zuzuschieben;
denn er weiß: Die anderen stehen vor der gleichen unausweichlichen
Verstrickung. Wohl aber wird er sagen dürfen: Dieses und dieses haben
wir entschieden, jenes und jenes haben wir aus diesen oder jenen Gründen
unterlassen. Alles dieses haben wir zu verantworten." Augenmaß gegenüber
der Sache und Achtung vor der Position der anderen, Verantwortungs- und
Pflichtbewusstsein sowie die Einsicht in die Notwendigkeit aktiven politischen
Handelns und das Einstehen für die Konsequenzen sind die Handlungsaximen,
denen auch ich mich als Politiker verpflichtet fühle.(...) Ich stehe
deshalb auch im Nachhinein zu meinen damaligen - auch aus heutiger Sicht
- richtigen Entscheidung.(...)
Christa Lörcher (SPD):
(...)Ich habe am 16. Oktober 1998 gegen den NATO-Einsatz gestimmt,
da ich als Pazifistin eine militärische Konfliktlösung für
die schlechteste aller Möglichkeiten halte; der Konflikt wurde durch
den Krieg auch keinesfalls "gelöst".
Dies hat sich in den darauffolgenden Monaten bestätigt; es sind Milliarden für die Zerstörung von Schulen, Brücken, Krankenhäusern, Betrieben, Privathäusern verschwendet worden; das Geld für den Wiederaufbau wurde in weit geringerem Umfang und weit weniger selbstverständlich bereitgestellt. Das Leiden, das Kinder, Kranke, alte Menschen durch einen Krieg zu ertragen haben, ist in der obigen Rechnung nicht enthalten; ich habe darauf in zwei kurzen Debatten im Europarat zur Situation im Kosovo hingewiesen. Verwundert bin ich, dass die Öffentlichkeit weitgehend stumm bei dieser Auseinandersetzung war.(...)
Prof.Dr. Christa Luft (PDS):
(...)1. Ich habe am 16. Oktober 1998 gegen die Beteiligung deutscher
Soldaten an einem Kampfeinsatz gestimmt. Gründe: Laut Grundgesetz
ist die Bundeswehr eine Armee mit Verteidigungs-, nicht Angriffsaufgaben.
Außerdem lag ein Mandat des UN-Sicherheitsrates für den NATO-Kampfeinsatz
nicht vor. Schließlich: Mit Krieg löst man keine Probleme wie
sie in Kosovo standen und stehen.
2. Auch rückblickend halte ich meine Entscheidung für richtig und würde sie heute wieder so treffen.
3. Die PDS hat die erstmalige Beteiligung deutscher Soldaten an einem Kampfeinsatz seit dem zweiten Weltkrieg und das noch unter einer SPD-geführten Regierung als deren fatalste Fehlentscheidung in der Halbzeitbilanz thematisiert. In einer Großen Anfrage zum Kosovo-Krieg hat meine Fraktion die Bundesregierung zum Farbe bekennen veranlasst, insbesondere zu ihren damaligen Angaben über Gräueltaten der Serben, über aufgefundene Massengräber, erfolgte Hinrichtungen, Vertreibungen, zu ihren unkritischen Übernahmen von Behauptungen aus US- und NATO-Kreisen usw. Die Antworten waren dünn und ausweichend. Die Regierung tut alles, das Thema aus dem öffentlichen Interesse zu drängen.
Pia Maier (PDS):
Ihre Fragen kann ich leider nur sehr allgemein beantworten, weil ich
am 16.10.1998 nicht im Bundestag war. Natürlich war ich auch damals
schon politisch aktiv, und habe an der Auseinandersetzung auf anderen Ebene
teilgenommen. Wie Sie vielleicht wissen, war die PDS-Fraktion gegen den
NATO-Einsatz in Jugoslawien generell, da er mit geltendem Völkerrecht
brach. Eine Beteiligung der Bundeswehr lehnte die Fraktion nicht nur wegen
der grundsätzlichen Bedenken gegen einen Einsatz von NATO-Truppen
ab, sondern auch, weil uns die historische Verpflichtung bewußt war,
dass deutsche Truppen sich nie wieder an einem Angriffskrieg beteiligen
dürfen, dass sie ganz besonders auf dem Balkan, wo so viel Leid von
deutschen Truppen angerichtet wurde, nichts verloren haben. Ich teilte
die Gründe der Fraktion schon damals und kann Ihnen heute nur versichern,
dass ich mich gegen den oben geannten Antrag entschieden hätte.(...)
Lothar Mark (SPD):
(...)1. Ich habe einer deutschen Beteiligung an den von der NATO geplanten
Luftoperationen zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt
zugestimmt, um weitere Gräueltaten an der albanischen Zivilbevölkerung
zu verhindern und langfristig eine Friedensordnung in einem ethnisch heterogenen
Kosovo zu ermöglichen.
2. Auch im Nachhinein scheint mir die Entscheidung von damals richtig zu sein, obwohl die Lufoperationen das Leiden sowohl der serbischen wie albanischen Zivilbevölkerung zunächst verschärft haben. Letztendlich wurde der Grundstein für eine dauerhafte Friedensordnung und die Ablösung von Präsident Milosevic durch die Luftoperationen gelegt.
3. Der Themenkomplex wurde sicherlich nicht ausreichend diskutiert: Als die Entscheidung nötig wurde, war zu wenig Zeit dazu; danach ist das Thema zu schnell aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit verschwunden.(...)
Angela Marquardt (PDS):
Ich erinnere mich gut an die Situation im Bundestag. Ich war damals
gerade als Abgeordnete ins Parlament eingezogen. Es war eine hochgradig
angespannte Situation, die überall zu spüren war. An vielen Stellen
machte es sogar den Eindruck von hilfloser Überforderung, zu einem
solch schwierigen Punkt Stellung zu beziehen. Ich habe mich von Anfang
an gegen die Entsendung von Bundeswehrsoldaten zu einem solchen Einsatz
ausgesprochen und auch so gestimmt. Der Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien war ein völkerrechtswidriger Angriff und dieser Überzeugung
bin ich auch heute noch.(...) Angesichts der zunehmenden Militarisierung
Europas und des Aufbaus einer Europäischen Sicherheits- und "Verteidigungs"identität
würde ich mich zu jeder Zeit wieder so entscheiden. Ich bin übrigens
der Meinung, dass dieser Themenkomplex im Nachhinein nicht genügend
aufgearbeitet und analysiert wurde. Es besteht aber auch kein gehobenes
öffentliches Interesse angesichts der bereits aufgedeckten Lügen
der NATO über serbische Massaker an den Kosovo-Albanern, mit denen
damals massiv Propaganda betrieben wurde. Auch die Bedeutung des Angriffskrieges
für die oben beschriebene Entwicklung der militärischen Säule
einer Europäischen Union wurde und wird in der Öffentlichkeit
nicht genügend beleuchtet.(...)
Dr. Michael Meister (CDU):
(...)1. Ich habe dem Antrag in Drucksache 13/11469 zugestimmt. Ich
war und bin der Auffassung, dass wir diesem Völkermord auf dem Balkan
nicht tatenlos zusehen durften. Daraus ergibt sich die Antwort auf die
Frage 2: Ich halte diese Entscheidung auch heute noch für richtig
und würde mich auch im Rückblick wieder so entscheiden.
3. In der Öffentlichkeit ist die politische Dimension dieser Frage nach meiner Einschätzung nicht hinreichend ins Bewußtsein gerückt.(...)
Friedrich Merz (CDU): -Antwort durch Mitarbeiter-
Das von Ihnen an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Herrn
Friedrich Merz MdB, und darüber hinaus an weitere Abgeordnete der
Fraktion gerichtete Schreiben zum Thema "Einsatz der NATO/Bundeswehr im
Kosovo" ist mir zur Beantwortung übergeben worden. Sie haben darin
u.a. sehr persönliche Fragen zum Abstimmungsverhalten zum Mandat für
den Kosovo-Einsatz gebeten. Sie haben sicher Verständnis, dass ich
Ihnen dies nicht weiter erläutere. Als Anlage darf ich Ihnen jedoch
den entsprechenden Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Deutschen Bundestages
v. 25. Februar 1999 mit den Debattenbeiträgen und dem Ergebnis der
Abstimmung zukommen lassen.
Prof.Dr. Jürgen Meyer (SPD):
(...)Diese Entscheidung war notwendig, denn es existierte eine Nothilfelage,
die unser Handeln erforderlich machte und rechtfertigt. Die Entscheidung
wurde - ich denke, ich kann insoweit auch für meine Kolleginnen und
Kollegen sprechen - keineswegs leichtfertig, sondern nach einer umfassenden
und der Bedeutung dieser Angelegenheit entsprechenden Diskussion getroffen.
Einem Diktator wie Herrn Milosevic konnte leider nur auf diese Art und
Weise Einhalt geboten und verdeutlicht werden, dass die Gemeinschaft der
freien demokratischen Staaten die von ihm verübten Verbrechen gegen
die Bürgerinnen und Bürger des ehemaligen Jugoslawien nicht tatenlos
hinnehmen. Nicht zuletzt die aktuellen Entwicklungen in Serbien belegen,
dass unsere Entscheidung richtig war.
Ursula Mogg (SPD):
(...)Ich habe seinerzeit der deutschen Beteiligung an den NATO-Aktionen
gegen Jugoslawien zugestimmt. Ich tat dies im besonderen unter dem Eindruck
der Erfahrungen in den vorangegangenen Jahren. Meine Empfindung war: So
darf es nicht weitergehen! Ein zweites "Srebrenica" musste unbedingt vermieden
werden. Aufgrund dieses Beweggrundes würde ich die Entscheidung auch
ein zweites Mal so treffen, freilich verbunden mit der Hoffnung, dass man
dann aus begangenen Fehlern Lehren und Schlussfolgerungen zieht. Dazu würde
dann eine erfolgreichere Vermeidung ziviler Opfer und eine stärkere
Konzentration auf die Vermeidung und Unterbindung gegnerischer Aggressionen
- im vorliegenden Fall im Kosovo - gehören.(...)
Die öffentliche Diskussion und Berichterstattung über die
deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg emfpand ich in Form und Inhalt überwiegend
als angemessen, umfassend und seriös. Ich hege die Hoffnung, dass
die Erfahrung dieses Krieges dazu führt, dass vergleichbare Maßnahmen
zukünftig nicht mehr erforderlich sein werden - wenigstens in Europa.(...)
Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen):
(...)Völlig zurecht erwarten Sie von uns Politikern eine (selbst-)kritische
Überprüfung so einschneidender und umstrittener Entscheidungen
wie der zur Androhung von Luftangriffen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.
Ihre Annahme, mir sei die Entscheidung schwer gefallen, trifft zu. Es waren
Wochen intensivster Information, Diskussion, schließlich eines Abwägungsprozesses.
Das gilt wohl für die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen.(...)
Zu Ihren Fragen:
1. Am 16. Oktober habe ich mich der Stimme enthalten, weil ich das Dilemma sah zwischen drohender humanitärer Katastrophe (unversorgte Binnenflüchtlinge in den Wäldern), der Androhung von begrenzten Luftangriffen als dem einzigen noch wirksamen erscheinenden Mittel und dem fehlenden VN-Mandat.(...) Im März 1999 trug ich allerdings die Luftangriffe mit, weil ich zu ihnen - trotz aller größter Problematik - keine verantwortbare Handlungsalternative sah. Die NATO-Luftangriffe waren ein großes Übel zur Verhinderung eines unerträglichen Übels, nämlich eines zweiten Bosnien.
2. Die Oktober-Entscheidung war weiterhin richtig. Die März-Entscheidung war unter den damaligen Bedingungen weiterhin richtig. Die Alternative damals war, durch Nichteingreifen eine langsame "Säuberung" des Kosovo im Kontext der UCK-Bekämpfung hinzunehmen. Allerdings habe ich, haben wir die - längst beschlossene - NATO-Strategie "begrenzter Luftoperationen" nicht konsequent und rücksichtslos geprüft. Das war ein Versagen der Politik und der parlamentarischen Kontrolle. Hinsichtlich Verlauf und Ergebnis wurde der NATO-Luftkrieg dann zum abschreckenden Beispiel.(...)
3. Der Komplex wurde anschließend ungenügend thematisiert: angefangen bei der eigenen Regierung über die breite Öffentlichkeit bis zum Antikriegsprotest und meiner Partei. Wo bilanziert wurde, ging es oft nur um Selbstbestätigung, weniger um (selbst-)kritische Aufarbeitung.(...)
Christa Nickels und Gila Altmann (Bündnis 90/Die Grünen):
-Antwort
durch Mitarbeiter in einem gemeinsamen Schreiben-
(...)Wie Sie richtigerweise erwähnen, wurde die Diskussion um
die deutsche Beteiligung an den NATO-Einsätzen im Kosovo seinerzeit
und bei Bündnis 90/Die Grünen bis heute sehr kontrovers geführt.
Die Einzelheiten der Diskussion sowie das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
sind in der entsprechenden Bundestagsdrucksache nachzulesen. Dort finden
Sie für jede/n Abgeordnete/n das entsprechende Abstimmungsergebnis.
Dirk Niebel (FDP):
(...)1. Ich habe der deutschen Beteiligung an NATO-Operationen zur
Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt zugestimmt,
weil der Völkermord nicht anders zu begrenzen oder zu verhindern gewesen
wäre.
2. Ich finde diese Entscheidung auch jetzt richtig.
3. Ja, der Themenkomplex wird in der Öffentlichkeit ausreichend und objektiv dargestellt. (...)
Günther Nolting (FDP):
(...)1. Ich habe zugestimmt, weil durch den Einsatz das Töten,
Schänden und Vertreiben beendet werden konnte.
2. Ja!
3. Es gab und gibt eine umfassende Berichterstattung in den Medien, wobei mir allerdings Bosnien-Herzegowina in der Berichterstattung und auch im öffentlichen Interesse zu kurz kommt.(...)
Kurt Palis (SPD):
(...)1. Ich habe damals - es war übrigens die letzte Sitzung des
Bundestages der 13. Wahlperiode - für den Antrag auf eine deutsche
Beteiligung gestimmt. Dies vor dem Hintergrund, daß es auch aus meiner
Sicht notwendig und geboten erschien, den unbestreitbaren groben Menschenrechtsverletzungen
der Belgrader Regierung im Kosovo entgegenzutreten. Ich war mir dabei der
umstrittenen völkerrechtlichen Legitimation dieses Einsatzes durchaus
bewußt. Die damaligen Berichte über die Ereignisse im Kosovo
bestärkten mich allerdings in meinem Entschluß, der mir angesichts
der Bedeutung nicht leicht gefallen ist.
2. Auch im Nachhinein stand und stehe ich zu dieser Entscheidung, da sie zu diesem Zeitpunkt in diesem Fall Kosovo trotz aller jetzt erkennbaren Problematik die einzig mögliche war, um das Belgrader Regime in die Schranken zu weisen und eine nicht hinnehmbare Massenvertreibung zu stoppen bzw. rückgängig zu machen. Die Androhung der Gewalt führte im Oktober 1998 ja auch vorübergehend zu einem Erfolg. Die weitere Entwicklung des Konfliktes im Kosovo und der Verlauf der Kriegshandlungen ab März 1999 verbieten es allerdings darin ein Modell für Konfliktlösungen auch in anderen Fällen sehen zu wollen.
3. Ich denke schon, daß dieser Themenkomplex während der akuten Auseinandersetzung 1999 in der veröffentlichten Meinung ausreichend thematisiert worden war, und damals auch die Öffentlichkeit - zumindest die interessierte - erreichte. Allerdings fehlte - und daran trägt auch die Politik eine Schuld - die grundsätzliche Auseinandersetzung zur Frage von Konfliktlösungsmechanismen bei regionalen Krisen und zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.(...)
Ruprecht Polenz (CDU):
(...)1. Zugestimmt, weil so die Vertreibung, Verfolgung und Ermordung
der Kosovo-Albaner verhindert werden konnte.
2. Ja.
3. Wir debattieren generell zu wenig über Außen- und Sicherheitspoltik.(...)
Dr. Peter Ramsauer (CSU): -im Auftrag von Michael Glos
(Vorsitzender der CSU-Landesgruppe)-
(...)1. Die CSU-Landesgruppe hat geschlossen für die deutsche
Beteiligung an den in Phasen durchzuführenden Luftoperationen für
die von den NATO-Mitgliedsstaaten gebildete Eingreiftruppe unter Führung
der NATO gestimmt. Ein Grund für die Zustimmung des Antrags der Bundesregierung
lag in der Notwendigkeit, eine Ausweitung des Konflikts zu stoppen und
dem Völkermord an den Albanern zu verhindern. Nach den Verhandlungen
von Rambouillet war deutlich geworden, dass das Milosevic-Regime zu einer
Beendigung seiner Verbrechen nicht zu bewegen war. Daher konnte die CSU-Landesgruppe
keine Alternative zur Abwendung einer humanitären Katastrophe erkennen.
2. Auch rückblickend hat unsere Entscheidung Bestand und wir würden erneut für einen solchen Antrag der Bundesregierung stimmen.
3. Wir sind weiterhin der Auffassung, dass der Themenkomplex mit Blick auf die Bedeutung, die ihm beigemessen werden muss, in ausreichender Form diskutiert und thematisiert worden ist.(...)
Helmut Rauber (CDU):
(...)1. Ich habe damals für den Einsatz der NATO gestimmt, weil
ich fest davon überzeugt war, dass nur durch dieses entschlossene
Handeln Milosevic gestoppt werden kann. Der Westen hatte viel zu lange
und viel zu oft Maßnahmen angedroht, ohne jedoch zu handeln. Die
Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit des Bündnisses hätte
schweren Schaden erlitten, wenn es nicht zu diesem Vorgehen gekommen wäre.
Das diplomatische Katz und Maus Spiel von Milosevic durfte nicht länger
hingenommen werden. In einer Güterabwägung zwischen Stop des
Mordens und fehlendem UN-Mandat habe ich mich für das Intervenieren
unter humanitären Aspekten entschieden.
2. Auch heute würde ich diese Entscheidung wieder so treffen.
3. Über den Krieg selbst wurde zu ausführlich und über die außenpolitischen Implikationen zu wenig berichtet und diskutiert. Dieser Themenkomplex spielt insofern für die aktuelle politische Arbeit eine große Rolle, weil sich keine auch noch so große Institution mit noch so hehren Zielen es sich leisten kann, erneut gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Deshalb muß das Völkerrecht in der Form neu gefaßt werden, dass unter strengsten Auflagen und Kriterien eine Einmischung in die innere Angelegenheit von Staaten möglich ist.(...)
Erika Reinhardt (CDU):
(...)Auch mich bewegt dieses Thema nach wie vor persönlich sehr
stark. Die Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten an den
von der NATO geplanten begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen
zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo-Konflikt ist
sicher keinem Abgeordneten leicht gefallen. Meine Entscheidung für
den Einsatz zu stimmen, hatte ich in erster Linie mit dem Wissen über
die schrecklichen ethnischen Säuberungen und das Elend der Vertriebenen
zu tun. Ich war und bin der Auffassung, dass gerade die Erfahrungen die
das deutsche Volk mit Vertreibungen im 20. Jahrhundert gemacht hat, unausweichlich
gemacht haben, dass diesem Verbrechen an der Menschlichkeit mit allen Mitteln
begegnet werden musste und Deutschland hierzu einen Beitrag zu leisten
hat! Die öffentliche Auseinandersetzung über dieses Thema war
in meinen Augen von hohem Augenmaß und Sachlichkeit geprägt
- eine Form der Debatte, die ich für angemessen halte.(...)
Bernd Reuter (SPD):
(...)1. An der namentlichen Abstimmung am 16.10.1999 habe ich damals
nicht teilgenommen, weil ich mich zum Zeitpunkt der Sitzung in der Universitätsklinik
Marburg aufhielt. Hätte ich an der Sitzung teilgenommen, hätte
ich ebenfalls mit "Nein" gestimmt.
2. Ich würde auch heute noch mit "Nein" stimmen, da ich der Meinung bin, dass die Politik andere Mittel und Wege finden muss, Konflikte zu lösen.
3. Der Themenkomplex ist seiner Bedeutung nach meines Erachtens nicht ausreichend thematisiert worden. Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass die Politik andere Möglichkeiten suchen muss, Frieden zu schaffen und zu erhalten ohne den Einsatz von Raketen und Bomben.(...)
René Röspel (SPD):
(...) Ich bin erst seit dem 26. Oktober 1998 Mitglied des Bundestages
und habe folglich nicht an dieser Abstimmung teilnehmen können. Ich
kann Ihnen aber versichern, dass ich mit nein gestimmt hätte. Bei
nachfolgenden Abstimmungen Kosovo betreffend habe ich mich enthalten oder
mit Nein gestimmt, weil ich gegen die Beteiligung deutscher Truppen an
Auslandseinsätzen bin.(...) Insgesamt aber glaube ich, dass dieser
Themenkomplex - abgesehen von einem kritischen Fernsehbericht in der ARD
- leider nur noch wenig öffentliche Beachtung findet. Inder aktuellen
Arbeit spielen die Erfahrungen Ende 1998/Anfang 1999 im Zusammenhang mit
dem Kosovo-Konflikt insofern eine Rolle, als dass ich die Beteiligung an
Einsätzen noch kritischer sehe.(...)
Dr. Klaus Rose (CSU):
(...)1. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung die Beteiligung
am NATO-Engagement im Kosovo beschlossen hatte, blieb einem Oppositionsabgeordneten
nur die Alternative, entweder die eigenen deutschen Soldaten zu verunsichern
oder, nolens volens, zuzustimmen. Letzteres tat ich schließlich.
2. Da - abgesehen von finanziellen und persönlichen Lasten - keine Personalopfer gebracht werden mussten und auf dem Balkan "gefestigte Waffenruhe" herrscht, war die Entscheidung richtig.
3. Nein, natürlich nicht. Hätte die Kohl-Regierung handeln müssen, wäre auf den deutschen Straßen der Teufel losgewesen. Aber Herr Fischer ist ja inzwischen der "beliebteste" deutsche Politiker.
Volker Rühe (CDU): -Antwort durch Mitarbeiter-
(...)1. Herr Rühe hat dem Einsatz der Luftwaffe zugestimmt, weil
dieser zum Ziel hatte, die an Kosovo-Albanern begangenen Massaker zu stoppen
und eine humanitär Katastrophe zu vermeiden.
2. Ja.
3. Der Themenkomplex ist ausreichend thematisiert worden.(...)
Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD):
(...)1. Ich habe zugestimmt in der Überzeugung, dass der "Politik"
der Vertreibung und ethnischen Säuberung anders nicht begegnet werden
und der Krieg weiter eskalieren könnte.
2. Ich halte die Entscheidung nach wie vor für richtig.
3. Der Themenkomplex ist ausreichend in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Etwas überrascht war ich, dass die Welle der Demonstrationen, wie wir sie einige Jahre zuvor bei Ausbruch des Golfkrieges erlebt haben, diesmal weitgehend ausblieb.(...) Ansonsten beschäftigen mich die Folgen des Kosovo-Krieges im Zusammenhang mit der Rückführung
von Flüchtlingen.
Prof.Dr. Rita Süssmuth (CDU):
(...) Zweifelsohne war die Entscheidung für eine deutsche Beteiligung
an der NATO-Operation Allied Force eine der schwierigsten der Nachkriegsgeschichte.
Ich habe damals dem Einsatz zugestimmt, da ich der Überzeugung war,
dass dem Morden Einalt geboten werden mußte und man sich mit seinen
Forderungen gegenüber Milosevic ansonsten unglaubwürdig gemacht
hätte. Heute, ein Jahr nach dem Einsatz und nach dem Ende der Herrschaft
von Milosevic, ist es für mich weniger eine Frage, ob die damalige
Entscheidung richtig oder falsch war, sondern eher die Frage, wie man in
Zukunft den Frieden in dieser Region dauerhaft sichern kann.(...)
Rudolf Scharping (SPD): -Antwort durch Mitarbeiter-
(...)Die in Ihrem Brief gestellten Fragen lassen sich im Zusammenhang
am besten durch die Lektüre des Buches des Bundesministers der Verteidigung
mit dem Titel "Wir dürfen nicht wegschauen" beantworten.(...)
Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
(...)1. Ich habe an der seinerzeitigen Beschlußfassung im Bundestag
extra nicht teilgenommen (und dafür auch die betreffende Ordnungsgeldzahlung
gerne in Kauf genommen). Ich war seinerzeit noch der amtierende Bundesjustizminister
und hatte mich bei dem vorangegangenen Kabinettsbeschluß, der die
Parlamentsvorlage lieferte, ausdrücklich gegen die in Rede stehende
Einsatzentscheidung ausgesprochen. Eine entsprechende Protokollerklärung
von mir liegt in den Kabinettsakten. Da ich mich außerhalb des Kabinetts
nicht gegen die Regierungsentscheidung stellen wollte (und durfte: §
28 II GeschOBRreg), aber auch von meiner Meinung nicht abweichen wollte,
kam nur eine Nichtteilnahme in Betracht. Maßgeblich war in der Sache
für mich vor allem das Fehlen eines entsprechenden Sicherheitsrats-Beschlusses.
Denn abgesehen von der schlichten rechtlichen Notwendigkeit einer solchen
Voraussetzung schien (und scheint) mir nur durch einen solchen Beschluß
die Gefahr vermieden, daß einzelne Staats- oder Bündnisinteressen
den Ausschlag geben. Immerhin hatte man in ganz ähnlichen Fällen
mit vergleichbaren humanitären Katastrophen eben von einer militärischen
Intervention abgesehen, offenbar weil bestimmte Machtinteressen nicht so
eindeutig dafür stritten. Schließlich schien mir auch die militärische,
strategische Richtigkeit des Waffeneinsatzes nicht einleuchtend, weil durch
die Luftoperationen voraussehbar die zu schützende Bevölkerung
selber in Mitleidenschaft gezogen würde.
2. Nach wie vor halte ich meine Entscheidung von damals für richtig und glaube auch, daß es heute zu einer entsprechenden Initiative der NATO-Staaten nicht mehr kommen würde.
3. Die Diskussion seinerzeit war ausführlich. Wenn etwas zu kritisieren wäre, dann ist es die eskalierende Abfolge von militärischen Vorentscheidungen, welche den Schlußentscheid für viele wohl auch unausweichlich erscheinen ließ. Für die aktuelle politische Arbeit hat sich seither aber gewiß das Problembewußtsein geschärft. Das beispielsweise erneut ein militärischer Einsatz out of area ohne Sicherheitsratsbeschluß vorgenommen würde, halte ich heute für ausgeschlossen.
Prof. Dr. Rupert Scholz (CDU):
(...)Ich habe für die Beteiligung der Bundeswehr an der Befriedung
des Kosovo gestimmt. Ich halte diese Entscheidung auch nach wie vor für
richtig. Deutschland und unsere Bundeswehr müssen sich beim Schutz
des internationalen Friedens und der internationalen Wahrung der Menschenrechte
aktiv beteiligen. Ich bin auch der Meinung, daß diese Problematik
durchaus deutlich in der Öffentlichkeit vermittelt worden ist, daß
unsere Bevölkerung auch deutlich hinter dieser Entscheidung steht.
Gerhard Schröder (SPD): -Antwort durch Mitarbeiter-
(...)Ich muss Sie um Verständnis bitten, dass der Bundeskanzler
aufgrund seiner erheblichen Arbeitsbelastung nicht in der Lage ist, Ihre
an ihn gerichteten, auf seine persönliche Motivation abzielenden Fragen
selbst zu beantworten. Ich lege Ihnen aber den Text einer Erklärung
des Bundeskanzlers vom 3./4. Juni 1999 vor dem Bundestag bei, worin Sie
einige Antworten auf Ihre Fragen finden können. Ich bin im übrigen
überzeugt, dass der Abzug der serbischen Sicherheitskräfte aus
dem Kosovo im Juni 1999, auch wenn in den darauffolgenden Monaten vielen
Nicht-Albanern Unrecht geschah, sowie die jetzigen Ereignisse in Belgrad
eindrucksvoll bewiesen haben: Der NATO-Einsatz war gerechtfertigt. Er hat
- vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen mit den Kriegen in Kroatien und
Bosnien und Herzegowina - ein jahrelanges Morden und Leiden verhindern
können. Und es gibt jetzt, mit der neuen Regierung in Belgrad, eine
wirkliche Aussicht auf eine dauerhafte Stabilisierung und Demokratisierung
in Jugoslawien und in der Region. Vor diesem Hintergrund sehe ich nicht,
dass sich die Handlungsträger in Deutschland in Bundesregierung und
Bundestag, noch einmal vor die Wahl gestellt, im Nachhinein anders als
in den Jahren 1998 und 1999 entscheiden würden.
Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
(...)1. Ich habe der deutschen Beteiligung an den Luftoperationen zugestimmt,
obwohl ich bei allen vorhergehenden Abstimmungen über ein deutsches
militärisches Engagement mit Nein gestimmt habe. Zuvor schien mir
die deutsche Beteiligung zu einseitig militärisch ausgerichtet zu
sein, ohne dass in ausreichendem Maße zivile Konfliktprävention
eine Rolle spielte. Ich habe am 16. Oktober 1998 zugestimmt, weil mir die
Zivilbevölkerung im Kosovo in einer aussichtslosen Lage zu sein schien,
Vergewaltigung, Terror, Vertreibungen und Mord ein solches Ausmaß
angenommen hatten, dass kein anderer Ausweg zu existieren schien, als die
jugoslawische Regierung mit der Androhung und Ausübung von Gegengewalt
in die Schranken zu weisen. Gleichzeitig gab es die Verabredung, so schnell
wie möglich Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Aufbau einer
Zivilgesellschaft zu unterstützen. Im Stabilitätspakt für
Osteuropa ist diese Zusage umgesetzt worden.
2. Auch im Rückblick sehe ich keine andere Option für diese
Entscheidung. Selbst wenn uns bekannt gewesen wäre, dass die Widerstandskraft
des Milosevic-Regimes größer als vermutet war, außerdem
die Informationspolitik der Vereinigten Staaten und ihre Einsatz-Strategie
problematisch war, sehe ich für den damaligen Zeitpunkt keine andere
Alternative zum Schutz der Zivilbevölkerung. Allerdings sind aus diesen
Erfahrungen Konsequenzen zu ziehen.
3. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen, ist es unerlässlich,
dass die Diskussion und Ausarbeitung von zivilen Konfliktstrategien vorangetrieben,
aber auch die Rolle einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
der Europäischen Union definiert wird. Daraus sind entsprechende institutionelle,
aber auch militärische Konsequenzen zu ziehen. Dieser Prozeß
ist begonnen.(...)
Hans Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen):
(...)Als im Oktober vor zwei Jahren im Bundestag über die Bombardierung
Serbiens abgestimmt wurde, war ich zwar schon gewählt, durfte aber
nicht mitstimmen, weil der neue Bundestag sich noch nicht konstituiert
hatte. Ich habe deshalb an der berühmten Abstimmung nicht teilgenommen.
Ihre Frage 1. kann ich daher leider nicht beantworten. Ich habe
nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich die Entscheidung und die späteren
von Bundestag und Regierung, an diesem Natokrieg teilzunehmen, für
falsch und verhängnisvoll gehalten habe. Leider drücken sich
heute Fraktionen und Parteien vor einer ehrlichen Diskussion dieser Thematik
weg.(...)
Dr. Peter Struck, Wilhelm Schmidt, Hedi Wegner, Heidemarie Wieczorek-Zeul,
Peter Zumkley (SPD): -Gemeinsame Antwort durch Mitarbeiter-
(...)Da es bei Ihrem Brief um eine sehr persönliche Fragestellung
an die Gewissensentscheidung der bzw. des Abgeordneten handelt, kann meine
Stellungnahme nur die fachpolitische Position der SPD-Bundestagsfraktion
widerspiegeln. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in Anbetracht der sich abzeichnenden
humanitären Katastrophe und auf der Grundlage ihrer Parteitagsbeschlüsse
den Kosovo-Einsatz befürwortet. Das Ausmaß dieser Katastrophe
wird daran deutlich, dass sich bereits vor dem Eingreifen der NATO über
300.000 Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht innerhalb und außerhalb
des Kosovo befanden. Trotz der intensivierten Friedensbemühungen der
Staaten der Kontaktgruppe, konnte die serbische Führung nicht dazu
bewegt werden, die massiven Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen
einzustellen. Das uneinsichtige und brutale Vorgehen Milosevics ließ
keine Alternative zur Anwendung militärischer Mittel zu. Die SPD-Bundestagsfraktion
teilt die Auffassung der Bundesregierung, dass die außergewöhnliche
Situation im Kosovo, wie sie auch in der UN-Resolution 1199 beschrieben
ist, das Eingreifen der NATO rechtfertigt. Die schnelle und sichere Rückkehr
der vertriebenen Kosovaren wäre ohne dieses Vorgehen der internationalen
Gemeinschaft nicht möglich gewesen. Gleichwohl muß auch erwähnt
werden, dass es nach dem Einmarsch in das Kosovo (gem. UN-Resolution 1244)
auch zu Ausschreitungen gegen Serben und Roma kam. Dieser Umstand betont
die Wichtigkeit des Aufbaus rechtsstaatlicher Strukturen und stabiler wirtschaftlicher
Verhältnisse.(...)
Dr. Gerald Thalheim (SPD):
(...)1. Für mich war entscheidend, dass die Verhandlungsführer
auf Seiten der NATO und der Europäischen Union alles versucht haben,
die Milosevic-Regierung zum Einlenken zu bewegen (Verhandlungen in Rambouillet).
Ich bin der Überzeugung, dass hier das Letzte versucht worden ist.
Maßgeblich für meine Entscheidung, war dass in Srebrenica und
Vukova, um diese beiden Massaker stellvertretend zu nennen, die Milosevic-Regierung
zu schlimmsten Verbrechen bereit gewesen ist und aus diesem Grund militärisches
Eingreifen ausweglos geworden ist. Ich wollte nicht noch einmal, dass unter
den Augen von Blauhelm-Soldaten Massenmorde stattfinden.
2. Auch aus der heutigen Perspektive halte ich meine Entscheidung für richtig, auch wenn sich hinterher herausgestellt hat, dass es unter den Zivilisten mehr Tote gegeben hat als damals eingeräumt wurde. Ich komme zu dieser Bewertung, da ich der Meinung bin, dass mit dem Kosovo-Krieg zum ersten Mal Menschenrechtsverletzungen einer Regierun gegen ihre eigene Bevölkerung zum Grund für ein militärisches Eingreifen geworden sind. Damit wurde für die internationale Politik ein Maßstab gesetzt, an dem man weitere Handlungen in der Zukunft messen lassen muss. Man wird es nicht in jedem Fall wiederholen können, aber man wird künftiges Verhalten in vergleichbaren Konflikten an dem Vorgehen im Kosovo messen lassen müssen.
3. Ich bin der Auffassung, dass der Themenkomplex - gemessen an seiner Bedeutung - in der Öffentlichkeit ausreichend diskutiert wurde.(...)
Uta Titze-Stecher (SPD):
(...)Ich erinnere mich noch lebhaft an die Argumentationen der Gegner,
insbesondere den Verweis auf das fehlende UN-Mandat sowie auf den Verstoß
gegen das Grundgesetz. Nun aber zu Ihren Fragen:
1. Ich habe damals zugestimmt. Da ich Hauptberichterstatterin für
den Einzelplan 05 - den Etat des Auswärtigen Amtes - im Haushaltsausschuss
bin, hatte ich die haushaltsrelevante Berichterstattung zu dieser Entscheidung
("Abwendung einer humanitären Katastrophe") zu vertreten. Mit entscheidend
für meine Zustimmung war die Tatsache, dass mich die Bilder der Flüchtlinge
an die Flucht meiner Familie aus Polen im Jahr 1945 erinnerten; außerdem
war ich nach den Ereignissen von Srebrenica dermaßen erschüttert,
dass ich die Vertreibung und Ermordung der Kosovaren durch serbisches Militär
und Milizen nicht mehr hinzunehmen bereit war. Natürlich bin ich mir
bewußt, dass jeder militärischen Phase eine Phase vorangeht,
in der durch politisches Agieren präventiv eingegriffen werden kann,
um einen Waffengang zu verhindern. Das wurde hier aufgrund der unterschiedlichen
Interessenlagen der EU-Mitgliedsstaaten versiebt. Auch die frühe Anerkennung
Kroatiens nach dem Zerfall Jugoslawiens war sicher eine politisch fragwürdige
Entscheidung, da jegliches Konzept für die Balkanregion fehlte.
2. Ich bin mit meiner Entscheidung nicht glücklich, aber auch nicht unglücklich: Ich habe sie aufgrund der damals vorliegenden Informationen getroffen und würde sie heute, trotz weitergehender Informationen, wieder treffen. Zu dem damaligen Zeitpunkt war wohl eine politische Lösung endgültig unerreichbar - siehe Ergebnisse von Rambouillet sowie den ständig gebrochenen Zusagen von Milosevic.
3. Ja - ich kann aus meinem Erfahrungsbereich (Wahlkreis 201, Fürstenfeldbruck/Dachau) sagen, dass dort heftigst und lange diskutiert und demonstriert wurde. Es gab wochenlange Diskussionen in der örtlichen Presse (Leserbriefe) sowie Veranstaltungen verschiedener Vereine und Parteien zur Kosovo-Entscheidung. Es gab Austritte bei den Grünen und dezidiert unterschiedliche Meinungen innerhalb der SPD. Meine Entscheidung wurde akzeptiert.(...)
Arnold Vaatz (CDU):
(...)Ich habe an der fraglichen Abstimmung mit JA gestimmt. Meine Entscheidung
basierte auf der Sorge um die Lage im Kosovo und - als Mitglied des Europaausschusses
des Deutschen Bundestages - auch in Europa, das zu diesem Zeitpunkt ca.
290.000 Flüchtlinge aus dem Krisengebiet auf dem Balkan aufzunehmen
und zu versorgen hatte. Die Gewalt der serbischen Sicherheitskräfte
hatte zur Folge, dass ca. 50.000 Menschen schutzlos der Witterung und dem
Winter ausgesetzt waren. Um die sich anbahnende humanitäre Katastrophe
einzudämmen, musste hier von Seiten der NATO reagiert werden. Um Frieden
zu erreichen, sind in manchen Situationen auch Kampfhandlungen gegen die
gewaltsame Partei notwendig. Alle friedlichen Versuche der internationalen
Staatengemeinschaft, zwischen den Konfliktparteien Verhandlungen herbeizuführen,
waren gescheitert; eine friedliche Lösung schien nach meiner Überzeugung
nicht in Sicht. Die absehbare Verschärfung der humanitären Notlage
rechtfertigte für mich den Einsatz der NATO, wobei ich Ihnen versichere,
dass die Entscheidung für mich nicht leicht war.
Zurückblickend bewerte ich die Entscheidung als richtig und ich würde mich auch im Nachhinein so entscheiden. Ich bin jedoch der Meinung, dass der gesamte Themenkomplex in der Öffentlichkeit nicht ausreichend thematisiert worden ist, dies lag aber meiner Ansicht nach an der Dringlichkeit der Entscheidung und in der Neuartigkeit der Situation. Es fehlte sicher ein Stück weit die Erfahrung in allen Teilen der Gesellschaft und der Öffentlichkeit, mit einer solchen Situation in Europa umzugehen.(...)
Dr. Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen): -Antwort
durch Mitarbeiter-
Frau Vizepräsidentin Dr. Vollmer hat mich beauftragt, Ihnen für
Ihr Schreiben vom 12. Oktober 2000 zu danken. Aus den beiliegenden Artikeln
zum Thema "Kosovo" mögen Sie die Position von Frau Vollmer erkennen.
Dr. Theo Waigel (CSU):
(...)Ich habe mich im Deutschen Bundestag für eine Beteiligung
der Bundeswehr an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen
im ehemaligen Jugoslawien ausgesprochen. Alle Partner erwarten von Deutschland
die Übernahme einer größeren Verantwortung bei der Lösung
weltweiter Konflikte. Selbstverständlich würde ich mich heute
wiederum für eine Zustimmung entscheiden. Dieser Themenkomplex wurde
über lange Jahre hinweg intensiv innerhalb des Parlaments wie auch
außerhalb diskutiert. Ich erinnere, daß es bereits 1993 zu
einer Diskussion über eine Beteiligung der Bundeswehr am NATO-AWACS-Verband
zur Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina gekommen
ist. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung als grundgesetzkonform
eingestuft. In den Jahren danach kam es zu mehrfachen Debatten im Deutschen
Bundestag. Dabei wurde die Mehrheit für eine deutsche Beteiligung
immer größer. Selbst die Fraktion der Grünen hat seit dem
Regierungswechsel nicht mehr den Vorwurf der Militarisierung deutscher
Außenpolitik erhoben und entsprechende Einsätze der Bundeswehr
gebilligt.
Dr. Konstanze Wegner (SPD):
1. Pro, aber voller Zweifel.
2. Skeptisch, kann nicht sagen, wie ich dann entscheiden würde.
3. Nein, eine "Nachbereitung", die sehr nötig gewesen wäre,
ist so gut wie nicht erfolgt.
Reinhard Weis (SPD): -Antwort durch Mitarbeiter-
(...)Die Fragen 1. Und 2. Stehen in so engem Zusammenhang, dass sie
zusammen beantwortet werden können. Herr Weis hat dem Einsatz zugestimmt,
weil auf Grund der Vorgeschichte in Rest-Jugoslawien offensichtlich alle
Androhungen von Gewalt nach den diplomatischen Bemühungen nicht dazu
führten, dass das Programm der ethnischen Säuberungen des Kosovo
und die damit verbundene Destabilisierung des Balkan gestoppt werden. Diese
Haltung bleibt auch unverändert, wenn im Nachgang erlebt werden musste,
dass die Gewalttaten in die andere Richtung umgeschlagen und sich gegen
die Serben richteten. Herr Weis verurteilt auch dies.
Zur Frage 3, Herr Weis ist der Auffassung, dass die Bevölkerung sehr starken Anteil an den Entwicklungen im Kosovo nahm und schon eher ein Einschreiten befürwortete. Allerdings haben die wenigsten mit einer deutschen Beteiligung gerechnet. Dieser Aspekt der Veränderung des Auftrages bzw. Der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr wurde aus Sicht von Herrn Weis sehr schnell akzeptiert.(...)
Gerald Weiß (CDU):
(...)1. Nach gewissenhafter Abwägung habe ich dafür gestimmt,
um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden.
2. Ja.
3. Grundsätzlich ja. Bei einer CDU-geführten Bundesregierung
wäre die Problematisierung mit Sicherheit größer geworden.
Guido Westerwelle (FDP):
(...)Ich habe seinerzeit einer deutschen Beteiligung zu den NATO-Luftoperationen
im Deutschen Bundestag zugestimmt. Der Themenkomplex wurde damals sowohl
im Bundestag wie auch in seinen Fraktionen und Ausschüssen umfassend
und ausreichend besprochen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat sich sehr
ausführlich informiert und auf der Grundlage dieser Information eine
verantwortungsvolle Entscheidung getroffen.
Lydia Westrich (SPD):
(...)1. Ja, unter dem Eindruck der Massaker, die zuvor in Bosnien-Herzegowina
passiert waren, als Blauhelmsoldaten dem entsetzlichen Geschehen zuschauten,
nichts tun konnten. Im Nachhinein wussten alle, dass zu spät militärisch
eingegriffen wurde. Außerdem saßen zur Zeit des Beschlusses
alle Parteien noch am Verhandlungstisch. Eigentlich sollte die Entscheidung
dazu beitragen, den Druck für eine friedliche Lösung zu erhöhen,
von deren Möglichkeit wohl die meisten Kolleginnen und Kollegen ausgingen.
2. Zum Zeitpunkt des Krieges war ich tief entsetzt, was ich auch mit meiner Entscheidung angerichtet habe. Ich bin auch nach vielen Informationen davon überzeugt, dass das militärische Eingreifen notwendig war. Die Gefahr eines Flächenbrandes in der gesamten Region (Albanien, Mazedonien,...) war zu groß. Ich bedauere aber, dass unsere Möglichkeiten für friedliche Konfliktlösungen total unterentwickelt, bzw. in den vergangenen Jahren sehr vernachlässigt worden sind. Und das gehört dann schon zur dritten Frage.
3. Ich bin der Meinung, dass wir in unseren zivilisierten Gesellschaften alle Instrumente weiter entwickeln müssen, die es uns ermöglichen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Leider nimmt das zur Zeit wenig Raum in der politischen Arbeit ein. Aber die Probleme holen uns schon selbst wieder ein. Man kann im eigenen Land nicht für ein gewaltfreies soziales Miteinander kämpfen und gleichzeitig nach außen mit Waffen für "Ruhe und Ordnung" sorgen. Das wird auf Dauer unglaubwürdig.(...)
Helmut Wieczorek (SPD):
(...)Die von Ihnen angesprochene Abstimmung über die Beteiligung
an den von NATO geplanten begrenzten Luftschlägen im Rahmen des Kosovo-Konfliktes
war sicherlich einer der weitreichendsten Entscheidungen des Deutschen
Bundestages der letzten Jahre. Entsprechend ernsthaft war die vorangegangene
Debatte, an die ich mich noch gut erinnere. Ich selbst habe damals zugestimmt
und bin auch heute noch davon überzeugt, das richtige getan zu haben.
Der Schutz der Menschen, der damals wie heute im Vordergrund stand, machte
die Androhung und den Einsatz militärischer Mittel zur Abwendung einer
humanitären Katastrophe erforderlich. Dabei kann man sicherlich darüber
streiten, ob der Zeitpunkt und die später gewählten Mittel die
richtigen waren. Die Entscheidung als solche halte ich aber nach wie vor
für richtig.(...)
Klaus-Peter Willsch (CDU):
(...)1. Ich habe für den Einsatz gestimmt, weil ich mir schon
lange vorher ein entschlossenes Vorgehen des freien Westens gegen Milosevic
gewünscht habe.
2. Ich stehe nach wie vor zu dieser Entscheidung. Bei aller weiteren Ungewissheit über die Zukunft des Kosovo ist zumindestens das Ziel erreicht, Milosevic aus der Macht zu drängen.
3. Der Themenkomplex wurde meines Erachtens ausreichend thematisiert(...).
Margarete Wolf (Bündnis 90/Die Grünen):
(...)Der Krieg im Kosovo war für die Bundesrepublik und für
Bündnis 90/Die Grünen ein einschneidendes Ereignis. Aus diesem
Grund haben wir uns die Entscheidung bei der Abstimmung im Bundestag nicht
leicht gemacht. Ich habe den Einsatz befürwortet, da ich der Ansicht
war, dass alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft waren und
Milosevics Absichten, den Kosovo ethnisch zu säubern, verhindert werden
mussten. Auch im Nachhinein kann ich keine andere Handlungsmöglichkeiten
sehen. Es ist uns gelungen, die Vertreibungen rückgängig zu machen.
Dabei will ich nichts beschönigen. Der Einsatz, der dem Völkerrecht
widersprochen hat, muss eine Ausnahme bleiben.(...) Ich glaube schon, daß
der Einsatz im Kosovo in der Öffentlichkeit genügend thematisiert
wurde, denke aber, dass über die Folgen zu wenig diskutiert wird.(...)
Vor allem aber müssen wir am Aufbau von Mitteln der Gewaltprävention
und der zivilen Konfliktbearbeitung arbeiten.
Winfried Wolf (PDS):
(...)1. Ich war und bleibe strikter Gegner jeden Krieges (Kriege sind
immer Angriffskriege; daß man sich wehren darf und z.Tl. muß,
ist unbestritten). In diesem Fall kam HINZU, daß es ein Krieg unter
offenem Bruch von Verfassung und Völkerrecht (UN-Charta) war.(...)
2. Ja, auch im Nachhinein würde ich mich so entschieden haben. Mehr noch: Im Nachhinein wurde noch deutlicher, wie sehr die öffentliche Meinung manipuliert wurde, um ihr "plausibel" zu machen, daß hier das Völkerrecht "umgangen" werden könne: Der "Hufeisen-Plan" war eine glatte Fälschung; viele Kriegsdokumente waren gefälscht; im Kosovo ist nichts besser geworden, "nur" daß nun andere Ethnien vertrieben werden. Vor allem aber zeigt sich: Dies war ein Krieg gegen die zivile Bevölkerung. Das Militär wurde weitgehend geschont und Einrichtungen, die primär der Bevölkerung dienen, zerstört.
3. Der Kriegs-Themenkomplex wurde in der Öffentlichkeit nicht ausreichend
thematisiert.(...) Irgendwie gilt: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Ich
befürchte, daß der nächste Krieg bereits vorbereitet wird.
4.2. Telefonische Antworten top
Neun Bundestagsabgeordnete nahmen den Brief zum Anlaß, in teilweise sehr ausführlichen Telefongesprächen, ihre Haltung hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens zur Frage der Bundeswehrbeteiligung im Kosovo-Krieg zu erläutern und stellten sich dabei der Diskussion über den Themenkomplex.
Inhaltlich vergleichbar mit den schriftlichen Antworten, bekräftigten die Befürworter des Krieges auch nachträglich ihre damalige Haltung bzw. die Gegner die ihrige.
Ein SPD-Bundestagsabgeordneter überraschte mit seiner offenen Kritik an der eigenen Partei sowie dem Bundesverteidigungsminister. Er teilte mit, daß er zunächst für eine Beteiligung der Bundeswehr an dem Krieg gestimmt habe. Problematisch sei es dann für ihn geworden, als die "endlosen Bombardements" nicht enden wollten, worauf er sich in einem kleine Kreis innerhalb der SPD für einen Waffenstillstand sowie den Eintritt in eine neue Verhandlungsrunde engagiert habe.
Freimütig teilte er sodann mit, daß die pro-kriegerische
Darstellung von Bundesverteidigungsminister Scharping zum sog. "Hufeisenplan"
"nicht korrekt" gewesen sei. Dieser habe ihn und seine Kollegen "an der
Nase herumgeführt".
5. Auswertung
top
A) Antrag der Bundesregierung top
1. Bei genauer Lektüre des Antrages überrascht vor allem der
zeitliche Ablauf des Handlungsgeschehens: Es wird im Antrag darauf hingewiesen,
daß der NATO-Rat am 8. Oktober 1998 die Operationspläne für
begrenzte und in Phasen durchzuführende Luftoperationen abschließend
gebilligt habe und nach Zustimmung der Mitglieder der Allianz den Einsatz
autorisiert habe. Sodann heißt es, daß am 9. Oktober, also
am darauffolgenden Tag, der NATO-Rat die Rechtsgrundlage für das Handeln
des Bündnisses erörtert habe. Im folgenden werden fünf Argumente
für ein militärisches Eingreifen genannt.
Bereits am 12. Oktober 1999, also lediglich drei Tage später,
legte die wenige Tage zuvor gewählte SPD-Bündnis 90/Die Grünen-Bundesregierung
einen Antrag zur Abstimmung im Bundestag vor, über welchen vier Tage
später der alte und nicht der neu gewählte Bundestag (dieser
konstituierte sich erst am 26. Oktober 1998) abzustimmen hatte.
Daraus mußte zwangsläufig ein ungemeiner Druck auf alle
Entscheidungsträger (vor allem auf die Bundestagsabgeordneten) ausgehen,
dem man sich wohl nur mit großer Anstrengung entziehen konnte ["Musterbeispiel"
hier: das Abstimmungsverhalten des Justizministers der
alten Koalition Schmidt-Jorzig und seine Begründung; ami]. Genau
dieses Problem wurde von einigen Bundestagsabgeordneten im Nachhinein genannt.
Einer von ihnen brachte es folgendermaßen auf den Punkt: "Allerdings
habe ich, haben wir - die längst beschlossene - NATO-Strategie begrenzter
Luftoperationen nicht konsequent und rücksichtslos geprüft. Das
war ein Versagen der Politik und der parlamentarischen Kontrolle."
2. Hauptargument der Begründung des Antrages ist die mehrfach wiederholte drohende humanitäre Katastrophe sowie die geschätzten 290.000 Flüchtlinge und Binnenvertriebenen. Die sich mehrfach wiederholende Einschätzung der Notsituation zahlreicher Menschen im Kosovo und die immer wieder genannte abzuwendende - aus Sicht des NATO-Rates unweigerlich drohende - humanitäre Katastrophe machen es dem Leser schwer, sich dem appellativen Charakter dieses Handlungsauftrages zu entziehen.
3. Offenbar in Erwartung der nicht erfolgenden Legitimation des Krieges
durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wird im Antrag darauf hingewiesen,
daß in eben dieser Situation die von der Bundesregierung bereitgestellten
Kräfte auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des NATO-Rates
eingesetzt werden sollen, um die Forderungen aus den Sicherheitsrats-Resolutionen
1160 und 1199 durchzusetzen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß
der Krieg auch ohne Legitimation durch den Sicherheitsrat der Vereinte
Nationen gerechtfertigt sei und bzw. wird der Eindruck erweckt, als stelle
er keinen Rechtsbruch dar.
B) Die Reaktionen der Bundestagsabgeordneten top
Vor allem überrascht die Vielzahl der Rückmeldungen: Von 669 angeschriebenen Bundestagsabgeordneten antworteten 130, neun von ihnen telefonisch.
27 dieser Abgeordneten stimmten gegen den betreffenden Antrag, drei enthielten sich der Stimme, 19 Abgeordnete konnten an der Abstimmung nicht teilnehmen, da sie erst der 14. Legislaturperiode angehörten und schließlich 75 der Abgeordneten stimmten dem Antrag zu.
Von Befürworter jenes Antrages wurden folgende Argumente - sich mehrfach wiederholend - als Begründung genannt:
Ausschließlich jene Abgeordnete, die gegen den Antrag stimmten, fanden eindeutig kritische Formulierungen (auch diese wiederholten sich mehrfach):
Auffallend sind die vor allem von den Befürwortern (!) des Krieges genannten fehlenden Instrumente ziviler Konfliktlösungen. Hierzu gibt es u.a. folgende Meinungen:
Zur Frage der ausreichenden öffentlichen Thematisierung jenes Konfliktgegenstandes gingen die Meinungen erwartungsgemäß sehr auseinander. Überwiegend wird jedoch die Meinung vertreten, daß eine ausreichende Auseinandersetzung stattgefunden habe.
Schließlich ist hervorzuheben, daß so gut wie alle Befürworter jenes Krieges das Wort Krieg in ihrer Antwort vermieden [einer stimmte gar nur einer "Vorlage" zu; ami] und umsomehr nicht bereit waren sich mit den von Kriegsgegnern in der Nach-Kriegszeit vorgetragenen Argumenten gegen den Krieg, die sich folgendermaßen zusammenfassen lassen:
6. Ausblick top
Die Reaktionen der Bundestagsabgeordneten machen deutlich, daß der erste Kriegseinsatz von Bundeswehrsoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg don den Parlamentariern eine Entscheidung abnötigte, die wohl den meisten von ihnen sehr schwer gefallen ist und stark emotional geprägt war.
Dies dürfte die Erklärung dafür sein, daß so zahlreich geantwortet wurde. Offensichtlich bewegt dieses Thema noch immer die Gemüter der Bundestagsabgeordneten.
Entsprechend der persönlichen Fragestellung des Briefes an die Parlamentarier spiegeln deren Antworten die persönliche Meinung des jeweiligen Abgeordneten wider. Jene Meinungen gehen naturgemäß sehr weit auseinander. Unabhängig von der jeweiligen Haltung kommt aber sowohl von den Befürwortern, als auch von den Gegnern des Krieges, immer wieder die außerordentliche politische Bedeutung der betreffenden Bundestagsentscheidung zum Ausdruck.
Umso erstaunlicher ist es, daß inzwischen - eineinhalb Jahre nach Kriegsende - von jener kontroversen politischen Sichtweise im aktuellen bundespolitischen Diskurs so gut wie nichts mehr zu spüren ist.
Gemessen an der politischen und gesellschaftlichen Bedeutung des ersten
Kampfeinsatzes von Bundeswehrsoldaten in einem Krieg, wäre es mehr
als notwendig, jenen notwendigen Diskurs von den politischen Mandatsträgern
einzufordern, damit die Zustimmung zur Kriegsteilnahme kein Modell künftiger
Handlungsstrategien innerhalb der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik
werden kann.
Hermann Theisen
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